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17 Seiten

Juliana (1. Teil)

Romane/Serien · Trauriges
Juliana 1.

Ich war gerade mal acht Jahre alt, als mein Vater starb. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben, also hatte ich niemanden. Ich war allein. An diesem Tag war mein Vater auf Geschäftsreise. Eine Bekannte passte auf mich auf. Ich mochte sie sehr und fühlte mich bei ihr geborgen. Es war 20 Uhr und ich lag wach im Bett. Aus irgendeinen Grund konnte ich nicht einschlafen. Ich lag in meinem Bett und starrte an die Decke. Und dachte an meinem bevorstehenden Geburtstag, den ich ganz allein mit meinem Vater verbringen sollte. Geplant war ein Tag auf dem Jahrmarkt. Ich liebte es an den Ständen vorbeizuschlendern. Ich liebte den Geruch von Zuckerwatte, Mandeln und Crêpes. Ein leises Schluchzen riss mich aus meinen Gedanken. Auf zehenspitzen schlich ich aus meinem Zimmer, die Treppe runter und öffnete langsam die Tür. Was ich sah versetzte mich in eine Art Trancezustand. Emilie saß zitternd auf dem Boden. Sie hatte Tränen in den Augen und das Telefon neben sich liegen. Nach unendlich langer Zeit hob die völlig verwirrte Emilie den Hörer wieder auf.
?Was... was passiert nun mit Julia??
Nach diesem Satz ahnte ich, was geschehen war. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Mit schrecklicher Wut im Bauch rannte ich die Treppe hoch und versteckte mich, mit meinem Teddy im Arm, unterm Bett. Ich umklammerte ihn fest und wartete. Wenig später hörte ich es an der Tür klopfen. ?Geh weg Emilie... ich schlaf schon!? log ich. Aber Emilie achtete nicht darauf und öffnete die Tür. ?Julia...? fing sie an. ?du hast an der Tür gelauscht.? Sagte sie im gefassten Ton und setzte sich, mit dem Wissen, dass ein kleines verstörtes Mädchen darunter lag, aufs Bett. ?Nein hab ich nicht!? schrie ich sie an. In diesem Moment war ich nur wütend. ?Julia. Deinem Vater ist etwas zugestoßen.?
?Nein! Das ist nicht wahr! Du bist eine gemeine Lügnerin!? Das war zuviel für Emilie. Sie senkte den Kopf und fing an zu schluchzen. ?Hau endlich ab! Ich will dich nie mehr sehn! Ich hasse dich!? schrie ich und tritt mit den Füßen gegen das Bett.
Diese Sätze bereute ich schon sehr bald. Am nächsten Tag war Emilie weg.
Schon zwei Tage später stand ich vor diesem großen dunklen Haus, dass ich in den nächsten Jahren so sehr hassen lernen sollte. Aber ich zeigte keine Gefühlsregung. Diese Genugtuung wollte ich Ihnen nicht gönnen. Wen ich damit meinte wusste ich selber nicht. Das war mir auch egal. Ich verspürte nur diese unendliche Wut, die keine Trauer zuließ. Ich richtete meine Wut auf das Haus. Ja, das konnte ich hassen. Es machte mir Angst. Aber wer mir noch größere Angst machen würde war meine Großmutter, die ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennen gelernt hatte.
Ich stand an einem Sonntagmorgen mit einem Freund der Familie vor der Haustür meiner Großeltern. Die Eltern meiner verstorbenen Mutter. Wie meine Mutter, hatte ich auch meine Großeltern nie kennen gelernt. Da sie die einzigsten noch lebenden Verwandten waren, blieb ihnen nichts anderes übrig, als mich aufzunehmen. Heimlich hatte ich ein Telefonat mitgehört, indem es darum ging, das es ihre Pflicht sei mich aufzunehmen. Mir gegenüber hatten sie das natürlich verschwiegen. Ich hatte das glückliche Kind vorgespielt, dass sich darauf freue seine Großeltern nach so langer Zeit endlich kennen zulernen. Aber innerlich ging es mir elend bei dem Gedanken. Ich fühlte mich ungewollt und ungeliebt. Warum war Emilie nicht gekommen um mich zu verabschieden? Warum wollte sie mich nicht aufnehmen? Ich redete mir ein sie zu hassen, obwohl sie jetzt der einzigste Mensch war zu dem ich Vertrauen hatte. Ich hatte eine fünfstündige Fahrt hinter mir, als der Bekannte meines Vaters den Klingelknopf drückte. Es ertönte ein dumpfer, lauter Gong und wenig später machte eine freundliche Frau, mittlerem Alter die Tür auf. Ich nahm an, dass sie eine Bedienstete meiner Großeltern war. Es stellte sich auch als richtig heraus. Ängstlich stand ich nun in einem riesigem Raum. Eine Goldverzierte Wendeltreppe, die mit rotem Teppich überzogen war, führte nach oben. Es gab viele Türen, die in verschiedene Räume führten. Jeder einzelne Türknauf war ein Einzelstück. Es beeindruckte mich wie viel Arbeit in diesem Haus steckte. An den Wänden hingen viele Bilder. Sie zeigten Landschaften. Eines von ihnen kam mir sehr bekannt war. Ich konnte nur nicht sagen woher. Bei jedem dieselbe Unterschrift: Leila. Auf dem Boden lagen große, kostbare Teppiche, bei deren Betreten ich mich wie eine Königin fühlte. Aber trotzdem machten mir all diese Dinge Angst. Ich fühlte mich klein in diesem riesigen Raum, der das Doppelte unserer alten Wohnung auszufüllen vermochte. Hinter jeder der vielen Türen schien ein kleines Geheimnis auf mich zu warten. Es lockte mich dieses Haus zu erforschen, doch in diesem Moment traute ich mich nicht einmal mich zu bewegen. Nach einem kurzen Gespräch zwischen der