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9 Seiten

Ahrok 2.Band - 6. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Sechstes Kapitel: Konsequenzen

Das klatschnasse Tuch verschwand vor seinem Gesicht und Bernhard schnappte gierig nach Luft, erbrach Wasser und sog erneut Luft in seine malträtierten Lungen.
„Das ist sogenannte ´Weiße Folter´, Hauptmann Schreiber“, wandte sich der Inquisitor wieder an ihn. „Völlig spurlos und körperlich nicht nachzuweisen. Eine terranische Errungenschaft, die es erst vor Kurzem bis zu uns geschafft hat. Wie gefällt es Ihnen?“
Bernhard erbrach erneut etwas Wasser. Seine Augen waren hervorgetreten, der Kopf gerötet vom Blut, welches ihm durch das Liegen auf der Schrägbank dort hineingeflossen war. Er blickte sich gehetzt um und echte, unverschleierbare Todesangst sprach ihm aus dem Gesicht.
„Das war jetzt nicht einmal eine Minute, aber ich wette, es hat sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Sehen Sie, Herr Hauptmann… Ich bin kein Freund der Folter. Sie ist nichts weiter als ein Zeichen der Schwäche, ein Eingeständnis, dass man dem Gefangenen verbal und psychisch unterlegen ist und man deshalb nur noch mit Gewalt weiterkommt. Und ich bin kein schwacher Mann... doch andererseits bin ich jedoch ein neugieriger, ja sehr wissbegieriger Mann. Eine unmittelbare, nicht magische Folter, die keine physischen Spuren hinterlässt, hat dann doch meine Aufmerksamkeit erregt.
Ich kann Ihnen tausendmal sagen, dass Sie hierbei nicht ertrinken können, denn das Wasser kann nicht in Ihre Lungen eindringen, weil wir Sie zu diesem Zweck extra kopfabwärts fixiert haben. Aber sobald es dunkel wird und mein kleiner Freund hier den Lappen mit Wasser übergießt, wird Ihnen Ihr Hirn trotzdem zurufen, dass Sie ertrinken und es gibt nichts, was Sie dagegen tun können. Ist das nicht herrlich?“
„Wann…“ Bernhard rang nach einem klaren Gedanken. Er war nach den Stunden der vornehmlich psychischen Folter am Ende seiner Kräfte. „Wann stellen Sie mir endlich eine Frage? Was wollen Sie überhaupt wissen?“
Nikolas van Hauten zückte erneut Papier und Stift, um seine Eindrücke zu dokumentieren.
„Nun sein Sie doch nicht so ungeduldig. Einen Durchlauf machen wir noch. Dieses Mal eine Minute.“

