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7 Seiten

Tussen de meeren, Teil 2 von 6 - ZWISCHEN DEN SEEN

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise
Tatsächlich ging die Fahrt in Richtung Niederlande, aber erst einmal nach Nordwesten, das konnte sie am Stand der Sonne erkennen. Es ging also nicht nach Zeeland, wo Volker und sie sich kennengelernt hatten - und dem Himmel sei Dank dafür - auch nicht nach Amsterdam. Okay, Amsterdam war interessant, aber im Moment brauchte sie andere Eindrücke. Sie wusste aber nicht, welche.
Sie erreichten einen Ort namens Lelystad und fuhren dann auf einem endlos lang erscheinenden Damm daher. Aber wohin ging es? Zu beiden Seiten sah sie nur Meer, zur Linken das Markermeer und zur Rechten das Ijsselmeer. Klar doch, alles war gut beschildert und es war schon irre irgendwie. Nicht die gute Beschilderung, nein, Daniela hatte es immer aufregend gefunden, ein Meer zu sehen und diesmal waren es sogar zwei davon, obwohl sie nicht besonders groß waren. Und auf beiden Meeren glitten Segelboote langsam vom Wind getrieben daher. Es sah alles so friedlich aus. Und das besänftigte ihren Schmerz.
Seltsame Gedanken kamen ihr in den Sinn: Das linke Meer könnte das Meer der Erinnerungen sein. Und das rechte vielleicht das der Zukunft...
"Im Niederländischen bedeutet Meer eigentlich Süßwassersee. Und die eigentliche Zee, also so was wie die Noordzee ist dann das richtig salzige Meer. Ach ja, früher hieß diese große Bucht Zuiderzee. Das heißt Südliches Meer. Ich finde das ziemlich verwirrend ..."
Upps, Zuiderzee? Es war wie ein Traum: Daniela konnte sich an uralte Landkarten erinnern. Da war eine große Bucht, die immer von der Nordsee aus heimgesucht wurde mit vielen Sturmfluten und damit verbundenen lebensbedrohlichen Überschwemmungen. Sie lauschte in sich hinein, wusste aber nicht, woher sie dies wusste. Und kam zu dem Schluss, dass sie es sicher irgendwo mal gelesen hatte.
Also sagte sie leichthin: "Wenn die Niederländer so eine kleine Meeresbucht als Zuiderzee bezeichnet haben, wie haben sie dann die richtig großen Meere im Pazifik benannt? Auch als Zuiderzee? Das heißt doch auch Südsee. Oder etwa nicht?"
Volker lächelte sie daraufhin an: "Die Holländer werden schon damit fertig werden. Sie waren ja gute Segler, nicht nur auf der früheren Zuiderzee, sondern auch auf allen Ozeanen. Sie haben ein gewaltiges Kolonialreich errichtet, sie waren Entdecker, Händler und Besatzer zugleich." Er musste wieder lächeln und sagte dann: "Und du hast bestimmt schon mal was von ihren Produkten geraucht, mein Mädel."
"Echt jetzt? Meinst du etwa Javaanse Jongens? Stimmt, die braune Sorte habe ich immer zum Zigarettendrehen genommen." Nachdenklich fügte sie dann hinzu: "Als ich noch rauchte." Das Rauchen hatte sie sich nach Michaels Tod abgewöhnt, denn es schmeckte ihr nicht mehr. Kaum etwas schmeckte ihr noch.
"Wusstest du, dass New York früher New Amsterdam hieß? Rate mal, warum?"
Sie entspannte sich und sah nur noch auf das Wasser hinaus, das es auf beiden Seiten reichlich gab. Sie fühlte sich zufrieden wie lange nicht mehr. Und auf einmal wusste sie, warum das so war: Wieder hatte er sie "mein Mädel" genannt wie früher.
"Nein, das wusste ich nicht", sagte sie leise.
-*-*-
Als der Deich endete, waren sie auch schon in ihrem Zielort angekommen, nämlich in einer kleinen Stadt namens Enkhuizen.
Volker kannte sich wohl aus, denn er fand relativ schnell einen Parkplatz. Daniela nahm ihre Reisetasche an sich und war gespannt drauf, wohin Volker sie wohl führen würde.
"Bei der traditionellen Begrüßung auf dem Schiff wird natürlich ein Glas Sekt gereicht ...", witzelte dieser gerade. "So steht es im Prospekt."
