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6 Seiten

"Pete" oder Revanchieren mal anders

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
© Middel
Ich bin von Natur aus ein eher reinlicher Mensch. Ich habe zwar keinen Putzfimmel an sich, aber sauber und ordentlich sollte es schon sein. Täglich saugen, Staub wischen und die Wohnung in Schuss halten ist für mich zwar keine Lebensaufgabe, gehört aber zu meinen Routinen, die mir dann auch das Gefühl von innerer Ordnung geben. Ein sauberes Heim, Glück allein. Wie meine Großmutter immer zu sagen pflegte. Oder auch: Wer das Äußere nicht pflegt, ist auch von innen schmutzig. Ich sehe das nicht ganz so, aber ein bisschen Wahrheit steckt da schon drin.
Das ist auch der Grund, warum ich nicht im Entferntesten auf die Idee käme, mir ein Haustier anzuschaffen. Völlig absurd, hier Katzen oder Hunde rumspringen zu lassen, die mir wieder alles versauen. Oder Vögel, die mir in den Deckenfluter kacken? Nein, garantiert nicht. Und schon gar keine Tiere, die im Terrarium oder so gehalten werden. Da kräuseln sich mir die Nackenhaare.
Meine Nachbarn hingegen haben fast alle Haustiere. Das ist bei uns erlaubt, was mich schon des Öfteren zur Weißglut getrieben hat. Ständig bellt irgendwo so ein Köter oder es huscht eine Katze im Hausflur an mir vorbei. Ich stelle mich ja nun wirklich nicht an, aber Tiere sind nun mal Tiere und nicht Menschen und sie gehören in die freie Wildbahn. Afrika oder so. Meinetwegen auch in den Zoo, da gehe ich eh nicht hin … viel zu dreckig.
Als alleinstehende Frau Anfang 40 hat man es nicht leicht. Ständig wird man von irgendwem angesprochen oder um etwas gebeten oder beides. Oder gar keins von beidem. Aber doof angucken reicht auch. Oder ignorieren. Boah. Ignorieren ist das Schlimmste. Und die meisten Nachbarn hier ignorieren mich mittlerweile. Wobei ich mit denen auch eigentlich nichts zu tun haben möchte. Aber wenigstens mal nett grüßen könnten die. Dann würde ich vielleicht auch mal zurückgrüßen. Aber dafür müssten sie erst ein sozial verträgliches Verhalten an den Tag legen. Zum Beispiel die Kinderwagen aus dem Hausflur räumen. Ständig stolpere ich darüber. Und was für Dreck die mit ihren schlammverseuchten Rädern hier hineinschleppen – ekelhaft. Oder die Briefkästen, die überquellen. Was soll das? Und wenn ich mich dann beschwere, werde ich doof angeguckt oder ignoriert.
Der einzige Mensch hier, der mich bis vor kurzem nicht ignoriert hat war der Typ unter mir. Ein merkwürdiger Mensch zwar, aber irgendwie süß. So der Typ Mann, dem man nichts abschlagen kann. Jung. Student. Gutaussehend. Obwohl ich mir ja so nicht viel aus Männern – zumal hübschen – mache. Aber der hat so eine Art … und er guckt auch nicht doof. Selbst, wenn ich ihn in ernstem Ton darum bitte, seine dreckigen Schuhe doch nicht vor der Tür stehen zu lassen. Er reagiert prompt und räumt sie weg.
Und als er letztens sein Fahrrad aus dem Keller geholt hat, hat er auch sofort den Flur gewischt, nachdem ich ihm mit der Hausverwaltung gedroht habe. So lobe ich mir das. Ein netter Mensch, habe ich mir da gedacht, wenn auch ein bisschen zu jung für mich. Aber er wäre auch noch formbar. Na ja, eigentlich mache ich mir ja sowieso nichts aus Männern – zumal wenn sie hübsch sind.
