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6 Seiten

K. C. P. D. - Pilze (Teil 2)

Romane/Serien · Spannendes
Nacheinander schlichen sie die Treppen hinauf, auf jedem Absatz innehaltend. Amira, die vorne ging, horchte, ob irgendetwas zu hören war, wenn die Luft rein war, ging es weiter hinauf. Sie wussten nicht, was sie erwartete, es war lediglich ein anonymer Hinweis im Department eingegangen. Doch auch den mussten sie ernst nehmen.
Immer mal wieder kam es vor, dass Menschen oder auch Roboter sich gruppierten, um sich gegen die Regierung aufzulehnen. Wie groß diese Gruppierungen waren, wie gut sie ausgerüstet und wie konkret ihre Umsturzpläne durchdacht waren, all das war immer völlig unterschiedlich. Aber immer waren es Leute, die nichts zu verlieren hatten, denen Kojima City keine Perspektive bot, denen die Scheiße sozusagen bis zum Hals stand; und das machte sie gefährlich.
Es waren Menschen, die schlicht nichts mehr zu beißen hatten und sich keine Wohnung mehr leisten konnten, weder in den schicken Hochhauskomplexen der City, noch in den Baracken der Außenbezirke, für die sogenannte Warlords inzwischen ebenfalls horrende Mieten verlangten. Oder es waren Roboter, deren KI veraltet war, die ausgemustert und somit ohne Funktion waren. Sie trauerten einer besseren Vergangenheit hinterher, sahen für sich keine Zukunft mehr, hatten also nichts zu verlieren.
Cole Paxton wusste aus seiner langen Erfahrung in diesem Job, dass diese Leute nicht einmal den Tod fürchteten, Polizisten, und seien sie auch noch so gut ausgebildete Kräfte einer Spezialeinheit, in letzter Konsequenz hingegen schon. Damit waren die Chancen in solchen Einsätzen ungleich verteilt, sie mussten mit allem rechnen und auf alles vorbereitet sein.
Auf dem nächsten Treppenabsatz erreichten sie eine etwas größere Ebene. Hier befanden sich auch mehrere Fahrstühle, während die Treppen auf der von ihnen aus anderen Seite weiter nach oben führten. Gerade als sie die Halle mit den Fahrstühlen durchqueren wollten, vernahm Cole ein leises Rumpeln und bedeutete, seinem Team, hinter einer Ecke zu warten.
Sein Gehör hatte ihn nicht getäuscht, einer der Fahrstühle hielt auf dieser Ebene an, die Türen schwangen mit einem Zischen auf. Vier Personen traten hinaus, Roboter, wie sie auf den zweiten Blick erkennen konnten. Schon hatten Sam und Takeo ihre Waffen im Anschlag. Sie waren zu fünft, die Roboter nur zu viert. Es wäre es Leichtes, sie zu überrumpeln und entweder auszuschalten oder in ihre Gewalt zu bringen. Allerdings war ihr oberstes Gebot bei diesem Einsatz, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, jedes Risiko, entdeckt zu werden, zu vermeiden.
Juri legte seinen Finger auf die Lippen und zum Glück verharrten Sam und Takeo umgehend in der Bewegung und froren geradezu ein. Auch Cole und Amira wagten es nicht, sich zu rühren, verharrten in ihrer nach vorne gebeugten Haltung, in der sie gerade so um die Ecke spähen konnten. Die schwere Ausrüstung, die sie trugen, machte es nicht leichter, lange würden sie so nicht stehenbleiben können.
Zu ihrem Glück kamen die vier Roboter nicht in ihre Richtung, sondern riefen einen anderen Fahrstuhl herbei. Die Sekunden bis der kam, erschienen Cole ewig, Geduld war noch nie eine seiner Stärken gewesen, wenn sie auch unbedingte Voraussetzung für seinen Job in dieser Einheit war. Er hörte, dass Amira neben ihm ihren Atem so flach wie möglich hielt, auch sie wirkte angespannt oder vielmehr hundertprozentig konzentriert.
