288


5 Seiten

Lehrer sind auch Menschen

Kurzgeschichten · Erinnerungen
© eli fante
Ernst Schulz war mein erster Klassenlehrer – Lehrer für Deutsch und Geschichte.
Mein Vater und er waren befreundet, sie diskutierten manches Mal bis tief in die Nacht über Gott und die Welt, führten Streitgespräche, mein Lehrer war Katholik, mein Vater Atheist.
Diese Freundschaft war mir in der Schule nicht unbedingt hilfreich. Im Gegenteil, sie brachte mir nämlich gleich mehrere Handicaps ein.
Bei meinen Mitschülern führte sie zu Hänseleien mir gegenüber, da sie glaubten, ich würde bevorzugt und bekam gute Noten dank dieser Freundschaft.
Dabei konnte ich bereits mit fünf Jahren lesen, noch dazu alte deutsche Schriftzeichen und die neuen sowieso. Deshalb fiel mir auch Schreiben nicht schwer, Malen fiel mir zu, Rechnen war nicht meine Stärke – konnte ich damals aber noch gut verheimlichen und mein Singen war einfach furchtbar, vom Turnen rede ich lieber gar nicht.
Zum anderen waren meine Mitschüler furchtbar neidisch – wenn sie Lesen pauken mußten, wurde ich in den Deutschstunden nämlich von den Lehrern einkaufen geschickt. Milch und Brötchen holen, manchmal auch Zucker oder Butter vom Russen, fast ungenießbar gesalzen und in 25 kg Blöcken, alles auf Marken und bei „ Tante Emma Wilkendorf „.
Manchmal gab es bei Tante Emma fünf „CASINO“ in Papier gewickelt und pro Person.
Dann wurde ich an solchen Tagen auch schon mal vom Musik- oder Sportlehrer zusätzlich einkaufen geschickt. Vielleicht habe ich da ja meine Sport- und Gesangsuntauglichkeit her. Das ausgerechnet mein Musiklehrer, genannt Flöten - Willi, und meine Sportlehrer, Frau und Herr Arnold, mich zum Zigaretten holen schickten, statt mir den notwendigen Unterricht angedeihen zu lassen, verstand ich zwar nicht, fand es aber gerecht. Weshalb sollten sie sich mit ihrer schlechtesten Schülerin herum plagen, wenn sie sie so effektiver einsetzen konnten.
Zu Flöten - Willi hatte ich ein recht gestörtes Verhältnis. Einmal bewarf er mich mit seiner Flöte – ich sang sicher mal wieder furchtbar falsch und „ Casino „ gab es schon seit Wochen nicht – traf aber mein Nachbarin am Kopf, Renate, Tochter des einzigen Geflügelzüchters am Ort. Seither ging das Gerücht um, Flöten – Willi müsse aus Gründen eines erhöhten Cholesterinspiegels nunmehr auf Eier und Brat- oder Suppenhuhn auf seinem Speiseplan verzichten.
Ich wußte es besser.
Arnolds waren durchtrainierte, blaubehoste, sportliche Typen. Sie konnte am 1. Mai die rote Fahne mit ausgestrecktem Arm durch den Ort tragen. Er konnte besonders den Mädchen beim Sportunterricht die Beine beim Handstand, den Brustkorb beim Kasten springen und den Po beim Feldaufschwung halten und stützen. Er fing sie auch immer sehr fürsorglich auf, beim Abgang vom Reck und kümmerte sich rührend in der Umkleidekabine darum, daß auch alle ihre richtigen Trikots anzogen. Da kann man doch nicht meckern, ein wirklich feiner Sportlehrer. Ansonsten durfte ihm aber niemand beim Sprechen in die Augen sehen, da er sonst mächtig zu stottern anfing und völlig verunsichert wurde.
Ich konnte schon immer besser jemanden in die Augen sehen als turnen.
Doch zurück zu meinem alten Klassenlehrer Schulz. Ende der fünfziger Jahre wurden seine Beichtgänge weniger, die nächtlichen Gespräche mit meinem Vater wurden häufiger, intensiver, aber auch leiser. Manchmal fanden die Gespräche auch nur in dem beige – roten Trabant de luxe statt, den mein Lehrer fuhr und um den ihn das halbe Dorf und die ganze Lehrerschaft beneidete.
An einem verregneten Samstag fuhren beide nach Berlin. Mein Vater durfte das offiziell, da er dort Tiermedizin abholte, Herr Schulz war diesmal Beifahrer in seinem eigenen Auto.
In Berlin fand er die S-Bahn besser als seine de luxe – Pappe und fuhr und fuhr und konnte nicht aufhören, nahm in Westberlin einen Zug und fuhr und fuhr bis er in Köln ankam.....
Manchmal bekamen wir eine Postkarte, anonym, auf der geschrieben stand, daß er nun Direktor an einer Schule sei und wieder zu langen Beichten in die Kirche gehen könne. Einen Freund fand er nicht mehr, aber wir fuhren lange noch den beige – roten Trabbi und ich mußte mich an einen neuen Klassenlehrer gewöhnen.