Nachdem er seinen vierten Humpen geleert hatte, ging es Ragnar endlich mal wieder richtig gut. Sein Ärger über Ahroks Verschwinden war wie weggeblasen. Die ausgelassene Fröhlichkeit der Dorfbewohner war auf ihn übergesprungen und wenn sie erneut eines ihrer Lieder anstimmten, dann grölte er lautstark mit, obwohl er den Text keineswegs kannte.
„Ritter Ragnar, erzählt uns doch bitte noch einmal, was die Banditen mit unseren Kindern gemacht haben. Wie hieß denn der Mann, an den sie ihn verkauft haben und ist es wirklich ein reicher Kaufmann? Vielleicht können wir sie ja besuchen?“, bettelten gleich mehrere der Mütter gleichzeitig.
Die vom Alkohol entspannten Gesichtszüge des Zwerges zogen sich in ein breites Lächeln. Sorge und Hoffnung spiegelten sich gleichermaßen in den Gesichtern der Frauen vor ihm. Er war alles andere als ein Diplomat und ein guter Lügner schon lange nicht mehr, aber Ragnar ersann sich sofort eine kleine Geschichte.
„Dann hört gut zu, denn genau so hat es sich zugetragen. Der Mann in der zerbeulten Rüstung hat es uns persönlich erzählt, weil er uns ebenfalls für Soldaten hielt. Wir standen uns gegenüber so wie wir jetzt und er gab damit an, dass er drei Kinder für gutes Geld an den Kaufmann Karl Gustav Windenburg in Bevertal verkauft hat.“ Ragnar hoffte nur, dass es sich hier auch wirklich um drei vermisste Kinder handelte, immerhin hatten sie nur drei Leichen gefunden. „Ich kenne solch Kaufleute. Hab oft genug mit ihnen zu tun gehabt auf meinen Reisen. Sie sind alt und fett und haben trotz all ihres Reichtums keine Frauen, deshalb haben sie auch keine Nachkommen, die ihr Geschäft nach ihrem Tod weiter leiten. Und dann hat es sich eben bei diesen Leuten so eingebürgert, dass sie sich eben ein paar Erben von armen Leuten kaufen, die ihren Kindern ein gutes Leben wünschen. Jawohl. Diese reichen Kerle ziehen sie dann groß wie ihr eigen Fleisch und Blut und überlassen ihnen dann später ihren gewaltigen Reichtum. Ja, so und nicht anders läuft das in Bevertal nämlich ab. Eure Kinder sind nun an einem Ort, an dem ihnen nie wieder ein Leid geschehen wird, wo sie auf ewig glücklich sein werden.“
Erneut war es so, als fiele den Frauen ein schwerer Stein vom Herzen. Tränen rannen über ihre Gesichter.
„Meine kleine Luise“, lächelte eine von ihnen, obwohl ihr die Tränen in Strömen über das Gesicht rollten. „Ihr geht es dort bestimmt viel besser als hier bei uns im Dorf. Sie wird die schönsten Kleider tragen und…“ Ihre Stimme versagte, als sie in ein hilfloses Schluchzen verfiel und sich in die Arme einer alten Frau warf, die ihr behutsam den Kopf tätschelte.
Die Alte blickte Ragnar in die Augen. „Danke, dass Ihr mir Nachricht von meiner kleinen Enkelin gebracht habt, guter Mann.“
Ihre Stimme war schwach und voller Gram, als ob sie die Lüge hinter Ragnars Worten durchschaut hatte. Der Valr hielt ihrem Blick nicht stand und das fröhliche Lächeln erstarb auf seinen Lippen. Selbst ein kräftiger Schluck von dem tatsächlich außergewöhnlich guten Bier lag ihm schal im Mund und wollte seine Stimmung nicht wirklich heben.
„So, ich hab nun genug gefeiert!“, rief er laut um auf andere Gedanken zu kommen. „Es wird Zeit, die Fallgrube fertigzustellen.“
Sofort bot sich ein gutes Dutzend völlig übermüdeter Männer an, ihm zu helfen. Zufrieden nickte Ragnar und wollte sich grade auf den Weg nach draußen machen, um die Männer zur Arbeit einzuteilen, als die Tür plötzlich von außen aufgestoßen wurde und eine junge, atemlose Frau hineingestolpert kam. Die spärliche Kleidung hing ihr in dreckigen Fetzen vom Körper.
Urplötzlich verstummte die gespielte Laute und ein unsicheres Raunen huschte durch den Raum.
„Das ist doch Chikanos Tochter aus dem Nachbardorf.“
„Wie siehst du denn aus? Was machst du hier, Mädchen?“
Ragnar verfluchte seine Nachlässigkeit. Wenn das einer der Banditen gewesen wäre, dann hätte es hier drin ein Blutbad gegeben, welches nicht einmal er hätte verhindern können. Sofort lief er zu seiner Axt, welche am Tresen lehnte.
„Helft uns! Bitte!“, flehte sie kraftlos.
Zwei weitere, ähnlich erschöpfte Mädchen erreichten die Tür. Ihre Gesichter waren schweißnass und überall an ihren Körpern sah man Schürfwunden und blaue Flecke. Mit einem Schlag machte sich Panik breit.
Waren die Banditen schon im Dorf?
Ragnar schob sich vorbei an den zitternden Frauen und spähte hinaus ins Dunkel.
„Sie sind bestimmt hinter uns her! Bitte versteckt uns! Sie dürfen uns nicht bekommen!“, flehten sie die Bewohner von Weidenstolz an.
Diese Worte waren wie ein Funken in ein Fass voller Sprengpulver.
Sofort dröhnten spitze, ängstliche und panische Schreie in Ragnars Ohren.
In nur einhundert Schritt Entfernung konnte Ragnar seinen Freund erkennen, der eine junge Frau auf dem Rücken trug und an der Seite von vier weiteren Frauen auf ihn zulief. Kopflose Panik drohte die Leute in der Taverne zu beherrschen und jeden klaren Gedanken zu verdrängen. Jeder wollte etwas wissen, äußerte Vermutungen, schrie Gebete oder sprach seinem Nebenmann Mut zu.
„Ragnaaaaar!!!“, brüllte Ahrok im Lauf. „Hol deine Waffe, Ragnar!!!“
Der Valr wartete ungeduldig auf Ahrok, der sich ihm keuchend näherte und inspizierte dabei den Himmel. Die Sonne war vor zwei Stunden hinter den Bäumen verschwunden und ein bleicher Mond hing an ihrer statt am wolkenlosen Himmel. Vielleicht war die Dunkelheit sogar ein Vorteil, der ihnen bei einem eventuellen Angriff half, dass einige Fallen unentdeckt blieben. Doch eine Flucht der Dörfler war nun nicht mehr zu bewerkstelligen.

