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5 Seiten

Grau

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© Shiva
Grau waren die Wolken, grau war der Himmel, selbst die Gesichter der Menschen schienen zu konkurrieren mit diesem Grau. Es war soviel grau, dass ich Angst bekomme, selbst so grau zu sein, bedeutungslos- nichtig- das ist, was grau für mich ist- und ja, ich weiß ich bin grau, bedeutungslos und nichtig, ja ich weiß, ich bin nicht rot, ich bin nicht gelb, ich bin höchstens schwarz oder weiß, vielmehr schwarz, als weiß, das steht mir nicht zu, das steht diesen Menschen zumeist nicht zu, doch meistens bin ich grau. Nichtig, auf diesem Planeten, nichtig, in diesem Universum, nichtig, unbedeutend und wie paradox erscheint mir in jenem grauen Moment dieser Gedanke, im Wissen, wiesehr Ernst ich mich doch oft nehme, wieoft ich mir denke, dass sich die Welt um meine Nichtigkeit drehen müsste, ich ein Mittelpunkt jener Welt sein müsste, und man meine Taten lobend oder tadelnd beurteilen müsste, wo doch alles so nichtig ist wie ich.

Ich gehe schneller, meine Gedanken Kreisen sich, wie ein Karussell, und ich habe das Gefühl ohnmächtig zu werden in diesem Gedankenkreisel, umzufallen, und ich befürchte, die Menschen sehen meine geistige Ohnmacht bereits, ich habe Angst vor diesem Moment, und da erkenne ich erneut, dass ich mich schon wieder als zu wichtig ansehe, da ich denke, dass die Menschen die an mir vorüberziehen mich erkennen, doch das tun sie nicht. In meinem nichtigen Grau bin ich gut getarnt, denn sie selbst sind alle grau, ich erkenne sie genauso wenig, sehe sie nicht, sie gehen, fliehen, schweben vorbei, und ich beschließe sie anzusehen, schwöre mir, mehr zu sehen als nur dieses Graue, und ich schaue ihnen in ihre Gesichter, die kalt sind, bitter, grau, sie starren, ins Leere, in die Lieblosigkeit, und kaum einen nimmt mein Augenlicht wahr, der nicht dieses Grau, diesen erbleichten Blick der Resignation vor sich herträgt, in sich trägt.

Kurz schließe ich die Augen und halte fest, was ich sehe. Doch da ist es wieder, dieses wirre Drehen in meinem Kopf, es dreht sich erneut, und ich versuche, dem Wahnsinn, welches dieses Gefühl auslöst, zu entgehen indem ich mir vorstelle, in meinem Kopf sei eine Zentrifuge und das Drehen täte mir gut, da es letztendlich nur die schlechten Gedanken von den guten trennt, damit ich das Wirre, unbändige in mir, das jetzt - und schon so oft- rebelliert- für immer vernichtbar zu machen, denn wenn sie hervorgetreten sind, gelöst sind, kann man sie nehmen und für Allezeit vernichten.

