40


31 Seiten

Lichtnetz (Part 1)

Romane/Serien · Fantastisches
© Metevelis
I

Der Schrei eines Raubvogels hallte rauh durch die leeren Himmel. Sandro sah zu der kleinen Gestalt auf und strich sich die feuchten Haarsträhnen aus der Stirn. Wie gern wäre er dieser Falke, frei durch die Lüfte zu schweben, anstatt sich hier unten mit diesem verdammten Pferd abzuplagen. Dass sich seine Schwester wieder mal vor ihrer Arbeit drückte und ausgeritten war, besserte seine Stimmung nicht gerade erheblich. Sie glaubte wohl, das Zureiten und Dressieren der Pferde sei nicht wichtig. Dabei stellten gerade diese Zuchtpferde eines der wertvollen Einkommen ihrer Mutter dar.


Er wandte seine Gedanken wieder dem Pferd zu. Leise flüsterte er dem Hengst Kosenamen ins Ohr.
" Ja, du bist ein wahrer Prachtkerl. Ganz ruhig. Lass uns dies einfach hinter uns bringen."
Er hatte den Hengst eben so weit, das er nicht mehr unruhig umhertänzelte, als der Ruf seines Namens ihn aufblicken liess. Natürlich, es war seine Schwester. Sie ritt mit ihrem Fuchs direkt auf ihn zu und zügelte das Pferd knapp vor ihm. Der nervöse Hengst scheute prompt und warf ihn ab. Der Hauch eines Lachens flackerte über Lyssas Gesicht, als sie ihren Bruder mit gerötetem Gesicht im Staub sitzen sah.

"Du solltest das vielleicht jenen überlassen, die mit Pferden wirklich umgehen können!"

Sandro verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
"Spar dir deine Bemerkungen! Und wie siehst du schon wieder aus, du solltest dich schämen! Bei deinem Rang kann man wirklich ein wenig mehr Würde erwarten."
Missbilligend betrachtete er seine Schwester. Ihr Zopf hatte sich gelöst und kleine Blätter hingen in ihren Haaren, das Hemd hatte Risse in den Ärmeln und über ihr Gesicht liefen Streifen aus Schmutz. Dann erst sah er die Blutspuren an ihren Händen. Er wurde bleich. "Was ist passiert? Hast du dich verletzt?"
Entsetzt huschten seine Augen über ihre Gestalt und suchten nach der Ursache des Bluts.

Sie wischte seine Besorgnis mit einer Geste beiseite. "Unsinn, du weißt, ich verletze mich nicht so leicht. Das Blut stammt von einem verwundeten Reh, das ich am Wasserfall, bei unserer Höhle, gefunden habe. Wahrscheinlich wurde es von einem Wolf angefallen, nun musst du es eben wieder heilen. Du weißt ja, wie ich bin. Ich kann einfach keine verletzten Tiere liegen lassen."

Sie hatte eine unverbindliche Miene aufgesetzt, doch in ihren Augen konnte er ihre Anspannung lesen und ihre Hände krampften sich unentwegt um die Zügel. Sandro sah ihr an, dass sie flunkerte, doch er schwieg dennoch. Er würde es ja doch noch erfahren.

Leicht beunruhigt brachte er die beiden Pferde in den Stall, rieb sie trocken und schüttete ihnen frisches Heu in die Traufe. Hinter sich konnte er Lyssa vor Ungeduld förmlich vibrieren fühlen. Dann sattelte er zwei frische Pferde auf. Lyssa ritt voran. Sie legte ein nahezu halsbrecherisches Tempo vor und er fragte sich, warum sie für ein "Reh" beinahe ihr Pferd zuschanden ritt. Sie fegte über den alten, ausgetretenen Pfad zum Wasserfall. Als er dort ankam, hatte sie ihr Pferd bereits angebunden und wartete ungeduldig auf ihn. Er stieg ab. Gelassen sah er sich um. Er sah zwar Blutflecken auf dem Kies, allerdings kein verletztes Reh.

Das bestätigte seinen Verdacht. Sehr ruhig fragte er:
"Schwesterchen, was ist hier wirklich los? Woher stammt das Blut?"

Seine Schwester wirkte sehr blass und ihre Anspannung löste sich in nervösen Gesten.
"Sandro, bitte! Ich habe ihn am Wasser gefunden. Er blutete sehr stark. Die oberflächlichen Wunden habe ich heilen können. Aber du weißt, wie schlecht ich darin bin. Er atmet zwar ruhig und gleichmäßig, aber er könnte dennoch innere Verletzungen haben. Bitte, sieh nach ihm! Für mich!"
Sie schwieg atemlos und blickte ihn erwartungsvoll mit großen Augen an. Ihr Bruder sah sie zornig an. Wahrscheinlich hatte sie einen Landstreicher gefunden und ihr großes Herz hatte sich wie so oft gemeldet. Sie wusste doch, wie gefährlich das sein konnte. Er seufzte entnervt. Sie würde es ja doch nie lernen, egal wie oft er es ihr sagte.

"In Ordnung, Lyssa. Wem soll ich helfen?"

Sie zerrte ihn zu der Höhle, die sie als Kinder gefunden hatten.
"Komm doch endlich. Es ist ein junger Mann, er trägt Lumpen, aber sie sehen aus, als wären sie mal aus feinem Tuch gewesen."
Bedeutungsvoll sah sie ihn an.
"Ich habe versucht ihn zu heilen, aber du weißt, diese Fähigkeit ist bei mir nicht so ausgeprägt wie bei dir. Bitte, du wirst ihn dir doch ansehen?"
Ein flehentlicher Blick traf ihn. Wenn sie ihn so ansah, konnte er ihr einfach nichts abschlagen. Natürlich hätte sie es ihm auch einfach befehlen können. Dass sie es nicht getan hatte, rechnete er ihr hoch an.

"Ist ja gut, ich sehe ihn mir an."
Er schob den herabhängenden Busch zur Seite und trat in die Höhle. Der Verwundete lag auf einer der beiden Pritschen, die sie dorthin gebracht hatten. Im flackernden Schein der Fackel sah er einen bleichen, ausgezehrten Mann. Er trug einen zerzausten Bart, der aber nicht verbergen konnte, wie jung er noch war. Er war kaum älter als sie beide. Dann besah er sich seine Wunden. Es waren nur noch blass schimmernde Narben zu sehen. Lyssa hatte erstaunlich gute Arbeit geleistet, wenn man bedachte, wie schlecht sie im Heilen war. An der linken Hand waren aber immer noch zwei Finger gebrochen. Das allerdings ist leicht zu heilen. Der Atem aber ging stockend und rasselnd, das klang nicht sehr gut. Nun gut, dann wollte er mal sehen, wie er von innen aussieht. Er konzentrierte sich und schickte seine Gabe auf eine Tiefenschau. Mehrere Rippen waren ebenfalls gebrochen. Einige Knochensplitter hatten sich in den Lungenflügel gebohrt. Bei jedem Atemzug füllte sich die Lunge mit Blut. Das sah nicht gut aus. Ein Wunder, das er überhaupt noch lebte. Eine Oberschenkelsehne im rechten Bein war böse gezerrt und der Knöchel war gestaucht. Es war verblüffend, dass er sich überhaupt noch hatte bewegen können.

Nun konzentrierte er sich und sammelte seine ihm eigene Gabe zu einer leuchtenden, schimmernden Kugel aus purem silbernem Licht in seinem Inneren. Er stieß einen gebündelten, pulsierenden Strahl der Kraft in den Körper vor ihm. Das Licht breitete sich in kleinen konzentrischen Kreisen über den gesamten Körper aus, bis der von einem leuchtenden Schleier verdeckt war. Sandro konnte spüren, wie die Zellen sich regenerierten. Als die Energiedecke langsam verblasste, war jede seiner Verletzungen geheilt. Sandro öffnete die Augen und sah, dass der junge Mann in tiefem Schlaf lag und viel leichter atmete. In den Augen seiner Schwester, die ihn erwartungsvoll ansahen, stand Besorgnis. Sandro schwankte leicht vor Erschöpfung und fuhr sie gereizt an.
"Sieh mich nicht so an, ich habe ihn geheilt und nun bring mir etwas zu essen!"

Seine Schwester zuckte erschrocken zusammen und reichte ihm schnell ihren Wegbeutel. Er verschlang Dörrfleisch, Käse und Brot binnen Minuten. Dann sank er auf der zweiten Pritsche zusammen und fiel in einen traumlosen Schlaf, kaum dass sein Kopf das Kissen berührte.

Als Sandro aufwachte, war Lyssa nicht mehr in der Höhle. Der Fremde regte sich im Schlaf und murmelte ein paar unverständliche Worte. Er bewegte sich unruhig und streckte die Hände abwehrend aus. Sandro setzte sich unsicher auf, wobei er sich an der Wand abstützen musste, da er sich noch sehr schwach fühlte. Die Heilung war doch schwerer als er geglaubt hatte. Nun erst hatte er die Zeit, um sich den Fremden genauer anzusehen. Trotz der sichtbaren Entbehrungen, des Schmutzes und des struppigen Bartes waren seine Züge edel. Sie waren feingeschnitten und strahlten eine unglaubliche Ruhe aus. Vorsichtig schob er die einstmals feinen Gewänder beiseite, die nun nur noch Lumpen waren. Das zerrissene Hemd war blau, aber die Stickerei auf der Brusttasche war zu zerfetzt, um sie erkennen zu können. Die Handschuhe, die er trug, waren aus feinstem Leder, aber blutbesudelt und steif. Es schien, als wäre dieser Junge tatsächlich von Adel. Doch an seinem Gesicht sah man, dass er nicht aus diesem Land stammte. Er ähnelte in nichts den hellhäutigen, zartknochigen Menschen aus Caylan. Seine Haut war sonnengebräunt und er besaß einen robusten Körperbau. Wahrscheinlich hatte er nur aufgrund dieser Robustheit so lange überlebt.

"Na, Bruderherz. Schon wieder auf den Beinen?"
Er drehte sich um und erblickte seine Schwester, die an jedem Arm einen großen Korb trug. Sie lächelte, als sie seinen verblüfften Blick sah und lud alles auf dem Boden ab.
"Jetzt sieh mich nicht so an. Ich habe ein wenig Essen und neue Kleidung mitgebracht, mehr nicht."

Ihr Bruder runzelte die Stirn.
"Was hat Daria gesagt? Sie hat sich doch bestimmt Sorgen gemacht."

Lyssa kam zu ihm und kniff ihm spielerisch in die Wange.
"Hat sie nicht. Ich war bereits vorgestern auf dem Landsitz und habe ihr gesagt, dass wir einige Tage wegbleiben werden, in unserer Höhle. Da sie sich keine Sorgen macht, brauchst du dir auch keine zu machen. Du warst dieses Mal viel länger als sonst im Heilschlaf. Hast du Hunger? Ja? Das dachte ich mir."

Sie entnahm einer der vielen Nischen Holzscheite. Unter dem natürlichen Rauchfang weit hinten in der Höhle entfachte sie ein kleines Feuer.
"Du hast sehr viel Energie verbraucht und solltest dich noch ein wenig ausruhen. Hilf mir beim Gemüse schneiden, da überanstrengst du dich nicht."

