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5 Seiten

Dezember – Eine weihnachtliche Thrilllogie in vier Teilen

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester
Dezember I

Ich bin aufgewacht und habe wieder den seligroten, smaragdweichen Gedanken in meinem Kopf, der mir wieder nichts anderes sagt, als reiß dich zusammen, du Idiot! Ich werde mich am besten wohl gleich wieder hinlegen und einfach abwarten, dass alles einfach so vorbeigeht. Wird alles einfach so vorbeigehen oder wird wieder irgend etwas dazwischen kommen? Warum ist es nicht erlaubt, einfach so dazuliegen und darauf zu warten, endlich zu sterben, wenn das doch der allergrößte Wunsch ist? Wer - verdammt noch mal - kann mich denn zwingen weiterzuatmen? Es werden jetzt wieder diese Tage kommen, Weihnachten. Die Luft ist angefüllt mit rührseligen Geschichten von guten Taten und Wundern – allesamt frei erfunden. Nichts ist wahr von diesen göttlich-sentimentalen Auswürfen. Die Wahrheit ist allen wohlbekannt, wird aber erfolgreich verdrängt. Meine Augen und mein Verstand sind noch müde und meine Gedanken kreisen um diese jämmerliche, verlogene Zeit. Die Gedanken kreisen immerfort und schläfern mich endlich ein. Der Schlaf ist der kleine Bruder des Todes. Sei gegrüßt, sei willkommen!

Dezember II

Ich erwache an diesem ersten Advent und das Licht, dass durch die nur notdürftig verdunkelten Fenster fällt, verursacht große Schmerzen in meinen Augen, die ein solch grelles Licht um diese Zeit noch nicht ertragen. Die Augen wandern durch den Raum, hinweg über den Fußboden, auf dem sich Erbrochenes mit dem Inhalt des Aschenbechers vermischt, entlang an leeren Whiskeyflaschen bis hin zu den Resten des alten Weckers, der noch immer tapfer die Tages- und Nachtzeit anzuzeigen vermag. Er zeigt 14:13 Uhr an. Verdammt, um diese Zeit sollte man wirklich nicht erwachen. Ich versuche mich an den gestrigen Tag zu erinnern und mir fallen eigentlich nur noch die zwei Whiskeyflaschen ein. Na, eigentlich kann ich mich nur noch an die erste genau erinnern. Meine Augen finden Flasche Nummer zwei und ich erkenne einen Rest in ihr. Ich greife nach der Flasche, drehe den Verschluss ab und setze sie an meinen Mund. Ich trinke den restlichen Inhalt in mehr oder weniger einem Zug aus und sofort stelle ich die beruhigende Wirkung fest. Es ist immer wieder schön, wenn dieses verdammte Zittern der Hände nachlässt. Irgend wie habe ich das Gefühl, dass da gestern noch mehr war als diese zwei Flaschen und der missglückte Versuch, beide vollständig zu leeren. Ich drehe mich in meinem Bett auf die andere Seite, um die andere Seite des Zimmers einsehen zu können. Ich stoße gegen ein gewaltiges Etwas in meinem Bett und mich trifft so was wie ein Schlag, denn mit einem Mal erinnere ich mich an meinen Gang rüber zum Kiosk, um noch ein paar Chips zu holen, die dem Whiskey in meinem Magen etwas Gesellschaft leisten sollten. Ich war zu diesem Kiosk gegangen und hatte diese verdammten Chips gekauft und diese verdammte, dicke Kioskschlampe hatte nichts besseres zu tun, als mir dann auch noch so etwas wie fröhliche Weihnachten hinterher zurufen. Verdammt, gerade mir! Ich hatte schon mächtig einen im Kahn und deshalb drehte ich mich noch einmal zu ihr um, um auch ihr so etwas wie frohe Weihnachten in ihre vergammelte Bude zu rufen. In dem Augenblick kam es wohl, dass mein Verstand völlig aussetzte, denn ich begann ein Gespräch mit dieser Frau. Sie war mir eigentlich immer eher unangenehm aufgefallen, aber in dieser voradventlichten Nacht war es wohl etwas anderes. Da werden ja alle Herzen und Birnen weich. Ich redete also mit ihr und ich kann heute nicht mehr so recht sagen worüber ich redete. Das Ergebnis dieses Schwächeanfalls liegt jetzt hier in meinem Bett und ich beuge mich über sie, um zu sehen, ob sie es wirklich ist. Sie ist es wirklich. Neben ihr liegt noch eine weitere halbleere Flasche Whiskey, die ich jetzt sofort öffne und aus der ich sofort ein paar mächtige Hiebe nehme. Verdammt, scheiß Weihnachten! Das macht uns alle weich in der Birne! Ich beuge mich noch einmal über sie und genau in diesem Augenblick muss ich mich erneut und ausgiebig übergeben. Ich kotze diese dicke Kioskschlampe von oben bis unten voll. Merkwürdigerweise scheint sie das nicht sonderlich zu stören, denn sie scheint einfach so weiterzuschlafen. Schläft sie? Ich berühre sie am Hals und erschrecke, als ich feststelle, dass sie kalt wie ein Eisblock ist. Verdammt, diese fette Schlampe hat sich in meinem Bett tot gesoffen. Verdammt, das was ich seit Ewigkeiten versuche, schafft diese blöde Kuh mal eben so ganz aus Versehen? Was ist das für ein beschissenes Weihnachten?