Ich öffne die Augen erneut und sehe hektisch um mich, ob sich die Welt nun verändert hat, aber nein, es ist zu meinen Leidwesen immer noch dasselbe, ekelhafte Grau, ich beginne es zu hassen, ich beginne darunter zu leiden, und starre in den Himmel, doch es ist keine Sonne zu sehen, es ist immer noch grau, und ich verzweifle, gehe schneller und schneller, um rasch ans Ziel zu kommen, und dieser Strasse, diesem grauen Gefängnis, dieser grauenhaften Erkenntnis zu entkommen, indem ich mich in meine Arbeit stürze, und so ziehen die Massen, diese Unmengen von Leuten, die alle Hektiker zu sein scheinen- doch das bin ich auch- heute- denn ich muss fliehen, schnell an mir vorüber, doch ihre Gesichter, ihr Grau, dieses Nichts, es bleibt an mir kleben, ich spüre es, und ich höre wie mein Ratio selbst mich mahnt " aber sie kleben nicht, weil du von Interesse wärst und sie dich betrachten, sie kleben, weil du denkst sie kleben " und am liebsten würde ich schreien, ich frage mich, was los ist mit mir, überlege, ob ich zuwenig Schlaf hatte, oder etwas in meinem Umfeld nicht stimmt, doch, es ist alles wie es war, und es
sein sollte.
Ich verteufle den Himmel, dieses Grau, und denke, dass es nicht an mir liegt.
Da bin ich endlich am Ziel, dort ist es, mein Refugium, wie warm und einladend es doch aussieht.
Halt. Ich bin ja noch immer hektisch.Doch hier bin ich sicher, hier geht es mir gut.Ich werde mich waschen, von diesem Grau, das an mir klebt, ich werde es nicht hereintragen. Tief atme ich ein, sauge all die Luft in mich und stoße sie wieder aus. Ja, nun bin ich befreit, und betrete lächelnd die Türe, gehe in den Keller, wo ich meine Kolleginnen und Kollegen lächelnd grüße. Sie sind weiß, was nicht an ihrer weißen Kleidung liegt, sie sind weiß weil sie lächeln und sie zufrieden scheinen.
Ich ziehe mir meine Arbeitskleidung an, meine weißen Pantoffeln, wasche mir die Hände mit Desinfektionsseife und gehe wieder hoch, in den ersten Stock, um mit meiner Arbeit zu beginnen. Lächelnd gehe ich zuerst in den Aufenthaltsraum, um die rüstigeren unserer Patienten zu begrüssen.
Seit vielen Jahren sind sie mir vertraut, unsere Ältesten, ich arbeite seit 8 Jahren im gleichen Altersheim, und ich liebe meine Arbeit, da es mir gut tut, wenn ich helfen kann, und da die Bestätigung, die ich zurückbekomme, sehr heilend ist für mich. Ich gehe zum ersten Patienten, begrüße ihn, und er fragt mich, ob er ein Müsli essen darf. Ich nicke, und gehe schnell in die Küche, um ein Müsli für ihn zu holen, setzte mich neben ihn um ihm beim Essen zu helfen. Doch als ich ihm in die Augen sehe, zucke ich kurz zusammen. In diesen Augen ist kein Leben. Ich sehe seine Schwäche, ich sehe seinen gebrochenen Willen. Ich schaue ihm zu, wie er sein Müsli schluckt, betrachte seinen Mund, die Mundwinkel wirken als hingen schwere Gewichte daran, welche sie nach unten ziehen würden. Ich bekomme Angst.Vor mir selbst und dieser Ausdruckslosigkeit. Ich sehe genauer hin und presse meine Lippen zusammen. "Ist das Grau?" frage ich mich. Und bevor ich mir selbst diese Frage beantworte, stehe ich auf, das Müsli immer noch in der Hand, und ich nehme es nicht wahr, aber ich weiß, wie der Mann mich jetzt wohl ansieht... unverständig, verwirrt...und ...und grau. Ich gehe wortlos in die Küche, stelle das Müsli ab, und haste in den zweiten Stock, wo die schweren Pflegefälle in ihren Betten liegen, und darauf warten, Verbände gewechselt zu bekommen, so beuge ich mich über die erste Patientin, frage sie, wie es ihr geht, um niemals eine Antwort zu erhalten, doch das Glänzen in ihren Augen als eine Danksagung für meine Zuneigung zu sehen, und ich streichle ihr über ihr Gesicht und sehe in ihren Augen, soviel mehr als sonst, ich sehe tiefer und tiefer und sehe mein Gesicht, und mein Gesicht ist mindestens so leblos wie das ihre, ich lasse meinen Blick zu meiner Hand gleiten die immer noch automatisiert ihr Gesicht streichelt, und ich betrachte meine Hand, die hier anscheinend gutes tut, doch in Wahrheit nichts anderes macht als zu arbeiten, und ich erkenne.
Ich erkenne, dass mein Herz einst sozial war, und nun Maschinerie ist, eine Maschinerie, deren Treibstoff der anderen Leid ist, und deren Aufgabe aus Fürsorglichkeit die einprogrammiert und einer Liebe, die beginnt, wenn man das Haus betritt, und geht, wenn man das Haus wieder verlässt. Den Tod nehme ich jeden Tag wahr, und erschreckend der Gedanke, dass ich doch selten trauere, er mich kaum berührt, obwohl ich all diesen Menschen die hier liegen, das Gefühl gebe, dass ich tiefe und aufrichtige Zuneigung für sie hege, und alles, was ich für sie tue, gern tue.
Ich halte mir den Kopf, gehe ein paar Schritte im Zimmer zurück und lasse mich kraftlos in einen Sessel sinken.Immernoch liegt meine Hand auf der Stirn während das Gedankenkarussell erneut beginnt sich zu drehen und ich mich frage, warum ich all diese Jahre so blind war. Scheinbar selbstlos habe ich mich aufgeopfert all diese Jahre, in diesen vielen Überstunden, indem ich mich haltlos in meine Arbeit gestürzt habe, lange hab ich es geschafft, gar vor mir selbst zu verheimlichen, dass es nicht Selbstlosigkeit war, sondern ich auf der Suche war, nach dem Dank, den ich bekommen könnte. Ich sehe mich selbst, wie ich vor dem Spiegel stehe, mein Gesicht bedeckt durch eine Clownsmaske, die mit einem irren Grinsen meine Schuld die ich an mir selbst begangen hab, beweist. Und ich nehme die Maske herunter und was ich sehe ist.. grau. Verblasst, vereinsamt, verausgabt, leer.

