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5 Seiten

***Lamia*** 4 Frisk und Jorossz

Romane/Serien · Fantastisches
Gemächlich stieg Lamia die alte Treppe hinauf. Langsam klärten sich ihre Gedanken und ihr wurde mit einem Mal bewusst, was sie getan hatte. Sie hatte einen Sterblichen zu sich gebeten. Sie sollte so etwas nicht tun. Aber Jarno weckte Gefühle in ihr, wie sie sie nie zuvor empfunden hatte und sie begehrte ihn so sehr, dass es schon beinah schmerzte. Und doch konnte sie nicht sagen, was sie an ihm so sehr wollte. War es sein Körper? Sein Blut? Seine Seele? Warum hatte sie ihn nicht einfach gebissen und sein Blut genossen? Etwas hatte sie abgehalten und das machte ihre Leidenschaft für ihn so gefährlich. Sie durfte nicht vergessen, dass sie versprochen war. Eine Verpflichtung, der sie nie entkommen konnte. Es sei denn, ihr zukünftiger Gemahl würde sterben. Da er allerdings bereits untot war, würde dies vermutlich nicht so bald geschehen. Also war es äußerst töricht, über solche Dinge zu sinnieren.

Licht! Jemand hatte oben an der Treppe die Türe geöffnet und der plötzlich vor ihr auftauchende Schatten riss sie aus ihren Gedanken. „Vater!“, rief sie überrascht. Einige Stufen vor ihr wartete ein hoch gewachsener, schlanker Mann mit schwarzen, zu einem Zopf zusammengefassten schulterlangen Haaren auf sie. Sie ging an ihm vorbei, doch er hielt sie am Arm fest. Seine stechenden blauen Augen funkelten sie argwöhnisch an: „Ich habe Dich gesucht, Lamia. Wo warst Du?“ Er hatte sich noch nicht zu seiner allnächtlichen Jagd umgekleidet – so war er noch in seinen schwarzen, mit reichlich weißer Spitze verzierten Morgenrock gehüllt. „In der Küche. Ich hatte Appetit auf ein Stück Fleisch.“ Ihr Vater verzog angewidert das bleiche Gesicht. Die tiefen Falten an seinen Augen verrieten, dass er schon sehr alt sein musste – alterten Vampire doch für gewöhnlich äußerst langsam. „Du isst häufig so etwas. Zu häufig! Du solltest das nicht tun. Ernähre Dich, wie es Deine Bestimmung ist.“ Lamia funkelte ihn an: „Willst Du, dass ich mir auch so einen Harem halte, wie Du es tust? Vater?“ Er lachte trocken auf: „Du kennst Deine Möglichkeiten. Lasse sie halt in der Sonne verbrennen! Auch wenn ich gegen ein paar Jünglinge am Hofe nichts einzuwenden hätte. Sie könnten meine Gespielinnen bei Laune halten. Ich werde langsam zu alt…“ „Vater!“, unterbrach ihn Lamia. Er lachte schallend auf. „Kind beruhige Dich! Ich werde Dich nicht mit Einzelheiten behelligen. Zurück zu Dir! Du weißt genau, dass es falsch ist, wie Du lebst. Wenn sich Deine Gelüste wenigstens auf lebende Tiere beschränken würden, wäre es ja noch einigermaßen nachvollziehbar für mich. Aber gebratenes Fleisch? Lamia, ich bitte Dich!“

Am Fuße der Treppe lauschte Jarno der Konversation. Er war gerade bereit gewesen, seiner Herrin in ihre Gemächer zu folgen, als er eine tiefe männliche Stimme vernahm. Lamia nannte den Mann Vater. Morut! Ja, es musste Morut sein. Der junge Koch zog sich leise ein wenig zurück, verbarg sich in den dunklen Schatten und versuchte, dem Gespräch zu folgen. Doch ihre Stimmen wurden immer leiser. „Vater! Diese Diskussion haben wir schon oft geführt! Zu oft! Wann gibst Du endlich auf und überlässt mir die Entscheidung, wie ich mich ernähre?“ Jarno hörte Moruts donnerndes Lachen: „Sobald Du aufhörst, den Menschen nachzueifern.“ Eine Tür wurde zugeworfen und die Stimmen verstummten.