Dann endlich öffneten sich die Türen, die vier stiegen ein, die Türen schlossen sich, der Fahrstuhl fuhr an. Cole richtete sich auf, nickte den anderen zu. Sie funktionierten als Team, das wurde ihm in solchen Situationen immer wieder klar. So unterschiedlich sie als Charaktere auch sein mochten, wenn es darauf ankam, wusste jeder von ihnen genau, was zu tun war und hatte nicht nur sich und die Umgebung, sondern auch die anderen im Blick. Es war ein gutes Gefühl, sich auf seine Leute verlassen zu können, dachte Cole.
Nun ging es weiter hinauf, inzwischen hatte Cole aufgegeben, die Stufen im Kopf mitzuzählen. Stattdessen kreisten seine Gedanken weiter um sein Team. Unter Juri hatte er schon als Polizeianwärter gearbeitet, er hatte ihn ausgebildet und dann in sein Team geholt. Dementsprechend war es für Cole absolut keine Frage gewesen, den alten Freund nach dessen Unfall in sein Team zu holen. Auch wenn Chief Silverhand, den sie alle nur den Silberrücken nannten, das ein wenig anders sah, wollte Cole auf Juris Erfahrung auf keinen Fall verzichten.
Auch vor diesem Einsatz hatte der Silberrücken Bedenken geäußert, aber natürlich wollte Juri um jeden Preis mit kommen und Cole hatte darauf bestanden, mit seinem gesamten Team auszurücken. Dem Argument hatte selbst Silverhand nichts entgegenzusetzen, war er es doch, der in der Öffentlichkeit immer wieder den Teamgeist bei der Polizei beschwor und betonte, dass sie nicht als Einzelpersonen, sondern nur in der Gemeinschaft stark waren.
Auch Amira kannte Cole schon viele Jahre. Dass sie sich damals in ihn verguckt hatte, war eine schwere Belastungsprobe gewesen, so beurteilte er die Situation zumindest heute. Damals war es ihm äußerst schwergefallen, ihr klarzumachen, dass sie sich nicht auf eine Beziehung einlassen durften, weil das eben unprofessionell war und ihre Arbeit für sie alle beeinträchtigen konnte.
Sam hatte er vor einigen Jahren bei einem anderen Team ab- und für seines angeworben. Mochte sie auch oft ungestüm sein, so schätzte er ihre Fähigkeiten im Kampf und auch sonst in jeder Situation, in der es darauf ankam, schnell und effektiv zu handeln. Auf genau solche Situationen mussten sie auch heute vorbereitet sein. Für Takeo war es der erste Einsatz dieser Art, doch ihr Jüngster erinnerte Cole an sich selbst vor etlichen Jahren, genau wie er damals sog auch Takeo alles, was er zu sehen und zu hören bekam wie ein Schwamm in sich auf und wollte unbedingt zeigen, dass er eine Bereicherung für das Team war. Und das war er auch.
„Siehst du das“, riss Juri ihn nun aus seinen Gedanken und deutete an die Decke. Dort wuchsen Pilze, kein Schimmel, sondern eine dicke breiige Masse, die sich offenbar schon seit ein paar Jahren hier im Treppenhaus ausbreitete und vor sich hin wucherte. „Es spricht dafür, dass sich hier selten jemand aufhält“, kommentierte Cole, „was wiederum bedeuten könnte, dass auch niemand damit rechnet, dass wir auf diesem Weg ins Gebäude gelangen und wir sicher sind.“
Juri wiegte den Kopf skeptisch hin und her. „Trotzdem gefällt es mir nicht. Wenn dort oben etwas Seriöses vorginge, würden die verantwortlichen Leute auch das Gebäude in Ordnung halten.“ Das entlockte Sam, die neben ihnen stand, ein kurzes zynisches Lachen. „Als ob sich in dieser Stadt irgendjemand noch um irgendetwas schert, was ihn nicht unmittelbar betrifft!“
Schweigend setzten sie ihren Weg fort, allmählich mit schwereren Schritten, die Stufen gingen in die Oberschenkel, auch wenn sie das dank ihres regelmäßigen Trainings nicht langsamer werden ließ. Unaufmerksamer auch nicht, zumindest Amira nicht, die, wie Cole bemerkte, immer wieder an die Decke sah. Dort wurde die Masse immer dicker, bedeckte immer mehr Beton. Es wurde Zeit, dass sie wieder in ein anderes Treppenhaus gelangten, in dem es hoffentlich anders aussah.