Lyssa hatte geräucherten Schinken, Mehl, Speck, Dörrfleisch, Zwiebeln, Käse, Obst und einige Laibe Brot mitgebracht. Aus einer weiteren Nische holte sie einen Korb mit Kartoffeln und einen verbeulten Kessel. Sie ging zu der nahen Quelle, um Wasser zu holen. Währenddessen hackte Sandro mit einem Messer die Zwiebeln klein. Als Lyssa mit dem gefüllten Kessel zurückkam und ihren tränenüberströmten Bruder sah, lachte sie nur und sagte, er solle besser mal nach seinem Patienten sehen. Sandro ließ Messer und Zwiebeln fallen und wusch sich die Hände in einem Kupferbecken, das sie ihm gebracht hatte.

Dann beugte er sich über den Fremden. Es schien, als würde er gleich aufwachen. Nachdem er alles zu seiner Zufriedenheit fand, wollte Sandro sich bereits abwenden. Da fiel sein Blick auf das lange Messer am Gürtel. Es steckte blutüberkrustet in der Scheide. Doch das war es nicht, was ihn so interessierte. Es war der Silbergriff der Waffe. Er war fein getrieben und mit winzigen Saphiren besetzt. Solch eine Waffe konnte nur ein hochgestellter Adliger tragen. Nun war er sich ganz sicher, dass der Junge aus dem Adel, wenn nicht sogar aus einer königlichen Familie stammte. Dann besah er sich die Scheide genauer. Unter all dem Blut konnte man schwach das Wappen erkennen, das aufgeprägt war. Es war ein silberner aufgerichteter Löwe auf grauweißem Grund. Unter dem Knauf prangten die verschlungenen Initialen: E. A.

Einen Augenblick nur musste er überlegen, dann fiel es ihm ein. Der Junge stammte aus Altane! Nur ein Angehöriger des Königshauses hatte das Recht ein Messer mit dem Wappen von Altane tragen. Vom Alter her könnte er der Erbe dieses Landes sein. Um Sicherheit zu erlangen, wollte Sandro nach dem Mal sehen, das jeder trug, der einem Königshaus angehörte, aber als er die Fetzen des Hemdes beiseite schieben wollte, merkte er, dass der Mann die Augen aufgeschlagen hatte. Der kühle Blick der grauen Augen gab ihm ein unbehagliches Gefühl. Es war, als würden diese Augen bis auf den Grund seiner Seele blicken. Fröstelnd wandte er kurz den Blick ab. Doch dann hob er stolz den Kopf, er brauchte sich vor niemanden abwenden.

"Wie fühlst du dich?" fragte Sandro dann freundlich.

Der Fremde sah ihn mißtrauisch an."Gut! Wer seid Ihr?"

Der Caylaner fand ihn unhöflich. Vielleicht war der Fremde aber auch nur sehr vorsichtig.
"Wir - meine Schwester, " er wies auf Lyssa, "und ich sind Lyssa und Sandro von - Decian." Beim letzten Wort sah er kurz seine Schwester an.

Der Junge hatte sich inzwischen mit einem leisen Stöhnen und zusammengebissenen Zähnen aufgerichtet. "Mein Name ist... Even." Lyssa und Sandro hörten das Zögern, bevor er den Namen aussprach, allzudeutlich.

Das junge Mädchen hob die Augenbraue ein wenig und sagte betont fröhlich:
"Ich hoffe, Ihr seid hungrig. Der Eintopf muss noch kochen, aber Ihr könnt ein wenig Fleisch und Brot haben, wenn Ihr möchtet."
Sie deutete auf die Körbe. Even gab ihr keine Antwort, sondern sah sie nur unverwandt an. Seine Augen wurden schmal, als er sie interessiert betrachtete. Sie errötete leicht unter dieser Musterung und senkte den Blick auf den Kessel.

Even richtete seinen kühlen Blick auf Sandro.
"Ihr seid miteinander verwandt?" fragte er mit undeutlicher Stimme.

Sandro grinste plötzlich.
"So unwahrscheinlich es klingen mag, ja! Wir sind Zwillinge, auch wenn Lyssa zuerst geboren wurde."
Even sah wieder Lyssa an, die sich weigerte den Blick von ihrem Essen zu heben.

Sandro sah seine Schwester zwar tagtäglich, aber nun sah er sie plötzlich durch Evens Augen. Ihr Gesicht wirkte sehr zart, wodurch der Eindruck entstand, sie sei zerbrechlich und leicht einzuschüchtern. Da sie auch nicht sehr groß, sondern eher feingliedrig war, verstärkte das diesen Eindruck. Bis man ihr in die Augen blickte. Aus denen sprach ein starker Wille und eine gesunde Portion Selbstbewußtsein und nicht selten, der Schalk, der ihr im Nacken saß.
Der dunkelrote Zopf hatte sich sich wieder mal aufgelöst. Das Haar umrahmte in unordentlichen Locken das schmale, blasse Gesicht mit den Sommersprossen. Er konnte sehen, wie viel Eindruck Lyssa auf Even machte.

Umgekehrt schien es allerdings genauso zu sein. Lyssa errötete wieder, als Even sie ansah und wandte schnell den Blick ab. Sandro sah sie etwas irritiert an. Seit wann war seine Schwester denn so schüchtern? Er hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, um seine Schwester aus der ihr so peinlichen Situation zu befreien.
"Lyssa, hast du uns etwas zu trinken mitgebracht? Unsere Kehlen sind ziemlich ausgetrocknet, meine zumindest ist es."

Seine Schwester sah ihn einen Augenblick verständnislos an, dann begriff sie und schüttelte den Kopf.
"Entschuldige, ich war in Gedanken. Natürlich habe ich etwas mitgebracht. Unseren Apfelwein. Aber bei Evens Zustand sollte er ihn vielleicht nur verdünnt trinken. Ich werde ein wenig Wasser aus der Quelle holen."
Sie stand auf, nahm einen leeren Krug vom Felsbord und ging schnell aus der Höhle.

Als sie in das klare Wasser des Sees blickte, beruhigte sich ihr klopfendes Herz langsam wieder. Sie überlegte zornig, warum dieser Even sie so durcheinander brachte. Schon der Gedanke an seinen interessierten Blick ließ ihren Puls rasen. Ärgerlich unterband sie das warme Gefühl, das sich in ihrem Inneren ausbreitete. Nimm dich zusammen, Lyssa, du bist kein Mädchen mehr. Sie füllte den Krug und wollte zurück in die Höhle. Als sie an der Stelle vorüberging, an der sie ihn gefunden hatte, sah sie etwas im Wasser glitzern. Sie bückte sich und hob es auf. Es war eine silberne Kette mit einem Anhänger. Der kostbare Anhänger sah aus wie das Symbol der Göttin Danai.

Sie war sich sicher, dass die Kette Even gehörte. Es wunderte sie nur, dass er das Zeichen der Göttin trug. Die einzigen Adligen, von denen sie wusste, dass sie Danai als Hauptgöttin verehrten, war die altanische Königsfamilie. Aber im Moment kam sie gar nicht auf die Idee, das mit Even in Verbindung zu bringen. Lyssa beschloss, ihm die Kette bei passender Gelegenheit zurückzugeben und steckte sie in ihre Tasche. Als sie mit dem Wasserkrug in die Höhle zurückkehrte, fand sie Even und ihren Bruder in ein Gespräch vertieft. Sie errötete erneut, als Evens Blick langsam über ihre Gestalt glitt. Heimlich schalt sie sich wegen ihrer Schwäche. Verdammt sollte der Kerl sein!

Sandro drehte sich um und sah im Gesicht seiner Schwester heftigen Zorn. Er musterte sie mit einem überraschten und fragenden Blick. Sie schüttelte den Kopf, atmete tief durch und überreichte ihm mit einem angedeuteten Hofknicks den Krug. Even sah sie plötzlich scharf an. Lyssa bemerkte den aufmerksamen Blick nicht, da sie vom Felsbord drei Becher holte. Sandro nahm den Weinschlauch und goss ihnen ein. Als der junge Mann seinen Becher entgegennahm und einen großen Schluck tat, verzog er nachdenklich das Gesicht.

"Eine Schande", meinte er dann enttäuscht.

Sandro sah ihn ärgerlich und überheblich an.
"Habt Ihr etwas an unserem Wein auszusetzen?" fragte er den jungen Mann kühl.

Even sah ihn mit der Andeutung eines Lächelns an.
"Aber nein. Ihr habt mich falsch verstanden. Ich wollte sagen, welche Schande es ist, einen solch guten Wein verwässern zu müssen. Dieser edle Tropfen entfaltet sein unnachahmliches Aroma doch nur in reinem Zustand."
Bedauern lag auf seinem Gesicht, als er noch einen kleinen Schluck von diesem Getränk nahm.
"Aber ich würde mich natürlich auf keinen Fall meinen Rettern widersetzen."

Er sah nicht, wie Sandro seiner Schwester einen scharfen Blick zuwarf und sich dann mit gerunzelter Stirn Even zuwandte. Als dieser aufsah, war Sandros Gesicht wieder ruhig.
"Man sieht, Ihr besitzt eine gewisse Kenntnis von Weinen. Es gibt nicht viele Menschen, die einen Wein erkennen können, in den soviel Wasser gemischt wurde. Vor allem nicht, da dieser Wein ausschließlich an die Königshöfe anderer Länder geliefert wird."

Even wurde schlagartig wachsam, seine grauen Augen wurden kalt und fixierten Sandro.
"Ich hatte einmal das große Glück, euren Apfelwein zu trinken. Solch einen einmaligen Geschmack vergisst man nicht mehr."

Sandro nickte, scheinbar zufrieden und wollte sich bereits Lyssa zuwenden, da wurde ihm sein Fehler bewußt, als Even danach fragte.
"Nun sagt mir doch, wenn dieser spezielle Apfelwein nur an andere Königshofe geliefert wird und ich zufällig weiß, das es in diesem Land nicht anders ist, wie komme ich dann zu der Ehre, ihn hier bei euch zu trinken?"
Er wandte sich um und verfluchte sich dafür, nicht daran gedacht zu haben, bevor er den Mund aufmachte.
"Nun, wir gehören zu einem der Güter der Königin, die die Äpfel für diesen Wein anbauen und die Königin überläßt uns immer einige Fässer der Lese, als Dank."

Even nickte und schien zufrieden mit dieser Antwort. Sandro wandte sich schnell um und sah Lyssa zweifelnd an. Er hoffte, daß Even diese Antwort glauben würde. Er wollte nicht zuviel von sich und Lyssa preisgeben.

Während Even ein wenig schwankend zur Quelle ging, sprach er mit seiner Schwester, mit der Ermahnung auf ihre Worte aufzupassen, er selbst würde von nun an auch darauf achten. Als Even zurück kam, teilte er den Eintopf, denn Lyssa zubereitet hatte aus, während Lyssa das Brot in Stücke brach.
Dann begannen sie schweigend zu essen. Lyssa war als erste fertig. Sandro und Even zeigten dagegen größeren Appetit.

