67


4 Seiten

Der dunkle Keller

Schauriges · Kurzgeschichten
Müde kauerte Sophie auf der Couch. Geistesabwesend folgte sie dem Thriller. Schrille, actiongeladene Szenen jagten über den Bildschirm, blutüberströmte Detectives verfolgten die Gangster. Sophie atmete auf, als endlich Werbung kam.
Warum tu‘ ich mir das an?, schoss es ihr durch Kopf. Warum sehe ich mir solche Filme an, die meine Fantasie in eine Paranoia verwandeln?
Gähnend erhob sie sich. Schröder und Mücke, ihre Katzen, waren noch draußen.
Rasch schlüpfte sie in ihre Strickjacke, nahm die Taschenlampe von der Kommode und steckte den Schlüsselbund ein.
Als sie die Haustür öffnete, strömte ihr eisige Herbstluft entgegen.
Irgendwo da hinten knackte ein Zweig, automatisch schloss sie die Tür bis auf einen kleinen Spalt.
„Mücke! Schröder! Na nun kommt schon, ihr Rabauken!“
Wieder ein Knacken, dann knirschten kleine hastige Schritte über trockenes Laub.
Sophie starrte konzentriert bis zur anderen Straßenseite hinüber. Irgendwo in dieser ungewissen, nebelumflorten Dunkelheit, stapelte sich der Sperrmüll des ganzen Wohnblock – doch da war etwas.
Hastig sah sie sich um, die Straße blieb leer, nur der Nebel schlängelte lautlos näher, teilte sich und formte dürre, schwebende groteske Figuren, die über den feuchten Asphalt krochen.
Unwillkürlich warf Sophie die Haustür zu und mit zitternden Händen drückte sie den Lichtschalter. Mit klopfendem Herzen lehnte sie sich an die Wand – atmete tief durch, zählte von zehn rückwärts.
Langsam normalisierte sich ihr Puls, und die Erinnerung, warum sie im zugigen Hauseingang stand, kam zurück. Wo waren ihre Katzen?
Waren sie ihr gefolgt, als sie den Korb mit der Schmutzwäsche in den Waschkeller brachte.
Allein bei dem Gedanken, dass sie jetzt die Kellertür öffnen sollte, durchzog sie ein fröstelnder Schauer. Zu Kellern hatte sie seit Kindheit an ein gestörtes Verhältnis. Trotzig warf sie den Kopf in den Nacken und beschimpfte sich selbst als blöde Kuh.
Nie wieder würde sie sich einen Thriller ansehen, wenn sie alleine war, und was sollte an einem Keller anders sein, als an einem Treppenhaus, einer Abstellkammer, oder dem Gerümpel auf dem Dachboden?
Mit einem ärgerlichen Kopfschütteln fegte sie das Unbehagen weg und sperrte die Tür auf. Staubiger, modriger Geruch kroch in ihre Nase.
Es riecht, als wäre jemand da unten gestorben, dachte sie.
Fröstelnd raffte sie ihre Strickjacke enger um ihre Schultern, räusperte sich, um ihrer Stimme mehr Halt zu geben und rief mit lockender Stimme nach ihren Katzen.
Bevor sie die beiden Stufen zum Lichtschalter hinabging, drehte sie sich noch einmal um und warf einen nervösen Blick zurück.
Wie von Geisterhand schnarrte die Tür ins Schloss.
Sophie erstarrte, als sie auf einmal ein eigenartiges, schabendes Geräusch vernahm und ein eisiger Luftzug sie streifte. Es war ihr, als würde jemand an ihr vorbeihuschen
Schwer atmend lehnte sie sich an die Mauer, beugte sich leicht vor und spähte die Treppe hinter. Die Dunkelheit wirkte wie ein riesiges Maul, das alles verschlang.
Grünlich schimmernder Nebel waberte die Kellertreppe empor, wurde dichter und umwogte sie wie eine brusthohe, lebende Mauer. Plötzlich drang ein gedämpftes Wimmern an ihr Ohr – ganz leise, so als käme es von ganz weit her, In diesem Moment ging das Licht im Treppenhaus aus.
Mit zitternden Fingern knipste sie die Taschenlampe an und richtete den weißen Lichtstrahl auf die Stufen. Das Licht hüpfte hin und hier, bohrte sich durch den grünlich wabernden Nebel.
„He, ist das jemand?“, rief Sophie, und ihre Stimme klang hohl und hallend im undurchdringlichen Dunkel.
„O ja“, wisperte es ihr entgegen. Sophie lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und rang nach Atem.
Im Keller ist niemand, beruhigte sie sich leise. Wenn, dann war es dieser Witzbold Frank! Frank, fünfzehn Jahre, Horrorfreak, trieb sich in der Szene rum!
Aber alte Häuser sind voller Geräusche, das Knarren, Stöhnen und Ächzen hört man überall – und das Wimmern.
Das Wimmern! Da war es wieder. Entschlossen wandte sie sich ab.
„Lalelu, nur der Mann im Mond schaut zu...“, sang ein feines Stimmchen, brach plötzlich das Lied ab und kicherte albern.