Bediensteten und den Freund meines Vaters sah mich die freundliche Frau, die sich mir als Helena vorstellte, an. ?Du bist also Juliana?? fragte sie und beugte sich zu mir runter. Ich nickte nur schüchtern. ?Julia? Ich werde jetzt gehen.? Sagte der Bekannte zu mir und verabschiedete sich von Helena. ?Kommst du zurecht?? fragte er noch. Ich blickte nur auf den Boden und sagte nicht. Dieser Abschied fiel mir schwer. Ich kannte ihn zwar nicht besonders gut, aber er war der letzte Mensch meines alten Lebens, dass ich nur zu ungern mit diesem neuem, was mir nun bevorstand, austauschen wollte. Also sagte ich nichts. Ich hörte ihn seufzen. Dann wandte er sich noch einmal an Helena: ?Wenn sie Probleme macht, dann rufen sie mich an.? Und er gab ihr eine Visitenkarte. Er bemühte sich leise zu sprechen, aber ich hörte jedes Wort. Das Geräusch, als die Tür zuging versetzte mir einen Stoß. Ab diesem Zeitpunkt konnte ich mir nichts mehr vormachen. Ich fühlte mich hilflos. ?Komm Juliana, ich werde dir dein Zimmer zeigen.? Unterbrach Helena meinen Gedankengang. Sie nahm mich an der Hand und führte mich die unendlich lang scheinende Treppe hinauf. Dann waren wir auf einen sehr breiten Gang angelangt. Links und rechts waren weitere Türen und Gänge, die immer dunkler wurden.
Wir gingen auf einen roten edlen Teppich. An den Wänden hingen orientalische Wandteppiche. Ich fragte mich, wann ich wohl meine Großeltern kennen lernen würde.
Helena öffnete die zweite Tür links und hielt sie mir offen, sodass ich eintreten konnte. Das Zimmer war doppelt so groß wie mein altes, aber ziemlich spärlich eingerichtet. Ein frisch bezogenes Bett und ein alter Kleiderschrank aus massiven Holz. Die Wände waren leer und weiß, ganz im Gegenteil zum Rest des Hauses, jedenfalls war ich ziemlich enttäuscht. Aber das zeigte ich Helena nicht, ich machte ein desinteressiertes Gesicht und tat so, als würde mich das alles nichts angehen. Helena stellte meine Koffer auf den Boden. ?Ich schlage vor du packst jetzt erst mal aus. In einer Stunde hole ich dich zum Abendessen ab.?
Und dann war ich allein. Plötzlich war ich gar nicht mehr so gefasst, wie ich glaubte. Ich schmiss mich aufs Bett und fing an zu heulen. Keine Träne hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt vergossen, aber nun konnte ich nicht mehr. Ich wollte nur noch aufwachen aus diesem Alptraum. Wie sehr ich meinem Vater in diesem Augenblick vermisste. Und meine Mutter, obwohl ich sie nicht kannte. Ich wollte nicht hier sein. Ich wollte wieder nach Hause. Warum hatte Emilie bloß zugelassen, dass man sie hier hinschleppte? Als ich mich wieder gefasst hatte, hörte ich Schritte. Schnell wischte ich mir die Tränen weg und setzte mich aufrecht aufs Bett. Es wurde an meiner Tür geklopft. Ich brachte nur ein spärliches ´Ja?` zustande. Als Helena die Tür öffnete kam mir der Geruch von frischen Kartoffeln in die Nase. Erst dann merkte ich, was für ein großen Hunger ich hatte. Helena sah auf die Koffer, die noch verschlossen da standen, wo sie sie hingestellt hatte. Dann sah sie mitfühlend auf mich. Ich nahm an, dass es daran lag, dass meine Augen noch vom vielem Weinen gerötet waren.
Dann lächelte die gutmütige Frau mich an. ?Das Essen ist fertig. Komm bitte mit runter.? Und ich folgte ihr die Treppe runter. Dann waren wir wieder in dem riesigem Raum, den ich ja schon kannte. Bei jedem Schritt hörte es sich so an, als könnte sich der Boden in diesem Moment auftun und mich verschlingen. Was er natürlich nicht tat, aber die Geräusche waren mir schon unheimlich. Helena öffnete die Tür und deutete, ich solle reinkommen. Bevor ich eintrat hörte ich, wie sich jemand erhob. Es war der Mann, der sich mir als mein Großvater vorstellte. Er war groß, gutangezogen und hatte eine weiche Stimme. Er war sehr freundlich zu mir, was mir zu dieser Zeit sehr gut tat. Er erzählte mir von dem Haus, seiner alten Geschichte und dem unschätzbarem Schatz, der unter dem Haus vergraben lagen sollte. ?Du sollst dem Mädchen nicht so einen Quatsch erzählen!? fiel ihm eine wütende, alte Frau ins Wort. Ich hatte mich furchtbar erschreckt, denn mir war nicht aufgefallen, dass an dem Tisch noch jemand saß. Ich sah meinem Großvater an, dass er gekränkt war, aber er sagte nichts dazu. Ich wurde auf einen freien Platz hingewiesen und der Rest des Essens ging schweigend vorüber. Meine Großmutter war mir von Anfang an unsympathisch. Kein Wort hatte sie an diesem tag zu mir gesagt. Nicht einmal begrüßt hatte sie mich. Ich traute mich nicht einmal sie anzusehen. Ich spürte immer ihre boshafteigen Blicke auf mir ruhen. Ich konnte mir nicht erklären, warum sie mich so hasste. Am Abend heulte ich mich in den Schlaf. Ich fühlte mich elend. Ich wollte nicht an diesem schrecklichen Ort wohnen. So weit weg von Freunden und gewohnter Umgebung. Der einzige Lichtblick war Helena. Zwei Wochen war ich nun hier und sie gab mir das Gefühl jemand Besonderes zu sein. Ich spürte jeden Tag die Verachtung meiner Großmutter. Helena sagte zu mir, dass