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4 Seiten

Das Weingut

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
© Glaser
Das Weingut

1.

Siegfried war in ein Sudoku vertieft, als Justizoberwachtmeister Hartmann seine Türe öffnete.

„Sie haben Besuch!“

Wortlos blickte Siegfried zur Tür. Zwei Uniformierte standen in der Tür, ein Mann und eine Frau. Polizisten. Auf den zweiten Blick erkannte er Hauptkommissar Opdendyk. Er war in Begleitung einer Polizeianwärterin. Opdendyk hatte ihn überführt. Lange her.

„Was verschafft mir die Ehre?“

„Wir wollten uns mal mit Ihnen unterhalten.“

„Haben Sie sonst nichts zu tun? Und überhaupt, warum nicht unten im Salon, warum kommen Sie zu mir in meine Wohnung?“

„Wohnung ist gut, Sie haben Ihren Humor ja immer noch. Wir wollten mal ganz ungestört reden. Ist ja nicht verboten und muss ja nicht jeder gleich ...“

„Verstehe, Sie haben ein Problem.“

„Haben Sie gesagt. Eigentlich wollte wir mit Ihnen eine Friedenspfeife rauchen nach all den Jahren.“

„Bin Nichtraucher. Außerdem ist hier Rauchverbot.“

„Sehr witzig. Aber sagen Sie mal, Sie haben ja keinen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung gestellt, hätten Sie doch machen können.“

„Na ja, mir geht es hier doch gut, Vollverpflegung, ich habe meine Ruhe. Mein Vertrag läuft noch fast drei Jahre, das ist ganz o.k.“

„Wenn da die Gitter da nicht wären!“

„Stimmt, die braucht man nicht, hier will doch keiner rein. Aber kommen Sie gerne mal zum Punkt. Ich bin hier gerade am Arbeiten, wie Sie sehen.“

„Na schön. Haben Sie von Ihrem Ex-Weingut gehört?“

„Wie 'gehört'?“

„Der jetzige Besitzer ist spurlos verschwunden. Seit einer Woche. Seine Frau hat uns das gemeldet. Befürchtet das Schlimmste.“

„Und was habe ich damit zu tun?“

„Wir denken in alle Richtungen. Vielleicht hat Ihnen ja ein Vögelchen etwas gepfiffen.“

„Fehlanzeige. Mir hat keiner irgendetwas erzählt. Und überhaupt, das Ganze interessiert mich nicht mehr im geringsten.“

„Na dann, lassen Sie sich nicht weiter stören, frohes Schaffen. Auf Wiedersehen.“

„Hoffentlich nicht.“

2.
„Der hat ja ganz schön schlechte Laune“, sagte die Anwärterin und stöhnte leicht.

„Kein Wunder, immerhin hat er es mir zu verdanken, dass er einsitzen muss.“

„Ich weiß, der Indizienprozess wegen der Erpressung damals, ich habe heute morgen noch schnell in den Akten geblättert. Was ist denn genau passiert?“

„Sein Weingut war in die roten Zahlen gerutscht. Dann hat er es an einen Russen verkauft, irgend so einer von diesen Oligarchen. Er durfte noch nicht mal als Verwalter oder Kellermeister weiterarbeiten. Und dabei war das Gut seit Jahrhunderten in Familienbesitz. Er hat wohl geglaubt, dass er sich etwas zurückholen kann, was ihm zusteht. Ist leider schiefgegangen“

„Glaubst du, er hat was damit zu tun, dass der Verwalter verschwunden ist?“

„Kann sein ja, kann sein nein. Ich sehe kein richtiges Motiv. Rache am Verwalter, das passt nicht. Ich wüsste nicht, was der ihm getan haben sollte. Und dann wäre noch die Frage, wie jemand aus dem Gefängnis heraus Fäden ziehen könnte.“

„Das wäre wahrscheinlich nicht das erste Mal.“

„Ja, Sie haben recht.“

3.
Siegfried setzte sich in der Kantine neben seinen alten Kumpel Johann.

„Na, Hans, altes Schwein, gibt 's was Interessantes?“

„Woran denkst du denn so zum Beispiel?“

„Du liest doch ziemlich viel, seit du den Job in der Bücherei hast.“

„Ach so. So richtig Interessantes wüsste ich nicht. Ich kann mit diesen jungen Autoren nichts anfangen. Die drücken ihre Emotionen doch nur aus wie Pickel.“

„Ich bitte dich. Nicht beim Essen.“

„Du hast mich gefragt.“

„Und sonst?“

„Gibt es nichts Besonderes.“

„So?“

„Na ja, vieles läuft seinen Gang, ganz genau so, wie es geplant wurde.“

„Verstehe, und alles hat natürlich seinen Preis. Und wer ordentlich geliefert hat, bekommt natürlich auch sein Honorar.“

„Ich glaube, wir verstehen uns.“

„Das glaube ich auch.“


4.
Einige Tage später druckte Jens, der Sohn von Johann, seine Kontoauszüge aus. Die 70.000 € waren eingegangen. Alles paletti.


