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3 Seiten

Heroismus

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Irgendein Tag mitten in der Woche.
Fünfzehn Minuten vor acht Uhr morgens.
Vom Busfenster aus beobachtete S das rege Treiben vor der riesigen Fassade seines zweiten Heimes.
"Genügend Zeugen für den größten Deal dieser Schule" trug ein unmerklicher Luftzug aus seiner Lunge über seine Lippen, ohne sie merklich zu bewegen. Endstation Schule. Der Bus war nicht allzu voll, sodass das Aussteigen mit der Soundmaschine keine erwähnenswerten Umstände bereitete.
Er machte sich auf den Weg zum großen Platz vor den Haupteingängen der Schule. Auf seinem Weg dorthin taxierten seine Augen unter der Sonnenbrille jedes Detail und jedes Gesicht, dem die Unwissenheit auf eine wunderbare Art anzusehen war. Sein Freund war noch nicht hier, was ihm noch genügend Zeit gab, alles für die perfekte Vorstellung vorzubereiten. Die Soundmachine plazierte er auf dem rechten der beiden Steinpodeste die den Stiegenaufgang einrahmten. Soeben hatte er sich wieder in Richtung Straße gewandt als er den zweiten Hauptdarsteller, seinen Freund T kommen sah.
"Wunderbares Timing"
Nach dieser Feststellung startete er die Musik und erntete eine Vielzahl neugieriger Blicke. Er ging die Stiegen hinunter, T und dem bedeutendsten Treffen seines Lebens entgegen. Sie blieben in einem Meter Abstand von einander stehen.
Ein schweigender Gruß der Einigkeit. "Bereit?" fragte S.
Kaum hatte er dieses Wort ausgesprochen hielt ihm T einen Zylinder, etwas größer als eine normale Getränkedose, entgegengestreckt.

Wie aus einem uralten Instinkt heraus hatte sich rund um die zukünftigen Akteure ein Kreis mit einem großzügigen Respektsabstand gebildet. T hielt die zweite, für ihn bestimmte Dose über seinen Kopf und erhob die Stimme.
"Wir wollen niemanden verletzen der klug genug ist nicht den Helden zu spielen. Dies hier sind Phosphorgranaten und jeder hat eine Zigarettenlänge Zeit sich mindestens zwanzig Meter von uns zuentfernen. Niemand kann uns aufhalten, und jeder der nach der Zigarrettenlänge uns zu nahe ist hat Pech gehabt."
Dies sollten die letzten Worte sein, die von S und T zu hören sein sollten. Sie postierten sich in eineinhalb Meter Abstand zueinander gegenüber und jeder zündete sich die letzte Zigarette seines Lebens an. Die Welt rund um sie reduzierte sich auf die Augen des Gegenübers um darin zu lesen, die Musik und den Geschmack des Rauches.
Furcht stand beiden, jedoch nur für sich lesbar ins Gesicht geschrieben.

