11


3 Seiten

Such Dich doch

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Meine Großmutter wollte mir in meiner Jugendzeit immer vor Augen führen, wie wichtig es sei, später einmal viel Geld zu verdienen. Damals habe ich sie verstanden. Ich habe ihr zugestimmt. Und ich war tatsächlich von Ihrer Aussage überzeugt. Gleich nach der Hauptschule habe ich deshalb ein Wirtschaftsgymnasium besucht. Sicher, ich hätte ein toller Banker werden können, ein toller reicher Banker mit Stadtwohnung, Villa im Grünen und Jaguar. Ich kann immer noch ein toller Banker werden, ein toller Banker mit Stadtwohnung, Villa im Grünen und Jaguar. Komisch, ich will gar kein toller Banker werden. Auch keiner mit Stadtwohnung, Villa im Grünen und Jaguar. Seltsam, da habe ich doch tatsächlich das Potential, einen riesigen Haufen Geld zu verdienen und vergeude mein Leben mit leben statt mit Arbeit.

Manchmal durfte ich bei ihr im Haus schlafen, wenn meine Eltern verreist waren. Wir hatten nicht oft Gelegenheit, uns zu unterhalten. Aber es war immer ein besonderer Zauber in den Gesprächen mit ihr. Vielleicht auch deshalb, weil sie an der Zahl so gering waren. Sie hat mir sehr viel beigebracht. Von Ihr weiß ich, dass das Abbild der Maria über meinem Bett mich beschützt. Es hilft mir beim Einschlafen. Und wenn mir das einmal nicht hilft, dann helfen mir die Schafe, die ich zähle. Ich kann zählen. So viele Schafe wie ich zählen kann wird es auf der ganzen Welt nicht geben - Neuseeland nicht mit eingerechnet. Wenn das alles nichts hilft, muss ich ganz lange den Atem anhalten. Aber nicht so lange, dass ich gar nicht mehr aufwache. Das habe ich nicht gedurft, zumindest nicht in ihrem Haus. Was weiß ich denn noch so alles von ihr? Mal überlegen. Hm Tja, dann war es wohl doch nicht so viel. Dann war der Schatz, den sie an mich weitergegeben hat doch nicht so üppig. So kann man sich irren.

Ich vergaß: von ihr weiß ich, dass ich fortgehen muss, wenn ich Heimweh habe. Von Ihr weiß ich, dass Gott im Himmel ist und dass Gott ein Mann ist, und dass Gott immer Jesus und noch einen zweiten an seiner Seite hat.

Eigentlich müsste man ihr sagen, dass sie sich geirrt haben muss. Eigentlich sollte sie mit 72 Jahren wissen, dass Ihre Theorien, die sie sich zurecht gelegt hat, nicht stimmen können. Man sollte sie wissen lassen, dass wir Menschen auf der Erde nur kleine Wichte sind, die sich versehentlich die statt der Erde untertan machen. Es wäre fair ihr mitzuteilen, dass sie von ihrer Mutter belogen worden ist, und dass Ihre Mutter ebenfalls von ihrer Mutter belogen worden ist. Und dass die Mutter der Mutter Ihrer Mutter genauso hinters Licht geführt worden ist. Man hätte es ihr sagen sollen. Schade.

Heute verstehe ich sie nicht mehr. Ich bezweifle, dass mein Horizont sich verengt hat. Zwar merke ich, dass sie ihren Mund bewegt, zwar merke ich, dass sie spricht, doch kann ich keinen Sinn in ihren Sätzen erkennen. Es sind nichtssagende aneinandergereihte Worte. Genau wie damals. Mit demselben klugen Gesicht. Mit derselben angenehmen Stimme. Mit denselben Worten. Mit demselben Inhalt.

Vielleicht hat sie auch gar nichts mehr zu sagen mit ihren 72 Jahren. Zumindest nichts, das ich noch nicht gehört hätte. Stutzig macht mich nur, dass ich auch Schwierigkeiten habe, andere zu verstehen. Dich verstehe ich auch nicht. Warum liest Du das jetzt? Muss das sein? Du könntest jetzt etwas sinnvolleres unternehmen. Du könntest alten Menschen die Windeln wechseln. Du könntest Dich mit Deinem Freund oder Deiner Freundin vergnügen. Du könntest Deine Erbinformation weitergeben. Du könntest sicherstellen, dass Deine Familie nicht ausstirbt. Du könntest Dich danach ausruhen. Du könntest leben. Du könntest etwas aus Dir machen. Du könntest einen Brief an Deinen alten Schulkollegen schreiben, den Du damals so grässlich gehänselt hast. Es ist nicht zu spät, Dich zu entschuldigen. Es ist nicht zu spät, ihm zu zeigen, dass Du im Unrecht warst. Es ist nicht zu spät, ihm zu zeigen, dass er doch auch ein Mensch ist, wenn freilich ein geringerer, doch auch in gewisser Weise, irgendwie jedenfalls eine Art Mensch. Vielleicht ein Untermensch, aber ein Mensch. Es ist nicht zu spät, ihm ein Geheimnis zu verraten. Verrat ihm doch endlich, ...dass er aufhören soll zu suchen. Er wird es nicht begreifen. Nicht wenn Du es ihm sagst, nicht wenn Du nichts sagst. Aber Du hättest es zumindest versucht. Du hockst vor Deinem Computer und vertrödelst Deine Zeit. Auf der Suche nach Dir selbst. Ich kann Dir helfen, sehr viel Zeit zu sparen. Ich verrate Dir ein Geheimnis... Auch wenn Du noch so lange suchst, Du wirst nichts finden, Nichts, dass Dir gefällt. Du wirst einsehen müssen, dass diese Welt nicht in jeder Hinsicht Deinen Vorstellungen entspricht. Da kannst Du uns ruhig weiter vorgaukeln, wie glücklich Du bist. Wir glauben Dir nicht. Du bist es nicht, und Du wirst es sobald auch nicht werden. Schade. Schade um die Zeit, die Du wieder einmal vergeudet hast. Du wirst es wohl nicht begreifen. Oder ich. Mach`s gut. Und vergiss nicht ... verdammt, jetzt hab ich`s vergessen.

Eurer Anton Haller alias Haller Anton
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Danke für deinen Kommentar! Anscheinend wird der Text auf sehr unterschiedliche Weise aufgenommen, aber das ist ja auch völlig ok, schließlich hat jeder beim Lesen sein eigenes Auge! Freut mich, wenn er deinem gefällt.
Gruß
Christian Hoja


Chrstian Hoja (07.12.2007)

..aber den Titel finde ich echt cool

Oliver (23.09.2002)

Am Anfang fand ich die Geschichte irgendwie schön lustig, weil so real.
von wegen "Ich verstehe meine Oma nicht mehr".
Später wurde es dann spekulativ. Gefiel mir nicht mehr so gut. Glaube das liegt an aber an meinem persönlichen Geschmack. Es war auf jeden Fall ein Gewinn das hier zu lesen.


Oliver (23.09.2002)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
F***: Die Vorjury  
Black Misery  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De