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2 Seiten

Ein Fisch sein

Trauriges · Kurzgeschichten
An seinem achtzehnten Geburtstag ging Jan Wieland von zu Hause fort.
Jan war immer ein guter Schüler gewesen, und mit Anderen seines Alters kam er gut zurecht. Mit den Mädchen hatte er auch Erfahrungen.
Er hatte eigentlich keinen Grund, denkt sein Vater, der Kalle Wieland heisst, und bei einer Bank arbeitet.
Heute kommt Kalle von der Arbeit nach Hause, und findet in seinem Briefkasten eine Postkarte von seinem Sohn.
Vielleicht komme ich eines Tages wieder. Wenn du verstehst.
Die Karte ist aus Rio de Janeiro.
Kalle Wieland öffnet den besten Wein, den er im Haus hat, einen 89er Schiopettino. Es ist die erste Nachricht, die er von seinem Sohn erhält.
Weitere Postkarten wird Jan seinem Vater nicht schicken. In ein paar Tagen wird er tot sein.

Der Kapitän ist ein mürrischer alter Seebär. Ein Sklaventreiber, sagt die Mannschaft. Es gibt immer etwas zu tun an Bord eines Schiffes, sagt er.
Der Smutje hat keine Geschmacksnerven. Jan kann kochen. Aber er ist nur Küchengehilfe.

Er hat einen Freund, der Bruno heisst. Bruno ist ein Säufer, sagt der Sklaventreiber. Bruno ist ein Philosoph, sagt der Küchengehilfe.
Manchmal steht Jan an der Reling und träumt vom Horizont. Er kann schwimmen, aber er ist ein Seemann und kein Fisch.
In ein paar Tagen wird er tot sein.

Etwas erreichen zu wollen heisst, Träume zu haben, sagt der Trunkenbold. Vor allem heisst es, hart zu arbeiten, der Kapitän. Wenn ich ein Fisch wäre, der Tagträumer. Würden wir dich essen, der Smutje. Schwachkopf, sagt Bruno.

Kalle Wieland sitzt in seinem Wohnzimmer, trägt einen Anzug und trinkt Wein. Jan ist so ein kluger Junge, er könnte Jura studieren oder BWL, vielleicht wird er einmal ein erfolgreicher Manager, denkt er. Er überlegt sich nicht, was er seinem Sohn sagen würde, wenn der in diesem Moment vor der Tür stände. Dass Jan nie wieder vor der Tür stehen wird, weiss sein Vater nicht. In ein paar Tagen wird er tot sein.

Wenn ich nun wirklich ein Fisch wäre, sagt Jan zu Bruno. Einer der nicht schmeckt...
Ich weiss, was du meinst, antwortet der, und er weiss es wirklich. Bruno versteht ihn.
Wenn das Schiff in Buenos Aires anlegt muss Bruno von Bord gehen. Der Kapitän sagt, er trinkt zu viel, und er wird nicht mehr gebraucht.

Irgendwann wird es ein Schiff geben, das keinen Kapitän hat, sagt Bruno, und du wirst dabei sein.
Das werde ich nicht, sagt Jan.

In ein paar Tagen wird er tot sein, er wird sich erhängen.
Niemand wird Bruno fragen, aber wenn ihn einer fragen würde, dann würde er antworten: Er ist jetzt ein Fisch.
 
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Kommentare  

Hallo David, ich muss dir Recht geben, das lese ich auch heraus. Der Wunsch endlich frei zu sein ist Jan nie erfüllt worden. Sein Vater hatte ihn nie verstanden. Niemand begriff Jan richtig, bis auf Bruno- sein einziger Freund. Wirklich eine sehr gute Kurzgeschichte. Toller Schreibstil.

doska (17.05.2009)

Ich habe vermutet das Jan sich erhängt da er auch da wo er die Freiheit suchte keine fand - bei den Kapitän. Von zu Hause ging er weg, weil er keine Zukunft sah die ihn gelockt hätte, hinter einem Schreibtisch?

david Kusserow (17.05.2009)

Hallo Jonatan

Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Insbesondere deine kluge Erzählkonstruktion. Sie ist mit fiel Phantasie ausgestattet.

Du hast deine Geschichte in die Kategorie "Nachdenkliches" eingeordnet. Nun ich habe sehr intensiv über deine Geschichte nachgedacht, doch ich komme nicht drauf, weshalb sich Jan erhängt. Du kündigst seinen Tod stets an, doch fehlt meines Erachtens der Grund weshalb sich Jan umbringt. Der Leser bekommt keinen wirklichen Einblick in die Psyche des Jan. Der Leser erfährt, dass Jan gute Noten hatte, ein guter Schüler war. Auf dem Schiff ist er Küchengehilfe unter einem Käpten, der von seiner Mannschaft als Sklaventreiber bezeichnet wird. Ob es nun am Käpten liegt, ob dieser Jan soweit seiner Freiheit beraubt, dass Jan sich erhängt, um frei zu sein, wird nicht deutlich.

Er wünscht sich ein Fisch zu sein. Damit willst du wahrscheinlich Freiheit assoziieren. Aber es wird nur sehr schwach deutlich in welcher Weise Jans Freiheit eingeschränkt ist. Soll es an seinem Vater liegen? Leider wirkt der sehr Verständnisvoll, er sehnt sich nach seinem Sohn und in keinster Weise Wütend über dessen Fortgang mit 18 Jahren.

Insgesamt meine ich könnte man aus der Geschichte mehr rausholen. Die Idee und die Schreibstilistik sind großartig.


H. A: (06.01.2007)

wieso?
ich treib mich hier rum...
die geschichte ist toll,
gerade die vielen abstraktion sind gut..endlich mal was anderes..was anspruchsvolles...
mach bitte weiter so!


selfmutilation (13.10.2005)

Wieso?? Ich finde die Geschichte gehört absulut mit zu den Besten!
Lg Mitch


Mitch (25.08.2005)

Ich glaube, dass diese elitäre Geschichte den Durchschnittsleser überfordert. Du setzt zuviel Abstraktionsverständnis voraus. Das haben die meisten Leser nicht.Deine Geschichte richtet sich an diejenigen, welche sich traditionell auf solchen Internetseiten n i c h t herumtreiben und geht vielleicht somit ins Leere.
Schade !


RvD (03.07.2005)

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