Mit einem Kopfschütteln blickte das Mädchen in den leeren Kessel und sagte streng:
"Heute Abend gibt es keine warme Mahlzeit. Ihr müsst euch mit Brot, Käse und Obst zufrieden geben. Das habt ihr nun von eurer Gier."
Beide blickten gespielt betreten drein. Sie wußte ja genau, daß Sandro die Energie brauchte wegen der Heilung und Even nicht minder. Lächelnd verließ sie die Höhle um die Schüsseln auszuspülen.

Währenddessen suchte Sandro ein paar Kleider, die Even passen könnten. Als dieser die Lumpen auszog, sah Sandro, wie kräftig er trotz seines schlanken Körpers war. Die Muskeln zeichneten sich bei jeder Bewegung unter der Haut ab. Er war also eindeutig auch in der Kriegskunst ausgebildet, wie einige Narben am Oberkörper bezeugten.

"Tut mir leid...ich wollte...oh Göttin...Entschuldigung."
Das kam von Lyssa, die mit geweiteten Augen im Eingang stand. Der Anblick des unbekleideten Even ließ sie verlegen zurückweichen.

Dessen blaugrauen Augen sahen sie amüsiert an. Es war ihm offenbar nicht im Geringsten peinlich.
"Das macht doch nichts. Ich bin sicher, dieser Anblick hat Euch nicht erblinden lassen!"

Ihr Gesicht verfärbte sich rot und sie fauchte Even an:
"Ihr seid unverschämt! Wie könnt Ihr es nur wagen! Ihr... Ihr seid doch...!"

Mit einem würdelosen Schnauben verschwand sie aus dem Eingang. Even konnte sein Lachen nicht mehr unterdrücken und wandte sich Sandro zu. Dieser musste gegen seinen Willen auch lachen.

Lyssa, deren Wut schnell hoch loderte, fand dies nicht sonderlich amüsierend. Sie schämte sich, weil ihr Temperament mit ihr durchgegangen war. Es war so demütigend gewesen. Sie hörte das Lachen ihres Bruders und das verstärkte ihre Wut nur noch. Sie schwor ihm süße Rache. Das würde sie ihm noch heimzahlen. Sie ging zum Wasser und setzte sich auf einen Felsen nahe dem Fall. Langsam, aber nur sehr langsam legte sich ihr Groll.

Aber sie würde ihn nicht vergessen, das lag nicht in ihrer Art. Als Even und Sandro aus der Höhle kamen, verkrampfte sie sich unwillkürlich. Nun würde sicherlich ein Kommentar zu dem Vorfall kommen. Doch als sie aufsah, winkte ihr Even nur zu. Beide trugen Schlingen zur Fallenstellung. Sie spürte ihr Gesicht heiß werden. Sandro kam zu ihr und erklärte, dass sie nun ihr Abendmahl jagen würden, um ihre Gefräßigkeit wieder gutzumachen. Even sei dazu bereits in der Lage und Bewegung würde ihm gut tun.
Lyssa bat ihn, sich Zeit zu lassen, damit sie ein Bad nehmen könne. Sie bemerkte, wie Even bei dieser Bemerkung grinste. Sie wandte sich verärgert ab. Als sie wieder hinsah, zwinkerte er ihr zu. Ihre Augen begannen sich zu verdunkeln. Sandro sah dies und zog Even eilig in den Wald hinein, bevor seine Schwester einen Tobsuchtsanfall bekommen konnte.

In einiger Entfernung sah er seinen Begleiter an, dem immer noch das Lachen als Funkeln in den Augen stand.
"Du treibst meine Schwester zur Weißglut. Nicht, das ihr so ein Anblick neu wäre, nicht hier in unserem Land, aber deine Art, darauf zu reagieren..."

Even sah ihn breit grinsend an. "Es war so einfach. Ich konnte nicht anders. Sie war so peinlich darum bemüht, höflich weg zu sehen."
Sandro mußte lachen.
"Du hast ja recht. Es kann aber auch gefährlich sein, sie zu sehr zu reizen. Denn wenn sie ihrem Zorn einmal freien Lauf lässt und man ist dann dummerweise in ihrer Nähe, dann kann man nur noch um den Schutz der Göttin flehen. In dieser Hinsicht ähnelt sie vollkommen unserer Mutter, nur ist das bei ihr noch sehr viel schlimmer. Wenn die zornig ist, sollte man sich ein Versteck suchen und es am besten tagelang nicht verlassen. Sie ist nämlich sehr nachtragend... und sehr fantasievoll in ihrer Wut."

Even sah ihn ungläubig an und schüttelte den Kopf. "Dann bist du nicht zu beneiden. Meine Mutter war ... meine Mutter ist von sehr geduldigem Gemüt und wird selten wütend. Doch wenn man ihren Zorn erst erweckt hat, bemerkt man das recht bald an ihrer scharfen Zunge. Hinter ihrer ruhigen Fassade steckt ein klarer Verstand und den setzt sie dann rücksichtslos ein. Es ist dann nicht besonders angenehm, mit ihr zu tun zu haben."

Sandro sah die Gelegenheit als gekommen, um ihn über seine Herkunft auszufragen. Nach einigem Zögern antwortete der junge Mann mit einem knappen Satz.
"Aus Altane!" Der Caylaner sah seine Vermutung zum Teil bestätigt.
Aber er ließ diese Fragen vorläufig auf sich beruhen, er wollte die Sympathie, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte, nicht so schnell wieder zunichte machen.
Endlich gab er Even das Zeichen zum Anhalten. Sie gingen leise in den Wald hinein und trennten sich dann.

Nachdem Even hinter einem kleinen Hügel seinen Blicken entschwunden war und er selbst seine Schlingen ausgelegt hatte, legte sich Sandro unter einem Felsüberhang auf die Lauer und wartete. Doch bald schon dachte er nicht mehr an seine Beute, sondern genoß das Bild das sich ihm darbot.

Die Sonne brach sich goldene Bahnen durch die grünen Baumwipfel, während auf dem weichen Waldboden Licht und Schatten ihren Reigen tanzten. Sanft schwebte feiner Staub durch die Sonnenbahnen. Ein Pirol sandte seinen flötenden Ruf durch die Stille. Der grüngoldene Friede des Waldes legte sich auch über Sandro. Die unglaubliche Schönheit dieses Augenblicks überwältigte den jungen Mann und er schloss zufrieden die Augen.

Diese idyllische Ruhe wurde plötzlich durch ein scharfes Geräusch hinter ihm gestört. Er drehte sich um und erblickte Even, der ein Rebhuhn mit gebrochenem Genick in der Hand hielt. Sandro hatte ein unbehagliches Gefühl. Er hatte Even nicht gehört. Dieser hatte nicht mal eine der Schlingen benutzt. Dieser Junge besaß eine unheimliche Lautlosigkeit, die ihn frösteln ließ.
Deshalb fragte er ihn auch nachdem sie wieder auf ihre Pferde aufstiegen, beiläufig, wie und wo er seine Verletzungen erhalten habe. Der Altaner berichtete ihm, dass es auf der Großen Waldstraße passiert sei. Räuber, die er noch nie zuvor gesehen hatte, hätten ihn überfallen. Seine Stimme klang teilnahmslos.

Als Sandro ihn jedoch ansah, bemerkte er die Anspannung in den Zügen des anderen. Er lügt, aber warum? "Räuber? Das ist seltsam. Die Königin hat die Strassen so sicher gemacht, dass die Räuber sich recht selten hierher trauen."
Als er sah, wie Even fast schon hörbar mit den Zähnen knirschte, beschloss er, das Thema vorläufig ruhen zu lassen.
"Lass uns zurückreiten. Lyssa ist sicher schon fertig." Sandro sah das kurze Bedauern auf Evens Gesicht und grinste insgeheim.

Am Wasserfall kämmte Lyssa gerade ihre feuchten Locken in der Sonne aus. Sie trug nur das lange Hemd, das ihr fast bis zu den Knien reichte. Das Mädchen begrüßte sie mit einem so süßen Lächeln, dass Sandro sofort Verdacht schöpfte. "Habt ihr Erfolg gehabt oder werden wir uns mit einer kalten Mahlzeit begnügen müssen, ihr Vielfraße?"

Even verbeugte sich vor Lyssa und überreichte ihr mit einer schwungvollen Geste den Vogel. "Mylady, Euer frisch erlegtes Abendessen."
Das Mädchen sah ihn einen Augenblick erschrocken an, fing sich dann aber und lachte über den immer noch verneigten Even. "Ihr dürft Euch erheben, Mylord und mich zum Speisesaal geleiten." Sie reichte ihm anmutig ihre Hand, konnte aber ihr Grinsen kaum unterdrücken.

Ebensowenig wie Even. "Es wird mir eine Ehre sein, meine Dame." Hocherhobenen Kopfes gingen die beiden zur Höhle. Sandro grübelte noch einen Augenblick über Lyssas gute Laune nach und folgte dann kopfschüttelnd den beiden "Herrschaften", um sich mit ihrem Abendessen zu beschäftigen.

Nachdem er den Vogel gerupft hatte, entfernte er die Innereien und wusch ihn an der Quelle aus. Er rieb ihn von innen wie von außen mit Salz und Pfeffer ein. Während er den Vogel mit Zwiebelringen, Käsescheibchen, Fett und Thymian füllte, entfachte seine Schwester ein neues Feuer. Zuletzt spickte er das Tier mit Speckscheiben und steckte es an einem Spieß über die Flammen. Der Geruch, der sich ausbreitete, ließ ihnen das Wasser im Munde zusammenlaufen. Auf einer kleinen Pfanne röstete er das Brot und ließ Käseschnitten schmelzen. Bis das Rebhuhn durch sein würde, war Zeit für ein ausführliches Gespräch.

Sandro richtete das Wort an Even. "Nun...Even, verzeih mir meine Direktheit, aber du hast unser Feuer, unser Lager und unser Essen geteilt, nun sag uns doch bitte wer du bist? Du bist kein gewöhnlicher Mann, das habe ich gemerkt, als du unseren Wein erkanntest. Diesen Wein bekommen wie gesagt nur die Königshäuser. Bist du der Kronprinz von Altane?"

Als Even ihn mit eiskalten, grauen Augen ansah, musste Sandro bestürzt den Blick abwenden. Doch dieser antwortete trotzdem. "Ich sagte bereits, ich bin aus Altane. Ich" - er zögerte - "ich bin nicht von gemeiner Geburt, damit hattet ihr recht. Ich stamme aus dem altanischen Adel. Mehr kann ich euch im Moment nicht sagen. Ich wurde verfolgt, eingeholt und es kam zu einem Kampf. Daher auch die Verletzungen. Aber ich denke, ich habe die Verfolger abschütteln können."

Der junge Mann sah sie herausfordernd an, als erwarte er eine Infragestellung seiner Erzählung.

Lyssa sah ihn fast schon mitleidig an. "Wir verstehen. Dennoch...dürfen wir dich darum bitten, dass du uns zu gegebenem Zeitpunkt deine ganze Geschichte erzählst? Ich denke, soviel haben wir verdient."