es vorbei gehen würde, doch das tat es nicht. Ganz im Gegenteil. Sie hasste mich von Tag zu Tag mehr. Das machte mir sehr zu schaffen. Ich versuchte ihre Liebe damit zu gewinnen, dass ich immer besonders freundlich und höflich ihr gegenüber war. Doch das alles half nichts. Ich merkte, dass es ihr am liebsten war, wenn ich ihr so gut wie es geht aus dem Weg ging. So kam es, dass ich sie selten außerhalb der Mahlzeiten zu Gesicht bekam. Mir war es recht und meiner Großmutter um so mehr. Mein Großvater war selten zu Hause, und verschwand auch gleich in einem der Zimmer. Ich merkte dass er die Anwesenheit meiner Großmutter auch nicht besonders schätzte. Zu mir war er immer sehr nett und er schien mich zu mögen. Warum er mich trotzdem an manchen Tagen mied, konnte ich nicht sagen. An einem Abend kam er zu mir hoch und zeigte mir Fotos von meiner Mutter. Mit Tränen in den Augen erzählte er mir Geschichten aus ihrer Kindheit. Ein Foto ließ er mir da, als er ging. Dafür war ich ihm sehr dankbar. Auch dafür, dass er sagte ich sehe ihr ähnlich. Mein Vater hatte nie über meine Mutter gesprochen. Es war zu schmerzlich für ihn. Ich fühlte mich in diesem Haus immer wie ein Gast, ein ungebetener Gast. Es gab viele Dinge in diesem Haus, die mir fremd waren. Und selbst nach zwei Wochen, gab es für mich noch viele ungeöffnete Türen. Als der Tag näher kam, an dem ich das erste mal in die neue Schule gehen sollte, war ich total aufgeregt. Ich hoffte wenigstens in der Schule einen normalen Alltag zu haben. Ich freute mich endlich wieder mit Kindern meines Alters zusammen zu sein. Meine Großmutter reagierte auf meine Aufgeregtheit mit einem strafendem Blick. Ruhig und gesittet sollte es hier zugehen. Ihr Blick machte mir Angst. Es tat mir schon bald darauf leid, dass ich mich nicht so verhalten hatte, wie sie es wünschte. Und dafür, dass es mir leid tat hasste ich sie. Aber meine Wut verflog schon bald, als mich Helena zur Schule brachte. Als ich als ?Neue? der Klasse vorgestellt wurde, wurde ich von allen neugierig gemustert. Ich hatte es mir leichter vorgestellt von den anderen angenommen zu werden. Diese Kinder waren so anders als meine alten Freunde. Ich fühlte mich allein und unakzeptiert. Nur ein kleineres Mädchen fing an mir lauter Fragen zu stellen. Als ich erzählte wo ich wohne, drehten sich auch die anderen neugierig um. ?Da wohnst du?? Fragte mich ein Junge, der Luc hieß. ?Wie sieht es da denn aus? Ich hab gehört, in dem Keller sind tote Leichen.? Offenbarte Nellie. ?Man, bist du doof!? lachte Luc. ?Leichen sind doch schon tot!? Dieser Tonfall brachte alle dazu in Gelächter auszubrechen. ?Typisch Mädchen!? Dann kam der Lehrer rein und es wurde still. Für den Rest des Schultages wurde ich mit Fragen über das ?Horrorhaus? überschüttet, die ich nur spärlich beantworten konnte. Viele meinten, dass es doch toll sei, in so einem Haus aufzuwachsen. Ich hatte es bisher nur als angsteinflößend empfunden. Als ich mit Helena im Wagen saß erzählte ich ihr von dem Tag. Ich fühlte mich neben ihr im Auto richtig geborgen. Es schien mir so normal und ich mochte sie sehr gern. Sie war für mich wie eine Mutter, die ich nie hatte. ?Gibt es in dem Keller Leichen?? fragte ich mit meiner kindlichen Naivität. Helena lachte nur und beneinte dies.
?Was ist denn im Keller.? Nach einer Pause sagte Helena: ?Nichts.? ?Können wir denn nicht mal gucken gehen?? hakte ich weiter nach. ?Nein! Das ist verboten. Das ist das Haus deiner Großeltern. Sie machen die Regeln und wir Angestellte, und auch du hast dich daran zu halten.? Sagte sie bestimmt. Diese Worte schmerzten mich, sie machten meine Wunschvorstellung wenigstens sie als Familie zu haben zunichte. Dann hielten wir vor dem Haus. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als ich das dunkle Gatter ansah. Es kam mir vor wie in einem Gefängnis. Ein Gefängnis mit vielen dunklen Geheimnissen. In dieser Nacht weinte ich mich wieder in den Schlaf. Als ich eingeschlafen war, ging es mir auch nicht besser. Ich hatte schreckliche Alpträume von knarrenden Türen, großen dunklen Gattern und Leichen im Keller. Übermüdet saß ich am nächsten Tag in der Schule. Der Trubel um meine Person war auch vorbei und so wurde ich kaum beachtet. Eines Tages fragte mich Lene, die mir aus der Klasse noch am liebsten war, ob sie mich mal besuchen könne. Ich fand die Idee großartig, obwohl ich mir schon fast sicher war, dass es meine Großeltern nicht erlauben würden. Wie ich es gedacht hatte, war meine Großmutter strikt dagegen. Es hatte mich sehr viel Mut gekostet meine Großmutter danach zu fragen. Es schien ihr regelrecht zu gefallen mich zu enttäuschen. Mich gekränkt zu sehen war ein großer Triumph für sie, so schien es. Ich dachte sogar, dass ich sie an diesem Tag zum ersten Mal lächeln gesehen hatte. Lene die Absage zu erteilen fiel mir schwer. Ich wurde als ziemlich merkwürdig eingestuft und wurde in der Klasse größtenteils gemieden. Das machte mir sehr zu schaffen. Nur mit Helena konnte ich darüber reden.


