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5 Seiten

Die Tragödie von Bearnshire

Schauriges · Kurzgeschichten
Mein Name ist Dr.Roylott, James Roylott. Diese Geschichte, oder sollte ich vielleicht sagen, dieser Bericht, er übersteigt nicht nur die Vorstellungskraft jener die diese Zeilen einmal lesen werden, auch ich zweifele an der meinigen. Doch ich bin mir sicher, das dass was ich damals sah, mit meinen eigenen Augen, dass das keine Wahnvorstellung war. Ich war nie ein Mensch Gottes, glaubte nie an den Teufel, noch an andere übernatürliche Wesen oder Prophezeiungen, vielleicht war das der Grund, die Strafe, warum ich das erfahren musste, was ich nun hier erzählen möchte. Es erscheint mir selbst so unwahrscheinlich, dass es mir schwer fällt die richtigen Worte zu finden, meine Gedanken zu ordnen.

Damals konnte ich niemandem erklären was wirklich passierte, jeder hätte mich für verrückt erklärt, vielleicht werden das die Leute auch heute noch tun, wenn sie dies lesen, doch bitte, liebe Leser, bitte schenken sie mir jetzt, nur in diesem Moment, für ein paar Minuten oder wenigstens einige Sekunden ihren Glauben und vertrauen sie auf meine Worte.

Wir schreiben das Jahr 1915 Ich war lange Zeit in der Allgemeinmedizin tätig, damals hatte ich mich bereits zurückgezogen, lebte in einem ruhigen, verschlafenen Dörfchen an der Südküste Englands, namens Bearnshire. Mein Leben verlief immer unkompliziert, ich war nie verheiratet, war immer für mich allein und ich habe mein Leben genossen.
An jenem Tag, es war der vierundzwanzigste Oktober, rief mich Henry Johnson zu seinem Haus, seiner Frau würde es seit Tagen nicht gut gehen und ihr Zustand verschlechtere sich zusehbar, er müsste aber doch heute das Dorf wieder verlassen und an die Front zurückkehren. Kurz und gut, er brauchte meine Hilfe.
Henry und ich hatten uns vor einem Jahr angefreundet, als er und seine Frau hier her zogen. Ich hatte damals keine Freunde und daher kam mir seine Gesellschaft sehr gelegen. Violet Johnson war eine liebenswürdige, junge Frau, hübsch, elegant, selbstbewusst und verliebt. Oh ja, sie waren so verliebt, waren gerade erst in den heiligen Bund der Ehe eingetreten.
Jedenfalls fuhr ich an jenem Tag zu dem kleinen Häuschen Johnsons’. Ich dachte zurück an vergessene Jahre, als ich meine Arzttasche noch jeden Tag aus meinem Schrank hervorzog, Instrumente reinigte, gebraucht wurde. Und es war ein wunderbares Gefühl endlich wieder gebraucht zu werden, meinem alten Beruf zu frönen, es war ein beruhigendes Gefühl, ein Gefühl, dass ich lange Zeit vermisste.

