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4 Seiten

Der Fluch

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Es gibt Menschen, die beginnen ihren Tag mit einem Frühstück, einer Dusche oder mit Joggen.
Ich vereinte an diesem Montag alle drei Disziplinen in einer.
Biß in der Küche schnell vom Brötchen ab, das meine liebe Frau sich eben zubereitet hatte, rannte die Vortreppe hinunter, durch den Regen zum Zaun an der Straße, wo unser Briefkasten hängt, schnappte mir die Post sowie die Tageszeitung und war im Nu naß und außer Atem zurück. Im Unterschied zu einem echten Jogger hatte ich sogar noch etwas mitgebracht von meinem Triathlon.
Meine Angetraute, mit meinem morgendlichen Ritual bestens vertraut, hatte in der Zwischenzeit eine Kanne Kaffee zubereitet und auf dem Tisch Platz für mich gemacht.
Wie immer plazierte ich die Zeitung in der Mitte und sortierte als erstes die Post des Tages. Links die Rechnungen, rechts die positiven Nachrichten, in den Mülleimer die Reklame und neben das Radio die Kontoauszüge.
Jeden Morgen, vollzog ich diese Zeremonie und nie gab es dabei Probleme. -- Bis zu diesem unseligen Montag, an dem etwas Unerhörtes passierte: ein Brief blieb übrig!
Er wollte sich einfach in keine meiner bewährten Kategorien einordnen lassen. Der Name des Absenders kam mir bekannt vor, wenn ich auch nicht genau wußte woher.
Es half nichts, ich mußte zum Äußersten gehen und den Brief öffnen, noch bevor ich einen Blick in meine Zeitung geworfen hatte.
Unter Mißbrauch meines Messers öffnete ich den Umschlag.
Ich fand eine Namensliste und einen schlecht photokopierten Brief.
Die Liste umfaßte ca 20 Namen und Adressen. Der untenstehende war identisch mit dem Absenders und gehörte, wie ich jetzt erst merkte, einem ehemaligen Klassenkameraden von mir.
Der Brief war ein unpersönliches Schreiben nur an einen "lieben Freund" gerichtet, der in diesem Fall ich war. Trotz der schlechten Kopie, konnte ich entziffern, das dieser Brief schon seit einer Unzahl von Jahren immer weiter gereicht wurde, von Freund zu Freund. Jeder Empfänger war verpflichtet, an den Obenstehenden die lächerliche Summe von 200,- DM zu überweisen und erhielt dafür das Recht seinen Namen unten auf die Liste zu setzen, bis er ebenfalls nach oben gewandert sei.
Außerdem war ich verpflichtet den Brief fünfmal zu kopieren und an ebensoviele Freunde zu schicken.
Für den Fall, daß ich diese Versandkette unterbräche drohte mir ein Fluch von gigantischem Ausmaß.
Um dieser Drohung Nachdruck zu verleihen, waren auch gleich einige Beispiele angeführt.
So hatte ein junger Mann 1883 die Kette unterbrochen und prompt brach der Krakatau aus. Ob der junge Mann davon betroffen war, wurde allerdings nicht erwähnt.
Um so betroffener war bestimmt der Geschäftsreisende, der ebenfalls versäumt hatte die Briefe weiterzusenden. Im Jahre 1912 trat er eine Reise über den Atlantik an. Am 14. April bereute er dies zutiefst, als er leider keinen Platz in einem der Rettungsboote der Titanic ergattern konnte.
Es folgten noch weitere Beispiele, die vom Ausbruch des ersten und zweiten Weltkrieges, über das Erdbeben in Kalifornien, bis zur Explosion der Challenger reichten.
Offensichtlich wurde die gesamte Weltgeschichte nur durch die Existenz dieses Briefes gelenkt.
Nachdem ich den schwerwiegenden Inhalt dieses Schreibens meiner geliebten Frau mitgeteilt hatte, lachten wir beide lange und herzlich über die armen Irren, die auf solche Machwerke hereinfallen.
