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10 Seiten

Die Geschichte vom Silberstab

Fantastisches · Kurzgeschichten · Herbst/Halloween
Es war einmal vor einiger Zeit... Es war einmal eine Vollmondnacht, wie sie des öfteren, auch heute noch, vorkommen. Das besondere an dieser Nacht war, dass man drei Frauen hätte beobachten können, die sich in einer einsamen Gegend auf eine nächtliche Wanderung machten.
Hätte man - wenn jemand um diese Zeit in diesem Wald umherwanderte und gewagt hätte, den Frauen zu folgen. Ein solcher jemand hätte sich sicher gefragt, wohin und warum die Drei so spät noch unterwegs waren. Sie hätten auf diese Frage geantwortet - „Nichts weiter... Ein wenig singen und tanzen im Mondschein..."
Und auf den weiteren Hinweis, dass das gefährlich sei, für drei Frauen, so ganz alleine, hätte er einen eisigen Blick geerntet und die Älteste hätte etwas erwidert, wie - „Gefährlich? Ohne Männer? Ich glaube nicht!" Dabei hätte sie eine Miene gemacht, die keine weiteren dummen Bemerkungen duldete und die drei wären leise lachend weitergezogen und hätten den Fragenden mit einem Gefühl zurückgelassen, als müsse er sich ganz schnell davonmachen.

Nun, wenn. Aber natürlich begegneten sie niemandem. Denn es war mitten in der Nacht und brave, abergläubische Bürger wagten sich nicht zur „Geisterstunde" in den Wald. Die Einsamkeit machte ihnen nichts aus; sie waren es gewohnt, in Ruhe gelassen zu werden, aber zumindest die Jüngste war ein wenig aufgeregt angesichts der leisen Geräusche und huschenden Bewegungen um sie herum.
„Mistress Alisha...", begann sie vorsichtig. „Sind Sie sicher, dass wir das Ganze heute noch versuchen sollen? Wollen wir nicht noch einen Vollmond abwarten?"
„Keine Widerrede, Fanny," knurrte die Älteste. „Heute nacht ist perfekt. Du musst mitkommen, um eine von uns werden. Du weißt, das es nötig ist. Und nun schweig und konzentrier’ dich. Wir haben heute einen mächtigen Gegner vor uns."
Fanny, die jüngste, schwieg und klammerte sich an das Bündel, das sie schleppte, während die anderen beiden unbeschwert ausschritten. (Scheinbar war es ein ewiges Gesetz, dass zu allen Zeiten, unter allen Rängen, die Adepten den Gepäckträger für die Erfahrenen spielen mussten.)

Es ist nun Zeit für einen kurzen Einschub. Wir sprechen hier von der Jüngsten und der Ältesten der drei Frauen. Diese Einteilung ist natürlich verwirrend und wäre es noch mehr, wenn man die Drei sehen könnte. Denn außer Fanny, der man das frische Aussehen des Adeptenalters von 21 Jahren ansah, war es kaum möglich, das tatsächliche Alter der beiden anderen zu erraten. Dies ist schon bei vielen gewöhnlichen, nicht magisch veranlagten Frauen schwierig, die ja daher meist mit ‘mittlerem Alter’ bezeichnet werden, solange sie zwischen 22 und 66 Jahre zählen. Bei Hexen aber ist diese Aufgabe noch unvergleichlich schwerer zu lösen, da sie ihre ganze Kunst aufwenden, um dies zu erschweren.
Einmal soll ein weiser Mann eine Formel entwickelt haben, um das Alter einer Hexe zu bestimmen. Er meinte, man müsse das Alter, das sie auf Nachfrage eines mutigen Mannes angeben, zu jenem zählen, nach dem sie aussehen; das Ergebnis sei in etwa richtig. Dies erschien in der Praxis allerdings schwierig, da beide Zahlen keine festen Konstanten waren, sondern von Mal zu Mal variierten, wenn man die Hexe traf. Besagter weiser Mathematiker konnte dieses Problem der Unschärfe leider nicht mehr lösen, da er sich urplötzlich in einen Laubfrosch verwandelte. Seither versuchte niemand mehr das genaue Alter einer Hexe zu bestimmen.