Ein Schiff? Irgendwie toll. Daniela war noch nie auf einem richtigen Schiff gewesen, höchstens mal auf dem Ausflugsdampfer auf dem heimischen Stausee. Und auf einmal überkamen sie herrliche Assoziationen bei diesem Satz, es kam ihr fast vor wie auf dem Traumschiff. Sie stellte sich automatisch einen feschen älteren Kapitän vor, mit einem vielleicht noch besser aussehenden Unteroffizier. Seltsamerweise sah der aus wie Michael. Nein, das ging nicht. Noch nicht. Also verdrängte sie den Gedanken. Und das tat ihr seltsamerweise nicht weh, während sie die vielen Spatzen betrachtete, die vor einer Frittenbude nach Frittenkrümeln oder ähnlichem suchten. Ob das wohl gesund für sie war? Nein, war es bestimmt nicht. Zuviel in Fett Gebackenes. Andererseits sahen die Spatzen überaus frech und gesund aus. Sie hatten sich wohl angepasst ans Frittenöl.
Volker sagte gerade lächelnd: "Es heißt "De gele Dolfijn". Und es ist nur ein Plattbodenschiff. Das Ijsselmeer ist ja an der flachsten Stelle nur zwei Meter tief und an der tiefsten bis neun Meter. Deswegen haben die Schiffe hier kaum Tiefgang, brauchen also keinen Kiel unter dem bisschen Wasser."
Daniela nickte interessiert, obwohl sie absolut keine Ahnung von der Schifffahrt hatte. Vor allem von dem Kiel und dem, wie tief es darunter sein sollte.
Oh je, Männer! Denn Volker ließ sich das Thema nicht nehmen und fuhr fort: "Diese Plattbodenschiffe können sogar im Wattenmeer herumschippern. Und wenn dann die Ebbe kommt, dann setzt man das Boot einfach auf den Meeresboden und wartet auf die Flut. Das Boot kippt garantiert nicht dabei um."
"Echt jetzt? Man könnte auf dem Meeresboden spazierengehen?", überlegte Daniela. denn das interessierte sie nun wirklich.
"Im Prinzip ja. Aber nicht an diesem Wochenende. Dazu reicht die Zeit nicht aus. Schade eigentlich", sagte Volker und seine Stimme klang nachdenklich dabei.
"Ja, wirklich schade." Daniela fand es verführerisch und auch ein bisschen gefährlich, einfach so auf dem Boden des Meeres herumlaufen zu können. Jedenfalls bis die Flut über sie hereinbrechen würde...
Volker unterbrach ihre Gedanken: "Ich hoffe jedenfalls, dass sie genug Stueder-Pils mitgebracht haben. Also die anderen ..."
Daniela fragte neugierig nach: "Welche anderen denn?"
"Es könnten flüchtige Bekannte dabei sein. Vielleicht welche vom letzten Segeltörn. Richtig gut kenne ich nur U-Boot Jochen."
"Ach so ..." Daniela musste in sich hineinlachen. Volker war ein attraktiver Mann und jede Frau an Bord war mit Sicherheit scharf auf ihn gewesen. Seltsamerweise fand sie das nicht so gut. Warum nicht so gut? Sie wusste es nicht.
Also lenkte sie ab: "Wie viele Passagiere passen denn auf das Schiff?" Upps, gut umschifft ...
"Mehr als acht passen nicht auf das Boot und es gibt da eine Aufgabenverteilung von wegen der Sauferei und fürs Frühstück. Dem Himmel sei Dank, geht man abends immer im Zielort essen, denn auf dem Schiff? Nein, so viel Berührungen muss man mit den anderen nicht haben!"
Das gefiel Daniela, denn auf Berührungen mit irgendwelchen anderen war sie auch nicht erpicht. Aber auf Pils schon ... "Ach ja Stueder-Pils ...", seufzte sie auf. Obwohl sie kaum Alkohol trank, war Bier das beste gegen die Hitze. Und Stueder-Pils war wunderbar herb wie ein norddeutsches Küstenbier und gab es möglicherweise nur in ihrer Heimatstadt. Ihr fiel ein: Irgendwann hatten Volker und sie darüber nachgedacht " frei nach den "Sterntagebüchern" von Stanislaw Lem " ein paar Sachen zu schreiben. Und zwar Sachen, die sich hauptsächlich in Kneipen abspielen sollten. Der Witz an der Sache war: Es gab noch ein anderes Pils in ihrer Stadt, nämlich das Stern-Pils. Also alles klar: "Sterntagebücher und Stuedertagebücher". Stoff dafür war massenhaft vorhanden. Aber kurz darauf lernte sie dann Michael kennen und alles hatte sich verändert. Ach Michael ... Und wieder tat der Gedanke an ihn nicht mehr weh. Das war seltsam und sie fühlte sich fast schuldig deswegen. Hätte sie zuhause bleiben müssen oder sollen?