Völlig erschöpft setzte Ahrok die Else ab und übergab das verletzte Mädchen den Händen der Dorfbewohner. Danach schob er sich trotz aller bangenden Hände und lauten Fragen an allen Anwesenden wortlos vorbei. Er war so erschöpft wie schon lange nicht mehr. Sich kurz vor dem Kollaps befindlich, schleppte er sich die Treppe hinauf in sein Zimmer.
„Ich muss... mein Schwert... oben... ich mach nur... eine kurze Verschnaufpause“, keuchte er zur Erklärung. „Gleich wieder da.“
Dann fiel die Tür hinter ihm zu.
Ragnar stand immer noch ratlos zwischen all den aufgebrachten Leuten.
„Ruhe, verdammt noch mal!“, fuhr der Zwerg die Leute entnervt an.
Ruckartig verstummten alle, als die kratzige Stimme des Valr selbst das lauteste Wehklagen übertönte.
„Du da“, er wies auf eines der Mädchen. „Erzähl mal, was hier überhaupt los ist.“
Völlig verängstigt blickte sie den Zwerg an und eine andere Frau antwortete stattdessen.
„Die Banditen, die im Eberwald hausen, haben unser Dorf die letzten Tage lang erpresst. Haben all unseren Schmuck, die Kleider und unsere Schweine von uns gefordert. Aus Angst überließen wir ihnen alles, aber das hat sie nicht zufriedengestellt. Heute ritten sie in unser Dorf hinein, brachen in unsere Häuser ein und entführten alle jungen Frauen, ebenso erging es den Frauen aus Eschenbach.“ Sie blickte hinüber zu zwei anderen Mädchen, die sogleich ihren Blick senkten. „Sie brachten uns in ihr Lager im Wald wo sie uns…“ Ihr Blick wurde starr und glasig und sie brauchte einen Moment, um ihre Fassung wieder zu erlangen. „Dann kam der junge Mann. Er drang in unser Gefängnis ein, erschlug den Anführer der Bande und befreite uns. Wir sind gerannt und gerannt bis wir endlich hier angekommen sind, doch Marie, mein Schwester! Sie war nicht bei uns im Zelt! Sie… ist noch immer dort.“
Bei den letzten Worten war ihre Stimme immer schwächer geworden. Ragnar kam nicht umhin diese Frau und ebenso Ahrok zu bewundern. Was hatte dieser Irre hier nur vollbracht?
Vereinzelt drangen ein paar Jubelrufe auf Ahrok aus der Menge, doch Ragnars Miene verfinsterte sich zusehends. Das überstürzt heldenhafte und vor allem unüberlegte Handeln des jungen Heißsporns hatte die Banditen aller Wahrscheinlichkeit nach nur unnötig angestachelt. Die fein säuberlich durchdachten Fallen waren noch lange nicht fertig und er selber hatte sich gar nicht darauf eingestellt, heute Nacht noch zu kämpfen. Hastig riss er seine Axt an sich und rannte hinaus auf die Straße. Von Südosten näherte sich schnell eine kleine Schlange von hüpfenden Lichtern.