Zurück zu unseren Drei. Nun ist es heraus, es handelte sich um Hexen, Waldhexen genaugenommen. (Es gab auch andere Arten von Hexen, die sich aber untereinander nicht riechen konnte. Zum Beispiel erzählte Alisha gerne die Geschichte, wie einmal eine Meerhexe in ihrer Hütte gastierte. Infolge des starken Fischgeruchs, den die alte Dame ausstrahlte waren Alishas sechs Katzen der Besucherin nicht mehr von der Seite gewichen. Sie selbst aber versuchte mehrere Tage lang, auf einem Baum außerhalb der Hütte Schlaf zu finden.)
Die Frauen hatten das Privileg, sich Hexen zu nennen, zumindest die Meisterin, Mistress Alisha und ihre Assistentin, Miss Claudine. Fanny war noch keine Hexe, allerdings würde sie, wenn alles gut ging, noch heute nacht zum Rang einer Adeptin aufsteigen, der niedrigsten Stufe. Dieser Schritt war für ihr Alter üblich, nachdem sie drei Jahre die Wege der älteren beobachtet hatte und sich als würdig erwiesen hatte. Der niedrigste Rang sicherte ihr die Bezeichnung Hexe auf Lebenszeit, also ein großer Tag für das Mädchen. Es muss noch erwähnt werden, dass wir vom Grad der Erfahrung der Frauen sprechen, da ihr Alter nicht zu erkennen war. Es ist ein Märchen, dass Hexen alte Frauen mit Warzen seien. Nun, manchmal sind sie das wohl auch, aber jede Hexe mit Anstand nutzte ihre Fähigkeiten mit Wurzeln und Blättern, um sich eine Paste zu mischen, die alle Falten und Warzen verdecken konnte. So waren Alisha und Claudine auch Meisterinnen der Verjüngung, was sie nicht zuletzt ihrer Kenntnis über die Wirkung einer guten Spitzwegerich-Gesichtsmaske zu verdanken hatten. Ein unbedarfter Betrachter mochte sie auf Anfang dreißig schätzen, aber wer wußte schon, wie sie früh morgens in einem unbeobachteten Moment aussahen...

