18


5 Seiten

Scharfe Denker

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Das Dilemma ergab sich Montag, Punkt 18:30 Uhr, Bismarckstraße 14c, achter Stock, Westseite, Dachgeschoß. Gegenstand der Analyse waren, zwischen dem Rahmen des Dachfensters, unterhalb der äußerst linken Gaube, direkt über Müllers Glaserker, blähend, Sturz und Laibung überquellend, fernab der heimatlichen Weide, die prallen Hinterbacken einer Kuh.
Ferner, direkt hierunter zu erkennen: Keulen, beschränkt durch Backen und Brüstung, dazwischen ein Schwanz - Zustand: baumelnd.
So eindeutig dies zuerst auch schien, befand eine empirische Analyse durch Herr Yun, zweiter Stock, Feldstecher: 30x80, die Backen und Keulen widersprüchlicher Weise als der wohl bekannten Nachbarin Frau Gröber zugehörig, was die Beobachtenden auf den Balkonen in kollektives Erstaunen versetzte.
Anfangs befremdete die bloße Sichtung von Backen im Rahmen des Dachfensters selbstverständlich nicht weiter, bestand ja auch kein ersichtlicher Grund Zweifel daran zu hegen, daß es sich hierbei um die Gröberschen Backen handelte, denn: sind uns doch allen die Gröberschen Gepflogenheiten, an solch lauen Sommertagen das Gesäß teint-besessen gen Himmel zu recken, und lüstern auf Wetterwallungen, wie Hagel oder harten Platzregen, zu harren, zur Genüge vertraut. Berücksichtigt man ferner die hinlänglich bekannte, allgemeine Nachbarschaftssituation der Bismarckstraße 11 bis 17, so war der Gröbersche Hintern sogar die a priori vernünftigste These, wohl doch sie dem baumelnden Schwanz nicht Rechnung trug, von dessen Existenz der Gärtner aus dem Untergeschoß und ich, wider Herr Yun und seinen Kniefälligen im Vierten, nicht abrücken wollten - wobei die direkte Stocknachbarin Frau Nägele den Einwand erhob, daß es eben nicht vollständig gesichert sei, ob Frau Gröber nicht doch eine hybride Spezies der Kuh darstellt und ob deshalb Differenzierungen jener Art nicht spitzfindige Polemik seien.
Problematisch war zum einen die Tatsache, daß die Existenz der Keulen unentscheidbar war, da deren vermuteter, extapolierter, homogener Verlauf, vom Hintern bis zur Brüstung, aufgrund eines Schwanzes - näherungsweise über einen Bogen von 3/2 Pi mit 0,5 Hz - periodisch überlagert wurde. Dessen vollständige Existenz, wurde konstatiert, war wiederum anzuzweifeln, da er nun temporär – näherungsweise 1s um die Ruhelagen der Schwingung - zwischen den vermeintlichen Keulen verschwand, womit auf beiderlei stetiges bestehen über das gesamte Raumzeitintervall hinweg nicht unmittelbar geschlossen werden konnte.
Verwirrt hatten sich die Augenpaare der Beobachter von den Balkonen der Bismarckstraße 5 über den Hinterhof auf das Fenster im achten Stock gerichtet, woraus sich Fleisch unbekannter Herkunft in den Wind walgte.
„Und ich sage: es ist ein Schwanz!“, rief ich zu Herr Yun herunter.
„Niemals, Herr Kollege, niemals!“, erwiderte er.
„Wohl, so ist es! Es ist wohl so!“, rief ich.
Wir wurden uns schließlich darüber einig, daß wir in eine höchst beunruhigende Sackgasse geschlittert waren, die nicht nur den Frieden auf den Balkonen der Bismarckstraße 5, sondern des weiteren auch die harmonische Fasslichkeit der gesamten Nachbarschaft gefährdete; zwei widersprüchliche Hypothesen ob der Natur der Extremität gaben sich gleichwertig plausibel keinerlei Boden.
Dies war kein tragbarer Zustand, auch hierüber herrschte Einigkeit. Doch für eine unmittelbare, eindeutige Bestimmung war uns jegliche Grundlage entzogen, und die Lage war zusätzlich dadurch verschärft, daß der von uns allen als einzig qualifiziert befundene Dr. rer nat Singh, befähigt die mathematische Behandlung ausreichend umfassend und systematisch vorzunehmen, bis dato im fernen Kaschmir auf Urlaub verweilt.
Doch was war zu tun? Die Situation erlaubte ihrer Brisanz wegen keinerlei Aufschub, so daß auf Dr. rer nat Singh kein Warten und ihr also, wenn auch geschwächt, unter allen Umständen beizukommen war.