Ahrok saß mit dem Rücken an die Eingangstür gelehnt auf dem Boden. Was für ein Tag… was für ein verdammt langer und anstrengender Tag. Er war gerade trotz aller Aufregung etwas eingedöst, als es aufgeregt an dem Holz pochte.
„Graf Ahrok, bitte kommen Sie schnell herunter. Ritter Ragnar verlangt nach Ihnen und Sie möchten doch bitte Ihr ´verdammtes Schwert´ mitbringen.“
Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Schulter und Rücken schmerzten plötzlich wie nach einer Woche harter Feldarbeit. Verdammt, er war tatsächlich eingenickt, dabei sollte es doch nur eine winzige Verschnaufpause werden.
Diese blöde, fette Else. Ihm war, als hätte er ein gut gemästetes Schlachtross über diese drei Meilen schleppen müssen. So erschlagen hatte er sich lange nicht mehr gefühlt. Vielleicht sollte er dies Ragnar einmal als neue Trainingsmethode vorschlagen. Sein zerrissenes Hemd war klatschnass und stank stechend nach Schmutz und Schweiß und Wald.
„Ich komme“, rief nach einem langen Gähnen.
Ächzend zog sich Ahrok an der Klinke nach oben und nahm sein Schwert an sich, welches noch immer an der Wand neben der Tür lehnte. Wenn Ragnar ihn so eindringlich rufen ließ, dann war der Zwerg entweder ziemlich sauer über seine heroische Darbietung oder die Banditen standen vor der Tür. Im schlimmsten Fall traf beides zu.
Dennoch empfand Ahrok keine Reue. Er hatte diese jungen Dinger aus den Fängen der Bösewichte gerettet und das war das Einzige was zählte. Sollte der alte Zwerg ruhig rummeckern. Er streckte sich noch einmal. Ihm war ja gerade so schlecht und Hunger hatte er obendrein auch noch.
Ein paar Ohrfeigen gaben ihm den nötigen Elan, dass Zimmer zur verlassen.
Ragnar stand auf einem der Tische unten im Schankraum und redete wie ein Feldherr eindringlich auf die Dorfbewohner ein.
„… und das ihr uns ja nicht dazwischen funkt! Klar? Ihr bleibt alle schön hier drin und versteckt euch im Keller. Verriegelt die Türen. Verbarrikadiert die Eingänge und Fenster mit Tischen und Stühlen und… was weiß ich nicht noch alles. Legt diese nassen Felle über die Falltür zum Keller, das sollte eventuelle Feuer abhalten. Lasst aber auf keinen Fall jemanden herein. Egal was passiert. Ahrok und ich regeln das schon und wenn wir fertig sind, dann holen wir euch schon.“
Einige frisch aus ihren Betten geholte Kinder fingen sofort an zu weinen und das blanke Entsetzen prangte in den Gesichtern der meisten Bauern hier in der Schenke.
Also hatte er die Räuber tatsächlich zum Dorf gelockt. Ein leichter Anflug von Unruhe jagte ihm den Rücken hinunter und vertrieb die Übelkeit. Um sich selber und den Dorfbewohnern seine Siegessicherheit zu versichern, schulterte er demonstrativ seinen gewaltigen Abschlachter und stellte sich neben Ragnar.
Dieser warf ihm einen Blick zu, den Ahrok nicht einordnen konnte und sprang dann vom Tisch.
„Ihr habt alles verstanden, hoffe ich. Wenn wir hier raus sind, dann verrammelt ihr hier noch alles und kommt nicht auf die Idee hier raus zugehen, bevor wir euch rufen.“ Wiederholte er erneut und zu Ahrok gewandt: „Komm mit raus. Unsere neuen Freunde sind gleich da.“
In möglichst heldenhaft erhabener Haltung folgte Ahrok dem Zwerg vor die Tür.
„Siehst du sie da hinten?“
Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatten wies Ragnar auf die kleine Lichterkette.
Mehr als ein Dutzend Fackeln bewegten sich zügig durch die Finsternis auf Weidenstolz zu. Sie mochten kaum mehr eine halbe Meile weit entfernt sein, als die Lichter auf einmal auseinander drifteten.
„Was tun die da?“, fragte Ahrok und schämte sich für das leichte Zittern in seiner Stimme, obwohl es nur auf den kalten Wind zurückzuführen war.
„Sie wissen wohl, dass wir hier sind und umrunden das Dorf. Sie spielen ihre zahlenmäßige Überlegenheit aus und wollen es deshalb von allen Seiten gleichzeitig angreifen. Damit treffen sie auf weniger Widerstand und können es schneller niederbrennen, um uns Deckung und Verstecke zu nehmen. Ihr Pech, dass wir weder das eine noch das andere suchen.“
Fünf der hüpfenden Lichter kamen jedoch unbeirrt weiter die Handelsstraße entlang auf sie zu.
Ahroks innere Unruhe wurde zumindest zu einem Teil durch brechreizerregende Vorfreude verdrängt. Ihr Plan klappte ja herrlich. Zumindest diese Fünf würden in die Fallgrube stürzen und sich somit sämtliche Knochen brechen.
Der Zwerg hingegen blickte sich weiterhin skeptisch um, dann meinte er: „Ich behalte den Norden der Stadt im Auge, du den Süden, so dürften wir sie lange genug aufhalten und den Großteil von ihnen in Kämpfe verwickeln.“
Was meinte der Zwerg mit „aufhalten“? Jetzt würde es endlich Arschtritte für das Böse hageln!
„Nein, ich finde das ist ´ne blöde Idee. Wir haben doch die Falle hier. Jeder, der von hier kommt, fällt da rein und macht uns keine Schwierigkeiten – ich komm lieber gleich mit und sichere eine andere Stelle“, widersprach Ahrok.
Beinahe zornig hob Ragnar die Augenbraue und schielte ihn böse von unten an.
„Das kannst du immer noch machen nachdem die hier alle tot sind. Die Fallgrube ist nämlich nicht fertig!“
Der Zwerg hatte einen Ton angeschlagen, der keine erneute Widerrede duldete.
„Schon gut, schon gut, war ja nur ein Vorschlag.“ Ahrok wusste gar nicht, warum sich der Zwerg schon wieder aufregte. Er hatte es schließlich nur gut gemeint. „Ich nehm den Süden, du den Norden. Alles klar.“
Ragnar nickte knapp und lief dann hinein in die Finsternis zum anderen Ende des Dorfes.
So ganz allein im Dunkel hier draußen überkam Ahrok auf einmal ein etwas mulmiges Gefühl. Seit der Arbeit bei der Kanalwache hatte er es nicht mehr so mit der Dunkelheit. Sie beherbergte viel zu viele scheußliche Dinge. Er konnte im Mondlicht kaum dreißig Schritt weit sehen und wer wusste schon, was sich dort außerhalb seines Sichtfeldes abspielte. Schatten waren etwas trügerisch Böses, in denen sich der Tod nur zu gern versteckte. Das bisschen Licht der paar Kerzen und Lampen, welches durch die noch immer nicht verbarrikadierten Fenster der Taverne fiel, erhellte zumindest den Fleck, an dem er stand.
Ahrok hob das Schwert.
Das Gewicht der Waffe beruhigte ihn wieder etwas. Heute kam der Abschlachter also endlich zum Einsatz. Er lockerte die Handgelenke und ärgerte sich gleich wieder darüber, nicht daran gedacht zu haben, sie zu bandagieren.
Kam es ihm nur so vor, oder wurden die Lichter vor ihm immer langsamer?
Er blickte sich um, doch die anderen Fackeln waren bereits hinter irgendwelchen Häusern verschwunden.
Verdammt! Die Schufte vor ihm wurden tatsächlich immer langsamer. Wenn weiterhin so vorsichtig ritten, dann würden sie die Falle unweigerlich erblicken. Doch kaum war der Gedanke zu Ende gedacht, hielten die fünf Reiter gänzlich an.