Even nickte verlegen und legte instinktiv seine Hand an den Hals. Seine Miene wurde plötzlich panisch. Er fing an seine Kleidung zu durchwühlen.
Sandro sah ihn etwas verwirrt an. Warum wühlte er wie ein Wahnsinniger in seiner Kleidung? "Was ist los? Hast du irgendetwas verloren?"

Even wirkte regelrecht verzweifelt. "Die Kette! Sie ist weg. Sie ist das einzig Wertvolle was ich besitze, außer dem hier." Seine rechte Hand legte sich fest auf den Dolch.

Lyssa zog einen glitzernden Gegenstand aus ihrem Hemd. "Meinst du das hier?" Sie hielt ihm eine Kette mit Anhänger entgegen. "Ich fand sie am Wasser, vergaß aber sie dir zurückzugeben."

Even sah sie dankbar und erleichtert an. "Ja, das ist mein heiligster Besitz. Ich würde mich niemals freiwillig davon trennen. Bei IHR schwöre ich, euch meine Geschichte zu erzählen, wenn es für euch nicht mehr gefährlich ist." Danach schwiegen sie alle eine Weile und starrten nachdenklich ins Feuer. Der Duft des garenden Vogels zog durch die Höhle. Inzwischen war die dünne Speckschicht knusprig braun und hatte das Tier mit seinem Fett durchtränkt. Nun nahm Sandro den Vogel vom Feuer.

Sie aßen zuerst die wunderbar salzigen Speckscheiben und machten sich dann über das gebratene Tier her. Das saftige Fleisch mit der heißen Füllung schmeckte köstlich. Die gerösteten Brotscheiben mit dem Käsebelag waren eine herrliche Beilage. Gesättigt lehnten sie sich zurück. Even schenkte den Zwillingen ein zufriedenes Lächeln. "Seit langem schon habe ich nicht mehr so gut gegessen. Ich danke euch..."

Diese gemütliche Stimmung unterbrach das triumphierende Geschrei von Männern in der Nähe. Sofort war Even auf den Beinen und in Kampfstellung. Er schlich zum Eingang und spähte vorsichtig hinaus. Sie hörten sein unterdrücktes Fluchen. Mit wilden Augen drehte er sich zu den beiden um. "Das sind die Männer die mich verfolgen. Nun ist es wohl doch Zeit euch zu sagen, wer ich bin. Vielleicht könnt ihr meine Geschichte erzählen, wenn ich nicht mehr sein sollte. Mein Name ist Eric von Aldier, Prinz von Altane. Diese Männer wollen mich töten, weil ich wahrscheinlich der letzte legitime männliche Nachfolger aus dem königlichen Geschlecht von Altane bin. Solange ich lebe, kann mein Volk noch Hoffnung haben, den Usurpator Areas vom Thron zu stoßen. Ich habe jetzt keine Zeit für Erklärungen. Am besten ihr versteckt euch. Nach euch suchen sie nicht. Ich werde versuchen, die Männer meines Onkels wegzulocken."

Er zog den Dolch und wollte sich aus der Höhle schleichen, wurde aber von Sandros leisem Zuruf aufgehalten. Even, nein, Eric drehte sich um und sah dann Sandro, der eine Truhe aufmachte und ein Kurzschwert heraus holte.

"Ich mache dir keinen Vorwurf, dass du uns deinen Rang verheimlicht hast, aber ich werde dich nicht nur mit einem Dolch bewaffnet da hinaus lassen. Nimm dieses Schwert. In der Truhe ist noch eines und damit werde dir beistehen."

In Erics Gesicht stand Bestürzung.. "Nein, das darfst du nicht. Ich darf dich nicht in meine Probleme hineinziehen. Du darfst nicht dein Leben für mich riskieren! Es ist nicht dein Kampf."

Doch Sandros Gesicht zeigte wilde Entschlossenheit. " Es mag seltsam klingen. Ich kenne dich zwar erst seit kurzer Zeit, aber ich habe dich geheilt, mit dir das Feuer und Nahrung geteilt. Ich würde sagen, du bist in der kurzen Zeit zu einem Freund geworden. Ich lasse dich nicht im Stich, egal was du sagst."

Als Eric diese Worte hörte, erfüllte ihn das mit großer Freude. "Mein...Freund...", er lächelte, "ich werde deine Hilfe mit großer Dankbarkeit annehmen."

Nun meldete sich auch Lyssa zu Wort. "Ihr geht nicht ohne mich! Ich werde euch mit der Armbrust unterstützen und keine Widerrede!" Auch sie wirkte fest entschlossen. Sandro schien das gar nicht zu gefallen, aber er hielt den Mund.

Eric zuckte resigniert mit den Schultern. "Die Göttin möge mir verzeihen, dass ich euch in meine Angelegenheiten verwickle und euch in Gefahr bringe." Er drehte sich um und sprang aus der Höhle. Sandro und Even gingen in Verteidigungsstellung und Lyssa nahm Deckung hinter ein paar Felsbrocken, als mehr als ein Dutzend Männer aus dem Wald kamen.

Der Anführer der Männer setzte ein triumphierendes Lächeln auf, als er Eric erblickte. Bis Lyssa die ersten Angreifer mit einem Armbrustbolzen in der Brust begrüßte. Schlagartig verschwand das Lächeln aus den Gesichtern. Eric stürzte sich auf dem ihm am nächsten. Sandro tat es ihm nach. Die jahrelangen Übungen mit Taryn, seinem Kampflehrer machten sich bezahlt. Er parierte einen seitwärts geführten Hieb und griff seinerseits an. Sein Schwert durchstieß die Deckung seines Gegners.

Sandros Instinkt ließ ihn herumwirbeln. Der Soldat, der nun vor ihm stand, wollte ihm das Schwert eigentlich in den Rücken rammen. Doch plötzlich ragte ein Bolzen aus dessen Kehle. Das Blut sprudelte unter dem schmerzerfüllten Gesicht hervor, bevor er mit erstaunten Blick in den Augen zu Boden sank. Sandro schenkte Lyssa ein dankbares Lächeln und wandte sich Eric zu. Dieser wurde bereits von mehreren Angreifern umringt. Mit neu entfachtem Mut stürzte er sich auf sie.

In Lyssas Kopf wirbelten die Gedanken. Bolzen nachlegen. Schießen. Bolzen nachlegen...Jedes Geschoß traf. Diese Tätigkeiten kamen in einer flüssigen Bewegung. Sie hatte etwa sieben von ihnen erledigt. Nun waren nur noch fünf übrig. Sie sah wie sich ihr Bruder auf diejenigen stürzte, die Even, nein, Eric bedrängten und die Krieger gemeinsam mit ihm zurück drängte. Siedendheißer Schmerz durchzuckte sie, als sie sah, wie Eric eine Schulterwunde erhielt. Dann wallte Zorn in ihr auf. Das nächste Geschoß tötete den Krieger, der Eric verletzt hatte. Dieser lächelte ihr schnell zu. Sie erwiderte es. Dann traf ihr Bolzen bereits den nächsten Soldaten am Arm. Eric stieß dem Mann sein Schwert ins Herz, als der nach dem Arm griff. Inzwischen war der Sand aufgewühlt und hatte kleine Erhebungen gebildet..

Eric stolperte über eine davon, als er Sandro helfen wollte. Er fiel gegen den Mann der über Sandro stand und brachte ihn zu Fall. Panische Angst breitete sich in Lyssa aus, als sie Sandro regungslos am Boden liegen sah. Sie fing an zu zittern und dann schoss sie dem Mann, der ihrem Bruder gerade heimtückisch das Schwert in die Kehle stoßen wollte, einen Bolzen in den Oberschenkel. Er drehte sich fluchend um und sah sie an. Erstaunen und Schmerz zeigte sich auf seinem Gesicht. Aber nur solange, bis Eric ihm das Schwert über den Unterleib zog, dann verzerrte nur noch Schmerz sein Gesicht. Er fiel auf die Knie und dann aufs Gesicht. Der letzte Krieger, es war der Anführer von vorhin, drehte sich um und flüchtete in den Wald.

Lyssa warf Armbrust und Köcher zu Boden und rannte zu den beiden Männern. Sandro lag bewusstlos am Boden. Er blutete heftig aus mehreren kleinen Wunden und einer großen Kopfwunde. Das Blut sickerte in den Sand. Dieser Anblick, wie der Fleck immer größer wurde, versetze sie in rasenden Zorn. Eric kniete neben ihm. Lyssa warf sich auf die Knie und legte ihrem Bruder die Finger auf den Kopf. Sie versetzte sich in seinen Körper und befahl ihm mit all ihrer vorhandenen Kraft, die Blutung zu stoppen. Dann heilte sie die kleineren Verletzungen. Sie öffnete noch kurz erschöpft die Augen und fiel Eric dann bewusstlos in die Arme. Dieser verband seine Schulterwunde mit einem Streifen seines Hemdes und zog erst Sandro und dann Lyssa, unter großen Schmerzen, in die Höhle. Er legte beide auf die Pritschen, deckte sie zu und schlief zu ihren Füßen ein.

Lyssa wachte wegen ihres bohrenden Hunger auf. Einen Augenblick konnte sie sich nicht erinnern, was passiert war und ob das nicht alles ein Traum gewesen war. Aber dann sah sie Eric und Sandro. Das Blut an ihrer Kleidung und an ihren Körpern war äußerst real. Sie stand vorsichtig auf und ging auf die Vorratskörbe zu. Sie aß und aß, bis sie ihre durch die Heilung verlorene Kraft wiedererlangt hatte. Dann ging sie wieder zu den beiden Männern und sah nach deren Wunden. Die Verletzung an Erics Schulter war nur eine Fleischwunde. Die konnte selbst sie mühelos heilen. Bei Sandro sah das anders aus. Sie konnte selbst mit ihrer begrenzten Gabe der Tiefenschau nicht erkennen, ob er innere Verletzungen hatte.

Er warf sich unruhig hin und her. Als sie die Hand auf seine Stirn legte, fühlte sie sich heiß an. Die Waffe, die ihn getroffen hatte, mußte vergiftet gewesen sein. Niemand bekam so schnell Fieber. Lyssa versuchte, tief in sich hineinzugreifen und ihre letzte Kraftreserve zu finden. Doch das war nicht möglich. Sie hatte einfach nicht genug Kraft. Tränen schossen in ihre Augen, aufgrund ihres Unvermögens. Verzweifelt sank sie auf die Knie. Sie konnte nur beten, dass Sandro stark genug war um sich selbst zu heilen.

"Lyssa?" Es war Eric. Seine Augen waren voller Schmerz und Scham. "Wie geht es ihm? Wird er wieder gesund?"

Sie sah ihn hoffnungslos an. "Ich weiß es nicht. Meine Gabe ist nicht stark genug, um ihn zu heilen. Ich kann nur hoffen und zur Göttin beten, dass er gesund wird."

Dann setzte sie sich entschlossen gerade auf und legte Eric die Finger auf den Kopf. "Aber ich kann dir ein wenig Kraft zurückgeben."
Der junge Mann spürte wie irgendetwas in ihn hinein floß und seine Energie wieder wuchs. Er fühlte sich mit jedem Atemzug kräftiger und gesünder. Lyssas Gesicht aber wurde immer bleicher.

