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Freiflug

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© ilana
„Es ist wieder da.“
Der Ausblick war schöner gestern. Oder vorgestern? Ich drehe mich weg vom Fenster, weg vom Leben und kuschle mich ganz tief ein, in meine Kisseninsel, auf der nur ich wohne und die niemand anders betreten darf. Ich schließe die Augen und liege an meinem Strand, bade meine Füße in meinem Meer, spaziere durch den heißen Sand und sammle Muscheln. Halte sie an mein Ohr.
„Es ist wieder da.“
Ich schrecke auf. Von draußen Vogelgezwitscher, Der Wagen der Müllabfuhr, Kindergeschrei.
Ich nehme mein Kissen und drücke es ganz fest an meine Ohren, dass ich nichts hören muß. Atme diesen fremden Geruch ein, ekle mich vor der Bettwäsche, in der schon hunderte vor mir gelegen haben. In der schon Menschen gestorben sind.

Und ich höre es immer noch. „ Es ist wieder da.“
Auf dem Gang höre ich Schritte, das ewig gleiche quietschen der Gesundheitslatschen, ab und an das Geräusch von Turnschuhen mit Plastiksohle, gegen Spätnachmittag auch schon mal das Klappern von Stöckelschuhen. Spätestens dann wird es Zeit für einen neuen Traum und auf meiner Insel sind plötzlich Stepptänzer zu Besuch, die eine Vorstellung geben, ganz für mich allein, die lächeln und strahlen und sich rhythmisch zum Klang ihrer Sohlen bewegen. Die mich auffordern aufzustehen, mich ihnen anzuschließen.
Und ich mache mit, tanze leichtfüßig und bin genauso gut wie alle anderen Tänzer, sie haken mich unter und ich gehöre zu ihrer Show. Bis die eine mich nah an sich heran zieht, mir etwas ins Ohr flüstert.
„Es ist wieder da“.
Ich ziehe mir die Decke über den Kopf, es ist einfach zu hell hier, ich will die Sonne nicht sehen, wenn ich sie nicht schmecken darf. Ich will nach draußen gehen, ich will an ihr lecken, ich will das Gras riechen und den Regen spüren.

So war das alles nicht gedacht.
Ich hatte im Sprechzimmer gesessen, Traubenzucker gelutscht und mich sicher gefühlt.
Du hast gesagt, mach dich mal frei und ich erinnere mich an die zähe kalte Flüssigkeit auf meinem nervösen Körper. Du hast gelächelt und wir haben über die Schule geredet, Familie, Freunde, Urlaubspläne.
Und dann bist du ruhig geworden. Deine Bewegungen hektisch und dein Blick suchend. Mehr kalte Flüssigkeit, weniger Lächeln.
Du hast Knöpfe gedrückt, Details herangezoomt. Du hast nicht mehr gesprochen sondern nur noch gesucht.
„ Es ist wieder da“.
Du hast geflucht, geschimpft. Ich habe mich wieder angezogen und von meinem Urlaub erzählt.
Und ich bin auch gefahren, auf meine Kisseninsel, erste Klasse, all inklusive. Anreise schnell und unkompliziert. Mehr kalte Flüssigkeit, weniger ehrliche Gespräche, kein echtes Lächeln.

Der Abreisetermin steht noch nicht fest. Kontaktieren sie 72 Stunden vor dem Abflug nochmals ihre Reiseleitung.
Aber die spricht nicht mit mir. Die ist weit weg und weiß noch nicht, ob sie mich zurückläßt.
Du hast es doch so schön, auf deiner Kisseninsel.
Der Ausblick war schöner gestern. Als es noch was zu sehen gab. Als noch etwas wartete.

 
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Kommentare  

Frage mich, ob es noch weiter geht. Und wer ist "er"? Ich wiilll wiiisssennn weeerrr daaas iist, heul! Jedenfalls 5 Pkt. und ich hoffe ich erfahre wer das ist!

Amazone (30.04.2003)

Ich kann mir gut vorstellen was du meinst, ich hoffe auf mehr von dir!

esmias (22.05.2001)

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