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Der Mann aus dem Lift

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester
© Karin B.
Der Mann aus dem Lift

Michele lehnte sich zufrieden zurück. Sie hatte die liegen gebliebene Arbeit, die sich während ihrer zweiwöchigen Krankheit aufgetürmt hatte, mit täglichen Überstunden fast vollständig abarbeiten können. Den Rest wollte sie nach Absprache mit ihrem Abteilungsleiter mit nach Hause nehmen, um ihn am Wochenende zu erledigen. Da niemand zu Hause auf sie wartete, fiel es ihr relativ leicht, auf langweilige Fernsehabende zu verzichten. Zum Glück gab es den nahe gelegenen Pizza-Service, so dass es auch am leiblichen Wohl nicht fehlte. Der Pizza-Bote, der meist die Pizza lieferte, war sehr nett und nahm sich oft ein paar Minuten Zeit für eine kleine Unterhaltung. Das war eine willkommene Abwechslung zu dem trockenen Papierkram auf ihrem Tisch. Heute hatte er ihr eine Flasche Wein als Bonus mitgebracht, weil sie ein guter Kunde war. Genüsslich nahm sie einen großen Schluck aus der Flasche. Erst als sie etwas zu hastig aufgestanden war, bemerkte sie, dass der Wein sofort in den Kopf stieg. Sie verschloss die Flasche wieder mit dem Korken, um sie mit nach Hause nehmen zu können. Für heute war es genug.
Es war kurz vor Weihnachten und sie hatte sich fest vorgenommen, dem neuen Chef keine offenen Posten präsentieren zu müssen. Es hatte ihn zwar noch niemand kennen gelernt, aber zur Weihnachtsfeier heute Abend sollte er offiziell vorgestellt werden. Der Sohn vom Alten, wie man ihn hinter vorgehaltener Hand nannte, sollte nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt in die Firma eingeführt werden. Richard Landvogt, der „Alte“, wollte sich in absehbarer Zeit zurückziehen und die Geschäfte seinem Sohn übertragen. Nach einer Herzattacke im vorigen Jahr hatte er bekannt gegeben, dass es an der Zeit war, der jüngeren Generation Platz zu machen. Die „Landvogt Elektronik GmbH - Import und Export“ war ein mittelgroßes Unternehmen. Von der Batterie bis zur Computeranlage reichte das Sortiment. Die Gerüchteküche kochte, da niemand bisher von einem Sohn gewusst hatte. Man war allseits sehr gespannt auf den „Neuen“.
Michele packte ihre Unterlagen auf einen Stapel, den sie mit nach Hause nehmen wollte, obenauf die Schachtel mit der restlichen Pizza. Sie löschte das Licht, schloss die Etagentür und ging zum Lift. Die Lifttür stand offen, sie stieg ein und wollte eben auf den Etagenknopf drücken. In diesem Augenblick sagte eine Stimme rechts neben ihr:
„Schönen guten Abend, junge Frau!“
Total erschreckt zuckte sie zusammen und ließ ihre Akten fallen.
„Sind Sie wahnsinnig, mich so zu erschrecken?... Wer sind Sie?“
In der rechten Ecke des Liftes stand ein junger Mann in einem roten Arbeitsoverall und lächelte sie verlegen an. In der einen Hand hielte er einen Schraubenzieher und ein Tuch und in der anderen Hand eine bereits geöffnete Flasche Sekt. Wahrscheinlich einer der Hausmeister.
Sofort bückte er sich, um ihr beim Aufheben der Papiere behilflich zu sein.
Dann drückte er auf den Knopf für das Erdgeschoss.
„Entschuldigen Sie, bitte! Ich wollte Sie keinesfalls erschrecken. Sie haben mich nur nicht gesehen. Ich habe den Schalter repariert..“