Bis Eric ihr die Hand auf die Schulter legte. "Es reicht. Du schwächst dich. Hebe dir deine Kraft auf. Du wirst sie wirklich noch brauchen." Sie sank in sich zusammen.

Der verzweifelte Ausdruck auf ihrem Gesicht schmerzte ihn. "Du hast Recht. Ich muss aufs Gut, um unsere Vorräte aufzufüllen. Du wirst solange bei Sandro bleiben müssen."

Ihre Miene änderte sich und wurde ernst. "Oder wirst du erneut fliehen, jetzt wo dich diese Männer gefunden haben?" Ihr Blick traf ihn ins Herz. Er spürte, wie sich etwas in ihm regte.

Eric fasste einen Entschluß. "Nein, ich werde dich jetzt nicht verlassen. Nicht dich und nicht Sandro. Wir werden die Männer beerdigen müssen, sonst wimmelt es hier bald vor Aasfressern. Danach suche ich ihr Lager auf und kundschafte es aus. Aber ich werde solange bleiben, bis Sandro wieder gesund ist." Seine Finger umklammerten die Kette mit dem Anhänger. "Geh nur, Lyssa. Ich werde gut auf ihn aufpassen."

Lyssa ging mit den leeren Körben zu ihrem Pferd. Sie fragte sich, warum Eric seinen Anhänger so festgehalten hatte. Als wolle er Kraft daraus beziehen. Nun ja, Kraft würden sie alle gebrauchen. Vor allem Sandro. Wie sollte sie Daria die Sache erklären? Ihre alte Kinderfrau würde ihr doch sofort alles ansehen. Lyssa musste ihr die Wahrheit sagen, doch während sie durch den Wald ritt, wurde ihr klar, dass das schwache Herz der alten Frau solch eine Nachricht nicht verkraften würde. Als sie endlich vor Daria stand, erzählte sie ihr einen Teil der Wahrheit und sagte ihr, dass Sandro schlafen würde. Er hätte einen anstrengenden Heilzauber gewirkt.

Ihre alte Amme nahm natürlich an, dass es sich um ein verletztes Tier handelte. Während ihrer Bemutterung versuchte Lyssa ihre Besorgnis so gut wie möglich zu verbergen. Endlich ging Daria in die Küche, um die Körbe für Sandros Genesung zu packen. Als Lyssa außer Sichtweite des Tores war, trieb sie ihr Pferd an, um schneller bei ihrem kranken Bruder zu sein.

*****

Sobald Lyssa weggeritten war, ging Eric nach draußen und erledigte die notwendige Arbeit mit den Leichen. Danach ging er zurück zu Sandro und kniete neben ihm nieder. Er legte eine Hand an Sandros Kopf und die andere an seinen Anhänger. Das Silber wurde unter seiner Berührung schnell warm. Eric spürte, wie sich die Kraft in der Rune sammelte. Langsam zog er das blaue Feuer aus dem Anhänger in den Körper hinein. Er spürte das Fieber auf, das Sandro so gefährdete und das die verunreinigte Klinge verursacht hatte. Und dann merzte er die Wurzel aus. Danach suchte er nach weiteren Verletzungen. Das linke Handgelenk war angebrochen, aber das konnte er leicht beheben.

Er öffnete die Augen und merkte, dass Sandro sich nicht mehr hin und her warf. Auch seine Gesichtsfarbe normalisierte sich langsam wieder. Eric war sich sicher, dass Sandro wieder gesund werden würde. Eric merkte, dass er die Augen nicht mehr offen halten konnte und schleppte sich zur zweiten Pritsche. Dort ließ er sich fallen und schlief augenblicklich ein.

Ihre Haut prickelte! Mit einer dunklen Vorahnung rannte Lyssa zur Höhle. Sie warf nur einen flüchtigen Blick auf den Platz, der leer und still vor ihr lag.. Aber das kümmerte sie im Moment nicht. Das Prickeln wurde stärker, je näher sie sich der Höhle näherte! Sie schlug den Farnvorhang zur Seite und sah...Eric schlafend auf dem einem Bett liegen, während Sandro sich gerade im Schlaf regte. Um beide lag ein schwaches blaues Leuchten in dem silberne Funken schwebten. Langsam verblasste das Leuchten, bis sie glaubte, sie habe es sich doch eingebildet.

Sandro atmete ruhiger und sah erstaunlicherweise schon sehr viel besser aus. Nun sah er nicht mehr aus, als ob er im nächsten Moment in die Geisterwelt wechseln würde. Die Fragen brannten ihr auf der Zunge, aber da Eric schlief, musste sie sich wohl gedulden, bis er wieder aufwachte. Nachdem sie allerdings etwa eine halbe Stunde untätig auf dem Boden zwischen den beiden Pritschen gewartet hatte, wurde sie ungeduldig. Sie packte den Altaner an der Schulter und schüttelte ihn. Sie wusste nicht, wie ihr dann geschah, denn schon lag die Klinge seines Dolches auf ihrer Kehle. Sie wagte nicht zu atmen, da das Messer sonst in ihre Haut eingedrungen wäre.

"Lyssa, verdammt noch mal!" Seine Stimme klang scharf. "Mach das nie wieder. Ich warne dich, das nächste Mal kann ich nicht mehr so schnell abbremsen und schneide dir die Kehle durch." Er setzte den Dolch ab. Das Mädchen holte tief Luft. Sie hatte noch nie so schnelle Reflexe gesehen.

Dann wallte der Ärger in ihr hoch. "Wenn ich ein Feind wäre, hätte ich dir dann nicht im Schlaf die Kehle durchgeschnitten?" zischte sie ihn an. "Das wäre doch besser, als dich aufzuwecken und mich dir im Kampf zu stellen." Sie ballte die Fäuste, damit sie nicht über ihn herfallen würde in ihrem Zorn. Sie atmete tief durch.

"Was hast du mit Sandro gemacht? Als ich ging, kämpfte er mit dem Fieber und jetzt sieht er aus als würde er seinen Mittagsschlaf halten. Ich habe nicht gewusst dass du die Gabe hast. Wie sonst hättest du ihn heilen können? Warum hast du es nicht schon vorher gemacht?!"

Eric sah sie trotz seiner immer noch vorhandenen Wut ruhig an. "Ich? Ich habe damit rein gar nichts zu tun. Du hast ihn vollkommen allein geheilt."

Sandros Schwester allerdings warf ihren Zopf gereizt über eine Schulter und fauchte ihn an. "Erzähl mir keine Märchen. Ich habe immer gewusst, dass meine Heilgabe zu schwach ausgeprägt ist, außerdem ist das Leuchten um euch beide nicht zu übersehen!"

Mit dieser unwirschen Erwiderung verblüffte sie ihn. "Du kannst meine Aura sehen? Ich hätte nicht gedacht, in dir eine Magierin zu finden."

Lyssa fuhr ihn schroff an. "Unsinn. Ich habe die Gabe, wenn auch nur schwach. Das ist keine Magie. Und versuch nicht vom Thema abzulenken. Wenn du ihn heilen konntest, warum hast du es nicht schon früher getan? Er hätte sterben können, wegen dir!"

Lyssa war verärgert und enttäuscht, dass Eric Sandro hatte heilen können. Verärgert war sie, weil er ihr nichts von seiner Magie erzählt hatte. Und enttäuscht, weil nicht sie es war, die Sandro geheilt hatte. Schließlich war es IHR Bruder und sie besaß die Gabe, auch wenn sie wusste, dass sie nur schwach ausgeprägt war. Sie wusste, es war dumm von ihr, aber sie konnte nichts dagegen tun. Außerdem war sie ein wenig eifersüchtig, denn sie erinnerte sich wohl an die Worte vor dem Kampf. 'Mein Freund' hatte Sandro ihn genannt. Nach so kurzer Zeit. Es schien, als wären sie schon immer Freunde gewesen. Daran konnte SIE, Sandros Zwilling, nicht teilhaben. Sie standen sich schon immer nahe, aber jetzt fühlte sie sich ausgeschlossen.

Eric war ein wenig erstaunt über diesen Gefühlsausbruch. Sein Zorn auf sie war bereits verraucht. Er fragte sich, warum sie nur so heftig reagierte. Er hatte Sandro doch nichts Böses angetan, ganz im Gegenteil. Er verstand das Mädchen einfach nicht.
Lyssa sah ihm diese Gedanken deutlich an seinen Gesicht an und beruhigte sich. Sie hatte Eric nicht wegen einer dummen Laune verletzen wollen. Sie holte tief Luft. "Es tut mir leid, Eric. Ich bin wohl nur ein wenig gereizt, weil ich mir Sorgen gemacht habe. Was hast du da über Magie und über das Leuchten gesagt? Erzähl mir davon."

Erleichtert sah sie, dass er ihr die verärgerten Worte nicht übel genommen hatte. Während sie die Körbe ausräumte, um sich zu beschäftigen, erzählte ihr Eric, was es mit dieser Aura auf sich hatte.

"Jedes Mal wenn ich meine Magie benutze, bildet sich ein Leuchten um mich und den Gegenstand, den ich mit dieser Magie belege. Diejenigen denen Magierblut durch die Adern fließt, können diese Aura sehen. Seltsam ist es nur, dass ich diese nicht bei dir sah, als du Sandro und mich behandelt hast." Lyssa kauerte sich neben Sandros Pritsche nieder.

Sie wob mit ihrer Gabe eine Kugel aus schimmernden Licht in die Luft. "Siehst du etwas?"

Eric schüttelte den Kopf und legte nachdenklich die Finger an sein Amulett. Er riss die Augen auf.
"Göttin! Du strahlst ja. Um deinen Körper liegt ein blendendes, silbernes Glühen." Er hob die Hand um seine Augen zu bedecken, ließ sie dann aber erstaunt sinken. "Jetzt ist es weg. Aber gerade eben..." Seine Miene wurde erst nachdenklich, dann hellte sie sich auf. "Ich hab's! Es ist eine höchst seltene Magie und noch seltener in diesem Land. Solange man kein geweihtes Metall trägt, ist deine Aura unsichtbar. An sich ist das ziemlich nützlich, so kannst du immer unbemerkt deine Magie wirken. Außer natürlich, andere Magier tragen geweihtes Metall. Aber das ist unwahrscheinlich. Nicht viele Magier weihen sich irgendwelchen Göttern." Lyssa war an diesem Thema sehr interessiert. "Du meinst, ich bin wirklich eine Magierin? Dann müsste Sandro aber auch einer sein."

Sie hörte neben sich ein Ächzen, dann flüsterte eine schwache Stimme: "Was müsste ich sein?" Mit einem Aufschrei warf sie sich herum und erdrückte ihn fast in einer Umarmung.

Sandro schob sie vorsichtig von sich. "Sachte, sachte. Ich fühle mich als hätte sich ein Ackergaul auf mich gesetzt. Geh ein wenig vorsichtiger mit mir um, ja? Was ist überhaupt passiert?"