Doch dann schnupperte sie erwartungsvoll in die Luft. Es roch intensiv nach Meer, nach salzhaltiger Luft und nach Freiheit. Vielleicht weil die Nordsee recht nah war und man sie schon riechen konnte? Oder lag es an Volker. Nein, sicher nicht.
Sie erreichten gerade den Hafen und da war ganz schön was los. Viele Leute mit mehr oder weniger Gepäck marschierten zu verschiedenen Schiffen, bei denen es sich ausnahmslos um Segelschiffe handelte - und alle waren schon etwas älter. Vielleicht um Jahrhunderte älter? Jedenfalls sahen sie so aus. Und es waren ja Boote und keine Schiffe.
De gele Dolfijn also war ihr Ziel "Was heißt das eigentlich?", fragte sie Volker. "Etwa Geiler Delfin?"
"Nein, mein Mädel, es heißt nur gelber Delfin. Und wie kommst du jetzt auf geil?" Volker lachte wieder und das irritierte Daniela etwas.
"Ich bin eben keine Expertin in dieser seltsamen Sprache." Ja super, woher hatte Volker all diese Kenntnisse? Und was wusste sie überhaupt von ihm? Er war immer ihr bester Freund gewesen und seine Gegenwart hatte sie immer als selbstverständlich hingekommen, es war Volker, er mochte sie und sie ihn auf jeden Fall auch.
Daniela stutzte, denn ihr schwante gerade Ungeheuerliches. Sie hatte sich gegenüber seinen Freundinnen immer sehr abweisend benommen, hatte sie nie richtig an sich herangelassen und bei seiner Ehefrau war es ganz extrem gewesen. Trug sie, Daniela, etwa Schuld daran, dass diese Ehe in die Brüche ging? Nein, nein, um Himmels willen nein! Sie mochte Volkers Frauen einfach nicht, warum hatte er auch so einen blöden Geschmack in Bezug auf die?
Trotzdem fühlte sich Daniela irgendwie schuldig an dieser verkorksten Ehe.
Sie ging stumm neben Volker her und sagte nichts mehr, bis sie schließlich das Schiff erreichten. Oder das Boot. Es war gut zu erkennen an der fetten Aufschrift "DE GELE DOLFIJN". Aber es lag nicht direkt am Kai, oder wie das hieß. Es lag ein bisschen versetzt hinter einem anderen Schiff. Ja, es waren große Schiffe und keine Boote. Sehr viele davon lagen dort verankert, manchmal sogar vier hintereinander. Wie kam man wohl auf die drauf? Indem man von Schiff zu Schiff hopste? Nein, das war unmöglich!
Zur Sicherheit fragte sie Volker danach und der sagte: "Man geht einfach von Schiff zu Schiff. Es gibt dafür Planken."
Planken? Ach du lieber Himmel! Planken?
Zwei Sekunden später deutete Volker auf ein schmales Brett vor ihr.
"Was? Da soll ich drüber gehen?" Daniela blickte entsetzt auf die winzige Leitplanke, die an den Seiten absolut nicht abgesichert war. Okay, breit genug war sie schon nach näherem Hinsehen.
Aber unter der Planke war eindeutig Wasser und dieses Hafenwasser war undurchschaubar. Und wenn's auch nur zwei Meter tief war, konnte man problemlos darin ersaufen. Und sie war bestimmt nicht schwindelfrei...
"Geh einfach los!" Volker stupste sie gerade kurz an, er berührte doch tatsächlich ihren Hintern und sie schaute verblüfft zurück. Doch dann riss sie sich zusammen und ging ohne weiteres Gejammer über das wankende Holzbrett. Wie war das noch? Wenn man über die Planke gehen musste, dann würde man im Meer ertrinken, oder hieß das kieloben holen? Sie hatte ja so gar keine Ahnung von der Seefahrt. Aber sie schaffte die fünf Schritte mit Leichtigkeit und blickte triumphierend über die Schulter hinweg zu Volker.