Morut war seiner Tochter in ihre Gemächer gefolgt: „Verhalte Dich standesgemäß, Kind!“ Lamia zündete ein paar Kerzen an und lächelte ihrem Vater amüsiert zu: „Ich eifere den Menschen nicht nach! Du weißt, wie wählerisch ich bin. Und daran wird auch Dein ewiges Genörgel nichts ändern.“ Sie erkannte an seinem angewiderten Gesichtsausdruck, dass er ein Stück gebratenes Fleisch nicht gerade für die beste Wahl hielt. Das war doch keineswegs vergleichbar mit dem frischen warmen Blut einer schönen Jungfrau. Lamia kannte all seine Argumente und Morut kannte alle Argumente seiner Tochter. Nie würden sie einig sein. Die junge Frau wusste, dass er immer noch dachte, er könne sie erziehen. Wie alt er geworden war. Eilig wechselte Lamia das Thema: „Wo wir gerade bei „wählerisch“ sind, wie gefällt Dir unser neuer Koch, Vater?“ Der besah seine Tochter mit skeptischem Blick: „Wie sollte er mir wohl gefallen, Kind? Er hat mir nichts zu bieten.“ Doch einen Augenblick später sprühten seine Augen Funken: „Außer seinem Blut!“ Lamia fuhr ihn an: „Wage es nicht!“ Der alte Vampir schmunzelte: „Der Junge scheint Dir ja ans Herz gewachsen zu sein. Lamia! Er ist nur ein Mensch!“ Fahrig fuhr sie sich mit der Hand über die Stirn – überlegte, wie sie Jarno vor ihrem Vater schützen konnte: „Er ist der beste Koch, den das Umland zu bieten hat! Und ich werde mich kein weiteres Mal auf die Suche begeben.“, drohte sie.

Als würde sie sich schützend vor ihr geliebtes Haustier stellen, versprach er ihr mit ungewöhnlich sanfter Stimme: „Kind, ich habe nicht vor, Deinem Koch etwas zu tun. Beruhige Dich.“ Er betrachtete sie mit argwöhnischem Blick: „Es ist selbstverständlich völlig lächerlich, aber…“ begann er und beäugte sie weiter. „Du wirst Dich doch nicht in so jemanden verlieben? Es ist doch lächerlich, Lamia?“ Sie sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an: „Dieses Gespräch ist lächerlich!“, entschied sie und betrachtete gelangweilt ihre Duftwasserfläschchen, die fein säuberlich nach Größe sortiert auf einem niedrigen Tisch drapiert worden waren. Unbeirrt fuhr Morut fort: „Bleibe bei Deinesgleichen. Ich habe für Dich einen ehrenvollen und gut geratenen Gemahl ausgesucht. Er wird Dir viele Kinder schenken und den Hof mit starker Hand führen.“ Lamia nahm eine kleine vergoldete Bürste von ihrer Kommode und entwirrte ihr Haar: „Soll das wirklich alles sein, was mir die Ewigkeit zu bieten hat?“ Morut setzte sich müde auf ihr Bett: „Wie Du hierin schlafen kannst, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Verdammt noch mal! Hätte ich damals gewusst, welchen Einfluss Frisk auf Dich haben würde, hätte ich ihn zerstört!“ Lamia lächelte vor sich hin. Wie oft er das schon gesagt hatte. Und doch würde er für diesen Stein sein Leben geben.

Morut räusperte sich und setzte gebetsmühlenartig zu seinem Vortrag über ihre Pflichten als seine Erbin an. Lamia kannte die nun folgenden Worte bereits und sprach sie in Gedanken mit: „Meine über alles geliebte Tochter. Du weißt, dass ich nur das Beste für Dich will. Nur das Beste ist gut genug für Dich. Aber Du weißt auch, dass eine Aufgabe auf Dich wartet. Eine große und ehrenvolle Aufgabe.“ Und wie jedes Mal, wenn sie diese Konversation führten, fragte Lamia: „Können denn die Steine nicht bei ihren derzeitigen Hütern verbleiben, Vater?“ Sie ließ die Bürste durch ihre langen schwarzen Haare gleiten und vor ihrem inneren Auge sah sie Jarnos verschwitzten Körper, seine Muskeln, deren Spiel im Kaminlicht sie so fasziniert hatte und eine unbändige Sehnsucht erfasste sie. Sie hörte ihren Vater beinah gar nicht mehr, so sehr versank sie in ihren leidenschaftlichen Gedanken. Doch mit einem Mal hob er seine Stimme: „Du weißt genau, dass die Zeit angebrochen ist, dass Frisk und Jorossz ihre Hüter wechseln müssen. So steht es geschrieben und Du als meine Tochter bist dafür auserwählt. Du solltest stolz auf diese Ehre sein.“ An dieser Stelle nickte sie normalerweise sittsam und fügte sich ihrem Schicksal. Doch heute war etwas passiert und sie nickte nicht. „Aber wo steht geschrieben, dass ich Moardas zu meinem Gemahl nehmen muss?“ flüsterte Lamia. Entrüstet sprang Ihr Vater auf. „Es ist genug! Du kennst die Gesetze. Und Du wirst mir gehorchen. Ich erlaube nicht, dass Du mir widersprichst! Du bleibst in Deinen Gemächern, Tochter!“ Er drehte sich zur Tür – doch er war noch nicht fertig. Wütend glühten seine Augen sie an: „Und ich befehle Dir: Halte Dich von der Küche fern. Dieser gemeine Schankwirt ist nicht gut für Dich.“ Entsetzt sah Lamia auf – ihm in die blutunterlaufenen, tief eingefallenen Augen: „Du verbietest mir, meine Räumlichkeiten zu verlassen? Und Du verbietest mir, mich frei im Schloss zu bewegen? Mir? Deiner über alles geliebten Tochter? Und warum hegst Du Groll gegen einen Koch, den Du nicht einmal kennst? Wann bist Du nur so grausam geworden, Vater? Es gab einmal eine Zeit, in der Du Deinesgleichen geachtet und Menschen nicht ausschließlich als Nahrung betrachtet hast.“