Alles was ich dachte zu sein, ist heute in diesem Grau verschwunden, oder war das grau transparent?
Ein Gefühl der Übelkeit steigt in mir hoch, ich gehe aus dem Zimmer, ins Büro, und sage meinen Mitarbeiterin, dass ich nach Hause müsste, weil ich solche Kopfschmerzen hätte dass kein einzig klarer Gedanke zu fassen mehr möglich ist. Ich sehe sie an während ich mit ihnen spreche und frage mich ob sie es wissen, was ich weiß. Ob sie um ihre Heuchelei wissen.
Ob sie um ihre Bedeutungslosigkeit wissen...
Ich verliere mehr und mehr an Kraft und verlasse das Büro schnell wieder, renne in den Keller, ziehe mich um, renne hinaus, auf die Strasse, die böse Strasse, die mich meiner Nichtigkeit bewusst gemacht hat. Ich renne und renne, nehme nichts mehr um mich wahr, remple Leute an, höre schimpfen, doch ich renne weiter, so schnell es geht, mein Atem geht schneller, mein Herz klopft so schnell wie die Gedanken in meinem Kopf, und schnell, doch erschöpft bin ich zuhause, sperre meine Türe auf, renne ins Bad und übergebe mich. Ich übergebe mich einmal, zweimal, dreimal, um mich dann hustend wieder aufzurichten, zum Waschbecken zu taumeln und mir mein Gesicht zu Waschen.
Wie eine Irre schrubbe ich es, und sehe mich im Spiegel an, wie ich über dem Waschbecken hänge, wahrlich, ein Häufchen Elend bin ich , nicht mehr, nein, nicht mehr bin ich. Das Haar hängt mir strähnig ins Gesicht. Dieses vertraute Gesicht welches plötzlich so fremd...Ich starre mich an und ein widerliches Ekelgefühl macht sich erneut in mir breit. Hass. Schnell drehe ich mich um, bevor ich in Versuchung komme, dieses Gesicht zu schlagen, um
doch nur das Spiegelbild zu schlagen.Ich gehe zur Dusche, ziehe meine Jacke aus, sie ist grau, reiße mir die Kleider vom Leibe, und stelle mich unter die Dusche um mich reinzuwaschen. Ich nehme den Schwamm und schrubbe und schrubbe, doch der Dreck geht nicht
weg, und nachdem meine Hände aufgeweicht sind, und das Wasser mir hart und schmerzhaft erscheint, hülle mich in meinen Bademantel, und lege mich ins Bett, weinend, schreiend, fluchend, hassend, leidend, grau. Ich vergrabe mich unter der Bettdecke, und hoffe, einzuschlafen und niemals mehr zu erwachen.Doch draußen ist es hell, und ich werde nicht müde, selbst wenn mir scheint, alle Lebenskraft ist mir entwichen.
Ich liege, starre auf die Uhr auf meiner Wand, jede Minute sehe ich ziehen, ich warte, und ja, endlich wird es Abend. Mein Telefon klingelt, ich höre die Stimmen meiner Freunde, als sie auf den Anrufbeantworter sprechen. Verzweiflung, ich will sie nicht mehr. Sie sind bedeutungslos, wie ich es bin, und ich halte es nicht mehr aus, schalte den Fernseher ein, und starre mir dieses Nichts an.
Ich nehme weder wahr, was gesprochen wird, noch nehme ich war, was ich ansehe, doch wieder kommt der Ekel...haltlosigkeit...aber dann, irgendwann kam ER, schwarz und allumfassend, der Schlaf. Ich spüre wie er mich endlich einholt, und ich freue mich, denn er wird mich ruhig machen, um mich morgen wieder ins Leben zu schicken, erbarmungslos wie heute? oder wird es schlimmer werden? So wie sooft, wenn ich sah, wie das schützende Haus welches mich umgab, zusammengestürzt war, und das Fundament in der Erde versank, wo ich doch dachte, es könnte nicht mehr schlimmer werden. Doch was war das damals schon.. verglichen mit dieser schmerzhaften Erkenntnis..
Seufzen, Augenschließen, einschlafen.
Morgen ist ein neuer Tag...
Dennoch werd ich morgen nicht vergessen haben was heute ist.
Ich habe Angst, doch haben das nicht alle?
 
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Kommentare  

Ich habe mir deine Geschichte übers Wochenende zu Gemüte geführt. Ich habe sie morgens um 7.00 Uhr an enem ruhig gelegen See gelesen, weil ich erwartete, daß sich ihre Wirkung dadurch irgendwie verändert.
Ich finde sie nährt ein bißchen den nagenden Zweifel in mir, und berührt letzten Endes doch wieder den Überlebensinstinkt. Das Lesen dieser Geschichte läßt mich sehr stark mitfühlen.
Das hast du gut gemacht.
Falls es dich interessiert: Es gibt einige Flüchtigkeitsrechtsschreibefehler-hast du in Eile geschrieben?
So das war es. Danke, du hast mir geholfen, das Karussel in Gang zu halten.


Oliver (13.05.2003)

sehr schöne gefühlsumschreibung (abgesehn von ein paar fremdwörtern, die mir leider nix/kaum etwas sagten)... ich wollte nur noch eines loswerden: Dinge haben die Bedeutung, die DU ihnen gibtst... die Protagonistin sollte aufpassen, dass sie sich im Grau nicht verliert...
Lieben Gruß


*Becci* (06.10.2002)

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