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3 Seiten

Der Hebel

Spannendes · Kurzgeschichten
„Egal, was du tust, lege nicht den Hebel um!“ Die Stimme weckte mich, ich rieb mir die Augen und kam nur langsam zu mir. Was war eigentlich passiert? Ich konnte mich an nichts erinnern. Mein Kopf tat weh und alle Erinnerungen waren wie ausgelöscht. Und dann ertönte noch einmal die Stimme: „Egal, was du tust, lege nicht den Hebel um!“
Mühsam und mit steifen Gliedern rappelte ich mich auf und sah mich um. Wo war ich hier? Ich sah Wände aus Metall, daran etliche Rostflecken. Ich sah einen nackten Betonboden und eine ungewöhnlich hohe Decke. Es musste eine alte Industrieanlage sein oder etwas in der Art. Knapp unter der Decke befanden sich Fenster, durch die Licht drang, die aber zu hoch über mir waren als dass ich draußen etwas hätte erkennen können.
Der Raum schien quadratisch zu sein, war ziemlich groß und an drei Wänden sah ich metallene Türen. An der vierten Wand jedoch war nur ein einziger schwarzer Hebel. „Ein“ und „Aus“ stand oben und unten und der Hebel war auf die Ein-Position gestellt. „Egal, was du tust, lege nicht den Hebel um!“, donnerte die Stimme noch einmal. „Warum nicht?“, rief ich zurück, „Was soll das alles?“ Stille.
Jetzt stand ich auf, sah mich um, doch sonst gab es nichts in diesem Raum. Rein gar nichts. „Was soll das? Wo bin ich und warum bin ich hier?“, schrie ich. Keine Antwort. Nur meine Schritte hallten auf dem Betonboden wider. Ich sah mir den Hebel genauer an. Ohne Zweifel schaltete er irgendetwas ein oder aus. Doch es gab keinerlei Hinweise darauf, um was es sich handeln könnte. Auch sonst ließ der Raum für mich keinerlei Rückschlüsse zu, wo ich mich hier befand. Und meine Erinnerung war nach wie vor ein komplett schwarzes Nichts.
„Hallo? Hören Sie mich?“, rief ich in den Raum hinein. Die Stimme antwortete nicht. Also ging ich auf die Tür zu meiner Linken zu und war fast überrascht, dass sie sich leicht öffnen ließ. Dahinter befand sich ein langer Gang. Ebenso hoch wie der Raum, in dem ich zu mir gekommen war, nur waren die Wände hier nicht mit Metall verkleidet, sondern aus Beton.
Nach einem letzten Blick in den Raum und auf den Hebel setzte ich mich in Bewegung. Der Gang musste mehrere hundert Meter lang sein, Türen gab es hier keine. Doch ganz am Ende bog er um eine Ecke. Ich ging weiter, zunächst langsam, dann immer schneller. Schließlich wollte ich wissen, wohin er führte und vielleicht auch endlich eine Antwort darauf erhalten, was hier eigentlich passierte.
An seinem Ende bog der Gang nach rechts. Hier hatte er keine Fenster mehr unter der Decke, so dass ich nicht sehen konnte, wohin er führte. Noch einmal sah ich mich um. Sollte ich weitergehen? Oder doch zurück? Ich entschloss mich für Ersteres und ging Schritt für Schritt vorwärts, während es um mich herum immer dunkler wurde. Auch dieser Gang war so kahl wie der andere, es gab keine Türen, nur kalte Betonwände.
Allerdings führte der Gang nicht nur geradeaus, sondern bog mehrfach um eine Ecke. Dabei wurde es immer dunkler und mir wurde immer kälter. Inzwischen war es so finster, dass ich mich an den Wänden entlangtasten musste. Wie lange war ich jetzt schon hier? Ich wusste es nicht. „Hallo? Hören Sie mich?“, rief ich noch einmal, „Was soll das alles?“ Wieder bekam ich keine Antwort.