Dieses Lied! Sophie stockte der Atem, gleichzeitig durchschauderte sie ein sanftes Zittern. Also doch! Irgendso ein Spaßvogel trieb einen Scherz mit ihr.
Die Taschenlampe fest in einer Hand, die andere Hand gegen die feuchte unverputzte Wand gepresst, machte sie sich langsam, Schritt für Schritt, auf den Weg nach unten.
Der Lichtstrahl durchzuckte zitternd die Finsternis. Auf der letzte Stufe angekommen, rutschte Sophie aus, schnell stützte sie sich ab, um nicht hinzufallen.
„Frank!“, rief so. „Los, komm raus!“.
Angestrengt starrte sie in den weißen Lichtkreis und lauschte.
Es herrschte eine drückende Still, so drückend wie die feuchte, modrige Luft. Da! Wieder dieses Wimmern, ein Keuchen!
Sie wollte rufen, doch die Worte rollten wie ein erstickendes Flüstern durch ihre Kehle.
Staubpartikel tanzten im weiter wandernden Lichtschein. Ein großer, niedriger Raum wurde sichtbar, voll gestopft mit alten Schränken, einer ramponierten Kommode und anderen Möbeln, Dosen und Einmachgläsern und alten, fast bis zur Decke aufgetürmten Zeitungsstößen, davor stand eine Kiste. Ächzend begann sich der Deckel zu heben.
Die Taschenlampe begann in ihren Händen zu Zittern und im wegschwenkenden Licht kroch etwas hervor! Eine kleine, merkwürdig geformte Gestalt... langsam hob sie den Kopf und zeigte mit der winzigen Hand auf Sophie.
Fassungslos starrte sie in das Puppengesicht!
„Robbi“, hauchte sie. „Robbi! Wie kommst du hierher?“
Panik stieg in ihr auf und ließ ihre Beine schlackern.
Die Puppe setzte sich in Bewegung, tapste einen Schritt auf sie zu.
Das Licht ihrer Taschenlampe glitt bebend über das kalte Puppengesicht. Sophie schluckte.
Die Puppe bewegte vorsichtig ihre Hand, deutete auf die Stirn.
Sophie hatte ihr mit Tinte ein drittes Auge gemalt. Robbi konnte so viel mehr sehen als sie und überall hingucken, und abends, wenn sie ihn im Arm hielt, dann erzählte er ihr alles.
Alles über Papa, der so oft nachts nicht nach Hause kam und von Mama, die immer wartete und so oft um ihn weinte. Und wenn er dann kam, dann hörte sie seine wütende böse Stimme, dann klatschte es, es klapperte und schepperte – und Mama weinte und flehte und die wütende Stimme wurde noch böser.
Robbi hatte ihr von einem Geheimnis im Keller erzählt. Er hat es selbst gesehen – mit seinem dritten Auge aus Tinte auf der Stirn.
Er hat gesagt, die böse Stimme muss sterben
Alle böse Stimmen müssen sterben, weil sie traurig machen – und Mama war immer traurig, hat immer geweint. Und
Robbi hat ihr im Keller sein Geheimnis gezeigt.
Hinter der Kiste mit den Weihnachtsschmuck war eine große braune Flasche mit einem Totenkopfetikett.
Die Puppe war es gewesen, die gesagt hat, das die Flüssigkeit aus der Flasche mit dem Totenkopf in den Cognac muss.
Und später im Bett hat die Puppe erzählt, wie der mit der bösen Stimme gestorben ist. Sie hat alles gesehen! Die böse Stimme ist ganz schrecklich gestorben – sie ist jetzt in dem böse-Stimmen-Himmel.
Sophie wirbelte herum, doch Robbi rückte in Zeitlupentempo näher.
Der helle Strahl glitt über das bleiche kalte Puppengesicht mit den großen ausdruckslosen Augen, das dritte auf der Stirn schien zu zwinkern, und sein winziges Händchen griff nach ihr.
Die Taschenlampe glitt aus Sophies Hand. Der Lichtstrahl tanzte wild über die Wand, als sie wegrollte.
Sophie schrie und rannte wie von der Tarantel gestochen die Kellertreppe hoch, stürzte durch die Tür und warf sie knallend ins Schloss.
Mit stechenden Schmerzen in der Brust als würde ihre Lunge im nächsten Moment explodieren, jagte sie durch das schwach erleuchtete Treppenhaus.
Im Wohnzimmer setzte sie sich auf die Couch, noch immer vom Grauen benebelt, zitterte sie so stark, dass ihre Zähne klapperte. Sie schlang die Arme fest um sich und starrte auf das kleine tanzende Teelicht im Stövchen, das sich in dem schwarzgrauen Monitor spiegelte.
„Es war nicht real“, murmelte Sophie halblaut vor sich hin. „Ich... ich habe mir das nur eingebildet! Ich habe Robbi eigenhändig zu den Sperrmüllsachen geworfen... vorhin, als es noch hell war!“
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Petra, du sprichst mir ganz aus dem Herzen gute Story! Und ebenfalls *Schwitz*

