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Feldpost an Lieselotte

Schauriges · Kurzgeschichten
Liebste Lieselotte,

heute zwischen Halbtoten und Halblebenden habe ich die Zeit gefunden, Dir zu schreiben. Wie geht es Dir daheim? Hast Du mir die Treue gebrochen? Ich nur ein bisschen, denn sie hieß ja auch Lieselotte und hatte den gleichen Ausdruck im Gesicht, als sie kam. Außerdem hat sie auch einen Orgasmus vorgespielt. Wie Du.

Wie geht es Mutter? Wie geht es Vater? Wie geht es meinem Bruder und wie geht es meinen Schallplatten, die ich oben auf den Schrank gelegt habe? Kannst Du mal schauen, was mit ihnen ist?
Schreib mir bitte, ob sie selbstständig entzwei gegangen sind und pass bitte auf, sonst gehen durch dich kaputt. Wenn sie Dir kaputt gehen, schreib bitte nicht, dass sie von selbst kaputt gegangen sind. Ich will nämlich, wenn ich bald wieder da bin, in Schellack machen. Das ist die Zukunft.

Ein paar Verletzte haben geschworen, dass sie bei mir Platten kaufen werden. Dafür hab ich ihnen bei den Amputationen Morphium gegeben. Bis jetzt hab ich ungefähr 60 Zusagen und jeder Tag bringt neue Käufer.

Gestern hab ich einem gewissen Schredawitz beide Beine abgenommen und er versprach mir hoch und heilig, dass er gleich zwei Platten kaufen werde.

Du siehst also, dass ich von hier aus, auch für unsere Zukunft sorge. Vergiss aber nicht, oben auf dem Schrank zu schauen, denn wenn sie von alleine kaputt gehen können, Milch wird ja auch sauer, dann brauche ich kein Schellackgeschäft aufmachen. Kannst du dann auch noch durch die Stadt gehen und schauen, wo es überall schon Platten zu kaufen gibt? Dann kann ich von hier schon mal abschätzen, wo ich meinen Laden aufmachen werde.

Dieses Ziel hält mich hier am Leben. Vorne an der front sterben sie Männer wie Heuschrecken im Sturm. Und die, die es schaffen landen hier bei mir und ich nehme ihnen die Gliedmaßen ab. Soldaten, die einen Arm verlieren, werden erbarmungslos wieder in die Schlacht geschickt. Urlaub bekommen nur wenige.

Ich kann schon gar kein Blut mehr sehen. Überall ist es. In den kurzen Ausruhphasen, die ca. 10 Minuten dauern, nicke ich mit frischem Blut an den Händen ein und wenn ich wieder erwache ist das Blut verkrustet und bröckelt ab. Die hygienischen Verhältnisse sind nicht schlimm, sie sind gar nicht erst da. Wie am Fließband durchsäge ich Knochen. Nähe Fleisch und spritze Morphium. Die Schwestern sammeln unterdessen die Unterschriften für die Platten. Sie müssen dabei arg aufpassen, dass das spritzende Blut nicht die Verträge beschmutzt und haben eine eigene flinke Technik entwickelt. Sie bemerken jeden Tropfen, weichen ihm geschickt aus und schnellen dann in einer Spritzpause vor, holen sich die Unterschrift und sind schon beim nächsten Patienten. Sie erleichtern die Arbeit ungemein. Ich darf gar nicht daran denken, was denn wäre, wenn ich diese Arbeit auch noch tätigen müsste.

Erkundige Dich bitte einmal, bei Luschkar, ob eine Bleistiftunterschrift genau so eine Gültigkeit hat, wie eine in Tinte. Irgendwie haben wir nur noch Bleistifte hier. Ansonsten sende ich dir die Verträge und du zeichnest die Bleistiftunterschriften mit Tinte nach. Erzähl ihm das aber nicht, dass wir das dann so handhaben.

Lieselotte. Es ist schön, dass ich weiß, dass Du für mich da bist. Du meine kleine Kieselgrotte, Nieselmotte. Weißt du was ich mache, wenn ich wieder da bin? Kannst Du Dir das vorstellen? Was werde ich wohl machen? Ich werde einen Schellackladen aufmachen. Den nenn ich dann Plattenladen. Nie wieder brauch ich dann Beine absägen oder Fäden ziehen.

Oh mir ist gerade eingefallen, dass ich ja schon geschrieben habe, dass ich in Schellack machen will. Mir steht der Kopf heute sonst wo.
Durch diese innere Zerrissenheit, das ständige nachdenken bin ich mir auch nicht sicher, ob ich letzte Woche nicht einen schweren Fehler begangen habe. Ein Oberst lag bei mir auf der Pritsche. Ein Geschoss hatte sich oberhalb des Knies in den Oberschenkel gebohrt, die Hauptvene zerstört und überall war Blut. Ich war so in Gedanken, dass ich ihm das Bein bist zum Steiß abgenommen habe. Der Oberst wird nichts von meinen fehler merken, er hat auch eine Platte bei mir bestellt, aber ich glaube ich hab seine Verwundung nicht genau untersucht. Heute habe ich nämlich so beiläufig in die Leichengrube geschaut und des Oberst Bein gesehen. Es sah noch ganz brauchbar aus und gar nicht mehr so geschossexplodiert. Vielleicht war es nur ein böser Wespenstich oder ein entzündeter Pickel.
Auf jeden Fall passe ich jetzt wieder besser auf.

Wir sind gemachte Leute, Lieselotte. Lass mich nur nach Hause kommen. Mit meiner Idee und den Verträgen werden wir uns nie wieder um Geld streiten. Schau mal, alleine die 60 Verträge bringen uns 250 Reichsmark und diese , wenn auch zugegeben erzwungenen, Kunden werden uns weiterempfehlen und im nächsten Monat haben wir dann das dreifache. Wirst schon sehen.

Wichtig, überaus wichtig Lieselotte, ist unsere Plattenauswahl. Wir müssen darauf achten, dass wir gute Musik auf Schellack einkaufen. Ganz oft werde ich hiar nach „Lilli Marleen“ gefragt. Am besten wir kaufen davon gleich 500 Stück. Da können wir nichts falsch machen. Musik ist sowieso die beste Handelsware. Besonders nach dem krieg, wo alle Menschen tanzen wollen. Sie wollen das Grau mit Musik übertünchen. Schön das alte Grammophon anschmeißen, den leiben Mensch in den Arm nehmen und Runden tanzen. Das würde ich auch gerne mit dir Kieselgröttchen.

So, ich muss weiter operieren. Es ist schon eine komische Fügung, ich schneide den Menschen hier die Beine ab und in der Heimat mach ich einen Laden für tanzende Menschen auf. Noch eigenartiger wird es, wenn man sich mal überlegt, dass ja die beinlosen von hier, die Morphium bekommen haben, sich Musik bei mir holen und gar nicht danach tanzen können.

Wollen wir hoffen, dass sie sich beim Platten hören jedenfalls an die Zeit erinnern können, in der sich noch tanzen konnten.

Ich wünsch Dir den Himmel.

Grüß auch Luschkar und vergiss nicht, ihn zu fragen.

In Liebe und so

Dein Heinz
 
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