Letztens musste er dann für zwei Tage zu irgendeinem Seminar am Wochenende und wollte, dass ich auf seine Tiere aufpasse. Er meinte, ich wäre hier im Haus die vertrauensseeligste und mit Abstand genaueste Person und daher wäre ich die erste Wahl, auf sein kleines "Baby" aufpassen zu dürfen. Ich und Tiere? Ich schaute ihn lange an und er lächelte ganz verlegen und meinte, dass er sich dafür auch bestimmt revanchieren würde. Das war sehr süß und irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass es so schwierig sein kann, für zwei Tage auf sein Haustier zu achten. Es bräuchte auch nicht viel, meinte er. Ein- zweimal am Tag füttern, das wäre alles. Er war sehr freundlich und dann habe ich mich tatsächlich breit schlagen lassen. Hauptsache sie wird regelmäßig gefüttert, wiederholte er. Er gab mir den Zweitschlüssel zu seiner Wohnung. Ich nahm ihn an. Ein großer Fehler!
Am darauffolgenden Samstag vergaß ich erst, dass ich noch jemanden zu füttern hatte. Normalerweise bin ich immer zu 110 Prozent verlässlich. Aber, na ja, es war ja jetzt nicht unbedingt mein sehnlichster Wunsch gewesen, sein Meerschweinchen zu füttern … oder seine Katze? … Fische …? In dem Moment, am Samstagabend, in dem mir einfiel, dass ich da noch etwas zu erledigen hatte, fiel mir erstmals auch ein, dass ich mich gar nicht kundig gemacht hatte, welche Art von Kreatur da denn nun seine Wohnung verdreckt … Warum hatte ich nicht danach gefragt? Aufgrund seines netten Lächelns? Vielleicht. Vielleicht aber auch, weil der enge Hintern in seiner Blue-Jeans mich zu sehr abgelenkt hatte … sei’s drum, ich musste da jetzt runter und dem Geschöpf Nahrung zuführen. Sonst wäre das mit dem "Revanchieren" sicher hinfällig. Zudem bin ich immer zu 110 Prozent verlässlich – wenn ich will! Manchmal etwas spät, aber verlässlich.
Also gedacht, getan und das Stockwerk runter, um die „Fütter-Sache“ möglichst schnell hinter mich zu bringen. Vor der Tür angekommen atmete ich ein letztes Mal tief durch, schließlich wusste ich ja nicht, was für ein Chaos mich nun erwarten sollte, und dann ging’s los. Schlüssel ins Schloss und herumgedreht.
Zaghaft öffnete ich die Tür und schaute mich um. Viel zu sehen gab es erst einmal nicht. Das bisschen Flurlicht ließ keine großen Einblicke in die Studentenbude gewähren. Hoffentlich hat er wenigstens gesaugt, dachte ich bei mir, während ich eintrat und den Lichtschalter betätigte.
Was ich dann sah, überraschte mich immens. Der Herr Student hatte aufgeräumt, nein klinisch rein geputzt. Alles war sauber, ordentlich, stand an seinem Platz und es glänze und funkelte. Ich ging von Raum zu Raum und war sichtlich erleichtert und überrascht, dass dieser Mann so ordentlich war. Also nicht nur süß, sondern auch noch sauber? Eigentlich der ideale Mann und das, obwohl ich mir eigentlich nicht so viel aus Männern mache – noch dazu hübschen. Aber reinliche Männer üben eine Faszination auf mich aus, irgendwie. Jetzt taten mir manche Dinge, die ich so beiläufig abfällig über ihn geäußert hatte irgendwie leid. Vielleicht hätte ich ihn nicht so beschimpfen sollen? Oder mich bei der Hausverwaltung beschweren? Aber allzu übel scheint er mir es ja nicht genommen zu haben, sonst wäre ich ja jetzt nicht hier.
Bevor ich mich nun auf die Suche nach seinem possierlichen Mitbewohner mache wollte, überkam es mich, mal einen kleinen, verstohlenen Blick in sein Schlafzimmer zu werfen. Nur mal schauen, ob es da auch so angenehm geordnet ist. Und das war es tatsächlich. Pikobello. Und das Bett frisch gemacht. Das gefiel mir. Nachdem ich dann nur mal einen flüchtigen Blick in den Kleiderschrank geworfen und ein wenig in den Schubladen gestöbert hatte,wollte ich mich nur kurz auf's Bett legen. Das war so sauber und sah sehr einladend aus. Und irgendwie war es ein schöner Gedanke, mal für ein paar Sekündchen in dem Bett zu liegen, das dieser süße Typ sonst benutzt.