Auf jeden Fall zogen die Drei zu nächtiger Stunde durch einen dichten Wald auf der Suche nach einer echten Herausforderung. Alisha war immer auf der Suche nach guten Herausforderungen. Manchmal war sie sogar so wenig herausgefordert, dass sie ganz unruhig wurde. Dann pflegte sie umherzustreifen, bis sie einen Reisenden traf, um ihm eine Lehre zu verpassen, sich nicht im Revier einer kapitalen Zauberin herumzutreiben. Überhaupt war das wohl das Hauptproblem, mit dem sich eine Hexe auseinanderzusetzen hatte. Es gab zu wenig echte Herausforderungen. Die Männer in Dörfern und Städten in ihrer Umgebung kannten sie und flüchteten sich in ihre Häuser, sobald ihre Schritte zu hören waren. Aber auch magische Wesen und Tiere mieden sie, wenn sie erst einmal unangenehme Erfahrungen mit ihnen gemacht hatten.
Diese Nacht aber war anders. Ihr Ziel sollte kein wehrloser Streuner oder verweichlichter fahrender Ritter sein. Es würde ein ganz anderes, ein übernatürliches Erlebnis werden...
Die meiste Zeit beschäftigten sich die Hexen mit ganz banalen Dingen. Sie sammelten Kräuter, Blüten, Wurzeln und Pilze, die sie dann zu übelriechenden, dampfenden Tränken verarbeiteten. Diese hatten meist keinerlei Wirkung, aber sie verdienten damit gutes Geld auf dem Stadtmarkt. Und was kümmerte es sie, ob irgendein hungriger Liebhaber statt dem geglaubten Liebeszauber nur einen Anfall von Durchfall erlebte? Letztendlich glaubten die Leute immer noch an die Kraft der Tränklein. Und es gab unter ihnen auch bereits berühmt gewordene Heilmittel. Alishas Saft gegen Schmerzen war eine grünliche Flüssigkeit, die zum größten Teil aus Blättern des Stinkwurz gewonnen wurde. Er schmeckte derart ekelhaft, dass zum Beispiel Kopfschmerzen bereits durch den Schock der Einnahme verflogen. Ein Wundermittel! Nun, Alisha sagte sich oft insgeheim, sie würde lieber den Rest ihres Lebens mit einer Migräne verbringen, als dieses widerliche Gebräu zu schlucken, aber wenn gut gestellte Bürger bereit waren, dafür zwölf Silberstücke auszugeben...
Einmal hatte sie sogar ein Mann in ihrer Hütte besucht, der sich als Mr. Mirabilis, fahrender Händler von Wundertränken vorstellte. Er hatte eine gute Summe in Gold für einige Originalrezepte von Mistress Alisha geboten. Alisha gab ihm einige ihrer wirkungslosesten Rezepte mit. Nicht dass sie so geldgierig gewesen wäre, aber sie war einfach hilfsbereit, wenn man ihr genügend Anreiz dafür bot. Der Mann zog weiter und verkaufte die Tränke an nichtsahnende Bürger zu überhöhten Preisen. Die ganze Sache brachte ihm allerdings kein Glück, denn nach einigen Monaten wurde er von einem erbosten Liebhaber an einer Wegkreuzung aufgehängt. Man brauchte eben das Charisma einer Hexe, um als Verkäufer von Zaubertränken alt zu werden.