Seine ohnehin schon farblose Haut schien mit einem Mal noch blasser zu werden und seine Stimme glich einem Donnergrollen: „Wie kannst Du es wagen?“ Mit wehendem Morgenrock drehte sich Morut zur Tür. Für einen Moment stand er still, dann sah er sich noch einmal zu seiner Tochter um. Und als ihres Vaters Blick Lamia traf, bereute sie ihre Fragen. Er war zutiefst verletzt. Sie wusste genau, dass für die so unbedacht aufgerissene Narbe in dieser Nacht eine arme unschuldige Kreatur würde leiden müssen. Und doch würde diese tiefe Verletzung niemals heilen. Er war Zeit seines Lebens ein gnadenloser Herrscher gewesen, doch seit die Menschen ihm sein Weib genommen hatten, kannte seine Grausamkeit keine Grenzen. Voller Wut verließ er das Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

Langsam verwandelte sich Lamias Reue in Zorn. Auch wenn sie Worte gesagt hatte, die ihn verletzt hatten, war sie nicht gewillt, sich von ihm wie ein Kind behandeln zu lassen. Schließlich hatte er sie mit seiner Starrköpfigkeit gereizt. Es ging hier um ihr Leben und sie war die einzige, die nicht darüber entscheiden durfte.

Einige Augenblicke später folgte sie ihm, öffnete die Tür und sah sich einem von Moruts missgestalteten Dienern gegenüber. Diesem übel riechenden Schmutzfink hier fehlte der rechte Arm und die linke Hälfte seines Gesichtes hing unförmig herunter. Er riss sein rechtes, noch gutes Auge auf, als er die Herrin sah und knurrte er sie aus seinem schiefen Mund an. Ungehalten fauchte sie zurück. Das kümmerliche Wesen zuckte zusammen. Doch es war wenig genugtuend. Lamia wusste, dass ihr Wächter sie zwar nicht aufhalten würde, doch würde er schreien! Und dieser Schrei würde ihren Vater sofort wissen lassen, dass sie ihm nicht gehorcht hatte. Verdrossen kehrte Lamia in ihre Räumlichkeiten zurück und schlug wütend die Tür hinter sich zu.
 
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Kommentare  

Hi Ingo! Väter verhalten sich scheinbar immer gleich - auch Vampires: Für meine Tochter ist der Beste nicht gut genug! FINGER WEG! *grins*

Hi Jey! Freut mich sehr, ich raaase sozusagen... mal sehen, ich habe den nächsten Teil gestern Abend noch für gut befunden. Wenn ich das gleiche heute Abend beim drüberlesen wieder empfinde, gibts ihn heute noch! Mich würden Deine Gedichte interessieren!


salzi (02.09.2004)

Nein, veröffentlicht habe ich nichts salzi. Aber durch die vielen tollen Anregungen bin ich schon am überlegen. Allerdings würde ich wahrscheinlich erst mal mit Gedichten starten um zu schauen, wie mein Stil ankommt. Ist ja nicht jedermanns Sache solche Gedichte. Ich hab den Teil jetzt gelesen und muss sagen: beeil dich bitte mit der Fortsetzung, es war wieder sehr sehr gelungen. Großes Lob meinerseits an dich.

Jey (01.09.2004)

Ja, ja, auch in Vampiradern fliesst (wenn auch blaues) Blut. Wo das Begehren dem Stolz in den Weg kommt, gibt es Zerrissenheit.
Gut zu wissen, dass es auch in Vampirfamilien Streit mit dem Nachwuchs gibt, hehe!

Gruss


Ingo Gärtner (31.08.2004)

Hallo Metevelis! Oh, es freut mich, dass du noch dabei bist! Herzliche Grüße

salzhering (31.08.2004)

Interessant, interessant. Es bleibt weiterhin spannend. Mir gefällt deine Art zu schreiben sehr gut. Das ist mal eine andere Vampir-Geschichte.

Metevelis (30.08.2004)

Hallo Jey! Vielen Dank, das höre ich gerne. Bin gespannt, wie Dir der neue Teil dann gefällt, wenn Du ihn gelesen hast. Hast Du hier auch etwas veröffentlicht? Ich finde Deinen Nick hier gar nicht. Liebe Grüße

salzi (30.08.2004)

noch hab ich den teil nicht gelesen, aber ich habe ihn mit spannung erwartet.du hast viel talent, zumindest was ich über deine lamia-folge sagen kann. die anderen geschichten hab ich noch nicht gelesen, ehrlich gesagt. aber das komm noch.

Jey (30.08.2004)

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