Juliana 2.

Als ich an einem Dienstag aus der Schule kam wartete Helena mit einem Brief auf mich. Sie strahlte überst ganze Gesicht und gab ihn mir. ?Wovon ist der?? fragte ich. ?Von Emilie!?
Ich stockte. Viele Nächte hatte ich in diesem schrecklichen Haus schon wach gelegen und darüber gegrübelt warum sie mich in Stich gelassen hatte. Ich war schon fast drei Monate hier. Warum meldete sie sich jetzt erst. Ich wollte zuerst gar nicht wissen, was drin stand, aber dann überkam mich doch die Neugierde. Und die leise Hoffnung, dass sie mich hier rausbringen würde. ?Les vor!? bat ich. Und Helena riss den Brief hastig auf. Sie fing an zu lesen. Nichts davon, dass sie mich mitnehmen würde. Keine Entschuldigung. Sie schrieb, dass sie hoffte, dass es mir gut ginge und dass sie hoffte, dass ich meinen Großeltern keinen Ärger machte. Nur ein kleiner Hoffnungsschimmer. Wenn sie Urlaub kriegt, wollte sie mich besuchen. Reine Heuchelei! Ich hatte schon oft mitgekriegt, dass Emilie ihre Arbeit über alles ging. Sie war dafür bekannte, wenig Urlaub zu nehmen. Mir war zum Heulen zu Mute. Tränen rollten mir übers Gesicht. Helena starrte mich nur bemitleidend an. Warum konnte sie mich nicht wenigstens trösten? Plötzlich hörte ich hinter mir laute Schritte. Erschreckt fuhr ich herum und sah direkt in die Augen meiner Großmutter. Ich bekam einen furchtbaren Schreck. Ihre Augen waren so kalt und strahlten irgend etwas aus, dass mir eine furchtbare Angst einflößte. ?Was stehst du hier rum? Wisch dir gefälligst deine Tränen weg und geh in dein Zimmer um Hausaufgaben zu machen!? Schrie sie mich an. Ich konnte mir nicht erklären warum sie so schlecht gelaunt war. Sie war zwar noch nie freundlich zu mir gewesen, aber geschrieen hatte sie auch noch nicht. Sie hatte heute etwas an sich, was noch nie zum Vorschein gekommen war, Verwundbarkeit. Irgendetwas musste passiert sein. Aber damals hatte ich das noch nicht so wahr genommen, ich war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Hatte viel zu viel Selbstmitleid. Ich war sicher Emilie würde nie kommen, dass ich ihr egal war. Und das sie mir nur aus Mitleid geschrieben hatte. Ich hatte nicht ganz Unrecht. Es dauerte Jahre, bis sie mich besuchen kam. An diesem Tag kam ich nur noch zum Essen runter. Und am Abend schmiedete ich zum ersten Mal Pläne von hier fortzulaufen. Jahre vergingen und nichts änderte sich. Ich wurde immer stiller und verschlossener. Und nach und nach bemerkte ich, dass mein Großvater immer kranker aussah. Immer öfter verschwand er in einem der Zimmer. Als ich elf war kam ich aufs Gymnasium. Dort fand ich ein paar Freunde mit denen ich mich dann manchmal traf. Ab dann war mein Leben nicht mehr ganz so leer. Als ich schon fast 13 war hatte nie einer meiner Freunde das Haus meiner Großeltern betreten. Als ich dann an einem Freitag nach Hause kam wartete Helena schon mit einer Nachricht auf mich. ?Julia, komm mal mit in die Küche, ich muss mit dir reden.? Sagte sie freundlich. Ich folgte ihr in die Küche. Ich sah auf der Küchentisch einen Brief liegen. Da dachte ich das erste mal wieder an Emilie. Hatte sie sich etwa wieder gemeldet? Aber als Helena sah, dass ich den Brief anstarrte, steckte sie ihn hastig in ihre Schürzentasche.
Ihre Augen waren etwas gerötet. Das verwirrte mich. Hatte sie etwa geweint? Aber ich traute mich nicht sie danach zu fragen. ?Deine Großeltern sind für ein paar Tage weggefahren.? Fing sie an. Innerlich machte ich einen Freudensprung. Für ein paar Tage konnte ich mich frei und unbeobachtet fühlen. ?Ich hatte gedacht, du kannst dir ja eine Freundin übers Wochenende einladen.? Meinte sie. Wie unglaublich glücklich ich in diesem Moment war. ?Wirklich?? fragte ich nach. ?Ja.? Lachte sie. Ich freute mich riesig und rief keine Minute später Catrin an und lud sie zu mir ein. Catrin sagte sofort zu. Sie war unendlich gespannt, wie das Haus wohl aussehen würde. So ein großes altes Haus verberge bestimmt viele Geheimnisse, hatte Catrin am Telefon gesagt. Sie wollte so schnell wie möglich da sein. Meine Großeltern durften natürlich nichts von dem Besuch erfahren. Eine halbe Stunde später stand Catrin vor der Tür. Das war ein sehr glücklicher Tag für mich. Ich fühlte mich als würde ich das Haus an diesem Tag neu entdecken. Diesmal ohne dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Als