"Wollen wir das überhaupt?" fragten die Augen T's.
"Ich bin mir dieser Sache sicher. Weitergehen kann ich nicht mehr und Zurück gibt es für mich jetzt auch keines mehr. Wenn du willst kannst du noch aussteigen."
Als wäre die richtige Antwort auf diese Frage in den Asphalt gemeißelt blickte T auf eine Stelle rechts vor seinen Füßen auf den Boden. Nachdem ein wenig Zeit und ein Zug auf beiden Seiten vergangen war, blickte er S wieder in die Augen, seiner Sache sicherer als vor ein paar Tagen als sie den Spielplan ausgearbeitet hatten.
"Es ist gut so. Wir haben den richtigen Weg gewählt"
Und dennoch sah S den Schmerz hinter seiner Sicherheit.
War das denn wirklich die richtige Lösung? Sollten sie tatsächlich so weit gehen, oder taten sie dies hier nur aus Bequemlichkeit? Viel zu oft hatte er sich schon die Frage gestellt, was das ganze Leben denn eigentlich sollte und er war es Leid, jeden Tag aufzustehen und einem weiteren Tag der Unfreiheit des Willens entgegengehen zu müssen. Seit Jahren bestand sein Leben nurmehr aus Terminen die es galt auf Biegen und Brechen, für ihn verlangte es auch einen Grad von körperlicher Selbstzerstörung, einzuhalten. In ihm kreiste der Gedanke, daß, wenn er für ein solches Leben geschaffen gewesen wäre, er das alles ohne Mühe hätte wegstecken können. Da er es aber offensichtlich nicht schaffte, hatte diese Leiderei für ihn keinen Sinn. Er verstand die Bedeutung des Wortes 'lebensmüde'.
T fixierte S doch dieser reagierte nicht im Mindesten darauf.
Die Art wie er einfach so ins Leere, auf einen Punkt der anscheinend auf der anderen Seite des Globus lag, in die Unendlichkeit oder einfach in den Tod starrte, lies ihn erkennen, daß er einen innerlichen Konflikt zu lösen hatte. Es erstaunte ihn, seinen Kameraden in dieser Situation so nachdenklich zu sehen. Ihn, von dem er angenommen hatte, daß dies der größte und beste Moment für ihn sein müßte, und er diesem mit einem entspannten, der Erlösung gewissen Lächeln auf den Lippen begegnen würde. Von ihm war die Bedingung ausgegangen, daß jeder der an dieser Aktion teilnahm, auch ein Zeichen setzen wollte. Schön langsam war er der Überzeugung, daß er in seinem Entschluß sicherer war als S. Es stand der pure Heroismus hinter ihrem Tun. Sie würden wohl einen österreichischen Skandal heraufbeschwören, der die ganze Nation auf ein Kleinod ihres Stolzes herabsehen läßt um die Frage und die Erforschung nach dem Grund zu fordern. Dies sollte ein zerstörerischer Schlag gegen antiquierte Lehrvorstellungen werden. Durch die Erkenntnis, daß sein Gegenüber den innerlichen Kampf zünde gebracht hatte wurde er aus seinen Gedanken gerissen.
Vernichtet hatte er all seine Zweifel immer noch nicht aber dennoch war er in der Lage und in der Stimmung T seine Sicherheit mit derselben und mehr Kraft entgegenzuschmettern. Ein Überlebensdrang versucht noch Vorwände vorzubringen, ob es denn nicht auch einen besseren Weg als diesen gäbe ein Zeichen zu setzen, doch war sein Wille bereits zu sehr gekräftigt, als daß sie noch etwas hätten bewirken können.
So standen sie sich gegenüber. Noch im Leben, dem Tode aber näher, als sich dies einer der, nunmehr im Abstand von mindestens zwanzig Metern, Umstehenden vorstellen hätte können. Dennoch sah man dieser Szenerie die Endgültigkeit an.
Die Zigaretten waren verbrannt und sie zündeten die Granaten. Binnen der nächsten fünf Sekunden schien die Welt stillzustehen, als ihre Geister durch ihre Augen hindurch verschmolzen, und aus der Sicht zweier vorüberfliegender Vögel, die Feuerwehr die Straße zur Schule hinauffuhr.

Der Kreis füllte sich mit dem Licht der Wiedergeburt zweier Seelen.
 
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Kommentare  

so einfach ist das nicht. du kannst nicht einfach beschließen, dass du keinen bock mehr auf dieses leben hast, es beendest und "neu anfängst". die aufgaben die in diesem leben auf dich warten, werden jedes leben wieder auftauchen, so lange bis du sie bewältigt hast. ich würde es lieber in diesem leben noch schaffen, wer weiß ob es nicht im nächsten leben noch schwerer wird...
Lieben Gruß


*Becci* (21.09.2002)

oage story. echt krank. aber krank ist gut.

selim (13.03.2001)

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