„Fanny, kommst Du?" Alisha wandte sich energisch um. Fanny erschien kurz darauf hinter einer Biegung. Anscheinend hatte sie eine kurze Pause eingelegt, um ihre Schultern zu entlastenden, indem sie den schweren Sack absetzte. Alisha war für kurze Zeit ehrlich besorgt gewesen, Fanny könnte den Sack verloren haben. Denn leider konnten sie auf die wertvollen Inhalte nicht verzichten. Ein Lächeln der Erleichterung zeichnete sich auf Alishas schwarzumrandeten Lippen ab und ihre mit starken Linien gezogenen Brauen hoben sich. „Du wirst doch jetzt nicht aufgeben, mein Kind. Wir sind bald am Ziel. Und du weißt, es wird eine anstrengende Nacht..."
Den Rest des Weges wanderten sie ohne zu sprechen, weil Fanny fürchtete, um eine Pause zu bitten. Aber wirklich nach nur kurzer Zeit erreichten sie die Lichtung. Das Mondlicht, das durch die Öffnung zwischen den schwarzen Wipfeln drang, erhellte eine nahezu runde Fläche und erzeugte den gespenstischen Eindruck eines Raumes, einer großen Halle, die für ihre Zeremonie geschmückt war. In der Mitte erhob sich ein alter, knorriger Baumstamm, der den Eindruck machte, er sei tot. (In Wirklichkeit überraschte die alte Esche jedes Frühjahr durch eine handvoll grüner Blättchen.) Als sie auf ihn zugingen, erkannte Fanny, dass die Rinde dunkel waren und sich der Stamm nach oben hin teilte, so dass der Baum wie ein Priester aussah, der die Arme zum Gebet erhoben hatte.
„So, wir sind da. Alles bereit?", brummte Alisha und bedeutete Fanny, das Bündel am Fuße des Baums abzulegen. Dann begann sie mit den Vorbereitungen. Zuerst zog sie eine tiefgrüne Flasche hervor und markierte einen Kreis von etwa drei Metern Durchmesser vor dem Baum mit einer flüssiger Spur, die einen feinen, grünen Bodennebel bildete.
„Ein magischer Kreis, nicht wahr?", flüsterte Fanny Claudine zu.
„Nein, das nicht gerade, aber Alisha mag den Geruch von Wildkräutern."
Fanny schwieg, um nichts Falsches mehr zu sagen und beobachtete, wie Alisha einen schweren, in ein Tuch gehüllten Gegenstand aus dem Beutel zog. Sie wickelte ihn aus und zum ersten mal sah Fanny den Stab. Es war ein etwa einen Meter langes, silbernes Metallrohr, das im Mondschein glänzte. Es erinnerte ein wenig an eine Querflöte mit dem Unterschied, dass es mit alten, Fanny unbekannten, Runen geschmückt war. Alisha schritt damit in die Mitte des Kreise, holte aus und rammte den Stab in den feuchten Erdboden, so dass er aufrecht stehenblieb.
Dann zog sie die Kerzen aus dem Bündel. Zwei schwarze und eine weiße, für Fanny. Dann folgte noch ihr dickes und, zugegebenermaßen, sehr schweres „Buch der Gesänge". Es war in einer Geheimschrift verfasst, die Fanny bereits entziffern konnte. Sie schlug es auf und reichte es Fanny, die den überlieferten Text noch nicht kannte. Nun war alles bereit. Auf einen unausgesprochenen Befehl hin nahmen die drei Frauen ihre Plätze am Rande des Kreises ein und lösten die Bänder ihrer zerlumpten Umhänge. So offenbarten sie, was sie darunter trugen, eine Festtracht für diesen besonderen Tag.
Fanny trug ein weißes Kleid, das nur wenige Zentimeter unter der Rundung ihrer Hinterbacken abschloss und den Blick auf Ihre schönen Beine freigab. Ihre kleinen Brüste standen vor Aufregung und man konnte ihre etwas spitze Form unter dem dünnen Seidenstoff ausmachen. In ihre hellen, wie Alisha gerne bemerkte, etwas farblosen Haare, hatten die Frauen bunte Bänder geflochten. Nicht dass das nötig war, aber Claudine fand, das sähe niedlich aus und würde Fanny vielleicht ein wenig helfen.
Claudine trug ein wenig Hexenschminke und ein schlichtes bräunliches Kleid, das von einiger Entfernung den Eindruck machte, sie hätte gar nichts an. Ihre dunklen Beine glänzten im Mondlicht, vielleicht von etwas Öl unterstützt. Ihre schwarzes Haar ließ sie offen über ihre Schultern fallen.
Alisha schließlich gebührte die Tracht der Meisterin. Sie war stark geschminkt, was ihrem Gesicht ein etwas hohlwangiges, strenges Aussehen verlieh. Sie trug ihre hüftlangen, tiefroten Haare nicht wie sonst zu einem Zopf geschnürt, sondern ließ sie in weichen, rostfarbenen Wellen über ihren Rücken fließen. Dieser war kaum bedeckt von einem Ledermieder, das mit blauem Samt besetzt war. Ihren tiefen Ausschnitt zierte ein im Mondlicht glitzerndes Pulver. Vollendet wurde ihr Aufzug durch lederne Stulpen, die mit silbernen Ketten an ihrem mit magischen Symbolen verzierten Gürtel befestigt waren und ihre Beine noch länger aussehen ließen. Wären Männer von schwacher Konstitution anwesend gewesen, sie wären wohl umgehend in Ohnmacht gefallen, ob ihrer atemberaubenden Erscheinung.