Die Hoffnung erfüllte sich dann einige Stockwerke weiter oben, wieder mussten sie eine Halle mit einigen von dort abzweigenden langen dunklen Fluren und weiteren Fahrstühlen durchqueren, doch diesmal blieb alles ruhig, alle Türen geschlossen. Die nächsten Treppen führten in Bögen an der Außenfassade empor. Auf einigen Ebenen gab es Fenster, durch die sie einen flüchtigen Blick auf die Stadt erhaschen konnten. Neonlichter in allen Farben tauchten den eigentlich dunklen Nachthimmel über Kojima City in ein unwirkliches Licht und verschleierten, wie dreckig und heruntergekommen die meisten Viertel dieses Molochs doch waren.
Weit entfernte Polizeisirenen, Autohupen und anderer Lärm drang zu ihnen hinüber. Als Cole sich auf die Geräuschkulisse draußen konzentrierte, meinte er sogar das Surren der Rotorblätter der Drohnen zu vernehmen. Es lief offenbar alles nach Plan.
Im Gebäude war es ruhig, auffallend ruhig sogar, was dafür sprach, dass von dem, was hier passierte, kein Außenstehender etwas mitbekommen sollte. Viele Mieter gab es offenbar nicht, es wäre wirklich der ideale Ort für ein Hauptquartier einer Terrorgruppe. Bis jetzt allerdings hatten sie keinerlei Gewissheit, ja nicht einmal Hinweise darauf, was hinter den Mauern und den Fluren, die sie kreuzten, vor sich ging.
„Seht mal“, sagte Takeo nach einer Weile und deutete an die Decke, „hier sind die Pilze größer als vorhin.“ Ihrer aller Blicke gingen nach oben und vor allem Amira stand der Ekel vor diesem Zeug deutlich ins Gesicht geschrieben. So deutlich jedenfalls, dass Cole ihre verzogenen Mundwinkel und den angewiderten Ausdruck in ihren stahlblauen Augen durch das Visier des Helms erkennen konnte.
Über den Helm war er in diesem Moment besonders froh, denn er wollte sich gar nicht ausmalen, wie das braune glibberige Zeug da über ihren Köpfen stinken mochte. Auch tropfte ab und zu Schleim herunter, der ihnen dank ihrer Schutzanzüge zum Glück nichts ausmachte. Daher maß er alldem auch immer noch keine größere Bedeutung bei.
Juri allerdings besah sich die Pilze jetzt genauer. „Diese Art ist mir gänzlich unbekannt“, stellte er fest, „sie ähneln ein wenig den Pilzen, die vor Jahren zur Müllbeseitigung gezüchtet wurden, nur waren die längst nicht so groß und verbreiteten sich auch nicht auf eine solche Weise.“ Aus einem ersten Impuls heraus wollte Cole zur Eile drängen, doch wenn Juri etwas seltsam fand, dann hieß das meistens, dass es auch seltsam war. Also blieb Cole auf dem Treppenabsatz, auf dem sie gerade standen stehen, lehnte sich sogar für einen Moment an das Geländer, um die Beine zu entlasten.
Er sah, wie Juri seinen Arm nach oben ausstreckte, die Pilze über sich mit der Taschenlampe anleuchtete. Die Glibbermasse reagierte auf das Licht, zog sich davon zurück. Spätestens jetzt war ihrer aller Interesse geweckt, denn Pilze sollten sich nicht derartig verhalten. Juri stellte die Lampe eine Stufe heller und wieder zog sich die Masse weiter zurück. Eindeutig Aktion und Reaktion.
Mit der weiteren Reaktion hätte Cole allerdings nicht gerechnet, keiner von ihnen. Alles passierte derart schnell, dass sie viel zu spät reagieren konnten und es mutete viel zu surreal an, als das sie hätten richtig handeln können. Die Pilze zogen sich zuerst zurück, formierten sich dann zu einer dicken Blase und in einer blitzschnellen Bewegung öffnete diese sich wie ein Greifarm oder ein riesiges Maul, stürzte sich auf Juri, schlang sich um seinen Kopf und hob seinen gesamten Körper auf diese Weise mit einer ungeheuren Kraft nach oben.