Herr Yun wurde gewiesen seinen Refraktor auf- und auszurichten und wir versammelten uns geschlossen auf seinem Balkon, der dem Beobachtungsobjekt günstig gelegen war.
Anfänglich galt es sich durch rein optische Betrachtung des Hinterns eine bestmögliche Ausgangslage für weitere Analysen zu schaffen. Doch leider schweiften wir so flinks in schöngeistige Analysen ab, in der ich mich gezwungen sah einzuschreiten, diskriminierenden Inhalts wegen.
Herr Mertens, der aus dem Ersten hinzugerückt war, prangerte die generelle Vorgehensweise insofern an, da er als Blinder visueller Information keinen Glauben schenken könne und für ihn somit anderweitige Verifikation nötig sein würde, denn dies müsse, so war seine Auffassung, seiner Brisanz wegen, ein gesamtnachbarschaftliches Gemeinschaftsprojekt sein, weshalb man ihn ja nicht einfach außen vor lassen könne.
Sein Vorschlag der Widerspruchsbeweisführung, die er sich über die Menge aller möglichen Personen durchzuführen anschickte, indem er anmerkte, meine Frau könne es keinesfalls sein, da sie seit Nächten schon bei ihm weile, war ein durchaus löbliches Vorgehen, aber statistisch ausgesprochen unpräzise und langwierig.
„Herr Yun! 9h 4min 32s Rektaszension, 5° 12‘ 34‘‘ Deklination! -: Erlauben Sie?! Es ist ja wohl ein Schwanz!“, rief ich.
„Aber nein, Herr Kollege, aber nein! Wie können Sie es wagen derart unausgegorene Hypothesen zu postulieren! Keiner, sage ich! Es ist keiner!“, rief er.
„Wohl!!!“, rief ich.
„Mitnichten!!!“, rief er.
Das hierauf entstandene Gerangel, das dann nur durch die geballte Manneskraft des Gärtners aus dem Untergeschoß zu unterbinden war, hatte glücklicherweise nur einen Topf von Herr Yuns Petunien gefordert, doch hätte es uns um Haares Breite - Frau Nägele hatte geistesgegenwärtig ihren Schopf dazwischen geworfen - unserem optischen Instrument und somit auch unserer einzig verbliebenen Möglichkeit beraubt, Aufschluß über die walgenden Backen zu erlagen.
Doch die Spannung zwischen den beiden konträren Lagern hatte sich durch diesen Ausfall von da an bis nahe hin zum Überschlag aufgeladen.
Frau Nägele stand etwas abseits vom Teleskop, protokollierend zwischen den Fronten, Herr Yun samt seinen Kniefälligen aus dem Vierten auf der rechten, der Gärtner und ich auf der linken Balkonhälfte, von wo aus wir uns wüste Beschimpfungen entgegen warfen. Herr Yun, der Querulant und Aufschneider, bezichtigte mich eines Querulanten und Aufschneiders, obwohl die Plausibiltät nicht eindeutiger auf meiner Seite hätte stehen können.
Die Tatsache, daß Frau Gröber ihr Gesäß an lauen Sommerabenden durchaus recht häufig gen Himmel zu recken pflegt, es bräunt, lüstern im Harren auf Wetterwallungen wie Hagel oder harten Platzregen begriffen, war mit den hiesigen optischen Fakten in keinster Weise konform, denn, was sich da, teilweise zwar unter den drallen Keulen saftiger Fleischpracht verborgen, fast schon fladenförmig auf die Brüstung gepreßt, feil bot, war wohl durch nichts anderes zu klassifizieren als durch ein Euter, und durch nichts als ein Euter.
Ich bat Herr Yun sich hiervon zu vergewissern. Der jedoch, während er durch das Rohr spähte, hatte lediglich unsachlich geschmunzelt und mich einen naiven Querulanten und Aufschneider geheißen. Er bot eine Hypothese, die mir ob ihres obszönen Gehalts die Röte in die Ohren trieb, und die empörte Frau Nägele dazu veranlaßte, den ersten orthographischen Fehler ihrer langjährigen Sekretärinnenlaufbahn zu begehen. Laut hatte sie dann ob ihres Verstoßes aufgeschrien und hatte sich an der Hauswand stabilisieren müssen, bevor sie wieder zu sich fand. Entrüstet war sie zum Rohr hingetreten und hatte Herr Yun beiseite schieben wollen, der keinerlei Anstalten gemacht hatte seinen verbalen Ausschreitungen Einhalt zu gebieten.