Er wies auf die Schalttafel. Nun musste Michele doch lachen.
„Sie haben ja recht, ich muss mich wohl entschuldigen. Aber ich habe einfach niemanden erwartet, hier und um diese Zeit. Was tun Sie denn am Samstag Mittag hier? Ich dachte eigentlich, ich wäre allein im Haus.“
„Sind Sie ja auch, außer mir und dem Pförtner natürlich. Ich dachte übrigens auch, ich wäre allein hier. Die Handwerker haben den großen Saal für die Weihnachtsfeier heute Abend hergerichtet – Deko, Beleuchtung und so weiter. Ich habe mit ihnen ein Glas Sekt getrunken und noch einen Rundgang gemacht, ob alles in Ordnung ist. Und was machen Sie hier?“
Zur Bestätigung hielt er ihr die Sektflasche entgegen. Also doch der Hausmeister, dachte sie. Und trinken während der Arbeitszeit, na toll!
„Ich war zwei Wochen krank und habe liegen gebliebene Arbeit erledigt. Wir sind zurzeit wegen Krankheit unterbesetzt, Grippe, Sie wissen schon. Wenn einer krank ist, macht es meist die Runde. Ich dachte, jeden Tag ein paar Übersunden und der Kram ist erledigt. Ist er aber nicht und deswegen bin ich hier. Den Rest wollte ich am Wochenende zu Hause erledigen.“
„Donnerwetter! Sind alle in der Firma so pflichtbewusst wie Sie?“
„Wahrscheinlich nicht, aber wir werden demnächst einen neuen Chef haben und ich möchte ihm zur Begrüßung nicht gleich Rückstände aus dem alten Jahr offerieren müssen. Schließlich steht der Jahresabschluss bevor und das Weihnachtsgeschäft läuft noch auf vollen Touren. Es gibt viel zu tun, packen wir es an!“
Sie lachte ihn an und sah in herrlich klare blaue Augen. Selbst im diffusen Licht des Liftes konnte sie erkennen, dass der Mann recht gut aussah. Zirka Eins achtzig groß, gesunder Teint, dunkles kurz geschnittenes Haar. Er machte trotz des Arbeitsoveralls einen sehr gepflegten Eindruck. Unter dem Overall leuchtete ein weißer Hemdkragen, dazu trug er eine dunkle Krawatte mit dem Firmenlogo. Die Hausmeister hier wurden offensichtlich recht gut ausgestattet, dachte sie. Er drückte auf den Knopf für das Erdgeschoss, die Tür schloss sich und der Lift setzte sich in Bewegung. Leicht verlegen starrte sie auf ihre Schuhe. Er riss sie aus ihren Gedanken.
„In welcher Abteilung arbeiten Sie denn?“
„In der Buchhaltung, und Sie? Ich habe Sie hier noch nie gesehen.“
„Noch nicht so richtig. Eigentlich erst ab dem 1.1., aber man hat mir erlaubt, mich bereits ein wenig umzusehen. Ich bin also inoffiziell hier und hoffe, Sie verraten mich nicht.“
„Kann ich nicht, ich weiß ja nicht mal Ihren Namen.“
„Oh, entschuldigen Sie bitte, ich habe mich gar nicht vorgestellt, mein Name ist Sullivan, Peter Sullivan.“
Er deutete eine leichte Verbeugung an und reichte ihr die Hand.
„Oh, das klingt nicht sehr deutsch.“
„Richtig, meine Mutter ist Amerikanerin – allerdings deutscher Abstammung.“
„Angenehm, mein Name ist Michele Hohdorf. Ich werde Sie natürlich nicht verraten und unser kleines Geheimnis für mich behalten.“
„Nett von Ihnen. Vielleicht laufen wir uns ja mal wieder über den Weg, würde mich sehr freuen.“
Sie nickte ihm zu und beide schmunzelten sich an.
Plötzlich gab es einen Ruck, das Licht flackerte und der Lift blieb stehen.