Lyssa wirkte unglaublich erleichtert. "Weißt du das nicht mehr? Du wurdest im Kampf verletzt. Aber keine Sorge, die Männer sind überwiegend tot."

Sandro setzte sich langsam auf. "Ich kann mich nur noch an einen heftigen Hieb erinnern, der alles schwarz werden ließ. Aber es scheint ja gut ausgegangen zu sein. Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist, Lyssa. Mutter hätte mich sonst gehäutet." Er lächelte sie an und Lyssa grinste zurück.

Dann sah er Eric mit seinen grünen Augen forschend an. "Also Eric, nun da die Kerle ja weg sind, könntest du uns eigentlich deine Geschichte in Ruhe erzählen! Und von was habt ihr eigentlich geredet, als ich aufgewacht bin?"

Auch der Prinz wirkte erleichtert, daß es Sandro gut ging. "Ich habe Lyssa erklärt, dass es in eurer Familie Magier geben muss. Da deine Schwester magische Kräfte hat, glaubt sie, dass du auch welche hast."

Sandro runzelte skeptisch die Stirn. "Und stimmt es?"

Eric zuckte die Achseln. "Das wird sich herausstellen, wenn du wieder kräftig genug bist. Lyssa, könntest du ihm ein wenig Wasser geben? Er wird bestimmt eine ganz trockene Kehle haben. Er muss ja seine ganzen Kräfte zurückerlangen." Sie reichte ihrem Bruder den Schlauch, den sie mit frischen Quellwasser gefüllt hatte. Während Sandro durstig trank, überprüfte Eric mit seiner Magie die Gesundheit des jungen Mannes. Dabei sah er ihn abwartend und erwartungsvoll an.

"Was ist los? Wartest du auf irgendwas?", fragte Sandro neugierig, dem sein Blick aufgefallen war.

Eric dagegen wirkte enttäuscht. "Dann siehst du nichts?"

Sandro sah ihn ratlos an. "Was soll ich denn bitte deiner Meinung nach sehen?"

Der Altaner wirkte irgendwie noch enttäuschter. "Nichts Außergewöhnliches? So eine Art von Leuchten um mich herum?"

Sandro winkte ab. "Ach so das. Das ist doch natürlich. Das sehe ich immer." Bei dieser Entgegnung wurde die Miene des Altaner so verblüfft, dass Sandro unwillkürlich lächeln musste.

In Erics Kopf dagegen wirbelten die Gedanken. Diese spezielle Art der Magie war immer nur einer einzigen Familie vorbehalten gewesen. Byron Tejer, der letzte Magier der sie besaß, flüchtete vor einem halben Jahrhundert wegen der damaligen Unruhen aus Altane. Gerüchte besagten, dass er nach Caylan ging. Wie es schien, traf er damals auf Sandros und Lyssas Familie. Doch genau dieselben Gerüchte besagten auch, dass die damalige Herrscherin von Caylan ihn an ihrem Hof und in ihrem Bett aufgenommen hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie das mit dem Landadel, aus dem Lyssa und Sandro offensichtlich entstammten, zusammenpasste.

Eric beschloss später darüber nachzudenken. Aber was ihn wirklich mehr erstaunte, war die Stärke von Sandros Talent. Er sah die Aura selbst dann, wenn keine Magie gewirkt wurde. Das heißt, er erkennt Magier auch dann, wenn sie keine Magie weben. Ihn könnte ich an meiner Seite gebrauchen, wenn ich gegen meinen Onkel ins Feld ziehe. Dann hätte ich zumindest eine Chance. Doch würde Sandro mitkommen? Und Lyssa. Göttin, ich bin noch nie jemanden begegnet, der so schön und so tapfer ist. Ich hätte sie beide gern an meiner Seite im kommenden Krieg. Aber kann ich ihnen das zumuten? Es ist ja noch nicht einmal ihr Kampf. Nein!

"Eric? Eric!" Das war Lyssas Stimme.

Er sah sie überrascht an. "Was? Entschuldige, ich war in Gedanken. Was hast du gesagt?"

Das Mädchen sah ihn nachsichtig lächelnd an. "Ich fragte, ob wir die Toten nun verbrennen oder willst du sie etwa beerdigen. Wir müssen doch dafür sorgen, dass keine Spuren zurückbleiben."

Eric betrachtete sie stirnrunzelnd. "Nein, Lyssa. Das ist bereits erledigt. Mit denen haben wir keine Probleme mehr."

Lyssa sah ihn erstaunt an. "Wie hast du das getan? Ich habe kein Feuer gesehen. Keinen Rauch. Wie hast du das angestellt? Und auch keine Grabhügel."

Eric zuckte die Achseln. "Kein Feuer. Meine Magie. Ich habe sie...aufgelöst. Es ist schwer zu erklären. Ich habe die Teilchen, aus denen ihre Körper bestanden Stück für Stück...weg geschickt.“

Lyssa sah ihn vollkommen verblüfft an. "Ganz allein? So etwas ist möglich? Nun gut. Das soll mir auch recht sein. Dann kümmere ich mich um das Essen, damit wir alle wieder zu Kräften kommen. Ich hole Wasser zum Kochen. Überanstrengt euch nicht."

Mit einem rätselhaften Lächeln ging sie mit einem Krug hinaus. Sandro merkte, dass Eric ihn ratsuchend ansah und hob die Schultern. "Sieh mich nicht an, ich habe keine Ahnung wovon sie redet. Sie gibt oft solche Bemerkungen von sich, du gewöhnst dich lieber daran."

Eric wandte sich schulterzuckend dem Eingang zu, als ihn ein äußerst obszöner Fluch Lyssas zusammenzucken ließ. Sofort war er auf den Beinen. Sandro mühte sich mit einem gequälten Stöhnen auf. Besorgt spähten Eric und Sandro hinter dem Farnvorhang hervor. Einige Meter vor der Höhle stand ein dunkelhaariger Mann, der Lyssa festhielt und ihr einen Dolch an die Kehle hielt. Eric ballte die Fäuste und stellte sich auf den Felsen vor der Höhle. Er schien den Fremden zu kennen. "Verdammt, lass sie los, Marc! Lyssa hat dir nichts getan, ich bin es den du willst. Ich warne dich, sollte ihr etwas geschehen, wirst du es bereuen. Du hast bereits zu viele Verbrechen begangen."

Der Mann lachte. "So besorgt um dieses zarte Wesen? Nun da ich das weiß, nehme ich sie natürlich mit. Das garantiert mir, dass du auf jeden Fall zu uns kommst. Ohne irgendwelchen Kämpfe."

Sandro stellte sich schwankend und mit totenbleichen Gesicht neben den jungen Lord aus Altane. "Unternimm doch etwas. Du kannst sie doch nicht in den Händen dieses Kerls lassen." Er wirkte verzweifelt.

Aber Eric schüttelte den Kopf. "Sei unbesorgt. Er wird ihr nichts tun. Wir haben uns einst mit Blut verbrüdert, also kenne ich ihn in dieser Hinsicht gut genug. So sehr mein Onkel ihn auch beherrschen mag, Marc wird einem unbewaffneten Mädchen niemals etwas antun."

Zu Marc gewandt und sehr viel lauter, sagte er: "Komm Marc. Du wirst ihr nichts antun und das weißt du genauso gut wie ich. Ich komme freiwillig mit, wenn du sie in Frieden gehen lässt."

Marc wirkte verunsichert, gab aber trotzdem ein spöttisches Lachen von sich. "Das glaubst du doch selbst nicht. Sobald du sie in Sicherheit weißt, wirst du wieder fliehen und ich darf dann Santino erklären, warum du mir entwischt bist. Nein, ich nehme das Mädchen mit und wenn du unbewaffnet im Lager antriffst, lassen wir sie frei. Ich gebe dir mein Ehrenwort, ich schwöre bei Danai darauf."

Nun lachte Eric höhnisch auf. "Dein Ehrenwort! Wo war deine Ehre, als ihr meinen Vater verschwinden habt lassen? Wo war deine Ehre, als ihr meine Mutter in den Kerker werfen ließt? Wo war deine Ehre, als Areas den Vergewaltiger deiner Caitlin laufen ließ? Ach, das hast du nicht gewusst? Mein Onkel, dein neuer König ließ Santino, den Vergewaltiger seiner eigenen Nichte, ohne Strafe entkommen. Er hat ihm sogar diese Mission, mich zurück zu bringen übertragen. Nun, wo ist da deine Ehre?" Mit jedem Satz war seine Stimme lauter geworden, bis er den letzten Satz hinaus schrie, nun schwieg er vor Schmerz und Wut zitternd..

Auf Marcs Gesicht zeichnete sich Zweifel, Entsetzen und Hass ab. "Ich ... ich glaube dir nicht. Du lügst, du musst lügen. Areas würde mir das nie antun. Nie. Er weiß, dass ich Caitlin liebe. Er hat mir ihre Hand versprochen, wenn wir dich ihm tot oder lebendig bringen würden. Er würde so etwas nicht tun. Nein, er könnte so etwas nicht tun. Du willst mich nur aufhetzen, aber das schaffst du nicht. Hast du gehört? Ich bin meinem König treu."

Während er versuchte, sich dies einzureden, war die Hand mit dem Messer langsam herunter gesunken. Lyssa sah die Chance gekommen, duckte sich und rammte ihm ihren Ellenbogen hart in den Magen. Keuchend krümmte sich der Altaner zusammen und ließ das Mädchen kurz los. Aber bevor sie entwischen konnte, packte er sie an ihren Haaren und zog sie zurück. Lyssa schrie auf. Zorn durchzuckte sein schmerzerfülltes Gesicht, er hob den Knauf seines Dolchs, als wolle er sie schlagen, besann sich dann aber eines anderen. Er zerrte sie unerbittlich hinter sich her.

"Ihr kommt mit mir, meine Dame, bis Eric in unserer Gewalt ist. Eric, du wirst meinen Spuren folgen und bei Sonnenaufgang in unserem Lager erscheinen, ansonsten wird Santino sich des Mädchens annehmen. Du hast selbst gesagt, wozu er angeblich fähig ist." Mit diesen Worten verschwand er zwischen den Bäumen. Lyssas Fluchen war noch einige Zeit zu hören.

Eric ließ sich erschöpft gegen den Felsen sinken. Sandro sah ihn hoffnungslos und mit geballten Fäusten an. "Göttin, ich hätte sie doch beschützen sollen. Bist du sicher, dass sie ihr nichts antun werden? Meine Mutter läßt mich hinrichten, wenn Lyssa etwas passiert. Was werden sie mit dir anstellen, wenn du in ihren Händen bist?"

Der junge Prinz sah ihn müde an. "Marc wird ihr nichts antun. Das garantiert sein Ehrenwort. Bei Santino bin ich mir nicht so sicher. Er gilt als der gefährlichste Kämpfer in der Königsgarde. Und er ist leicht reizbar. Wenn Lyssa ihn zornig macht, könnte er leicht seine Wut an ihr auslassen. Schließlich war er es auch, der meine Schwester vergewaltigt hat. Was mich betrifft, sie werden mich nach Altane zurückbringen. Das hoffe ich zumindest. Vielleicht hat Areas aber auch den Befehl gegeben, mich gleich an Ort und Stelle umzubringen. Ich weiß es nicht. Bei Anbruch der Dämmerung werde ich in ihrem Lager sein und mich ergeben. Lyssa wird sicher hierher zurückgeleitet werden."