So war es denn dazu gekommen, Herr Kommissar, und ich beteuere ihnen, daß, wenn ich die Möglichkeit gehabt, ich mit allen Kräften versucht hätte, das Dilemma aufzuhalten.
Es war das Kabel der Nachführungseinheit, das zwischen den Beinen des Herrn Yun verlaufen war, daß das Teleskop zum Kippen brachte, als Frau Nägele Herr Yun zur Seite hatte nötigen wollen, was dann derart gegen die Petunientöpfe des Herr Yun gestoßen war, daß die gesamte Optik zerschellte. Herr Yuns emotionale Verbundenheit mit dem Gerät, das ihm als einziges Erbstück des verstorbenen Großvaters - und unter Amateurastronomen berüchtigten Planetoidenjägers - verblieben war, ist durch seine fernöstliche Veranlagungen noch um so mehr zu verstehen, was wohl seine Reaktion, an jenem Tage, wenn auch nicht entschuldigt, doch wohl erklärt. Hätte er dann seiner Ungehaltenheit im Allgemeinen Ausdruck verliehen, und sie nicht etwa direkt auf Frau Nägele kanalysiert, indem er die Aufgebrachte, ich denke der Wortlaut war: „fette Qualle“, wüst beschimpfte, so hätte der Gärtner aus dem Untergeschoß wohl nicht so reagiert wie er es tat. - Sie müssen wissen, daß der Gärtner aus dem Untergeschoß seit jeher ein Auge auf Frau Nägele geworfen hatte; war doch allen auf den Balkonen der Bismarckstraße 5 bekannt, daß er wiederholt frisch geschnittene Blumenbouquets aus dem Hinterhofgarten ihr vor die Türe gelegt hatte. Auch war der im Grunde herzensgute Gärtner aus dem Untergeschoß sich seinen eigenen Leibeskräften oftmals nicht bewußt; befand er es doch nicht als ungewöhnlich, daß er mit seinen bloßen Händen nur, im Herbst die Kirschbäume stutzte, so daß er sich auch in jenem Moment, jener durch die Beleidigung hervorgebrachten Raserei, nicht darüber im Klaren gewesen sein mag, da er Herr Yun rittlings eine über briet. Der überraschte Herr Yun, der vollen Wucht ausgesetzt, prallte alsdann gegen seine Kniefälligen aus dem Vierten, die vom Stoße gleichfalls überrascht, kaum die Zeit fanden Schreie auszustoßen. - Da nun in unserem Hause alles seine Rechtmäßigkeit besitzt, seinen sie versichert, so auch gewiß seine statische Beschaffenheit, halte ich es für ausgesprochen unwahrscheinlich, daß sich das Geländer im Zeitpunkt des Zwischenfalls in einem fahrlässigen Zustand befand. - Ich habe mir die Freiheit genommen Herrn Dr. rer nat Singh in der Sache zu telegraphieren, um ihn zumal in Kenntnis zu setzen, doch auch um ihn zu bitten, anhand der von mir und ihnen bereits hinreichend gesammelten Fakten eine Kräfteberechnung hierüber aufzustellen, damit meine Theorie, daß die Wucht des Stoßes allein genügt hatte, die Geländerstangen aus ihren Fassungen zu brechen, zweifelsfrei bestätigt ist. Bis dahin ist wohl davon auszugehen, daß meine Aussage vollständig ist. Sie sei ihnen auch in schriftlicher Form überreicht, wobei dafür Frau Nägele zu danken ist, die als einzig weitere Überlebende die bewundernswerte Verfassung aufbrachte, sie zu Protokoll zu nehmen. Ferner sei ihnen mitgeteilt, daß ich bereits alle nötigen Schritte eingeleitet habe, das statistische Landesamt auf eine Überprüfung geltender Geländerfassungsnormen hinzuweisen, und daß es des weiteren in meinem größten Interesse liegt, den gegebenen Sachverhalt auf das Genaueste aufzuklären.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Nicht mehr. Ich schreibe nicht mehr in desp.

Sven Benson (30.09.2001)

*lol* ... sag mal, schreibst Du nicht auch in dsp mit?

christine (30.09.2001)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Geliebter Dieter  
Alte Perser  
Die Verwirrungen eines notorischen Saftsäufers  
Timos Leiden mit den Damen – erste Ehe  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De