Es war ein schöner Tag, die Sonne ließ die Blätter noch bunter schimmern, als sie es sowieso schon taten und frische Luft füllte die Lungen spielender Kinder.
Ich stieg aus meinem Wagen, Henry stand schon an der Haustür, in seiner Uniform auf mich wartend. Wir begrüßten uns auf freundschaftlich männliche Art und Weise und er führte mich zu dem Schlafzimmer seiner Frau.
Als wir die Treppen hinaufstiegen spürte ich das erste mal diese ungewöhnliche Kälte, eine beunruhigende Atmosphäre, die mir, wie ich später erfahren durfte, das Grauen nahe bringen sollte.
Wir betraten das Zimmer. Violet lag in ihrem Bett und schlief. Ich fand sie damals unglaublich schön. Ihre blonden, fast weißen Haare breiteten sich über da Kopfkissen, ihre Wangen waren leicht gerötet, sie sah so friedlich aus.
Henry vermied es sie anzusehen, ich sah seinen Schmerz, sah das Trennungsleid, die Angst nie wieder zurückzukehren. Er wandte sich zu mir und flüsterte:
„Sie schläft. Soll ich sie wecken?“
„Warte noch einen Moment.“
Ich ging zu ihrem Bett, legte meine Hand auf ihre Stirn und fühlte vorsichtig ihren Puls an ihrem Handgelenk, der wie ich feststellte, deutlich zu hoch war.
„ Sie hat Fieber. Bitte hole mir doch etwas kaltes Wasser und ein paar Umschläge. Dann wecken wir sie.“
Eilig verließ Henry das Zimmer. Ich wandte mich kurze Zeit von ihr ab, beugte mich über meine Tasche und wühlte nach meinem Stethoskop. Und da bemerkte ich zum ersten mal eine Veränderung im Raum, etwas war plötzlich anders, es bedrückte mich, ließ mich erschrecken und unsicher werden. Bis heute kann ich nicht sagen, was es war, aber es war da, was immer es auch gewesen sein mag.
„Henry, Du darfst nicht gehen, Henry“ krächzte eine schwache hohe Stimmer hinter mir. Ich drehte mich ruckhaft um und trat näher zum Bett. Violet schlug den Kopf und die Arme hin und her, immer wieder wiederholte sie ihre Worte: Henry, nein, bleib hier, Du darfst nicht gehen, es gibt ein Unglück.“ Sie wurde aufgeregter, je öfter sie den Namen ihres Mannes in den Mund nahm. Ich setzte mich auf die Bettkante, hielt ihre Arme fest und wollte sie aus ihrem Traum, aus ihrem Alptraum befreien, als Henry wieder zur Tür hereinkam. Hastig stellte er Wasser und Handtücher beiseite und trat ans Bett. .
„Was ist passiert?“ .
„Sie fantasiert, kein Grund zur Sorge, ganz normal bei ihrem Fieber. Schhht, Violet, wach auf, wir sind hier, bei Dir.“ Versuchte ich sie zu beruhigen doch sie ließ sich nicht aus den Klauen ihrer Fantasie befreien.
„Violet, sieh’ ich bin hier, ich bin noch nicht weg, Violet, Liebste.!“ Sprach Henry zu ihr und rüttelte sie an den Schultern. Und da, sie öffnete ihre Augen, aber sie sah uns nicht an, sie starrte an die Decke. Wir versuchten mit ihr zu sprechen, doch sie schien uns nicht zu hören.
Ihre Augen, die ich sonst immer wegen ihres Leuchtens bewunderte, sahen so trostlos aus. Und dann sprach sie plötzlich, doch wo war die liebliche Stimme geblieben, diese Engelsstimme, wo war sie? Stattdessen erklang etwas tieferes, monotones, fast lebloses. Langsam bewegte sie ihren Mund und formte die Worte.
„Du darfst jetzt nicht gehen, Henry.“
„Aber Liebes, Du weißt doch, ich muss, ich habe keine andere Wahl.“
„Du darfst jetzt nicht gehen Henry.“
„Violet, nun sei doch vernünftig, ich bin doch bald wider da, hörst Du, versteh doch....“
Er hatte seinen Satz noch nicht zuende gesprochen da erhob sich Violet aus ihrem Bett und packte ihren Mann bei den Schultern, so fest, wie ich es nie für möglich gehalten hatte. Ihre Augen glänzten, ihr Gesicht verkrampfte sich, ihre Hände vergruben sich seiner Uniform. Doch das erschreckenste in diesen Sekunden, in diesem Moment war ihre Stimme. Das Liebliche war endgültig verschwunden, es war nicht ihre Stimme, noch die Stimme jeder anderen Frau hätte es sein können. Sie schrie, nein ,sie brüllte ihn an, mit dieser kraftvollen, tiefen, beängstigenden Stimme:
„Wenn Du gehst, holt Dich der Teufel !“ brüllte sie.. Sogleich diese Worte ausgesprochen waren, fiel sie zurück in ihr Kissen, schlief , sah genau so friedlich aus wie zuvor, als ich zu Anfang das Zimmer betrat.
Henry wusste nicht wie ihm geschah, er saß da, reglos, konnte nicht fassen, was in den letzten Sekunden geschehen war.
„Aber ich muss gehen.“ flüsterte er und gab seiner Frau einen letzten Kuss.“
„Ich spritze ihr etwas zur Beruhigung, sie wird schlafen, tief und fest. In der Zwischenzeit kümmere ich mich um ein Hausmädchen, das sich für die nächsten Tage um sie kümmern wird. Nein, Henry keine Widerrede, das geht auf meine Kosten. Ich bin schließlich für meinen Patienten verantwortlich..“
„Und ich für meine Frau, aber was, James, was soll ich bloß tun. Mein Zug fährt in einer Stunde und Du weißt, ich bin dazu verpflichtet, mein Vater wollte immer eine Kämpfer, eine Patrioten, es war sein letzter Wille!“
„Ich weiß Henry. Sei unbesorgt und pass nur auf, dass Du gesund in Dein Heim zurückkehren wirst.“
Mit diesen Worten verabschiedete ich mich von meinem Freund, der hinter sich die Tür schloss, seinen Koffer unter dem Arm, bereit um zu kämpfen. Für wen? Für seinen Vater? Für sein Land? Für seine Frau? Um sein Leben?
Ich beschloss meinen Wagen am Haus stehen zu lassen und das frische Herbstwetter zu genießen. Mein Weg führte hinunter zum Dorf und das Häuschen wurde immer kleiner. Ich sah Henry in der Ferne davongehen, sah ihn sich manchmal sehnsuchtsvoll umdrehen und dann doch voller Kraft und Entschlossenheit weitergehen. Ich blieb stehen und hoffte ihn eines Tages genauso entschlossen und kraftvoll wiederzusehen.
Doch da, da war es wieder, dieses erdrückende Gefühl, dieses Etwas, was ich vorhin schon einmal spürte. Es schnürte mir die Kehle zu, ließ mich schwer atmen. Und dann.... dann öffnete sich die Tür des Häuschens, Violet stand in der Tür. Aber nein, dachte ich, das kann nicht sein, sie müsste schlafen, das kann nicht sein. Ich rieb meine Augen, konnte nicht fassen, was ich jetzt sehen sollte. Sie rannte, sie rannte so schnell wie der Blitz, wie der Wind, sie war nicht mehr schwach und sie brüllte wieder ihre Worte mit dieser Stimme, mit dieser beängstigen Stimme:
„Henry, Dich holt der Teufel !“
Er drehte sich um, erschrak und dann.....dann starb er. Sie hatte sich auf ihn gestürzt, ihre Hände an seinem Hals. Gott weiß, woher sie diese Kräfte nahm. Sie hatte ihn einfach getötet. Dann rannte sie genauso schnell zurück wie sie gekommen war, wie der Blitz, wie der Wind.
Ich war wie gebannt, versteinert. Was war das? Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Zu diesem Zeitpunkt war ich mir noch nicht sicher ob er tot sei, also rannte ich so schnell ich konnte zu ihm, doch jede Hilfe kam zu spät. Er war tot.
Dann machte ich mich auf den Weg zum Haus. Der Wind wurde stärker, der Himmel verdunkelte sich und ich hatte Angst, schreckliche Angst. Doch was blieb mir anderes übrig? Sollte ich mich etwa einfach umdrehen und so tun, als wäre nichts passiert, wo ich doch Zeuge dieser Tat geworden war?
Ich betrat das Haus, Schweißperlen traten auf meiner Stirn hervor. Mit jeder Stufe, der Treppe zitterten meine Hände mehr, wurden meine Knie weicher. Ich öffnete die Tür, langsam, ganz langsam, fast lautlos. Und da lag sie, in ihrem Bett. Sie sah wieder so schön aus, so friedlich, wie ein schlafender Engel. Sie wachte nie mehr auf.