Der kannte sich anscheinend auch hier gut aus. Wie oft hatte er diesen Segeltörn schon mitgemacht und wie viele Frauen waren wohl an Bord gewesen? Ach was, das hatte sie überhaupt nicht zu interessieren.
Volker ging nun voran und geleitete sie über eine schmale Treppe - man konnte es auch Stiege nennen - nach unten in einen recht großen und gemütlichen Raum. Diverse Tische und Bänke gab es, außerdem einen beindruckenden Gasherd und eine passende Spüle dazu. Wie in einem amerikanischen Appartement.
"Nein, wir werden hier nicht kochen und wir werden hier auch nicht spülen, außer vielleicht morgen nach dem Frühstück. Das hier ist für längere Reisen vorgesehen."
"Und das ist auch gut so", sagte Daniela zaghaft, denn so etwas wie eine längere Reise hatte sie nie vorgehabt. Außerdem sah sie gerade jede Menge Leute, es mussten so an die fünf sein. Nämlich zwei Frauen und drei Männer, von denen sich zwei als Kapitäne des Flachbodenbootes herausstellten.
"Das ist der Skipper und das der zweite Skipper." Volker stellte sie ihr gerade vor.
Aha, keine Kapitäne, sondern Skipper. Interessant ... Konnte man denen vertrauen?
Volker und sie waren wohl recht spät angekommen und Daniela erlebte wie in Trance, wie ein kleiner und sympathischer Kapitän, beziehungsweise Skipper und sein langer auch sehr sympathischer Unterskipper sich gerade je eine Flasche vom guten Stueder-Pils einverleibten.
Der Sekt hatte sich in Pils verwandelt und sie soffen wie Seeleute, aber Pils und keinen Rum ... Nicht Fluch der Karibik, sondern Fluch des Ijsselmeers. Das war's dann wohl mit dem Traumschiff. Dieses Plattbodenschiff hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Luxusdampfer. Von Sekt kein Spur, das Bier musste man mitbringen und aufpassen, dass die Skipper es nicht selber reinkippten. Das waren keine Skipper, sondern Kipper.
Und jetzt wollte sie wissen, wer denn eigentlich mitfuhr.
Was hatte Volker noch gesagt: Es passen nur acht Passagiere auf den gelen Dolphin. Daniela schaute sich die Leute an, die Volker ihr nacheinander vorstellte. Da gab es einen langen gutaussehenden Typen, ferner zwei jüngere Frauen, von denen die eine recht unscheinbar war und die hübschere Volker verlangend musterte. Wahrscheinlich kannte sie ihn von früheren holländischen Flachbootsausflügen. Wieder fragte sich Daniela, was sie überhaupt von Volker wusste. Und diese eine Frau fand sie irgendwie unsympathisch. Aber warum?
Bis es ihr kam: Sie behandelte ihn tatsächlich wie ihr Eigentum! Wie konnte man nur so verbohrt sein? Die Vergangenheit war doch vorbei. Nur weil er einmal gesagt hatte, dass er sie lieben würde? Da war er vermutlich voll besoffen gewesen. Es war einfach nur lächerlich: Sie war nicht mehr die Jüngste und sie war immer noch daneben und bestimmt nicht sehr anregend für einen Mann. Auch ihre Figur war nicht mehr so toll wie früher, obwohl es noch ging.
Egal ... Wenn man die Skipper abzog, waren das mit Volker und ihr gerade mal fünf Passagiere. Also fehlten noch drei.
Aber einer davon traf gerade ein.
Immerhin musterte der zuletzt angekommene Passagier sie anerkennend. Es war ein Mann in ihrem Alter, er sah markant aus und er bewegte sich irgendwie breitbeinig wie ein Seemann. Oder hieß das Seebär?
Volker stellte ihn ihr vor: "Das ist Jochen, auch U-Boot genannt, ich kenne ihn schon seit Ewigkeiten, er wohnt in Bremerhaven und er liebt das Meer."
Daniela lächelte U-Boot Jochen charmant an, er war der einzige Kerl, der sie interessieren könnte, falls Volker den Sirenenrufen dieser hübschen Nixe verfallen würde. Ach Quatsch, was dachte sie da? Nach Michael konnte sie kein anderer Mann mehr interessieren.

Weiter geht es mit: Tussen de meeren, Teil 3 von 6 - AN BORD
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