Jochen (03.07.2009)

Puh...echte gruselig! *Schwitz*

Petra (03.07.2009)

Schöne Geschichte. So schön irritierend. Spontan wurde ich an Szenen aus der "Chucky"-Reihe erinnert. Und dann das überraschende Ende... War ich anfangs noch etwas erstaunt, dass sich ein erwachsener Mensch nur wegen eines Films "so anstellen" kann (warum guckt sie solche Filme dann überhaupt?!), gingen mir bei der Erklärung dessen, welche Erinnerungen diese Filme nähren, die Haare hoch.
Im Gegensatz zu meinen Vorschreibern bin ich nicht der Meinung, dass sich Robby verselbständigt hat. Sondern dass Sophie die "böse Stimme" selbst ins Jenseits befördert und ihre Schuld dann auf die Puppe Robby projiziert hat. Weniger Gruselmärchen als Psychothriller.
Da kannst du mal sehen, wie unterschiedlich Geschichten von unterschiedlichen Lesern interpretiert werden.
5 Punkte


Gwenhwyfar (15.10.2002)

Gruselig schöne Geschichte in einem guten leserlichen Stil geschrieben und herrlich spannend. Ähmmm...ich möchte mich Benjamin gerne anschließen. Ich kenn da jemanden...ähmm...könntst du vielleicht Robbi dort mal kurz vorbeischicken...?

Stefan Steinmetz (25.02.2002)

FIES... Sehr schöne Arbeit ! Mach weiter so!

P.S : Kannst du Robbi mal zu meiner Schwiegermutter schicken.. ?



Benjamin Reuter (01.02.2002)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Dort, wo das Herz war....  
Das Kruzifix  
Kinderwunsch  
Das Holzbein (oder: in optima forma)  
Der 666. Tag  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De