Er hatte nicht mir Sandros Entschlossenheit gerechnet. "Das vergisst du mal ganz schnell. Erstens komme ich mir dir mit und befreie Lyssa. Ich lasse sie nicht in den Händen solcher Leute. Zweitens verhelfen wir dir zur Flucht. In unserem Land wird kein Prinz einfach so gefangen genommen. Wo bliebe da die Gerechtigkeit unserer Herrscherin!" Der junge Mann hatte mit seltsamer Intensität gesprochen. Ihm schien die Gerechtigkeit seines Landes sehr am Herzen zu liegen. Eric merkte sich dieses Detail und beschloss, sich bei passender Gelegenheit damit zu befassen.

"Das kann ich nicht annehmen. Sieh dich doch an, Sandro, du kannst kaum auf den eigenen Beinen stehen. Wie willst du da deine Schwester befreien? Selbst wenn ich fliehen kann, werden mich die Soldaten wieder quer durchs Land verfolgen. Ich bin dessen so müde."
Der Caylaner zerrte ihn mit einem wütenden Gesichtsausdruck auf die Beine. "Und so spricht der Kronprinz von Altane? Ein Mann der von altem Blut ist? Du bist eine Schande für dein Land. Du verdienst es nicht Prinz genannt zu werden." Er wandte sich ab. Nun war Eric zornig.

"Was weißt du denn schon, was es heißt, ein Prinz zu sein. Du bist doch nur irgend so ein Landadliger!" Seine Stimme klang heiser und troff vor Verachtung.

Sandro sah ihn seinerseits verächtlich an und murmelte so etwas wie: "Wenn du wüsstest." Dann richtete er sich auf und sah dem Lord stolz ins Gesicht. "Bevor meine Schwester als Pfand für dich benutzt wird, befreie ich sie. Mit oder ohne dich. Entscheide dich, du Feigling!"

Sandros Ärger war bereits verflogen und es tat ihm weh, Eric diese Worte ins Gesicht schleudern zu müssen. Doch nur die Wut des jungen Mannes würde seinen Kampfgeist wieder wecken. Sandro lehnte sich abwartend gegen den Felsen und sah den fremden Prinz an. Er nahm wahr, wie Eric die Fäuste ballte und hoffte nur, dass dieser die neuerweckte Kampfeswut nicht an ihm auslassen würde. In seinem geschwächten Zustand wäre er ein äußerst schlechter Kämpfer. Er musste ja schon aufpassen, damit seine Knie nicht nachgaben. Seine Lippen wurden weiß, bei dieser Anstrengung. Er würde nicht mehr lange aushalten.

Der junge Altaner sah Sandro an, dass es ihm schlecht ging und sich nur wegen ihm keine Blöße zeigen würde. Seine rasende Wut löste sich schnell auf und er verstand warum Sandro ihn beschimpft hatte. "Du hast Recht. Es ist meine Schuld, dass sie gefangen wurde, also werde ich sie auch befreien. Es wäre mir eine große Ehre, dich an meiner Seite zu haben." Eric grinste Sandro entschuldigend an. Dieser verzog das Gesicht und ging in die Knie. Er sah zu ihm auf.

"Du verstehst also, warum ich das tat? Gut! Doch in meinem Zustand bin ich dir keine große Hilfe. Eher hinderlich. Aber ich muss Lyssa helfen. Du weißt nicht, was meine Mutter mit mir anstellen wird, wenn ihr etwas passiert. Es wäre ... unangenehm." Er verzog das Gesicht. Dann sah er Eric an und lächelte. "Ich rede zuviel, ich weiß. Meine Verfassung ist momentan nicht die beste, aber ich muss eine Möglichkeit finden, mit dir zu kommen."

Eric seufzte und legte seine Finger an Sandros Schläfen. Der junge Mann spürte ein Prickeln im Nacken und wie Kraft in ihn hereinströmte, bis er sich fühlte als könne er Felsbrocken in die Luft schleudern. Seine Schmerzen verschwanden.

Eric sah ihn mit einem müden Lächeln an. "Dieser Zustand wird nicht lange so bleiben, daher müssen wir uns beeilen." Schnell war das Feuer gelöscht und die nötigsten Sachen geholt. Es schien klar, dass Sandro ihm helfen würde zu fliehen und dass Eric ihn und seine Schwester mitnehmen müsse. Schweigend sattelten sie die Pferde und packten die Satteltaschen mit Proviant. In derselben Stille folgten sie Marcs Spuren im dämmrigen Zwielicht, bis Sandro aufblickte und sagte:

"Sie halten sie in der alten Schlucht am Ende des Waldes gefangen. Folge mir, ich kenne einen kürzeren Weg dorthin." Dieser Weg führte über einen fast zugewachsenen Pfad, mit dem sie hart zu kämpfen hatten, aber es lohnte sich. Die beiden kamen an einer Stelle heraus, von der sie ungesehen an das Lager schleichen konnten. Eric sah sich suchend auf dem Boden um und entdeckte dann eine Pflanze zwischen den Wurzeln eines Kastanienbaumes. Sandro sah ihn verständnislos an, als er sie einsteckte. Eric grinste. "Für den Notfall."

*****

Lyssa saß an einen Baum gekettet auf dem Boden. Sie betrachtete die eisernen Fesseln, die um ihre Handgelenke lagen. Anscheinend hatten diese Männer den Glauben, dass normale Seile sie nicht halten könnten. Das Mädchen blickte auf, als der Soldat der in einiger Entfernung stand, hustete. Er hatte die Aufgabe, sie zu bewachen. Eine lächerliche Aufgabe, als könnte sie mit diesen schweren Handschellen fliehen!

Vorsichtig wob sie mit ihrer Gabe ein Netz um die Füße ihres Wächters. Dann zog sie es ruckartig zu. Der Mann fiel abrupt hin. Verwirrt sah er sich um. Lyssa unterdrückte das aufsteigende Lachen. Außer zum Heilen hatte sie ihre Gabe seit jeher zu fast allem benutzen können. Sie experimentierte noch ein wenig weiter mit ihrer Magie. Bisher hatte sie die Flammen durch eine heftige Böe so hoch auflodern lassen, dass dies einem Mann namens Santino einige leichte Verbrennungen eingebracht hatte.

Sie wünschte ihm von ganzem Herzen, das es schmerzhaft sei. Die Blicke, die er ihr manchmal zuwarf, gaben ihr das Gefühl, beschmutzt worden zu sein. Schon als Marc sie fluchend in das Lager zerrte, hatte Santino das Mädchen begehrlich angesehen und anzügliche Bemerkungen gemacht. Dieser Mann löste Ekel in ihr aus. Die Begegnung mit ihm hoffte sie schnell wieder zu vergessen. Deshalb versuchte sie alles mögliche, um ihm Unannehmlichkeiten zu verschaffen.

Sie hatte es geschafft, genügend Funken auf seine Schlafrolle fallen zu lassen, damit diese anfing zu schwelen. Bis er gemerkt hatte, dass seine Rolle rauchte, war bereits ein faustgroßes Loch hineingebrannt. Dann wäre er beinahe ins Feuer gefallen, als er über eine urplötzlich hervorstehende Wurzel stolperte. Schließlich beeinflusste sie den Geist einer Eule insofern, dass sie glaubte, Santino hätte etwas zu fressen. Der Mann hatte einige Mühe, sich das wild flatternde Vieh vom Leib zu halten.

Schließlich wischte er es mit einer zornigen Handbewegung weg, woraufhin der Vogel dem überraschten Marc ins Gesicht flog. Nun konnte sich das Mädchen ein Lachen wirklich nicht verkneifen. Marc warf ihr daraufhin einen so zornigen Blick zu, dass sie den Kopf senkte, um die Schadenfreude in ihren Augen zu verbergen. Mit ihren magischen Experimenten zufrieden, konzentrierte sich Lyssa auf die eisernen Schellen. Sie atmete tief durch und holte aus den Tiefen ihrer Seele eine Kraft, die sie nie zuvor gespürt hatte. Sie schloss die Augen und sah die leuchtende Kugel aus purem silbernen Licht. Das war ihre Magie.

Plötzlich kam Marc heran. "Wie geht es Euch?" fragte er.

Bissig antwortete sie ihm: "Was glaubt IHR denn? Ich werde von einem ungehobelten Klotz verschleppt, in der Kälte dem Verhungern preisgegeben und Ihr fragt mich wie es mir geht!"

Der junge Altaner errötete unter dieser schroffen Zurechtweisung. "Es tut mir leid, dass Ihr da mit hineingezogen wurdet, meine Dame. Wir wollen nur Eric haben, danach lassen wir euch frei und kehren nach Altane zurück."

Sie fauchte ihn an. "Um ihn eurem Usurpator auszuliefern, der wer-weiß-was mit ihm anstellen wird? Ihr glaubt doch wohl nicht, daß er ihn am Leben lassen wird.

"Nun wurde der junge Mann leidenschaftlich. "Areas ist der rechtmäßige König. Er hätte zum König werden sollen, als er zurückkehrte, aber Demael wollte nicht abdanken, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Die alte Königin Liandra wenigstens hätte Areas unterstützen müssen, aber sie hielt zu ihrem jüngeren Sohn."

Lyssa schnaubte abfällig. "Sie wird ihren Grund gehabt haben. Aber auch wenn Areas noch tausendmal der rechtmäßige König ist, könnt Ihr mir sagen, was er mit Even...Eric anfangen wird?"

Die Miene von Marc wirkte leicht betreten. "Er wäre bestimmt gerecht. Seinem Neffen würde er nichts antun. Schon um Caitlins Willen nicht. Caitlin ist Erics Schwester – und meine Verlobte." Die junge Caylanerin sah aber, dass er dies selbst nicht glaubte und gab dies auch mit einem entsprechenden Geräusch kund.

"Wenn ich Euch nun um etwas zu essen bitten dürfte. Ich würde danach gerne schlafen, bis Ihr geruht, mich freizulassen."
Angesichts der hoheitsvoll blickenden Lyssa kam sich Marc wie ein dummer Junge vor. Langsam ging er zum Feuer und holte eine Schale Fleischbrühe. Ebenso langsam und voller Unsicherheit ging er wieder zu dem Mädchen zurück. Auf dem Weg machte er sich Gedanken. Warum nur fühlte er sich bei dem Mädchen so durcheinander? Er dachte beinahe das gleiche wie Eric vorhin. Er war noch nie jemanden begegnet, der so schön und gleichzeitig so königlich war, mit Ausnahme von Caitlin, die immer noch in Altane unter dem Schutz seines Königs weilte.

Wenn er daran dachte, wie Lyssa ihn mit ihren grünen Augen ansah, fing sein Herz an schneller zu schlagen. Diese Reaktion kannte er sonst nur bei Caitlins Anblick. Im Geiste verglich er Caitlins kühle Schönheit mit der feurigen Anmut von Lyssa. Caitlins ruhige Art mit dem Temperament von Lyssa.