Aber es war nicht ihre Nacht sondern die Fannys und so sollte das Ritual beginnen. Auf ein Zeichen Alishas knieten die drei nieder, ergriffen ihre Kerzen und entzündeten sie. Fanny erhielt die weiße Kerze, um ihre Einführung in die Welt der höheren Magie zu symbolisieren. Dann begann der Gesang. Es kam dabei nicht nur auf die Worte an, auch auf den genauen Ton, ja den richtigen Klang ihrer Stimmen. Claudine sang am klarsten. Sie sprach nicht viel, aber ihr Gesang war unübertroffen. Alisha hatte sie aus diesem Grund zu ihrer Assistentin ausgewählt, da sie immer ein wenig Schwierigkeiten hatte, die richtige Stimmlage zu treffen. Würde etwas nicht stimmen, bliebe der Zauber wirkungslos und nichts täte sich. Aber nicht in dieser Nacht! Selbst Fanny, die Neue, sang vortrefflich und sie steigerten die komplexen Tonfolgen immer weiter, Der Silberstab in der Mitte begann zu vibrieren und erzeugte eine Art von Hall, der die ganze Lichtung erfüllte.
Sie sangen die Verse immer wieder von Neuem in streng vorgegebenen Varianten und immer weiter zog sich die Kaskade ihrer Stimmen durch die Äste und Stämme des Waldes. Es konnte seine Wirkung nicht verfehlen...
Und wirklich - plötzlich trat eine Veränderung ein. Ein dunkler Schatten fiel auf den Stab und verhinderte seine silbrige Reflexion. Schnell zog Alisha ein Pülverchen hervor und streute es in der Mitte des Kreises in die Luft. Aus dem Nichts erschien eine Gestalt. Es war ein junger Mann, hochgewachsen und blond. Er schien wie in Trance. Bisweilen schwankte er ein wenig, als sei er betrunken, und starrte unentwegt auf die Runen, die den Stab verzierten.
„Es ist vollendet, Fanny. Sieh ihn dir genau an!"
„Das... das ist..." Fanny stammelte. Sie konnte es vor Aufregung nicht aussprechen.
„Ein Elf, richtig. Und er ist unser Gefangener..."
Fanny wußte, dass es ihr Ziel gewesen war einen Elfen zu fangen, aber sie hatte keine genaue Vorstellung gehabt, wie es ablaufen würde. Und... wie schön er war. Er hatte sehr helles, langes Haar, das wie weiße Seide glänzte. Seine Haut war hell und nur mit einem knappen Schutzkleid aus Leder und Fell bedeckt. Der Körper war sehnig und kräftig mit überlangen Gliedmaßen, was der ganzen Erscheinung ein gestrecktes, stolzes Aussehen verlieh. Sein Gesicht war ebenmäßig und schmal, die Ohren liefen spitz zu und ließen ihn ständig wachsam wirken. Das auffallendste Merkmal, das ihn ein wenig unmenschlich machte, waren seine Augen. Sie waren tiefgrün wie Smaragde und strahlten ein irreales Glühen aus. Sie waren undurchdringlich und tief wie die Wälder, in denen ein Unkundiger sich rettungslos verirren konnte.
Alishas Stimme riß sie aus ihrer Betrachtung.
„Nur bei Vollmond ist es möglich, sie mit magischer Musik zu verzaubern. Sonst sind sie unsichtbar für unser Auge und gehen Menschen aus dem Weg - insbesondere uns Hexen." Sie lächelte dabei diabolisch. „In tiefen Wäldern oder einsame Berghöhen ziehen sie sich zurück, weil sie Kontakt mit Menschen verabscheuen... Schade eigentlich, denn sie sind anziehend, allemal schöner als unsere plumpen Männer, nicht wahr, Fanny?"
Fanny errötete ein wenig, schwieg aber. Alisha, der das als Antwort bereits genügte, lächelte und fuhr fort.
„Sie lieben die Musik, besonders die unirdischen Töne, wie sie dieser Stab erzeugt. Der Gesang lockt sie an, er betäubt sie beinahe, das Pulver macht sie für uns sichtbar und die Runen binden sein wildes Temperament. Und bis zum Morgengrauen, muss er tun, was wir wollen... Nicht wahr, Schöner?" Sie sprach ihn an und berührte ihn leicht. Das riß den Elfen aus seiner Trance und er wirbelte katzenhaft herum. Selbst in diesem, durch die Magie des Stabs gebundenen Zustand, konnte man ahnen, was für einem wilden und ursprünglichem Geschlecht er angehörte. Erbarmungslose Jäger, die lautlos und ohne Mitleid töten konnten. Dieser hier war gebunden, aber doch nicht ganz gezähmt. Ein wildes Knurren entrang sich seiner Kehle, wie das Angriffsgebell eines Wolfes. Dann erhob er seine Stimme, dessen Klang Fanny eine Gänsehaut bereitete.