Für Lehrer Schulz kam Genosse Schulze an meine Schule. Er war groß und durchtrainiert, stand mit Deutsch auf Kriegsfuß, brüllte statt zu sprechen, ging nicht in die Kirche und wurde der stellvertretende Direktor.
Als ich 1966 die Schule verließ, war er Hofpausen - Aufsicht und Direktor in spe, verantwortlich für GST (Gesellschaft für Sport und Technik – heute würde man Wehrunterricht sagen), Parteisekretär an der Schule und bekam 1968 von einem Schüler einen Zahn ausgeschlagen.
Das war schade, es hätten auch mehr sein können.
Die neue Klassenlehrerin wurde Frl. Brand. Sie gab sich streng, immer in einem himmelblauen, schlecht sitzendem Kostüm mit weißer Stehkragenbluse gezwängt, blond und Hornbrille, Wasser ziehende Seidenstrümpfe.
Damit wir Schüler merkten, daß sie im Klassenzimmer war, knallte sie mit dem Klassenbuch oder dem Zeigestock auf das Pult oder die Tafel. Ihr Unterricht wurde immer wieder von ihren hysterischen Phasen unterbrochen – sie litt wohl sehr unter dem Schulstreß. Dabei meinten es die Schüler eigentlich nur gut mit ihr. Einmal hat Hartmut, er war der Klassenälteste und kannte die 4. Klasse bereits seit drei Jahren, Speckscheiben auf dem eisernen Ofen gebraten und verteilt. Wir griffen natürlich gern zu, nur Frl. Brand rannte heulend aus der Klasse.
Ich glaube, sie mochte keinen fetten Speck.
Meine inneren Qualitäten, die mir allerdings zu dem damaligen Zeitpunkt nicht bewußt waren, hatte sie messerscharf erkannt und auf meinem Zeugnis der 4. Klasse stand im Textfeld: „ ....ist herrschsüchtig und macht sich ihre Mitschüler untertan. Die Klasse ist ihr hörig...“. 1961 ging Frl. Brand nach Uchtsspringe und ward nie mehr gesehen.
Lehrer Pfeffer war blondgelockt, unterrichtete Chemie und hat sich beim Eigenbau von Silvesterknallern beide Hände verbrannt – Chemieunterricht fiel ein Jahr lang aus und wurde dann im Schnellverfahren von unserem Physiklehrer mit übernommen. Dieser litt an allen
möglichen chronischen Gebrechen und war eigentlich immer nur in den Ferien gesund.
Damals fand ich das toll, Unterrichtsausfall, keine Kontrollarbeiten, geschätzte
Leistungen auf den Zeugnissen – heute wäre ich manchmal froh, fundiertere Kenntnisse mein
eigen nennen zu können; Enkelkinder legen manchmal in ihren Fragestellungen eine gewisse
Penetranz an den Tag.
Herr Lehmann war toll. Obwohl Mathe - Lehrer, ein wirklich Klassemann. Ich habe nie erlebt, daß er seine Ruhe verlor. Er konnte ganz prima lehren, erklären, zuhören und er bewies immer Verständnis. Er war eine Mischung zwischen Lehrer, Vater und Freund.
Toll ! Ich mochte ihn sehr.
Dann gab es noch die Russischlehrerin gleichen Namens wie der „Spiegel“ - Herausgeber.
Sie unterrichtete Russisch, als wenn sie mit Stalin per Du, mit Lenin im Bett und mit Chrutschow verwand war. Hoch lebe die DSF ( Deutsch - Sowjetische - Freundschaft).
„ ...ja rodilaß 17.oe maja 1950 goda, moja iemja eli....“- viel mehr ist nicht vom Unterricht geblieben.
Von meiner Lehrerin für Deutsch, Frau Fischer, genannt das Puterei, kommt später noch einmal ein Kapitel. Sie war nicht nur Lehrerin, sie war auch meine Tante.
Mein letzter Klassenlehrer, auch Lehrer für Geografie und Zeichnen, nenne ich hier nur Rainer L., er lebt noch in meiner Stadt und könnte sich durch Zufall wiedererkennen. Will ich aber nicht, er hat heute parteipolitische Funktionen und sollte seine Diäten in Ruhe genießen können.
Also Rainer L., 160 cm hoch, gerade fertig mit dem Studium, kumpelhaft, ohne Autorität, versuchte, uns in die Geheimnisse der Erde, der politischen, ökonomischen Ausbeutung derselben mit großem zeichnerischen Talent beizubiegen. Schwierig für ihn und für uns. Es gelang mir zwar immer, daß die Klasse einigermaßen ruhig zuhörte, sich auch mal am Unterricht beteiligte – aber das taten sie auch nur, weil ich sie ganz gut im Griff hatte.
Wie war das mit der Hörigkeit der Klasse?
Es gibt dazu auch noch die Episode „ Klassenfahrt „ - dazu in einem anderen Kapitel mehr.