Ich ließ mich also auf das Bett fallen und legte mich mit ausgestreckten Armen rücklings hin. Nur mal eben wollte ich so liegen bleiben und dann endlich schauen, wo er denn seinen Mitbewohner versteckt hielt.
Doch als ich dann für einen klitzekleinen Moment die Augen geschlossen hatte und sie danach wieder öffnete, mussten doch einige Minuten, vielleicht sogar mehr, vergangen sein.
Als ich erwachte, traf mich dann der Schlag. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich etwas, das vorher noch nicht dagewesen war. Neben mir, in diesem fanzösischen Bett, also so circa 30 Zentimeter links von mir, lag eine Schlange. Eine Riesenschlange. So eine, die man sonst nur im Zoo sieht. Also ich nicht, ich gehe nicht in Zoos. Aber so im Allgemeinen. Ich wagte mich kaum zu bewegen. Aber was sollte ich tun? Ich hatte Todesangst. Es war so schrecklich. Langsam drehte ich den Kopf und beobachtete das Riesenvieh. Es bewegte sich nicht. War das nun gut oder nicht? Ich musste etwas tun. Wo war mein Handy? In meiner Hosentasche? Ich kramte in Zeitlupe -bloß nicht erschrecken dieses Monster -nach dem Smartphone. Und - Gott sei dank - ich hatte es dabei. Wen sollte ich anrufen? Die Polizei? Die Feuerwehr? Den Notarzt, Seuchenschutz, das Militär, die Uno? Ich entschied mich dafür, meinen Nachbarn zu kontaktieren, schließlich war es seine Schlange und vielleicht war sie ja auch ganz harmlos und ich übertrieb ein bisschen. Obwohl ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen konnte.
Ich wählte seine Nummer. Ja, Hallo? Er war dran. Bitte, würden Sie mir helfen, flüsterte ich gaaaaaanz leise. Was? Ich verstehe nichts. Ob Sie mir bitte helfen könnten, ich liege in ihrem Bett und ... Wo liegen Sie? Ähhm, ja. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Ich liege also in ihrem Bett und ... Was machen Sie in meinem Bett? Sie sollten die Schlange füttern und gut is'. Ich bemerkte erst jetzt, dass ich am ganzen Körper zitterte. Ja, deshalb rufe ich an. Weshalb? Wegen der Schlaa... Schlaaa... sie bewegte sich unmerklich, das machte mir Angst. Wegen der Schlange? Ja, genau!
Oder hatte ich mir nur eingebildet, dass sie sich bewegt?
Was ist mit Pete? Mit wem? Mit Pete ...
Ist Pete die Schlange? Ja!
Na dann geht es Pete sicherlich gut ... glaub ich. Haben sie ihn gefüttert? Wen? Na, Pete. Die Schlange? Ja! Nein! Wie nein? Ich habe Pete, die Schlange, nicht gefüttert. Warum nicht? Ich weiß nicht? Was wissen Sie nicht? Ich weiß zum Teufel nicht, warum ich Pete, die verdammte Schlange, nicht gefüttert habe, ich habe keine Ahnung, wie man eine Schlange füttert, außerdem habe ich es schlicht und einfach vergessen, ich habe Angst und Sie müssen mir verdammt nochmal helfen, verstehen Sie das?
Die letzten Worte hatte ich herausgeschrien. FUCK, dachte ich. Langsam drehte ich mich wieder nach links, um nach Pete zu schauen. Aber normalerweise bin ich zu 110 Prozent zuverlässig, ergänzte ich im Flüsterton. Warum flüstern Sie? Na ja, weil Pete hier direkt neben mir im Bett liegt und ich ihn nicht erschrecken möchte. Sie liegen immer noch in meinem Bett? Ja. Warum? Ich traue mich nicht aufzustehen. Und sie trauen sich auch nicht, lauter zu reden? Ja. Er ist taub! Wer? Pete! Pete ist taub? Ja, Schlangen sind im Allgemeinen taub. Das heißt, er kann mich nicht hören? Nein, aber ich und wenn Sie nochmal in den Hörer schreien, lege ich auf. Nein bitte ... Okay. Um die Situation mal bildlich auf mich wirken zu lassen. Sie liegen in meinem Bett und Pete liegt neben Ihnen? Das ist richtig! Hörte ich da so etwas wie ein Lachen im Hintergrund? Ist da noch wer bei Ihnen?, fragte ich den Studenten etwas irritiert.