Edwin blickte die sieben Männer um ihn herum an. Er und seine kleine Schar hatten sich etwas abseits vom Rest der Dorfbewohner versammelt, denn er wollte mit seinen Worten die allgegenwärtige Angst nicht noch weiter schüren.
Der Keller bot kaum genug Platz für alle achtzig Menschen aus Weidenstolz, dennoch konnte seine kleine Gruppe sich hier hinter den staubigen Dauben überlagerter Bierfässern ungestört unterhalten.
Er kannte alle sieben schon sein ganzes Leben lang. Mit einigen von ihnen hatte er schon als Kind zusammen im Dreck gespielt und nun hockten sie hier unten im Keller wie verängstigte Hühner auf der Stange. Warteten angespannt darauf, dass die Falltür über ihnen wieder aufgerissen wurde und sie dann in ein bärtiges Zwergengesicht blicken würden und nicht in das eines freudig grinsenden Soldaten.
In den Augen jedes Einzelnen konnte er die Furcht lesen, doch ebenfalls auch die biergestärkte Entschlossenheit im Angesicht des Feindes nicht zu wanken.
Kein dreckiger Haufen Banditen würde einfach so ihr Dorf niederbrennen, welches ihre Väter oder Großväter einst auf den Ruinen der alten Welt errichtet hatten. Kein Räuber würde ihnen ihre Kinder und Frauen stehlen. Heute Nacht würden sie Weidenstolz gegen das Böse verteidigen.
Die zwei Männer da draußen brauchten jede Hilfe, die sie bekommen konnten.
Diese beiden riskierten ihr Leben für einen Haufen armer Bauern. Da konnte Edwin nicht einfach tatenlos zusehen und er wusste, dass es seinen Kameraden ähnlich ging. Selbst der alte Friedrich hatte sich bei der bloßen Erwähnung von Widerstand sofort bereit erklärt, an ihrer Seite zu stehen und hatte daraufhin einen verstaubten Kurzbogen aus den kriegerischen Tagen seiner Vorfahren zu Tage gefördert. In keinem von ihnen schlug das Herz eines Kämpfers, sie waren Bauern und wollten nie etwas anderes sein – doch heute Abend würden sie zu Helden werden!
Der Namenlose half denen, die sich selbst zu helfen wussten. Er würde über sie wachen.
Ihm war es in diesen endlos langen Minuten dennoch so, als müsste er nun eine Ansprache halten, eine Lobrede auf ihren Mut oder irgendetwas von Heldentaten erzählen, doch ihm fehlten die rechten Worte. Noch immer lag ihm die Todesangst wie ein dicker Klumpen Blei im Hals.
Edwin schloss die Augen und vermied es, seine Frau und Kinder auf der anderen Seite der Fässer anzusehen. Er spürte ihre Blicke und er schmeckte ihre Sorge und das machte es nur noch schwerer.
Mit einem Mal ging sein Atem ruhiger und die verspannten Muskeln wurden lockerer.
Dann riss er die Augen auf und fixierte seine sieben Mitstreiter. Energisch stampfte er mit dem Stiel seiner Sense auf den Boden auf.
„Freunde… jetzt gilt es!“ Ein jeder blickte ihn an. „Da draußen, nur ein paar Armlängen von uns entfernt, stehen zwei Männer, die für unsere Freiheit ihr Leben aufs Spiel setzen. Wir müssen ihnen helfen und wir werden ihnen helfen, die schändlichen Räuber für immer aus unserem Dorf zu vertreiben. Dies wird eine bedeutende Nacht, meine Freunde, denn heute werdet ihr für immer in die Geschichte als die Retter von Weidenstolz eingehen. Noch unsere Enkel und Urenkel werden ehrfurchtsvoll von euch sprechen, wenn sie dieser Nacht gedenken. Die Götter sind mit uns. Ich weiß es. Wir werden SIEGEN!“
Bei einem Blick durch die Runde traf er auch auf die großen, tränengefüllten Augen seiner Frau. Rasch wandte er sich wieder den Männern zu. Er würde jetzt nicht kneifen.
„Friedrich, du beziehst Stellung auf der Taverne und spickst diese Mistkerle mit deinen Pfeilen! Ihr anderen kommt mit mir. Freunde, es ist Zeit.“ Er nickte allen zu. „Auf geht es.“
Leise huschten die sechs Männer in der Dunkelheit hinaus und verteilten sich im Dorf.
 