Natürlich wanderte der Brief in die selbe Ablage, in der die Reklame schon seit einiger Zeit lag.
So nahm unser Tag seinen gewohnten Verlauf.
Auf dem Weg zu meinem Büro verfehlte ein Kieslaster knapp meinen Wagen und bescherte mir damit einen kräftigen Adrenalinstoß.
Mein reservierter Parkplatz war besetzt und der Fahrstuhl defekt. So mußte ich erneut meine sportliche Ader aktivieren und die sieben Stockwerke zu meinem Büro per Pedes erklimmen.
Dort erwartete mich meine Sekretärin Marion mit einer Hiobsbotschaft. Einer unserer größten Kunden war abgesprungen und zur Konkurrenz gegangen.
In der Werbebranche muß man mit so etwas leider rechnen, aber ich begann mir langsam doch Gedanken zu machen, was ich falsch gemacht hatte. War unsere Strategie zu schwach oder zu aggressiv gewesen?
Noch während ich darüber grübelte, klingelte mein Telefon.
Die vertraute Stimme meines geliebten Weibes, war mir ein willkommener Trost in dieser schwarzen Stunde. Leider hatte sie nicht angerufen um meine Stimmung zu verbessern.
Vielmehr teilte sie mir mit, daß zwei sehr bestimmt auftretende Herren von der Steuer bei uns zu Hause vorgesprochen und sich einige meiner Unterlagen aus dem Keller ausgeborgt haben.
Selbst der fernmündliche Kuß, den ich erhielt, war nicht mehr in der Lage meine Stimmung zu heben.
Der weitere Vormittag verlief zu meiner Freude ereignislos, was bei einer Agentur aber nicht unbedingt ein gutes Zeichen ist.
In der Kantine erhielt ich ein zähes Steak, das mir beim Schneiden auf meine frisch gereinigte Hose rutschte und beim Versuch diesem Unheil zu entgehen, stieß ich auch noch mein Bier um.
Schlimmer konnte es nicht mehr kommen.
Ich bat Marion meine weiteren Termine abzusagen, soweit die Kunden sie nicht bereits von sich aus storniert hatten.
In der Tiefgarage fand ich meinen Wagen zugeparkt vor und der Taxifahrer, ein Student, der nur täglich drei Stunden arbeitet, verfuhr sich auf dem Weg zu meinem Heim mehrfach, so daß ich fast zur selben Zeit wie an einem normalen Arbeitstag ankam.
Jetzt wußte ich was zu tun war.
Auf kürzestem Weg begab ich mich in die Küche, wo ich den Mülleimer zu meinem Entsetzen leer vorfand. Auch die Tonne an der Straße war bereits von der Stadtreinigung entleert worden.
Mit gesenktem Kopf schlich ich ins Haus zurück, wo ich meine Frau am Wohnzimmertisch vorfand. Sie verschloß eben den letzten der fünf Briefumschläge, die sie in der vergangenen Stunde hastig geschrieben und mit den photokopierten Listen versehen hatte.
" Sollen die anderen sich doch ärgern. Ich habe sie an lauter Leute adressiert, die wir nicht leiden können. Tante Laura, die Höhnes und so weiter."
Sie grinste mich verschwörerisch an und gemeinsam wanderten wir zum Briefkasten um unsere Absolution zu erlangen.
Der nächste Morgen begrüßte uns mit herrlichem Sonnenschein und kaum hatte meine vielgeliebte Frau mich im Büro abgeliefert meldete mir Marion einen Besucher.
Der verloren geglaubter Kunde hatte sich anders besonnen und besprach mit mir eine Kampagne für sein Produkt, was uns einen Auftrag in Millionenhöhe bescherte.
Gemeinsam mit unserem Auftraggeber verzehrte ich in der Kantine ein vorzügliches Mittagsmahl, als ein mir fremder Mann an unseren Tisch trat.
Nachdem er sich mir als Herr Berger von der Steuerfahndung vorgestellt hatte, gab er mir meine Unterlagen zurück und gratulierte mir zu unserer makellosen Bilanz.
Kaum hatte ich mich wieder in mein Büro zurückgezogen, telefonierte ich mit meiner lieben Gattin und lud sie zum Abendessen in ein erstklassiges Lokal in unserer Nähe ein.