ich Catrin das Haus zeigte fühlte ich mich so, als würde es mir gehören. Als wäre ich ein mächtiger Drachen, der um sein Schloss streift, das im Vergleich zu ihm nur eine jämmerliche Bruchbude ist. Catrin war begeistert von dem Haus. Vor allem von dem Keller. Von dem ich immer wieder mit den verschiedensten Gerüchten zu tun bekommen hatte. Ich war viel zu feige um da allein runter zu gehen, aber an diesem Abend wollte ich es zusammen mit Catrin wagen. Sie fand es unheimlich spannend und ich ließ mich von ihr anstecken. Mit Kerzen und schwarzen Kleider wollten wir genau um Mitternacht in den Keller gehen. Es sollte ein richtiges Ritual werden. Ich glaubte zwar nicht an den Unfug, der über den Keller erzählt wurde, aber es machte mir richtig Spaß sich darüber Gedanken zu machen . Ich war an diesem Tag wie ausgewechselt. Meine Einsamkeit und die Furcht vor der Großmutter und diesem Haus war wie weggeblasen. Dann war es soweit. Catrin und ich schlichen die Treppe herunter und standen vor der Kellertür. Nun wurde mir doch etwas mulmig zumute. ?Sollen wir das wirklich machen?? fragte ich Catrin. ?Komm schon. Du glaubst doch nicht wirklich, dass da etwas ist? Würdest du deinen Großeltern wirklich zumuten, dass sie Leichen im Keller versteckt halten?? fragte sie und legte ihre Hand auf den Türknauf. Auf diese Fragen vermochte ich nicht zu antworten. Denn ich konnte keineswegs beide Fragen mit `Nein´ beantworten. Plötzlich hörte ich ein peitschendes Geräusch. Ich erschrak und stieß einen stummen Schrei aus. ?Das ist nur der Wind! Sei leise.? Versuchte mich Catrin zu beruhigen. Dann folgte ich ihr in den Keller. Neben der Tür war ein Lichtschalter. Die Lampe spendete nur gedämpftes Licht, was meine Panik auch nicht gerade verschwinden ließ. Aber die Neugierde war stärker und so ließ ich mich von Catrin mitziehen. Wir gingen einen schmalen Gang hinunter, der in einen größeren Raum führte. Das Licht reichte nicht in alle Ecken des Raumes. Überall waren Spinnweben und ich war mir sicher, hier würde ich auch Ratten finden, wenn ich danach suchen würde. Ich sah den Ekel in Catrins Gesicht, die auf eine dicke, fette Spinne starrte. Mir machte das nicht soviel aus, mir waren eher die dunklen Ecken unheimlich. ?Schau!? schrie Catrin plötzlich auf und zeigte auf eine alte Truhe. Sie war mit rot-braunen Zeichen verziert und sah ziemlich edel aus. ?Was mag da wohl drin sein?? fragte sich Catrin. ?Ob wir die aufkriegen?? Und schon saß das neugierige Mädchen vor der Truhe und spielte mit dem Schloss herum. Ich starrte sie mit weitaufgerissen Augen an. Es sah so aus, als hätte sie es beinahe geschafft. Plötzlich fing das Licht an zu flackern. Dann ging es ganz aus. Ich klammerte mich an Catrin und hielt die Augen geschlossen, bis es schließlich wieder anging. ?Lass uns wieder hochgehen.? Bat ich. Doch Catrin hörte mir gar nicht zu. Sie war immer noch mit der Truhe beschäftigt. ?Ich hab sie auf!? schrie sie plötzlich. Mit bösen Vorahnungen betete ich, dass die Truhe leer war. Dann öffnete sie die Truhe. Ich konnte nicht sehen, was drin war, denn ich stand viel zu weit weg. Ich sah wie meine Freundin in die Truhe sah. Sie wurde plötzlich kreidebleich und schreckte zurück. ?Was ist da drin?? schrei ich, ohne mich bewegen zu können. Nach ein paar Sekunden war Catrin aus ihrer Erstarrung befreit. Sie grinste mich an. ?Guck dir das an! Das ist der Wahnsinn!? Ich tat was sie sagte.
Bei dem Anblick des Inhaltes wurde mir bewusst, was das vielleicht zu bedeuten hatte. Und es machte mir Angst. So große Angst, dass ich alles um mich herum vergaß und in mein Zimmer rannte. Ich riss meine Zimmertür auf und warf mich aufs Bett. Aber nach einiger Zeit fiel mir auf wie albern das war. Dann stand Catrin in der Tür und sah mitleidend auf mich herab. ?Julia...? fing sie an. Mir war mein Verhalten plötzlich ganz furchtbar peinlich. ?Was meinst du, sind das für Knochen?? fragte ich sie. Aber Catrin zuckte nur mit den Schultern. ?Komm. Gucken wir uns die noch mal genauer an. Das wird cool. Vielleicht kommen wir hinter das Geheimnis.? Ich bewunderte ihren Mut. Mir wurde ganz schlecht bei dem Gedanken noch einmal darunter zu gehen. Aber ich wollte nicht als Angsthase gelten, also nickte ich. Wir gingen also die lange Treppe wieder hinunter. Mein Unbehagen verstärkte sich. Ich