„Mistress Alisha, ich habe viel von Ihnen gehört. Sie spielen mit dem Stolzen Volk... eines Tages wird das ihr Verhängnis sein."
„Mag sein", entgegnete sie ihm ungerührt, „aber das wird nicht heute sein. Auch bin heute nicht ich es, der du gegenüberzutreten hast. Sie wird heute deine Meisterin sein!"
Damit verstummte sie und trat aus dem Kreis heraus. Der Elf wandte sich um und blickte Fanny an. Seine Augen starrten grün und voller Feuer. Seine Macht war geschwächt, genügte aber noch immer, um Fanny an den Rand einer Ohnmacht zu treiben. Ihre Knie wurden weich und sie konnte kaum ein Wort sprechen. (Später erzählte ihr Alisha, dass es selbst ihr jedesmal noch so ergehe.) Doch schließlich nahm sie allen ihren Willen zusammen und es gelang ihr vor den Elf hinzutreten. Sie wußte was sie zu tun hatte, wollte sie die Weihe zur Hexe erlangen, und ihre Begierde darauf besiegte ihre Nervosität.
„Zieh dich aus und knie nieder!" befahl sie, kaum daran glaubend, dass der stolze Elf dem nachkommen würde. Aber er mußte gehorchen, ob er wollte oder nicht. Er lockerte einige Bänder und seine lederne Bekleidung glitt zu Boden, einen makellos weißen Körper entblößend. Wie Alabaster, ohne Fehler in seiner Struktur, ohne ein Haar am Körper. Als er so vor ihr kniete, wuchs Fannys Mut und ihre Begierde und sie wußte, dass es nun an ihr war, den nächsten Schritt zu tun. Sie schob ihren Rock an ihrer Hüfte entlang nach oben und kühle Luft drang an ihren Unterleib, der Angenehm kribbelte. Sie hatte sich schon des öfteren vor den beiden Frauen entblößt, noch nie aber vor einem Mann. Und schon gar nicht einem Wesen, das ihr solchermaßen den Atem geraubt hätte. Sie trat noch näher an sein Gesicht, bis sie seinen kühlen Atem spüren konnte, und befahl ihm, sie zu kosten. Er gehorchte und eine lange, bläuliche Zunge entwand sich den Lippen des Übernatürlichen und verschwand zwischen ihren Schenkeln. Unwillkürlich seufzte sie auf, denn die Elfenzunge war lang, rauh und beweglich.
Nach einiger Zeit des stillen Genusses, löste sie sich wieder und streifte nun ihr Kleid ganz ab. Ihre Haut war ebenfalls sehr hell im Mondschein, aber sie konnte sich nicht messen mit dem strahlenden weiß des Elfenkörpers. Sie befahl ihm, Rückenlage einzunehmen und sich aufzurichten. Elfen waren berühmt für ihre Standfestigkeit, die sie mit ihrem Willen steuern konnten. Nur, dass nun sie einen Teil seines Willens kontrollierte...
Sie näherte sich, legte sich dann langsam auf ihn. Als er in sie eindrang, spürte sie, wie groß und unerweichlich die Willenskraft eines Elfen tatsächlich war und sie verspürte wenig bedarf, sich darin mit ihm zu messen. Diese Gedanken wurden aber bald fortgeschwemmt von den wunderbaren Gefühlen, die pulsierend ihren Leib erfüllten, als sie begann, rhythmisch ihre Hüften zu wiegen. Sie ließ dem Elf ein wenig Freiraum und sie wälzten sich durch das Moosbett. Das animalische Knurren des Elfen vermischte sich mit den lüsternen Schreien, die Fanny ausstieß, wenn jener sich bewegte. Die Verbindung steigerte sich immer mehr, drehte sich, perlte. Ein Reigen bunter Farben, ein Kreisel, der bei seinen Drehungen Musik erzeugte. Zeitweilig erschien es ihr als würde sie schweben unter dem starken Körper, dessen Gewicht sie kaum spürte. Und immer weiter zog es sie in den Strudel der Lust, bis sie ein Gefühl wie ein Lichtblitz durchfuhr und sie zu einer Reihe von Höhepunkten emportrug.
Als die Lust abebbte lag sie neben ihm und streichelte noch ein letztes Mal über die glatte, matt scheinende Haut. Da die Morgendämmerung sich bereits ankündigte, entließ sie ihren Partner.
„Du kannst jetzt gehen!"
Der Elf stand auf, legte wieder sein Lederkleid an und schickte sich an, den Kreis zu verlassen. Er machte einige Schritte, drehte sich dann nochmals um.
„Ihr habt mich mißbraucht, meine Ehre befleckt. Schande über euch!" Er spuckte auf den Boden, wandte sich um und schritt davon. Kaum hatte der Ewige den Bannkreis der Runen verlassen, verblassten seine Konturen und er verschmolz wieder mit dem Wald.

