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Zimmer frei

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
"Tja", seufzt vielleicht der eine oder die andere, "wo soll ich denn im Alter hin?"
Wenn der Nachwuchs erst aus dem Gröbsten und dann auch noch aus dem Hause raus ist.
Wenn einem der Ehe- oder sonstige Partner unter fadenscheinigem Vorwand unter der Hand weggestorben ist dann ist das Haus plötzlich so groß, dass das von sämtlichen Wänden zurückgeworfene Echo der sich so zwangsweise ergebenden Selbstgespräche so klingt, als sei da noch ein Fremder da. Das ist gruselig.

Dann wird es für die Spät- und auch Letztsemester Zeit, sich einer karitativen Einrichtung anheim zu stellen, wie zum Beispiel der AWO (Alte wollen Obdach).
Dort sind die Räumlichkeiten übersichtlicher. Es gibt kein Echo, die Antworten auf die Selbstgespräche dringen durch die dünnen Wände aus den Nebenzimmern herein. ("Mensch, Edeltraut, mach den Fernseher leise oder schnall dir die Hörhilfe um". - "Nun hab dich nicht so, du möchtest deinen Strawinsky doch auch immer in voller Lautstärke hören".)
Am nächsten Tag versöhnt man sich bei Kaffee und Kuchen.

Da fällt mir ein: woher kommt wohl das Wort versöhnen? Da steckt doch das Wort Sohn drin.
Versöhnen tut man sich meistens nach gemeinsam erlebter Ärgerlichkeit. Vergibt man da dem eigenen Kinde, genauer gesagt dem Sohn? Impliziert das, dass es mit Töchtern nie Streitigkeiten gibt? Denn "vertöchtern" habe ich nie gehört. Wohl aber "verbrüdern". Das ist dem Versöhnen nicht unähnlich, hat es doch auch etwas Verschwörerisches, Verbindendes an sich.

Also, Versöhnen und Verbrüdern sind verwandt, sozusagen. Gemeinsam ist ihnen Vergeben und Vergessen, möglicherweise. Während Verbrüdern eher ebenerdig daherkommt, scheint Versöhnen jedoch von oben nach unten, von alt nach jung zu funktionieren. Andersherum müsste es ja auch ein Vereltern geben. Gibt es aber nicht. Das einzige ähnlich Wort, das mir dazu einfällt wäre Vergelten. Ich wünsche mir dahingehend jedoch keinen Zusammenhang.

Und wie ist das nun, wenn Seniorinnen ihren Streit schlichten? Ver- oder Aussöhnen klingt, s.o,. nicht mehr angebracht. Ver-greisen tun sie von ganz alleine, auch ohne Mithilfe von Mitinsassen, also vielleicht: Ausgreisen?

Ausreißen wäre eine Möglichkeit der Diskussion zu entkommen, aber nein:
Es gibt ja Kaffee und Kuchen.
K.u.K., jetzt weiß man endlich woher diese nachmittägliche (Un)Sitte stammen mag.
Nicht, dass der Kaffee ein echter wäre. Nein, es wird geblümter serviert, einhergehend mit einem Stück leichtverdaulichen Butterkuchens, in welches man vorher ein wohldosiertes Pillchen verfrachtet hat. All diese Schlemmerei, geschickt und berechnend zeitgleich serviert mit einer Runde Bingo wirkt sich auf die hörgeschädigte und daher insgesamt sehr laute Kommune 99 durchaus Schlaf fördernd aus, so dass der Nachtschicht schiebende Bufdi seine Ruhe haben dürfte.

Bufdies sind die Zivis des neuen Zeitalters. Das sind meist Leutchen, die entweder keine Lehrstelle bekommen haben oder wollen und/oder nicht wissen, was sie mit Durchschnitt 4,8 studieren sollen.
Die haben - in Bufdi-internen AWO- Zirkeln - so typische Teen- oder auch Twenwitze, die sich aber alle irgendwie ähneln: Alle wünschen Obstler, aber wirken obskur, oder so was in der Art wie albern winkende Omas...

Nach mehrstündiger Einarbeitung sind sie (die Bufdies, nicht die Omas) mühelos in der Lage, die nächtliche Notfallzentrale eines solchen Hauses zu übernehmen, wenn nicht sogar zu leiten. Was auf dasselbe hinausläuft, denn es ist ja sonst niemand da.

Denn wenn sich mal eines dieser Butterkuchenpillchen versehentlich nicht in den Magen begeben und statt dessen in die schorfige, enge Altennase verirrt hat, kann das schon mal zu kritischen Momenten führen.

Nicht, dass aller Senioren Nasen automatisch eine Gefahr darstellen, nur weil sie schorfig und eng, von mir aus auch zu trocken und manchmal triefnass sind.

Apropos schorfig:

Scheucht mit wild gewordnen Keilern
Unsere Alten aus den Weilern
Die mit kratzenden Gebärden:
Unser Schorf soll Döner werden


Aber wenn der Bufdi draußen eine nach der anderen qualmt mag er möglicherweise ein durch eine schorfige Seniorinnennase heftiges, Mitleiderregend rhythmisches, letztendlich aber wohl vergebenes Anstubsen ausgelöstes Notrufsignal überhören.

Tja, und dann?

Dann überlegt er später, woher der Begriff "Stubsnase" kommt und bewirbt sich bei "Zimmer frei".
 
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