dachte über meine Großeltern nach. Mir wurde bewusst, dass ich eigentlich gar nichts über die beiden wusste. Nie hatte mir Helena etwas über die beiden erzählt. Und nie hatte ich sie jemals gefragt. Und nie hatte sich einer der beiden jemals für mich interessiert. Ab und zu mal ein paar Gesten meines Großvaters, der mir aber immer unheimlicher wurde. Er kam oft spät in der Nacht nach Hause. Ich konnte nie besonders gut einschlafen und hörte oft spät in der Nacht seine schweren Schritte, wenn er die Treppe hochging. ?Hey Julia! Träumst du?? fragte mich plötzlich Catrin. Ich lächelte sie nur an. Dann standen wir wieder vor der Tür. Wir gingen runter. Mein Angstgefühl stieg wieder in mir hoch. Aber ich riss mich zusammen. Catrin öffnete wieder die Truhe. Es waren tatsächlich Menschenknochen! ?Sag mal Julia... traust du deinen Großeltern zu, dass...? Sie sprach nicht weiter. Es war ihr offensichtlich unbehaglich mich danach zu fragen. Im ersten Moment war ich auch wirklich geschockt. Wie konnte sie nur so etwas denken! Aber dann wurde mir bewusst, dass ich schon fast selbst den Verdacht gehegt hatte, dass meine Großeltern etwas damit zu tun hätten. Aber jetzt wurde mir erst klar, was das zu bedeuten hätte. In diesem Moment verdächtigte ich meine Großeltern tatsächlich des Mordes! Ich zitterte am ganzen Körper. Das sah Catrin und ihr schien auch klar zu werden, was sie da eben für eine Frage gestellt hatte. Ich sah, dass sie es bereute. ?Tut mir Leid.? Sagte sie und nahm mich in den Arm. Ich konnte es in diesen Moment nicht mehr aushalten und heulte mich bei ihr aus. Nicht nur wegen den Knochen und meinen schrecklichen Verdacht. Auch wegen den schrecklichen Jahren, die ich erleben musste. Wegen meinen Eltern, die ich so sehr vermisste. Wegen Emilie, die mich zu meinen verhassten Großeltern gebracht hatte. ?Ich will hier weg... Ich hasse sie...!? Noch nie hatte ich mich so gehen lassen. Nicht einmal ansatzweise hatte Catrin geahnt wie schlecht es mir hier ging. Sie machte sich große Sorgen um mich, das sah ich ihr an. Nach diesem Wochenende redeten wir kein Wort über die Knochen. Sie schien sich auch immer mehr von mir zu distanzieren. Das war wirklich schrecklich für mich. Als meine Großeltern wieder zurückkamen veränderte sich vieles für mich. Es fing an, dass mich meine Großmutter beachtete. Das bedeutete nicht, dass meine Großmutter nett zu mir war, nicht einmal, dass sie mit mir sprach. Sie fing an sich dafür zu interessieren, wo ich bin. Sie fing an mich zu kontrollieren. Sie stellte Regeln auf, mit wen ich mich treffen durfte und mit wem nicht. Es endete damit, dass mir verboten wurde mich mit meinen Freunden zu treffen. Sie übten schlechten Einfluss auf mich aus, meinte sie. Ich war schon immer sehr ängstlich gewesen und hatte ihr immer gehorcht. Vielleicht deshalb, weil ich aus irgendeinen unbegreiflichen Grund wollte, dass sie mich mochte. Erst als ich 15 war, tat ich das erste mal etwas, dass gegen ihre Vorschriften war. An einem Abend schlich ich mich aus dem Haus um auf eine Party zu gehen. Es war unheimlich aufregend für mich etwas ?Verbotenes? zu tun. Meine Freunde wunderten sich, dass ich wirklich kam. Es war die erste Veranstaltung die ich besuchte. Und ich amüsierte mich wie noch nie zuvor. Als ich mich dann spät abends wieder ins Haus schlich hatte ich schon die Befürchtung erwischt zu werden. Was würde dann wohl passieren? Ich hatte noch nie etwas unrechtes getan. Ich schlich mich auf mein Zimmer rauf. Als ich meine Tür öffnete, hörte ich etwas knarren. Ich blieb wie erstarrt stehen. Ich sah einen Kerzenschein hinter mir, aber ich wagte es nicht mich umzudrehen. Dann hörte ich, wie die Tür zu dem Schlafzimmer meiner Großeltern geschlossen wurde. Ich ging mit klopfenden Herzen in mein Zimmer. Es konnte nur meine Großmutter gewesen sein. Ich kannte ihre Schritte. Immer wenn ich abends nicht einschlafen konnte, hörte ich sie umher wandern. Ich hatte Angst am Morgen aufzuwachen. Sie hatte mich gesehen. Sie musste mich gesehen haben. Aber warum hatte sie nichts gesagt? Warum hatte sie mich nicht angeschrieen? Mir war das alles ein Rätsel. vielleicht wollte sie ja gerade, dass ich mich mit dem Gedanken quäle. Morgen würde ich sicher meine Strafe kriegen. In dieser Nacht hatte ich schreckliche Alpträume. Wie ich sie hasste.


