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Eine kleine Insel

Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise · Erinnerungen
Es gibt sie noch, diese Inseln, wo sich die Zeit zu dehnen scheint, wo sie einen nicht drängt und sich somit human verhält. Diese Zeitparadiese sind rar und längst vom Untergang bedroht - in dieser zeitraubenden Zeit. Einige dieser sehr seltenen von der Hektik verschonten Freizonen finden die Auserwählten, die Glücklichen unter uns sogar dort, wo man sie gar nicht mehr vermutet.

Und ich gehöre zu diesen Auserwählten, die einen solchen Ort kennen. Nun ja, geradezu aufgedrängt hat er sich mir nicht, was die für gewöhnlich eher scheuen und versteckten Paradiese auch kaum zu tun pflegen. Um diese überaus kleine Insel der Zeitver-schwendung, der Zeit im Überfluß, kennen zu lernen, mußte ich in Deutschland meine sieben Sachen packen und in den Süden Frankreichs, genauer gesagt an den Rand eines kleinen Felsendorfes in der Provence umziehen. Nun mag man versucht sein anzu-nehmen, dieses Felsendorf sei jener Ort, der keine Hektik zuläßt, und wo nur die Glocke im Kirchturm stündlich anzeigt, daß auch hier die Zeit vergeht.
Nein, dieser Ort ist es nicht, bzw. er ist es allenfalls nur im Winter, wenn die Provence sich weit und breit in sich zurückzieht, um sich von den Farbexplosionen des Sommers, von seiner alles versengenden Sonne, von den überlangen Abenden oder auch von den Touristen zu erholen, die hierherkommen und dann wie scheinbar neugeboren alles in gläubiger und unverbrauchter Euphorie betrachten und für diese Zeit dieses Land ihr eigenes nennen.

Nein, dieser Ort, von dem hier die Rede ist, den ich immer wieder mit Freude aufsuche, diese Insel des scheinbaren Zeitstillstandes, die nun im Begriffe steht unwiederbringlich unterzugehen, weil die Zeit keine Menschlichkeit mehr zuläßt, weil auch hier das zeit-gemäße "Wegrationalisieren" nicht aufzuhalten ist, dieser Ort ist unser

kleines Postbüro.

Wenn man doch nur loslassen könnte! Ich schreibe hier bereits einen wehmütigen und dankbaren Nachruf. Gewiß, dies gehört sich eigentlich nicht, wo das kleine Büro doch noch lebt, zumal man doch mit einem solchen Nachruf erst recht jegliche Hoffnung zer-stört, sei sie auch noch so gebrechlich.

Man sagt, daß Menschen kurz vor ihrem Tode oft noch einmal zu vollem Leben er-starken. So scheint es auch der Fall mit unserem kleinen Postbüro zu sein. Aber das alles liegt an der Seele dieses Ortes. Und diese Seele heißt "Martine" - unsere Postière. Ja, an Martine, die Zuhörende, Tröstende, Bedenkende, Schimpfende und über die Jahre Wissende. Diese Frau, die für mich in aller Seelenruhe die einzelnen Brief-marken nach Schönheit aussucht und dabei nebenläufig fragt, was ich die vergangene Woche wieder angestellt habe. Und während dieser Zeit füllt sich der kleine Raum vor dem Schalter mit Menschen, denen - welch ein Wunder - nun die Zeit auch als un-wichtig vorkommt. Da unterhalten sich auf einmal wildfremde Menschen nicht nur über das Wetter, sondern auch über höchst intime Dinge, denn dieser Ort scheint ihnen das kurze und seltene Gefühl des Schutzes, vielleicht der Geborgenheit zu geben.

Und während Martine mir diese oder jene Briefmarke anpreist, stößt ihr Hund von ihrer angrenzenden kleinen Wohnung die Tür zum Schalterraum auf, offensichtlich deshalb, weil er pinkeln muß. Der Briefträger, der gerade erschienen ist, muß also erst mal mit dem Hund nach draußen gehen.

Aber ich bin nicht nur der bedeutendste Briefmarkenkunde von Martine, sondern ich habe das Privileg, auch ein guter Freund von ihr zu sein. Wenn dann mal in ihrem Büro wenig für sie zu tun ist, dann werde ich auch schon mal zu einem Kaffee in ihre überaus einfache Wohnung eingeladen, wo wir dann immer über das Leben meist im generellen, auch schon mal im speziellen reden.
Das sind kostbare Minuten. Dann höre ich auch schon mal von ihr, daß ich als Bourgeois nicht in ihre Welt passe, wobei sie ein wohlwollendes "eigentlich" durch-blicken läßt. Ja, Martine, die den Berufstitel "Chef d'Etablissement" führt, ist in ihrem Herzen unverfälscht kämpferisch links und natürlich Gewerkschaftsmitglied. Kommunistin sei sie nicht, begründet sie glaubhaft. In diesem ihrem (verlorenen) Kampf um den Erhalt dieser menschlichen, kleinen Oase erinnert sie an eine Wölfin, die mutig ihre Jungen verteidigt.

Martine ist außerdem eine stolze Frau, die sich so schnell nichts schenken läßt - und schon gar nicht von einem Bourgeois. Eines Tages habe ich mit Freunden ein Sofa von mir durch ein Fenster ihrer Wohnung gehievt, als sie gerade Kunden bediente. Und da das Sofa nun mal bei ihr drin war, und keiner es wieder rausbugsieren wollte, blieb es, wo es war. Aber...
Martine lebt zurückgezogen. Besuch erhält sie nicht so oft. Als ihr Blick das erste Mal auf dieses "verdammte" Sofa fiel, da meinte sie, wohl auch um die Last des Geschenkes ein wenig loszuwerden: "Nun, das ist Grund zum Feiern."

Wie mache ich nun den "Uneingeweihten" klar, was Feiern in diesem Landstrich be-deutet. Nein, wie so viel Einfachheit hiesiger Feste für so viel Wärme und Frohsinn sorgt, das muß erlebt werden.

Ein paar Tage später zwängten sich an dem stabilen Holztisch von Martine sechs ausge-sprochene Individualisten, die sich in einer Großstadt kaum dergestalt hätten entfalten können. Und unsere Postière mittendrin, angeregt wie eine junge Frau. Während eines solchen Abends wechselt das Erzählen das Lachen ab und das Kauen das Zuprosten. Und hinterher kann man sich nur daran erinnern, wie sehr man sich wohl gefühlt hat.

Oh ja, ich bewundere Martine, die nicht nur ihren Beruf mehr als ausfüllt und dafür kläglich entlohnt wird. Ich bewundere sie, weil sie sich ihre Ideale erhalten hat, und weil sie überall da auftaucht, wo Hilfe gebraucht wird.

Ich werde nun hingehen, um Martine in ihrer kleinen Insel im Bild festzuhalten, damit die beiden nicht der Unwürdigkeit des Vergessens anheimfallen; sei es auch nur für eine geraume Zeit.
 
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Kommentare  

Nee, klingt für mich wie recht sinnloses Getratsche. Es kommt nicht wirklich rüber, warum dieses Postbüro diese 'kleine Insel' sein soll. Wegen Martine? Wenn ja, was soll, nach dieser Beschreibung, denn so zeitlos sein?

Seltsam, seltsam...

Mäßig.


Redfrettchen (30.11.2003)

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