"Dürfte ich bitte mein Essen haben, HERR?" Der Sarkasmus und die Bitterkeit in dieser Stimme brachten ihn in die Gegenwart zurück. Er hatte nicht gemerkt, dass er ihr beinahe auf die Füße getreten wäre. Unbeholfen reichte er ihr die Schale und bekleckerte das Mädchen beinahe. Sie betrachtete ihn gleichzeitig mitleidig und ärgerlich. Mehr denn je kam er sich wie ein ungebildeter Bauer vor und nicht wie der Sohn einer hohen Adelsfamilie. Zorn flammte in ihm hoch über sie, die solche Gefühle in ihm auslöste.

Er betrachtete Lyssa, wie sie vor ihm saß. Der Schein des Feuers tanzte in den Haaren, die die Farbe dunkler Bronze hatten. Die dunkelgrünen Augen funkelten ihn herausfordernd an. Sie stachen als einziges aus dem schmalen, weißen Gesicht heraus, das zur Hälfte im Schatten verborgen war. Sein Blick wanderte zu den langen, schlanken Fingern, die die Schale umfangen hielten. Er stellte sich vor, wie diese Finger sein Gesicht berührten und streichelten. Ihm rannen Schauder durch den Körper, doch bevor seine Gedanken weiter gehen konnten, riss ihn Lyssas Stimme zurück.

"Wenn Ihr so freundlich wärt und es Euch nichts ausmacht, würdet Ihr dann bitte aufhören, mich anzustarren?" Er spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoß und er wandte sich schnell von ihr ab, dem Feuer zu.

Santino betrachtete ihn mit einem hämischen Grinsen. "Das Mädchen hat Temperament, nicht wahr? Ich weiß ja nicht wie es mit dir steht, Junge, aber ich habe sehr lange keine Frau mehr gehabt. Es wäre doch äußerst amüsant zu sehen, wie lange das hochmütige Weibsbild ihr Feuer behält, wenn ich mich mit ihr befasse."

Diese Bemerkung fachte Marcs Ärger zusätzlich an. "Wagt es ja nicht, Hand an sie zu legen. Ihr würdet dafür bezahlen! Sie ist eine ehrenwerte Geisel! "

Santinos Grinsen wurde wenn möglich noch breiter und schmieriger. "Das Mädchen hat es dir wohl angetan? Pass bloß auf, dass sie dir den Kopf nicht zu sehr verdreht! Außerdem, was würde eure heißgeliebte Caitlin dazu sagen?" Der Mann bellte sein Lachen in die Nacht hinaus. Marc ballte die Hände zu Fäusten, um nicht auf den breiten Rücken des Mannes einzuschlagen.

Währenddessen arbeitete Lyssa verbissen an dem Versuch ihre Schellen loszuwerden. Aus der leuchtenden Kugel purer Magie tief in ihr, hatte sie einen dünnen Strang gezogen und ihn um ein Glied der Kette gelegt. Den Faden zog sie zusammen und er wurde rasch kälter. Die Kälte ließ das Metall spröde werden und es zersprang mit einem hellen Klang. Sie sah sich schnell um, ob jemand das Geräusch gehört hatte, aber alle gingen weiter ihren Beschäftigungen nach. Nun hatte sie also die Kette gesprengt, aber ihre Hände waren noch immer gefesselt und dies wäre bei einer Flucht äußerst hinderlich. Darum verlegte sie die Kälte auf die Schelle selber. Bei dem dickeren Metall war es etwas schwieriger, aber auch dies schaffte sie. Das Geräusch war nun viel lauter, aber auch dies schienen die Männer zu überhören.

Das dachte sie zumindest, bis Marc hinter einem Baum hervortrat. Er hatte sie beobachtet, ohne dass sie es gemerkt hatte. "Warum habt Ihr das getan, meine Dame? Ich gab Euch mein Ehrenwort, dass wir Euch zu gegebenen Zeitpunkt freilassen würden. Nun werde ich bessere Maßnahmen ergreifen müssen. Er rief dem Wächter, der sich zum Essen davongeschlichen hatte, einen scharfen Befehl zu. Dieser brachte ihm mit einem schuldbewussten Gesichtsausdruck eine neue Kette.

Eine Schelle schloss er um Lyssas schmales Handgelenk, die andere um sein eigenes. "Ihr bleibt an meiner Seite, bis wir haben, was wir wollen. Ihr habt es Euch selber zuzuschreiben, meine Dame." Es erfüllte ihn mit Schmerz, als sie ihn so hasserfüllt anstarrte. "Es tut mir leid...Lyssa. Glaubt mir, es nur zu Eurem Besten. Hier gibt es einige, die Euch nicht sehr höflich behandeln würden."

Sie sah ihn betroffen an und blickte dann auf ihre Schelle. Sie wusste sehr wohl, was er meinte, sie musste nur an Santinos Blicke denken. Vielleicht war es wirklich besser, an diesen Krieger gefesselt zu sein, als irgendeinem der anderen barbarischen Soldaten ausgeliefert zu sein. "Wie Ihr meint, mein Herr. Ich bin in Eurer Hand."
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Hi Du!
Man findet doch immer mal wieder ganz interessante Geschichten beim Stöbern. ;)

Der Spannungsbogen entwickelt sich zwar etwas langsam, aber du wirfst genug Fragen auf, die den Leser antreiben weiterzulesen.
Von den Charakteren sind dir Lyssa und Even am besten gelungen. Sandro zeichet sich durch eine gute Sprache aus, aber manchmal finde ich, hat er nicht ganz so viel Tiefe.
Es ist etwas kompliziert die Dialoge zu lesen und man kommt durcheinander, wer gerade spricht. Benutze doch für jeden Charakter, wenn er zu sprechen beginnt, eine neue Zeile.
Ansonsten gefällt mir die Geschichte gut, du hast viel Gefühl für Details.


Mes Calinum (05.12.2003)

Hi Metevelis

Das geht mir doch genau so, siehe Salzsäule und Salzsäure. Das Teil hatte ich xmal Korrektur gelesen und trotzdem diesen schlimmen Fehler nicht gesehen.

Und ja, ich vergesse jedesmal, die Punktzahl selber zu werten.
Aber nachholen kann ich es. Soeben geschehen.

Gruss Lies


Lies (24.03.2003)

Meine Güte, Lies. Du hast ja regelrechte Argusaugen. Schön, das du die Fehler aufgespürt hast, die mir durch die Lappen gegangen sind. Ich habe das Teil zwar zigmal Korrektur gelesen, aber irgendwann übersieht man die einfachsten Fehler. Danke.

Und eine Frage an dich: Schreibst du immer nur die Punkte hin (Beispiel hier: 5 Punkte) oder warum bewertest du die Geschichte nicht? Ist mir bereits bei der anderen Story aufgefallen. *gg*


Metevelis (23.03.2003)

Hi Metevelis

Jetzt wage ich mich an Fantasy, obwohl das so gar nicht meine Schiene ist.
Aber...Überraschung, das liest sich ja ausgesprochen gut.

Jetzt pingeln wir ein bssichen, nichts was Du nicht leicht ändern könntest:

>>Das wäre leicht zu heilen. Nun gut, dann wollen wir mal sehen, wie er von ihnen aussieht<<

Hier muss es *innen* heißen, nicht *ihnen*.
Einige *das* sind auch mit einem weiteren *s* zu versehen, alles Kleinigkeiten.

>>Schon der Gedanke an seine forschenden Augen ließen ihren Puls rasen<<

Hier ist aus *ließen* ein *ließ* zu machen.

>>ihm die Kette bei passender Gelegenheit zu zurückzugeben <<

Ein *zu* ist zuviel.

>>Er sah nicht, wie Sandro seiner Schwester einen scharfen Blick zuwarf und sich dann mit gerunzelter Stirn Even zuwandte. Als dieser aufsah, war Sandros Gesicht wieder glatt.<<

Klingt es nicht besser, wenn Du sagst, das Gesicht sei wieder *unbewegt* anstatt glatt?

>>Dessen blaugrauen Augen sahen sie amüsiert an<<
Hier ist ein *n* zuviel.

Und im Satzgefüge darüber wird der Name *Even* zu oft genannt, da würde ich versuchen, anders zu formulieren.

>> Zuletzt spickte er das Tier mit Speckscheiben und steckte es an einem Spieß über die Flammen. Der Geruch, der sich ausbreitete, ließ ihnen das Wasser im Munde zusammenlaufen<<

Hmmm....mir auch, überhaupt Metevelis, großes Lob für Dein Talent, Menschen und Umgebung zu schildern, das sind Bilder die haften bleiben.
Sehr gut.

>>Der Soldat, der vor ihm stand, hätte ihm das Schwert in den Rücken gerammt. Da ragte plötzlich ein Bolzen aus seiner Kehle<<

Das ist leicht mißverständlich, klärt sich zwar anschließend, aber hgier siehts so aus, als ragte der Bolzen aus Sandros Kehle.
Ist leicht umzuschreiben.

>>Sobald Lyssa weggeritten war, ging er nach draußen <<

Hier muss dann ein *Even* dazu, weil ein neuer Abschnitt beginnt.

>>Er verstaute dieses Detail in seinem Gedächtnis, um sich später damit zu befassen.
<<

Hier ist nicht erkennbar, wer gemeint ist, wer sich also etwas merkt.
Kleine Veränderung angebracht.

>>"Um ihn euren Usurpator auszuliefern<<

Um ihn euere*m* Usurpator auszuliefern.

Am Ende angekommen weiß ich, die kommenden Teile werde ich ebenfalls lesen.
Gut gemacht....5 Punkte


Lies (23.03.2003)

So! Nun hab ich mir das Teil endlich vorknöpfen können!
Du hast mal geschrieben, dass du dir diese Geschichte schon in Teenagerjahren ausgedacht hast. Alle Achtung! kann ich da nur sagen!
Die Geschichte spiegelt eine fantastische Phantasie wider.
Besonders gut gefielen mir die genauen und bildhaften Beschreibungen wie zum Beispiel die Waldszene, in der ein Pirol ruft. Ich liebe solche ausführlichen Beschreibungen. Nichts ist für mich schlimmer, als kurze abgehackte Stories, bei denen ich mir die Hälfte des Geschehens selber dazudenken muss.
Interessant auch die "innere Magie" der drei Hauptpersonen.
Am besten gefällt mir Lyssa: sie ist freundlich, romantisch, ein guter Kamerad, dabei aber auch trotzig, schüchtern und zugleich frech.
Dein Stil, wie du die Hauptperson darstellst, erinnert mich ein wenig an "Erdenkind und Drachentod" von Maegumi, was als Lob gedacht ist.
Ich bin nicht so der Fantasyfan, stehe eher auf SF, aber dein Schreibstil zwingt einfach zum Weiterlesen.
Fette fünf Punkte von mir!


Stefan Steinmetz (08.03.2003)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Lichtnetz - Inhaltsangabe  
Lichtnetz (Part 15)  
Lichtnetz (Part 14)  
Lichtnetz (Part 13)  
Lichtnetz (Part 12)  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De