Juliana 3.

Am nächsten Tag wartete ich voller Ungeduld und voller Angst auf meine Strafe. Aber es kam nichts. Wenn ich ihr den Rücken zudrehte merkte ich, dass sie mich anstarrte. Ich fühlte mich schlecht. Ich fühlte mich, als hätte ich ihr Vertrauen missbraucht. Ein Vertrauen, das sie mir nie entgegen gebracht hat. Meine Großmutter sah so verletzlich aus. Ich hatte sie immer für kalt und gefühllos gehalten. Diese verletzliche Seite kannte ich nicht von ihr. Später merkte ich, dass es nicht ihre Verletzlichkeit war. Es war das Gefühl mich nicht mehr kontrollieren zu können. Ich wollte mein Leben nicht mehr ihr überlassen. Ich machte nun öfters nächtliche Ausflüge. Und immer wartete sie auf mich. Nie sagte sie ein Wort dazu. Nie bekam ich irgendeine Strafe. Nach der Schule kam ich nicht mehr direkt nach Hause. Selbst Helena sagte nichts dazu. Sie sah mich nur mit traurigen Augen an. Aber wir redeten nie darüber. Sie wirkte verschlossen. Ich wusste nie woran es lag, dass sie sich so veränderte.
An einem düsteren Abend kam sie zu mir ins Zimmer.
?Julia? Es ist Besuch für dich da.? Sagte sie und ging gleich wieder aus dem Zimmer. Ich hatte keine Ahnung wer das sein könnte. Es hatte mich nie jemand besucht. Ich hatte es nie gewollt. Neugierig ging ich die Stufen runter. Ich hörte Helena mit jemanden reden. Es war eine Frau mittleren Alters. Zuerst blieb ich auf der Treppe stehen und lauschte, was die beiden redeten.
?Ihre Großmutter schafft es nicht mehr. Juliana hat sich verändert. Sie braucht eine Mutter, die ihr Regeln gibt. Ich glaube es ist nicht gut für sie hier zu bleiben.? Hörte ich Helena sagen. Das versetzte mir einen Schlag. Ich hatte das Gefühl von ihr verraten zu werden. Nun wollte sie mich auch loswerden. Jahre lang hatte ich darauf gewartet von hier weggeholt zu werden. Und eines Tages, als ich beschlossen hatte das Beste aus meiner Situation zu machen, kommt eine fremde Frau und... Da erkannte ich sie. Nein, sie war keine fremde Frau für mich. Ich kannte sie sogar sehr gut. Jedenfalls dachte ich das zumindest einmal.
?Emilie?? ich starrte sie mit leeren Augen an. Meine ganze Wut, die ich jahrelang für sie empfunden hatte war mit einem Mal verschwunden. Ich lief auf sie zu und fiel ihr in die Arme. Sie drückte mich fest an sich und für einige Sekunden war ich wieder das kleine acht- jährige Mädchen. Es war solange her. ?Du bist sehr hübsch geworden, kleine Julia.? Sagte sie mir. ?Warum kommst du erst jetzt?? fragte ich und schluchzte. ?Es tut mir leid. Ich wollte ja kommen, aber dein Großvater hat es mir verboten.?
Überrascht starrte ich sie an. ?Ist das wahr?? Sie nickte. Ich hatte ein unheimlich schlechtes Gewissen. Jahrelang hatte ich sie dafür gehasst, dass sie mich in Stich gelassen hatte. Und nun, nach sieben Jahren erfuhr ich, dass es alles gar nicht ihre Schuld war. Und mein Großvater? Warum hatte er das getan? Ich konnte mir das nicht erklären. Er schien immer so verständnisvoll. Selbst wenn er nie da war, hatte ich immer das Gefühl, dass er mich mochte. ?Warum denn?? fragte ich. Emilie zögerte erst. ?Es bestand eine sehr komplizierte Beziehung zwischen ihm und deiner Mutter. Es hat nichts mit mir zu tun. Aber er duldete keine Freunde deiner Mutter in deiner Nähe.? Ich begriff das alles nicht. ?Deine Großmutter hat mich angerufen. Sie sagt, dass sie sich Sorgen um dich macht. Erzähl mir was los ist.? Bat sie.
Ich setzte mich mit ihr in mein Zimmer. Ich erzählte ihr absolut alles. Ich fühlte mich, als ob das alles nur ein Traum gewesen ist. Die ganzen schrecklichen sieben Jahre. Es würde jetzt alles besser werden. Emilie würde mich nicht in Stich lassen.
Dann fing sie zu erzählen: ?Ich weiß, dass du mich dafür gehasst hast, dass ich dich nicht aufgenommen habe. Ich wollte es ja... aber dein Großvater hat es nicht zugelassen. Ich hab alles versucht. Ich habe es dir nicht gesagt, weil ich nicht wollte das du schlecht von ihm denkst. Weil ich wollte, dass du glücklich wirst. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es dir so schlecht geht.?
?Bitte nimm mich mit.? Bat ich sie. ?Ich kann nicht. Aber ich werde in der Nähe bleiben. Du darfst deinen Großvater nichts von unseren Treffen erzählen. Versprich es mir.? Sagte sie im ernsten Ton. Ich nickte stumm. Als ich mich von Emilie verabschiedete fühlte ich mich wieder allein. Ich stand einige Minuten regungslos vor der geschlossenen Tür stehen. Plötzlich merkte ich, dass meine Großmutter hinter mir stand. Ich drehte mich um. Sie hatte wieder diesen herrischen Blick. Es machte mir Angst. Ich zitterte am ganzen Leib. Es sah so aus, als habe sie irgendetwas vor. Ich wandte meinen Blick ab. Ich konnte es nicht mehr ertragen sie anzusehen. Ich fragte mich, wie mein Leben wohl verlaufen würde. Meine Großmutter schien Verständnis für mich zu haben, indem sie Emilie anrief. Aber ich konnte ihr nicht trauen. Ich hatte das Gefühl, als spielte sie ein Spiel mit mir. Ein Spiel, dessen Regeln ich nicht kannte.
Am nächsten Morgen wachte ich mit einem komischen Gefühl auf. Ich war froh, dass an diesem Tag Schule war, denn ich wollte so schnell wie möglich aus diesem Haus raus. Ich stand auf und zog mich an. Dann wollte ich in die Küche gehen um etwas zu frühstücken. Aber da stimmte etwas nicht. Ich bekam meine Tür nicht auf. Egal wie sehr ich auch daran zog, sie war nicht aufzukriegen. Jemand hatte sie von draußen verschlossen. Ich konnte mir gut vorstellen, wer das war. Aber warum? Warum lud sie erst Emilie ein um mich dann am nächsten Morgen einzusperren? Das war mir ein Rätsel. Dann erinnerte ich mich an die Abende, an denen ich aus dem Fenster geklettert bin. Ich kletterte also aus dem Fenster. Als ich unten angekommen war, stand plötzlich mein Großvater vor mir. Er sah mich wütend an. Ich hatte ihn noch nie so gesehen. Er sah hoch zum Fenster und dann zu mir. Er holte aus und schlug mir ins Gesicht. Erschreckt fiel ich rückwärts auf den Boden. Meine Wange glühte vor Schmerz. Das hatte ich wirklich nicht erwartet. Mein Großvater zog mich am Ärmel hoch. ?Du wirst Emilie nicht wiedersehen, sonst wirst du es bereuen. Tu nie wieder etwas, was ich dir nicht gesagt habe! Geh in dein Zimmer!?
Und das tat ich. Der Schlüssel steckte im Schloss. Ich wagte es nicht ihm noch einmal ansehen zu müssen, deshalb blieb ich den ganzen Tag im Zimmer. Nun hatte ich zwei Feinde im Haus. Meine herrische Großmutter und meinen Großvater, dem ich sogar einmal Sympathie entgegengebracht hatte. Ich hatte nun Angst, dass ich Emilie tatsächlich nicht mehr wiedersehen sollte. Und wenn doch, dass mein Großvater es erfahren würde. Von diesen Tag an hatte ich panische Angst vor ihm. Meine neu gewonnene Freiheit war nicht von Dauer gewesen. Niemals mehr würde ich es wagen mich aus dem Haus zu schleichen. Aber diesen Gedanken blieb ich nicht lange treu. Ich plante meine Flucht.