Nein, niemand wichtiges zumindest. Okay, ohne das Ganze jetzt zu sehr hinterfragen zu wollen, was zum Teufel machen Sie in meinem Bett? Ich weiß es nicht. Ich wollte mich nur mal kurz hinlegen. Um Pete zu füttern? Ja, ich meine NEIN! Okay. Was macht Pete? Er liegt! Ach was. Wie liegt er? Wie meinen Sie das? Liegt er eingerollt? Ist das wichtig? Eventuell schon. Wenn er sich einrollt ist er zufrieden und schläft. Wenn nicht, dann ... Mein Herz klopfte wieder schneller. Was dann? Na dann kommt es drauf an, wie er sonst liegt. Er liegt ganz gerade circa 30 Zentimeter links neben mir in Ihrem Bett und ... Und? Und es tut mir leid. Was? Alles! Dass ich so gemein war, zum Beispiel. Ach, jetzt tut es Ihnen leid? Ja. Auf einmal? Ja! Warum? Ich weiß nicht. Weil Sie eine Scheiß-Angst haben? Vielleicht.
Okay, dann wollen wir mal schauen, ob ich Ihnen noch helfen kann. Also, wie war das mit Pete? Der Schlange? Ja! Also sie ... ähm .. er liegt hier neben mir, ganz gerade ... Ganz gerade? Ja. Au kacke. Bitte? Das ist nicht gut, das ist gar nicht gut.
Mein Herz zerbarst fast in meiner Brust. Waaas, wie meinen Sie das? Ich fing fast an zu heulen, es ging mir hundeelend. Hier in diesem wildfremden Bett liegend, neben mir dieses Urwaldgeschöpf und dann ein "das ist gar nicht gut" aus dem Telefon. Ich erzähle Ihnen mal was über Schlangen, sagte mein Nachbar ganz ruhig, während ich schockstarr dalag und ihm genau zuhörte. Eigentlich sind sie ganz umgänglich. Man kann sie sogar frei herumkriechen lassen. Diese Schlange hier kann man sogar anfassen. Mir wurde übel bei dem Gedanken. Aber eines sollte man unter keinen Umständen vergessen. Was denn? Sie verdammt noch mal zu füttern. Das tut mir leid. Was hatte ich Ihnen gesagt? Normalerweise bin ich zuverlässig. Ja, ja, zu 110 Prozent! Genau! Zu spät. Was? Ich denke, Pete wird hungrig sein. Warum? Weil Sie, liebe Nachbarin, ihn nicht gefüttert haben, warum sonst? Stille. Also, wenn eine Schlange sich lang macht, hat das nur eine Ursache. Sie schaut, ob ihr vermeitliches Opfer größer oder kleiner ist, als sie selbst. Schlangen essen nichts, was größer ist. Das ist so eine Art Urinstinkt oder so. Mir wurde speiübel. Also, wie groß sind Sie? Ich? Ja! Ich bin 1,65m ... da haben Sie ja nochmal Glück gehabt. Wieso? Pete ist 1,60m ... aber ich würde Ihnen trotzdem raten, so schnell wie möglich zu verschwinden. Was? Rennen Sie, laufen Sie, hauen Sie ab. Gaaaaanz schnell.
Plötzlich wurden mir seine Worte bewusst und ich schwang mich auf. Rollte mich vom Bett, stieß mir dabei den Kopf, rappelte mich wieder auf, rannte los ... aus dem Schlafzimmer ... in den Flur, zur Haustür ... stieß mir den Ellbogen an der Garderobe, erreichte die Tür, schwang sie auf und ...
lief meinem lachenden Nachbarn direkt in die Arme. Und nicht nur ihm. Das ganze Haus, die gesamte Nachbarschaft hatte sich im Hausflur versammelt und lachte schallend drauf los. Ich war völlig entsetzt. Ohne ein Wort bahnte ich mir einen Weg zurück in meine Wohnung.
Denen werde ich es zeigen, dachte ich mir, während ich die Haustür meines Appartements hinter mir zuknallte. Direkt morgen gibt es einen saftigen Brief beim Hausverwalter. Und von wegen Kinderwagen im Hausflur. Nicht mit mir. Die werden mich kennen lernen. Aber erst mal sauge ich hier und putz die Schränke ab. Wie das wieder aussieht ...
 
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Kommentare  

Dankeschön!

Middel (28.11.2016)

Ich habe Tränen gelacht. Sehr schön.

Evi Apfel (25.11.2016)

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