Dezember III

Es ist der 10. Dezember und mir ist kotzübel. Einmal weil ich zuviel Whiskey getrunken habe und zum anderen, weil diese tote Person jetzt seit über einer Woche in meinem Bett vor sich hingammelt. Ich krieche aus meinem Bett, um zwischen dem, was sich über dem Fußboden verteilt, nach etwas Eß- und Trinkbarem zu suchen. Ich finde tatsächlich zwischen den Resten diverser Zeitungen eine alte Tüte Chips und greife hinein. Ich stopfe mir eine Handvoll in den Mund und sofort rebellieren meine Geschmacksnerven. Ich schaue mir den Inhalt der Tüte genauer an und meine entzündeten Augen erblicken einen aufgeweichten, völlig verschimmelten Inhalt. Sogleich muss ich mich erneut übergeben. Es wird Zeit an den Whiskeynachschub zu denken. Ich fühle mich zu schwach, selbst einkaufen zu gehen. Außerdem ist es notwendig, dass ich mich um Geld kümmere. Ich entschließe mich, Hans anzurufen. Hans ist ein echter Kumpel und weiß immer einen Rat. Er ist auch schon öfter für mich losgezogen, um mir Whiskey zu besorgen. Ich rufe ihn an und erzähle ihm von der dummen Sache mit der Kioskfrau. Er wirkt irgend wie unentspannt, verspricht mir aber, sofort bei mir reinzuschauen. 20 Minuten später steht er vor meiner Tür und ich bitte ihn herein und Weihnachten nicht zu erwähnen. Die Erwähnung von Weihnachten löst einen furchtbaren Brechreiz bei mir aus. Hans ist ziemlich verwundert darüber, dass ich diese Person so lange hier habe liegen lassen. Er tritt mit dem Fuß durch einen meiner Müllberge und trifft auf etwas Großes. Siehe da, so kommt Felix auch wieder zum Vorschein. Felix ist meine Katze. Ich habe sie schon eine ganze Weile vermisst. Sie hat wohl etwas Falsches gefressen, denn nun ist sie mausetot. Sie war ein guter Freund. Aber gerade in diesen Zeiten kann man sich wohl selbst darauf nicht mehr verlassen. Hans ruft alle möglichen Leute an: einen Krankenwagen, die Bullen, und ich weiß nicht wen noch. Die Bullen bringen gleich ein paar Typen von der Zeitung mit, die ich aber sofort lautschreiend wieder hinauswerfe. Die Krankenwagenbesatzung kümmert sich um die Tote. Sie wird eingeladen. Ich gebe meine Geschichte – soweit ich mich erinnern kann – zu Protokoll. Die Aussage unterschreibe ich zittrig, Hans geht los, um Whiskey zu besorgen. Er ist ein echter Kumpel, denn er legt das Geld aus. Ich verspreche, es ihm wiederzugeben, sobald ich ein paar meiner Sachen verkauft habe. Zwei Stunden später habe ich meine Ruhe. Ich setze endlich die Flasche Whiskey an meine Lippen. Endlich Ruhe! Ich schütte die Flasche in mich hinein und eine wohlige, weihnachtliche Wärme durchströmt meinen Körper.

