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Andacht Nr. 61 Die gute alte Zeit

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Andacht Nr. 61

Die gute alte Zeit ...


Ihr Lieben


Vor einigen Wochen kaufte ich mir eine CD von Hildegard Knef: „Ihre grössten Erfolge.“ Beim Hören schmunzelte und versank ich hoffnungslos in der Vergangenheit, genauer gesagt, trug mich die Musik zurück in die 80er und 90 er Jahre, als ich in Berlin lebte und arbeitete. Dreimal mindestens hatte ich das Glück und Privileg „die Knef“ gemeinsam mit ihrem Ehemann, Herrn v. Schell in unserem Schallplattengeschäft in einer Seitenstraße des Ku´dammes, begrüßen zu dürfen. Sie war wirklich eine sehr freundliche Kundin, ja, wir hatten das Gefühl, es war ihr fast peinlich, von uns angelächelt und erkannt zu werden.
Der Klassiker: „Ich hab noch einen Koffer in Berlin“, schlich sich wieder in meine Gehörgänge und Gedanken wie: vielleicht wäre Berlin ja doch wieder ein Ort zum Leben, um dahin „zurück“ zu ziehen und den letzen Teil des irdischen Daseins entsprechend zu feiern ... halten tut mich an meinem derzeitigen Wohnort eh nix, aber das tat es noch nie, auch alle vorherigen Wohnorte haben mich noch nie gehalten und wenn sie auch noch so schön und die Umstände noch so brilliant schienen. Wenn ´s Zeit war, dann war ´s Zeit, egal wer oder was da zurück blieb ...
Zehn Minuten später las ich im Internet von erneuten Überfällen in der Hauptstadt, von Messerstechereien, davon, dass Passagiere in U-Bahnhöfen attackiert und auf die Gleise gestossen werden. Ich lebte damals im sogenannten SO 36, nahe des Görlitzer Parks und wie es heute dort zugeht, kann man den Nachrichten entnehmen. Das sind ja keine Neuigkeiten, dennoch holten sie mich unsanft zurück in die Gegenwart, zu dem was wirklich ist (zumindest, was d e r z e i t ist). Auch zu meiner damaligen Zeit war die Stadt beileibe kein Ort der Stille und Unschuld, dennoch, so wie heute war es definitiv nicht. Als ich Anfang 2000 die Stadt verließ, war die zunehmende Agressivität und Brutalität nur ein Grund für den Umzug und ich sollte mit meiner Annahme leider, leider recht behalten, nämlich, dass es nicht besser werden würde.
Es gibt bestimmt viele unter euch Leser/innen, die um diese Zeit auch in Berlin lebten oder an anderen Orten in diesem Land oder auf der Welt und dort ihre Erfahrungen machten, wozu schöne und hässliche, süße und bittere, lustige und traurige Momente gehörten. Wenn wir dreissig oder mehr Jahre zurückblicken, passiert es nicht selten, dass wir Dinge in einem anderen Licht sehen, sie verklären. An die schmerzhaften Momente erinnern wir uns entweder gar nicht mehr (was für den Seelenfrieden gut ist) oder wir relativieren sie – was ich persönlich aus heutiger Sicht und Erkenntnis nicht uneingeschränkt gut finde. Sei ´s drum.
Oder, doch nicht?
Eine „relativierende“, „verklärende“, Rückschau, aktuelle Probleme oder momentanes Unglücklich sein, bringt manche dazu, sich zurück zu sehnen und manchmal geht man dann zurück mit der Einstellung, das Leben von damals irgendwie wieder zu er – leben.
Oder man sehnt sich zurück in die „gute, alte Zeit“. Besonders alte Menschen sprechen und erzählen oft davon. Wer aufmerksam zuhört, erlebt, wie sich, fast zufällig, auch Erinnerungen an Flugzeugangriffe, Bombenalarme und andere schlimme Kriegserfahrungen in die Erinnerungen hinein schleichen .
komischerweise nehmen diese Erfahrungen beim Erzählen fast immer einen unteren Rang ein. (Erlebt-Überlebt-Weitergelebt-Weg damit-nicht mehr dran denken- trotz allem, damals waren die Menschen noch besser und die Zeiten sowieso ...) Um Himmels Willen, niemandem will ich die Erinnerungen an die schönen Momente aus der Vergangenheit madig machen. Sie waren ´s wert, erlebt und vor allem G E – lebt zu werden und sie sind eine Erfahrung, ein Geschenk das ewig bleibt und bleiben sollte.
Wie haben Omas Augen beim spazierengehen geleuchtet wenn sie von ihrer Familie erzählte. Elf Kinder waren sie zu Hause, mußten neben der Schule überall mit anpacken, auf den Feldern mitarbeiten. Nixdestotrotz wurden die alten Kartoffelsäcke immer wieder zwischendurch zum Sackhüpfen benutzt und es war niemand allein, ständig war jemand da, der etwas mit einem geteilt hat. Auch bei der Züchtigung mit dem Gürtel oder der Rute durch den Vater, kamen alle gemeinsam dran, egal ob man was angestellt hatte oder völlig unschuldig war. „Das ist gleich für ´s nächste mal, der Vorschuß.“, war die Antwort wenn man sich wunderte, wieso man was „ab bekam.“ Wenn ich sie dann fragte: wie hast du dich damals gefühlt?, zuckte sie lachend mit den Schultern und meinte lapidar: „Ach, daran ist keiner von uns gestorben.“