 
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Kommentare  

Moin Mirja,

deine Story ist dir wahnsinnig gut gelungen. Vor deinem Schreibstil zieh ich den Hut. Gibt mir allen Grund, die anderen von dir auch noch zu verschlingen.
Lieber Gruss,

Nene


NeneCarrera (17.04.2002)

Hi Mirja! Ich muss sagen die Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Doch hättest du ruhig erklären können was die Frau hatte. Vieleicht gibt es ja ein mal einen Fortsetzungsteil mit dieser kälte. Wäre schön. Ich werde wenn ich wieder mal Zeit habe, deine anderen Geschichten lesen. Du hast sehr viel Talent. Mach weiter so!

Carrie (04.02.2002)

Eine schöne Geschichte im britischen Schauerstil. Erinnert mich an "Die Affenpfote" oder "Der Mann, der niemand die Hand geben wollte".

Stefan Steinmetz (07.01.2002)

Hallo, Mirja, die Höchstzahl der Punkte hast Du Dir auf alle Fälle verdient.
Die Idee zu dieser Story ist Dir absolut gelungen - auch hast Du Dich in das sogenannte "männliche" Verhalten sehr gut eingefühlt - wie es eben so seinerzeit war: König, Krieg und Vaterland.
Er hat versucht seine Pflicht zu erfüllen. Bitte nicht böse sein, wenn ich der Meinung bin, dass das Gefühl der Angst, diese Unheimlichkeit, die er noch nie erlebt hatte, an die er nicht glaubte, nicht einmal daran dachte, noch viel intensiver beschrieben werden kann - die Fantasie und das Talent hast Du allemal.
Also, bis demnächst und ich werde jetzt im Laufe der Zeit alle Deine Stories lesen


Siegi (23.09.2001)

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