L. habe ich nach meiner Schulzeit zwei mal wiedergesehen.
Das erste Mal war ich mit meinen Kindern in der Dauerausstellung „ Weltall, Erde, Mensch „ in unserer Stadt – hier konnte man ihn für die Führung durch die Ausstellung mieten.
Das zweite Mal konnte ich ihn zu mir in die Firma bitten, wir hatten Berührungspunkte in Bezug auf Immobilienvermarktung.
Ich erkannte ihn sofort wieder und er erinnerte sich sofort an die „ Klassenfahrt“.
Die Gesprächsführung verlief hervorragend und genau nach meinen Vorstellungen.

Bestimmt habe ich viele Lehrer nicht erwähnt, obwohl sie es verdient hätten – dafür entschuldige ich mich. Ich bin gern zur Schule gegangen und war auch eine ganz passable Schülerin – nur die Lehrer hatten oft Probleme mit mir.
Als Herdentier habe ich mich nie wohl gefühlt und Unterordnung oder Einordnung in ein Klassenkollektiv fiel mir schwer, Pioniernachmittag waren mir ein Greul.
Ich glaube aber, mit Lehrer Schulz und Lehrer Lehmann als Privatlehrer für mich, wäre ich die beste aller Schülerinnen geworden.
Sie wollten mich nie verbiegen, ließen meine Gedanken zu, gaben Wissen und Menschlichkeit an mich weiter. Dafür danke ich ihnen.

Hier das versprochene Rezept einer Schulspeise aus den 60er Jahren.

„ Jägerschnitzel in Carnito mit Makkaroni „

Die angegebene Menge ist für 10 Portionen berechnet; sollten es mal 15 Portionen werden müssen, schneiden wir die Jagdwurstscheiben in Streifen und nehmen 4 l Makkaroniabgieß-Wasser.
Dann heißt das Gericht „ Nudeln in pikanter Tomaten – Wurstsoße“

- Kompott vom Streuobst
- 1 Paket Makkaroni in 10 l Salzwasser glibberig kochen. Glibberig hat den Vorteil, daß sie vom dreigeteilten Plastegeschirr wie von selbst in den Futterkübel der Schweinemaststation der LPG Typ 3 rutschten.
- 1 Glas Carnito ( Tomatensoße mit Formfleisch vom Rind ) in 2,5 l Makkaroniabgieß -Wasser einrühren.
- 10 sehr dünne Scheiben Jagdwurst in dicke Semmelbrösel - Panade verstecken und in viel, wirklich viel Öl braten.
In die größte Abteilung des Dreiteilers aus Plaste die Makkaroni eingeben, in die kleine rechte Abteilung das Jägerschnitzel, in kleine linke das Kompott aus Streuobst und das ganze mit Tomaten-Formfleisch-Soße beschütten.


13. 09. 2002
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

danke für die herrliche erheiterung

Lana (27.12.2005)

Ich finds einfach Klasse. Das Rezept am Ende allerdings hat mich an den Rand der Sprachlosigkeit getrieben. Das ist ja eine der schlimmsten Rationalisierungsmaßnahmen im Kantinenbereich, den ich je gehört habe! Mein Nudelherz schmerzt.

Andre (15.10.2002)

Wie wäre es mit Jägerschnitzel in Carnitosauce und Makkaroni ? Rezept s. o.

eli fante (13.09.2002)

***** herzhaft gelacht!!! Doch wo bleibt das Rezept? Vielleicht für damals typische Schulspeisung oder sowas???

Teleny (13.09.2002)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Beste Freunde  
24. Oktober  
Rechtfertigung zu einem Ach...  
Ach....  
Glück gehabt  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De