Wenn ich meine Tante besuche, sie wird nächstes Jahr 90, freue ich mich an den alten Tapeten in der Wohnung. Ich glaub die Dinger sind seit den späten 70ern noch an den Wänden und ob ihr´s glaubt oder nicht, sie sehen noch immer fantastisch aus. (weder Tante noch Onkel hatten jemals geraucht), die alte Einrichtung, ein Mischmasch aus den 60,70 und 80ern, die Eckschränke, der große Wohnzimmerschrank aus Eiche, mit Glasvitrine und den Hummel Figuren, die schweren Polstermöbel im Wohnzimmer ... leider bin ich dann auch immer der „kleine“ Martin, sobald wir in der Küche beim Kaffee sitzen, den sie nach wie vor mit dem alten Melitta Porzellanfilterhalter und den dazugehörigen Tüten macht (das neue G´fräs –Zeug- bräuchte und wolle sie nicht), auch ihr urschwäbischer, dominanter, äußerst entschiedener Charakter hat sich nicht verändert und ich schwanke immer zwischen stiller Vorfreude wenn ich an der Haustür klingle und stillem erleichtertem Seufzen, wenn ich wieder durch diese Tür nach draußen gehe und der jetzige, erwachsene
Martin sein darf.
Ich glaube, Gott schmunzelt darüber und schenkt mir diese Erfahrungen, wenn ich mich in die gute alte Zeit zurücksehne. Nein, in die alten Zeiten können wir nicht zurückkehren. Entweder haben sich die Räume dieser Zeiten geändert (Städte, Gegenden, Freunde, Bekannte, Familienangehörige) oder wir haben uns geändert, jedenfalls, man oder es „passt“ nicht mehr zusammen wie einst.
Wie gesagt, ich liebe diese alten 70 Jahre Tapeten, auch das alte Mobiliar strahlt noch heute etwas ganz besonderes (für mich) aus und doch ... kann ich nicht mehr dorthin zurückkehren, in die alte Heimatstadt, zu oder in die unmittelbare Umgebung meiner geliebten Tante, weil mich das Leben in über dreissig, vierzig und mehr Jahren weg führte an andere Orte, dort wohnen und wieder weiterziehen, Dinge erleben, durchleben ließ und mich mit Menschen und Ansichten zusammen brachten die mir gut oder auch nicht gut taten, jedenfalls, die mich zu dem aktuellen Martin machten, der ich heute, jetzt gerade bin.
Manchmal werde ich gefragt ob ich es berreue von hier nach da und dann nach dort gezogen zu sein und immer antworte ich wahrheitsgemäs: Nein, ich bereue es nicht. Es war immer der richtige Zeitpunkt, es m u s s t e einfach sein. Dabei spielt es auch in Wahrheit keine Rolle, ob der eine Ort, die eine Stadt, die Freunde und Bekannten, schöner, besser, bequemer oder was-auch-immer waren.
Hildegard Knefs Klassiker – ich hab noch einen Koffer in Berlin – erzählt von einem Koffer, der noch in Berlin steht, weswegen sie nächstens wieder hin müsse. So mancher zieht, nur mit einem Koffer, in dem sich Kleider, Klamotten befinden, in eine Stadt, eine Gegend, ein Land aber so ein Koffer lässt auch die Freiheit zu, diesen Ort wieder zu verlassen, dort nicht gefangen und gefesselt bleiben zu müssen an diesem Ort, in dieser oder jener Zeit, diesen oder jenen Ansichten, wenn sich die alten „Kleider“, die alten „Klamotten“ die alte „Mode“ dort nicht mehr länger tragen lassen.

Ich wünsch euch Gottes Segen und Schutz für die kommende Woche.
 
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