Juliana 4.

Es musste alles durchdacht sein. Einen perfekten Plan wollte ich haben. Dann wollte ich in einem günstigen Moment fliehen und nie mehr zurücksehen. Die nächsten Wochen studierte ich die Zeiten, in denen meine Großeltern zu Hause waren. Auch die Einkäufe von Helena notierte ich mir auf einen Notizblock.
Ich wollte eines Nachts aus meinem Fenster klettern. Meinen Rucksack mit Lebensmittel gepackt. Meinen Schlafsack würde ich auch mitnehmen. Ich hatte Angst davor wegzulaufen. Aber noch mehr Angst hatte ich davor, hier zu bleiben.
Mein Großvater war nach diesem Ereignis wieder so zu mir, wie immer. Sogar Freundlichkeit brachte er mir entgegen. Aber ich konnte ihm nicht wieder trauen. Er hatte sein wahres Gesicht gezeigt. Und nun ließ ich mich nicht mehr täuschen.
Dann geschah etwas, das meiner geplanten Flucht einen Dämpfer verpasste. Ich verliebte mich. Es war der Bruder einer Klassenkameradin. Ich saß an meinem Tisch. Vertieft in meine Hausaufgaben. Dann kam er zur Tür herein. Ich verlor mich in seinen himmelblauen Augen. Er brachte seiner Schwester ein Schulbuch. Als er mich ansah verlor ich mein Herz. Er zwinkerte mir zu, dann ging er. Für den restlichen Tag kreisten meine Gedanken nur noch um ihn. Den gutaussehenden Fremden. In der letzten Stunde wurde mir ein Zettel zugesteckt.
?Hallo Julia, ich hab gesehen, dass du dich für Marc interessierst!?
Mein Herz pochte, sie hatte also gemerkt, dass ich ihn angestarrt hatte! Dann hatte er es auch gemerkt! Aber ich war trotzdem froh über diese Nachricht. Jetzt hatte er wenigstens einen Namen. Den ganzen Abend und den nächsten Morgen träumte ich nur von Marc. Nach der Schule ging ich Richtung Schultor. Ich sah Marc und Kelly miteinander reden. Als sie mich sah, winkte sie mir zu ich solle herkommen. Mit Angst und Glücksgefühl kam ich auf die beiden zu. Marc traute ich nicht anzusehen. Ich war mir sicher, dass Kelly ihm erzählt hatte, was ich für ihn empfand. Mir war die Situation mehr als unangenehm. ?Willst du mitfahren?? fragte mich Kelly und grinste mich vielsagend an. Ich stammelte nur eine unverstehbare Antwort heraus, aber Marc hielt mir schon lächelnd die Tür auf. ?Ich verschwinde dann mal!? rief Kelly. ?Kommst du nicht mit?? rief Marc seiner Schwester hinterher. Aber da war sie schon weg. Er fühlte sich offensichtlich ebenso wie ich von seiner Schwester im Stich gelassen. Mit einem nervösem Lächeln stieg ich in sein Auto ein. Die ersten Minuten verbrachten wir schweigend. Dann fing er an zu erzählen. Er erzählte mir, dass er Musiker ist. Er spielt Gitarre in einer Band. Am kommenden Wochenende hatte er mit seiner Band einen Auftritt im ?Medion?, ein wahrer Durchbruch, wie er mir vorschwärmte. Er bat mich zu kommen und ihm zuzusehen. Ich nickte nur, ohne eine Ahnung zu haben, wie ich es fertig bringen könnte aus dem Haus zu kommen, ohne dass es meine Großeltern merkten. Ich hatte mir zwar geschworen, es nie wieder zu versuchen, aber ich musste ihn einfach noch einmal sehen. Als er vor unserem haus hielt, sah ich die neugierigen Blicke meiner Großmutter hinter den Gardinen hervorschielen. Zu meinem Glück sah Marc es nicht. Das wäre mir ziemlich peinlich. Als ich ins Haus kam starrte mich meine Großmutter mit fragendem Blick an. ?Wer war das?? fragte sie nur in leisem Tonfall. ?Der Bruder einer Freundin.? Sagte ich rasch und wollte so schnell wie möglich in mein Zimmer. Sie redete selten mit mir, aber wenn sie es tat könnte es ziemlich unangenehm werden. ?Einen Moment!? diese Worte waren laut und herrisch. Ich drehte mich wieder zu ihr um. Mit ernsten Gesicht sah ich ihr direkt in die Augen. Diesmal wollte ich ihr meine Angst nicht zeigen. Das schien offenbar Wirkung zu zeigen, denn sie schien verunsichert. Das machte mich stolz und ich sah sie herausfordernd an. Aber meine Großmutter fasste sich schnell wieder und funkelte mich mit ihren schrecklich kalten Augen an. ?Ich will nicht, dass du dich mit Jungs triffst!? ?Du hast mir gar nichts zu sagen, du bist nicht meine Mutter!? Ich verlor die Fassung und schrie sie an. Damit hatte meine Großmutter nicht gerechnet und ganz unüberlegt schrie sie in einem rauen Tonfall zurück: ?Sei froh, dass ich nicht wie deine Mutter bin und dich einfach im Stich lasse!? Nach diesem Satz brach ich in Tränen aus. ?Wie kannst du so was sagen, meine Mutter ist tot! Sie hätte mich nie verlassen!? ?Ja, sie ist tot. Aber nicht so lange wie du vielleicht denkst. Sie hat es nicht einmal für nötig gehalten bei der Beerdigung deines Vaters dabei zu sein!? schrie sie weiter auf mich ein. ?Du lügst, du lügst!? schrie ich mit Tränen in den Augen. Ich fühlte mich hilflos. Ich wollte ihr nicht glauben. Aber ich wusste, dass sie die Wahrheit sagte. Ich fühlte mich wie damals, als ich von dem Tod meines Vaters erfuhr. Meine kleine Welt war wieder ein kleines Stückchen mehr zusammen gebrochen. Ich lief in mein Zimmer, ich konnte ihr nicht mehr in die Augen sehen. Ich verstand das alles nicht. Meine Mutter war nicht seit Jahren Tod, wie mir mein Vater erzählte. Warum liebte sie mich nicht?
 
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Kommentare  

Eine schöne Geschichte, echt lesenswert, nur leider bisher ohne Ende.... 4 Pts

Dr. Ell (08.02.2004)

Spannende Geschichte, sehr mysteriös und aufregend. Gut gelungen, auch wenn mir die Zeitsprünge ein wenig zusetzten.
Wäre schön zu erfahren, wie es weitergeht.

5 Punkte

PS: Ich hasse das Ein-Fragezeichnen von wörtlichen Reden.


Redfrettchen (15.11.2003)

Sachlich und nicht Emmotional überzogen erzählst Du ein Schicksal von dem man Zeile für Zeile immer mehr in den Bann gezogen wird.
Was passiert noch mit Juliana ? Wird Juliana mehr über ihre Mutter erfahren ?
Was war mit der Mutter und warum sind Oma und Opa so seltsam ?
Bin gespannt auf den 2.ten Teil einer guten Geschichte. 5 Punkte für Dich


Maxson (12.07.2002)

Die arme Kleine kann einem schon Leid tun und ich hoffe, diese Story trägt keine autobiografischen Züge.
Die Handlung scheint mittendrin abzubrechen - gibt es denn noch mehrere Teile?
An der Rechtschreibung und Interpunktion könnte noch ein klein wenig gearbeitet werden. Auch kommt es nicht so gut, wenn drei Sätze hintereinander mit "Ich" oder "Aber" anfangen. Das klingt dann so stereotyp.
Ich hoffe auf einen zweiten Teil - es muss doch in Julias Leben auch irgend etwas Positives geben!
4 Punkte


Gwenhwyfar (11.07.2002)

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