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Kommentare  

da ich im moment total faul bin, werde ich mich kurz fassen. guter teil, bernhard und die weiße folter, ahrok als retter, ragnar hin- und hergerissen zwischen bewunderung und skepsis, und die dorfbewohner wollen auch mitkämpfen. hmmm...

Ingrid Alias I (04.05.2012)

Schön, dass die Kapitel bei euch allen so gut ankommen - ich hab sie im Gegenzug zur früheren Version nur etwas mehr zerstückelt und kann so auch erkennen, welche Teile gefallen und was eher nicht.

Jingizu (29.04.2012)

Die Leute aus dem Dorf trauen Ragnar und Ahrok nicht zu alleine gegen solch eine Übermacht angehen zu können. Ehrlich gesagt hätte ich auch versucht mitzuhelfen. Aber ob man das richtig kann, das ist hier die Frage.

Petra (28.04.2012)

Ich finde es toll, dass die Dörfler nun unsere zwei Helden unterstützen wollen. Ich habe es nicht mehr so genau in Erinnerung wie es war. Aber ich kann mir denken, dass die zwei es unmögliche schaffen können gegen diese Schar von Plünderern und Mördern alleine anzukommen.

Jochen (27.04.2012)

An dieses Kapitel erinnere ich mich auch noch.
Ragnar läst sich vom Bier ablenken und Ahroks Heldentat hat natürlich Folgen. Aber nicht nur Ahrok spielt den Helden. Ob das so eine gute Idee von Edwin und seinen Freunden war?


Tis-Anariel (27.04.2012)

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