5.
Alexandra hielt es seit einigen Tagen geschlossenen Räumen kaum noch aus. Dabei hatte sie das schlossartige Palais, das sie und ihr Mann bewohnen durften, über Jahre hinweg nach ihrem eigenen Geschmack eingerichtet. Sie war Innenarchitektin mit einem Bachelor-Abschluss. Ihre Lieblingsfarbe war Weiß. Ihr Mann hingegen hatte ein Faible für alles Bunte. Irgendwann hatten sie einen Kompromiss gemacht, dass im Wohngebäude und er im Verwaltergebäude das Sagen hatte.

Als Verwalter eines Weingutes mit langer Tradition war er mit seinem Hang für Farbmischungen ziemlich erfolgreich. Er setzte nicht nur auf Weißwein, sondern probierte auch Rotes aus, obwohl ihm Experten davon abgeraten hatten. Der Boden sei für Rotwein ungeeignet. Alles Blödsinn. Die richtige Rebe macht eben den Unterschied.

Alexandra schossen viele Gedanken durch den Kopf. Sie ging in dem weitläufigen Park, der zu dem Gut gehörte, spazieren, stundenlang. Das beruhigte sie ein wenig. Ihr Mann war seit fast zwei Wochen spurlos verschwunden.

Was war geschehen? Hatte er sie plötzlich verlassen? Gab es eine andere Frau in seinem Leben? War er die ewigen Streitereien mit ihr leid? Sie hatten sich über die Jahre allmählich auseinander gelebt. Getrennte Schlafzimmer, separate Urlaube. Die Ehe bestand nur noch auf dem Papier.

Gerade in letzter Zeit waren sie immer wieder aneinander geraten. Er hatte die Vision, auf dem Gelände eine Tagungsstätte für Spitzenmanager einzurichten. Die russischen Eigentümer ließen ihm wie fast immer freie Hand. Für sein Projekt hatte er eine Consultingfirma engagiert, die auf Bauvorhaben der Premiumklasse spezialisiert war. Alexandra hatte hunderte von Einwendungen. Vor allem der geplante Standort gefiel ihr nicht. Es hätte eine Familiengruft der Voreigentümer abgerissen werden sollen, die sich genau dort befand.

„Das ist doch unmöglich“, hatte sie gewettert. „Das ist doch Störung der Totenruhe.“

„Die hatten ihre Zeit, die ist aber schon lange vorbei. Man muss immer nach vorne blicken, das hast du selbst gesagt. Außerdem ist die Gruft nirgend registriert, da ist rechtlich nichts zu befürchten, das haben unsere Juristen geprüft. Die Pläne liegen längst dem Stadtrat vor. Da kamen auch keine Widerworte. Ganz im Gegenteil. Die Leute wittern einen wirtschaftlichen Aufschwung für dieses Kaff.“

Sie war regelrecht entsetzt über seine Gefühlskälte und war sich gar nicht mehr sicher, ob das noch derselbe Mann war, den sie vor zwanzig Jahren geheiratet hatte.

Er hatte seinen Plan mit aller Entschlossenheit verfolgt.

Seit einigen Wochen hatte er in Verbindung mit einem gewissen Jens gestanden. Es war wohl um finanztechnische Dinge gegangen.

Alexandra näherte sich der alten Familiengruft, als sie ein seltsames Geräusch hörte. Sie drehte sich um. Nichts. Das Geräusch wurde lauter. Eine Art Piepen. Es kam aus ihrer Handtasche.

Der Detektor des Herzschrittmachers ihres Mannes. Er hatte sich ein etwas teureres Gerät mit einer Sendefunktion für Notfälle einoperieren lassen. Man konnte ja nie wissen. Das Empfangsgerät trug sie seit Jahren bei sich. Und nun sendete dieser Herzschrittmacher Signale.

Sie betrat die Familiengruft. Die Pieptöne waren jetzt ganz stark. Alles klar. Ihr Mann lag in der Familiengruft. Die Tür nicht verschlossen. Der Sarkophag ließ sich mit einem Schlüssel öffnen, der in einem Geheimfach hinter einem Stein beim Eingang versteckt war. Gut, dass sie alle alten Unterlagen sorgfältig studiert hatte. Ja, da lag er, mausetot. Sie verschloss den Sarkophag sofort wieder.

Und plötzlich hatte sie einen Verdacht.

Ja, so musste es gewesen sein, es musste eine Verbindung von Jens zu dem früheren Eigentümer geben.

Ein Blick ins Internet bestätigte ihre Vermutung. Die Verbindung lief über den Vater von Jens, der wegen eines spektakulären Bankraubs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war und in demselben Gefängnis wie der frühere Eigentümer des Weinguts einsaß.

Gewiss, das war nur eine Vermutung. Aber für war es Grund genug, nochmals zur Gruft zu gehen. Und mit zwei Tasten löschte sie die Sendefunktion des Herzschrittmachers. Ihr Mann sollte ja endlich Ruhe finden.
 
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Kommentare  

Hallo Evi, vielen Dank für dieses Feedback, ich habe mich
sehr darüber gefreut!


Glaser (08.12.2017)

Wirklich spannend. Und am Ende wartest du noch mit einem Knüller auf.

Evi Apfel (08.12.2017)

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