Nach der ersten Schrecksekunde packten Cole und Takeo reflexartig nach Juris Beinen, während Sam und Amira ihre Laserpistolen auf die Pilze richteten und in sicherem Abstand von der Stelle, an der sich Juris Kopf befinden musste, auf die Blase feuerten. Es gab ein schmatzenden Geräusch, zeitgleich zappelte Juri unkontrolliert hin und her, Cole und Takeo hatten Mühe, ihn festzuhalten.
Es war als ziehe der Pilz an der einen Seite an Juri, sie beide an der anderen, Coles einziger Gedanke war, dass sie ihn auf keinen Fall loslassen durften. Während er Mühe hatte, sich überhaupt auf den Beinen zu halten, sah Cole wie Amira nun ihre Waffe gegen die Taschenlampe tauschte, sie auf höchste Stufe stellte und dem Pilz damit beizukommen versuchte. Das Licht zeigte mehr Wirkung als der Laser, wenn auch immer noch nicht genug.
Cole brüllte verzweifelt den Command zum Aktivieren seiner Helmlampe, das Licht traf auf die schleimige Haut des Pilzes, der daraufhin zurückzuckte. Bevor er Takeo und Sam aber zurufen konnte, es ihm gleich zu tun, gab es auf einmal einen Ruck, Juris Körper löste sich aus der Blase. Geistesgegenwärtig versuchte Cole, ihn festzuhalten, doch der Pilz hatte ihm noch einen Ruck mitgegeben, der ihn über die Brüstung schleuderte, ohne dass Takeo oder er ihn hätten halten können.
Noch im Fallen sah Cole, dass der Pilz zwar Juris Körper freigegeben hatte, der Kopf allerdings fehlte. Entsetzt stürzte er zum Geländer und sah dann, wie die kopflose Leiche seines Kollegen und Freundes etliche Meter unter ihnen auf dem Betonboden aufschlug.
Die Gefahr war damit noch nicht vorüber, denn wieder formierte sich die Pilzblase, diesmal über Sam. Amira war sofort bei ihr, zog sie zur Seite und Takeo machte sich an der nächstgelegenen Tür zu schaffen und bekam sie zum Glück innerhalb weniger Augenblicke auf. „Hier rein“, brüllte er und sie alle folgten seinem Ruf blind und ohne Nachzudenken, so wie sie es in unzähligen Trainingseinheiten einstudiert hatten. Vermutlich rette ihnen das das Leben, denn mit einem Blick über die Schulter zurück sah Cole, dass sich auch weitere Pilzblasen formiert hatten und in ihre Richtung schnellten.
Als sie alle im Raum waren, warf Takeo die Tür zu und verschaffte ihnen einen Augenblick zum Verschnaufen. Es war pures Glück, dass Takeo die Tür so schnell hatte öffnen können und vor allem, dass sie hier nicht ihren Gegnern in die Arme liefen. Manchmal gehörte Glück wohl einfach dazu, zumindest wenn man in einer Situation wie dieser, die einen erfahrenen Polizisten soeben das Leben gekostet hatte, überhaupt von Glück sprechen konnte.
Doch jetzt war keine Zeit, um Juri zu trauern, denn noch waren sie weder am Ziel, noch in Sicherheit. Stattdessen waren sie in einem Labor gelandet, einem weitläufigen Raum voller Apparaturen und Messinstrumente und vor allem voller gläserner Behälter in verschiedenen Größen. Das Glas der meisten war von außen staubig und von innen beschlagen, so dass Cole kaum etwas darin erkennen konnte.
Eines auf einem Tisch jedoch war klarer, er beugte sich hinunter und so nah ans Glas wie sein Helm es zuließ. Was er sah, ließ ihn augenblicklich zurückschrecken. „Passt auf“, raunte er den anderen im Flüsterton zu, „ich fürchte, es ist noch nicht vorbei.“
 
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Kommentare  

Unheimlich. Sehr schön spannend gemacht.

Evi Apfel (02.04.2023)

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