Dezember IV

24. Dezember. Ich liege auf meinem Bett. Was für ein beschissener Tag. Hans hat sich schon fünfmal gemeldet, weil er Geld sehen will. Er meint, dass es so nicht weitergehen kann. Was weiß denn schon dieser Idiot davon? Ich habe kaum noch Stoff zum Nachlegen und ich mache mir ernsthafte Sorgen darum, wie ich die nächsten Tage überstehen soll. Ich habe in meiner Rumpelkammer noch ein paar Dinge, die ich verticken kann. Ich schleppe mich zur Rumpelkammer und öffne die Tür. Was – verdammt noch mal – hat soviel Wert, dass ich mir den erforderlichen Nachschub besorgen kann. Mir fällt gleich diese Schrotflinte ein. Die liegt da schon eine ganze Weile herum. Ich hatte sie mal besorgt, als ich noch ein Haus voller Wertgegenstände hatte. Es war irgend eine russische abgesägte Schrotflinte, eine Pump-Gun oder wie man das nennt. Munition war sogar auch noch dabei. Das Ding hat mich mal echtes Geld gekostet. Fast alle hier in der Strasse haben sich so eine Knarre zugelegt kurz nach der Wende. Ich nehme einen großen Hieb aus der letzten Whiskeyflasche. Ich hole die Kanone aus der Rumpelkammer. Sie ist etwas angerostet und ich beschließe, sie etwas zu reinigen. Das könnte gleich ein paar Hundert Mark ausmachen, wenn sie ein bisschen wie neu aussieht. Im Grunde sollte ich sie vielleicht doch behalten, denke ich. Ich könnte mir damit doch eigentlich meinen verdammten Schädel wegpusten. Ich nehme wieder einen Schluck aus meiner geliebten Flasche. Ja, diese Whiskeyflasche ist mein einziger wahrer Freund. Nur dieser hat nun all die Monate zu mir gehalten. Mir wird schwummrig im Kopf und das Bild vor meinen Augen wird unklar. Was ist wohl aus all den anderen Leuten geworden? Die ehemaligen Arbeitskollegen? Die Verwandten? Die Nachbarn? Es lässt sich schon lange keiner mehr blicken. Ja, sie meiden mich! Diese gottverdammten Heuchler. Ich nehme einen letzten Schluck aus der Flasche. Sie ist leer! Was ist das für ein Freund, der sich einfach so austrinken lässt? Was ist das für ein Freund, den man immer wieder aufs neue bezahlen muss? Ein Scheiß Freund! Ein wahrhaftig beschissener Freund. Mir wird übel. Ich weiß nicht, ob mir vom Whiskey oder von meinen Gedanken übel wird. Es ist dieser gottverdammte, beschissene Heilige Abend und mir ist schlecht. Mein bester Freund hat sich in meine Blutbahn abgesetzt. Ich halte diese Kanone in meiner Hand. Ich richte den Lauf auf meinen Kopf und meine Gedanken schreien mich an: DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! DRÜCK AB!!!! – Ich drücke ab. Das Geschoss jagt in Sekundenbruchteilen durch den kurzen Lauf auf meinen Schädel zu. Es dringt zeitgleich mit einem lauten Knall in meinen Kopf ein und zerschmettert den Schädel und kurz darauf mein gesamtes Gehirn. Ein Gemisch aus Blut und Gehirnmasse spritzt an die Wand hinter mir und hinterlässt auf dieser Tausende von kleinen hübschen Weihnachtssternchen. Frohe Weihnachten, Welt!
 
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Kommentare  

Auch wenn jetzt Februar ist, es hat wirklich Spaß gemacht, diese Geschichte zu lesen.

Chris Stone (26.02.2005)

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