Sollte ich besser umkehren? Doch wozu. Dort hinten gab es ja nichts. Zwar wusste ich auch nicht, was mich in der Richtung erwartete, in die ich ging, doch das war immer noch besser als dort herumzusitzen und zu warten. Als der Gang wieder um eine Ecke bog, meinte ich einen schwachen Lichtschein zu sehen. Ich beschleunigte meine Schritte und tatsächlich wurde es allmählich heller.
Jetzt konnte ich das Ende des Ganges sehen, doch als ich es erreichte und um die nächste Ecke bog, traf mich die Ernüchterung wie ein Schlag. Immer noch der gleiche Gang, nur jetzt wieder mit Fenstern. Natürlich immer noch zu hoch als dass ich sie hätte erreichen können. Ein Gefühl von Verzweiflung machte sich in mir breit. Dazu Wut und allmählich auch Angst. Das alles hier machte keinen Sinn. Warum war ich hier?
Am Ende des Ganges konnte ich jetzt eine Tür ausmachen. Wieder beschleunigte ich meine Schritte, schließlich rannte ich darauf zu, obwohl ich nicht wusste, was mich dahinter erwartete. Oder ob sie vielleicht verschlossen war. War sie aber nicht. Auch diese Tür ließ sich leicht öffnen, doch zu meiner großen Enttäuschung befand ich mich nun wieder in dem Raum, in dem ich erwacht war. Durch die Tür an der rechten Seite war ich wieder hier hinein gelangt, musste also im Kreis gelaufen sein.
Eine Tür blieb mir allerdings noch. Die an der dritten Wand. Neuen Mut schöpfend machte ich ein paar Schritte auf sie zu. Erst jetzt merkte ich, dass meine Hände zitterten und meine eine schwer geworden waren. Hatte mich jemand unter Drogen gesetzt, bevor er mich hierher gebracht hatte? Was war das Letzte, an das ich mich erinnern konnte? Leider war da gar nichts. Keine Erinnerung. Nichts.
Ich hatte die Tür jetzt erreicht und drückte dagegen. Nichts rührte sich. Es erstaunte mich aber nicht einmal. Die Wut und die Angst waren der Verzweiflung gewichen und ich hätte heulen mögen. Ohne große Hoffnung drückte ich noch einmal gegen die Tür, zerrte an ihr, nichts rührte sich. Dann fiel mein Blick wieder auf den Hebel. Unberührt schien er mich von der gegenüberliegenden Wand zu verhöhnen.
Warum sollte ich ihn nicht umlegen? Was passierte denn, wenn ich es doch tat? Etwas Schlimmes? Oder öffnete er vielleicht sogar die Tür? Aber warum sollte ich ihn dann nicht betätigen? Oder sollte ich ihn gerade deshalb nicht betätigen? Meine Fragen brachten mich keinen Schritt weiter. Es war ein Rätsel, das ich nicht lösen konnte. Und es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder probierte ich es aus oder ich wartete hier bis irgendetwas passierte. Falls irgendetwas passierte.
Langsam ging ich auf die gegenüberliegende Wand zu. Schritt für Schritt. Die Stimme hatte mir verboten, ihn umzulegen. Doch die Stimme hatte mich schließlich überhaupt erst in diese Lage gebracht. Sollte ich ihr also vertrauen? Sollte ich auf sie hören? Vielleicht war dies irgendein Test. Ein irrsinniges Experiment. Etwas Verrücktes musste es ja sein, denn normal war die Sache hier schließlich nicht.
Aber was konnte alles passieren? Würde sich der Boden auftun? Würden die Wände auf mich zukommen? Stürzte die Decke herunter? Noch einmal sah ich mich in dem Raum um. Nichts außer den drei Türen. Noch einmal rief ich nach der Stimme. Keine Reaktion. Dann streckte ich meine Hand aus. Meine Finger berührten das kalte Metall. Ich musste einige Kraft aufbringen, um den Hebel überhaupt zu bewegen. Doch schließlich zog ich ihn mit einem Ruck nach unten. Aus.


Die Story gibt es auch auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=wUq30MZritE
 
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