Fanny war völlig erschöpft und erst nach einigen Minuten der Ruhepause kehrte ihre normale Wahrnehmung zu ihr zurück, die sich vorher in eine Umlaufbahn katapultiert hatte. Nun bemerkte sie, dass die beiden Frauen sie anlächelten. Alisha strich ihr über das Gesicht und murmelte wohlwollend die Formeln.
„Hiermit bist du aufgenommen in unseren Kreis. Nun bist du eine Waldhexe mit Namen Fanella.
Ihr gefiel der Klang ihres neuen Namens. Der jungen Hexe, die immer noch außer Atem war, gelang es eine vorsichtige Frage zu stellen.
„Muss ich das öfter durchmachen?"
„Sooft du willst..." Alisha lächelte bedeutungsschwanger, verheimlichend, dass sie erst vor zwei Monaten an eben dieser Stelle eine Begegnung mit einem Elfen hatte, der sich auf der Jagd befand. Bei allem, was sie heute beobachtet hatte, konnte sie es sich gut vorstellen, dass ihr beim nächsten Ausflug zur Vollmondlichtung die junge Fanella zuvorkam, deshalb schickte sie eine Warnung hinterher. „Man darf es aber auch nicht übertreiben. Du weißt, sie haben magische Anziehungskraft..."
Fanella lächelte vielsagend und sie schlossen sich in die Arme. Als sie sich ein wenig erholt hatte, packten sie ihre Sachen und machten sich auf den Weg zurück zu ihrer Hütte. In einem geeigneten Moment später trat Fanella zu Alisha und flüsterte ihr besorgt etwas zu.
„Eine Frage noch, Mistress. Hat es... ihm denn gar nicht gefallen, was wir, äh, gemacht haben?"
„Oh ich glaube schon", flüsterte Alisha mit einem zwinkern zurück. „Aber sie sind viel zu stolz, das jemals zuzugeben..."

ENDE

(c)2000 „Zardoz" Christian Schönwetter,
http://www.abyssum.de
erstmals erschienen in der Anthologie "Love and other demons", isbn: 3-934442-06-4 im dead soft verlag
 
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Kommentare  

War der abschließende Kommentar der Hexe jetzt Kritik an der weitverbreiteten Ansicht, eine Frau könne einen Mann gar nicht vergewaltigen weil es ihm immer gefällt...oder Zustimmung zu eben dieser Ansicht?

Ich verabscheue alle Hauptpersonen der Geschichte. Aber der Elf ist cool.


TemH (30.07.2008)

Was soll man dazu noch sagen? Mein Bärchen ist nunmal genial... (Bin dir dennoch böse, dass du mir dein Buch erst jetzt geschickt hast!)

Susanna (03.06.2002)

... niedlich ...

Hubert (26.09.2001)

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