Die Vorspeisen hatten wir bereits verzehrt und Ramos, unser Stammkellner, servierte eben unsere flambierte Gänsebrust, als vor den Fenstern des Lokals Lützows wilde, verwegene Jagd stattfand.
Größere Einheiten der Polizei lieferten sich mit einigen jugendlichen Skinheads ein Wettrennen, aus dem unsere Ordnungsmacht als deutlicher Sieger hervorging. Die Unterlegenen wurde gründlich durchsucht und in einem Mannschaftswagen abtransportiert.
Von unserem Logenplatz am Fenster, konnten wir das Geschehen als interessierte Zuschauer bestens verfolgen. Zu unserer Freude, betrat der Einsatzleiter (Unser Nachbar Fritz Erler) nach Beendigung der Aktion das Lokal. Als mein Freund mich erkannte, setzte er sich zu uns und lieferte uns bei einem Glas Wein die Untertitel, zu dem eben gesehenen.
Wie wir erfuhren, handelte es sich um eine Bande Jugendlicher, die in den letzten Wochen und Monaten in der Umgegend kleinere und größere Brandstiftungen verübt hatte um ihre demokratisch Deutsche Gesinnung zu demonstrieren.
Am Tage vorher waren sie beim Anzünden eines Briefkastens beobachtet und bis zu ihrem Versteck verfolgt worden.
Dort wurden sie, wie wir beobachten durften, an diesem Abend verhaftet.
Mich beschlich eine Ahnung. Und tatsächlich. -- Als wir auf dem Heimweg an unserem Briefkasten vorbei kamen, war dieser restlos niedergebrannt.
Meine liebe Frau schaute mich an.--
"Die Briefe sind......"
"Nie abgegangen.!!" vollendete ich ihren Satz.
Ein älteres Ehepaar schaute sich entrüstet um, wie wir beide laut lachend die Reste des Posteigentums betrachteten und wir begaben uns immer noch glucksend schnell in unser Haus.


 
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Kommentare  

Sehr nette Story.
Ich finde diese tollen Kettenbriefe auch zum verlieben.
Aber einen so schönen, von dem das Schicksal der ganzen Welt abhängt, habe ich leider noch nicht bekommen.*g*
Also von mir bekommst du jedenfalls eine Fünferkette von Punkten.


Drachenlord (28.02.2003)

Wer kennt sie nicht, die leidigen Kettenbriefe... Nach dem letzen, den ICH in den Abfalls geschmissen habe, ging das WTC den Bach 'runter. Und ein Junge in Ghana, der zahn- und beinlos rückwärts auf einen indischen Elefanten gekettet ist, konnte meinetwegen nicht operiert werden, jaja. Und danach ging auch bei mir das Unglück los: Steuernachforderung, Gasnachzahlung, Stromnachzahlung.... the same procedere as every year!
Die Kettenbrief-Unsitte hat auch schon vom Email-Verkehr Besitz ergriffen.
Hab' mich in der Geschichte irgendwo wiedererkannt und mich kringelig gelacht. Dafür 5 Punkte.


Heike Sanda (13.06.2002)

Die Geschichte selbst ist schon toll,wie sie mit viel Humor, einer Prise Sarkasmus und nicht zu wenig Hinterfotz die leidige Kettenbrieferei auf die Schippe nimmt. Und dann auch noch die Pointe zum Schluss, praktisch als Schlagsahne obendrauf. Volle Punktzahl. HAt mir total gut gefallen. Weiter so!

Stefan Steinmetz (24.01.2002)

Nette Geschichte und gut geschrieben!

esmias (19.06.2001)

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