-

Während beide im Lift steckten, machte sich Jens Tenzer, der Pförtner, auf seinen letzten Rundgang. Auch er wollte heute Abend zur Weihnachtsfeier gehen. Als er an den Aufzügen ankam, drückte er auf beide Rufknöpfe. Das war gewöhnlich eine seiner letzte Handlungen, um zu überprüfen, dass beide leer waren. Aber auch, damit beide am Montag morgen sofort einsetzbar waren. Der rechte kam jedoch nicht und er drückte noch mehrmals den Rufknopf. Nichts passierte. Sollte er jetzt noch die Reparatur veranlassen? Nun gut, heute würde man einfach den linken benutzen müssen und am Montag morgen würde sehr früh jemand von der Servicefirma kommen. Am Ende seines Rundganges würde er noch telefonieren. Heute war ohnehin niemand mehr erreichbar. Es war bereits 14 Uhr durch. Vorsichtshalber stellte er jedoch ein Schild vor den Lift „Zurzeit außer Betrieb!“ und begab sich auf seinen Rundgang. Er löschte das Licht und schloss die Eingangstür hinter sich. Später würde er telefonieren, um den Reparaturdienst für Montag früh zu bestellen. Nach seinem Rundgang würde er im Speisesaal Heizung und Licht anstellen. Um 17 Uhr sollte der Party-Service das kalte Büfett anliefern und er würde wie immer zeitig genug zur Stelle sein.
Als er seinen Rundgang beendet und im Speisesaal das Licht eingeschaltet hatte, klingelte es. Das mussten die Leute vom Partyservice sein. Er begab sich über die Treppe nach unten und wies alle kurz ein. Es wurden Platten und Schüsseln nach oben gebracht. Von der Tischwäsche bis zu Gläsern, Geschirr und Bestecken wurde alles mitgeliefert. Entsprechend oft mussten die Leute den nunmehr einzigen Lift benutzen. Die Getränke waren bereits am Tag zuvor angeliefert worden und mussten nur noch in den Saal gebracht werden. Eine gute Stunde lang wirbelten die jungen Leute hin und her, bis alles tipp topp hergerichtet worden war. Zum Schluss wurde die Lichterkette an dem großen geschmückten Weihnachtsbaum angezündet.
So, nun konnte es losgehen.
_


Eine Stunde später betrat Richard Landvogt den Speisesaal, um als Erster das kalte Büffet zu begutachten. Alles war bestens arrangiert und zufrieden ging er zum Lift. Die ersten Angestellten trafen ein und niemand war verärgert über den defekten Lift. Manche gingen eben zu Fuß nach oben. Durch das überall gedämpfte Licht und die Weihnachtbeleuchtung machte sich feierliche Stimmung breit. Man war guter Dinge und freute sich, ein paar schöne Stunden miteinander zu verbringen.
Punkt 18 Uhr erhob sich Richard Landvogt und klopfte mit dem Messer an sein Glas, um sich Gehör zu verschaffen. Mit einer kleinen Ansprache eröffnete er die Feier und begrüßte alle recht herzlich. Er bedankte sich für die gute Arbeit aller im vergangenen Jahr und gab der Hoffnung Ausdruck, dass auch seinem Nachfolger ebenso viel Vertrauen wie ihm entgegen gebracht werden würde. Gern hätte er ihn heute Abend vorgestellt, doch er war bisher noch nicht angekommen. Es sollte nachgeholt werden, sobald er eintraf. Er hob das Glas, um mit allen symbolisch anzustoßen und wünschte allen einen schönen Abend, ein frohes Fest und ein gesundes neues Jahr. Man prostete sich allseits zu und dann begann der „Sturm“ auf das Büffet.

-

Michele konnte einen leichten Aufschrei nicht unterdrücken. Peter war ebenso zusammengezuckt, gab sich jedoch locker. Beide schauten sich fragend an. Er drückte auf alle Knöpfe, auch auf den Notrufknopf, aber es tat sich nichts. Auch Michele betätigte nun alle möglichen Knöpfe, ebenfalls ohne eine Reaktion. Entsetzt sah sie Peter an.
„Und nun?“, fragte sie ängstlich.
„Was machen wir, wenn uns niemand findet? Der Hausmeister hört uns offensichtlich auch nicht.“
Sie machte den Eindruck, als wollten ihr gleich die Tränen kommen
„Keine Angst, ist bestimmt nur eine kleine Störung. Bis eben ging er ja noch, sonst hätte ich ja nicht noch oben fahren können. Sicher geht es gleich weiter. Wenn nicht, wird die Weihnachtsfeier für uns beide eben ausfallen.“ versuchte er einen Scherz zu machen. Sie konnte jedoch nicht darüber lachen. Allein im Haus zu sein, war schon ein eigenartiges Gefühl gewesen. Nun aber im Lift stecken zu bleiben, noch dazu mit einem fremden Mann, das war unheimlich. Obwohl er sich alle Mühe gab, sie zu beruhigen.
Doch nichts ging weiter. Michele begann zu rufen, aber das half ebenfalls nicht. Es war offensichtlich niemand mehr im Haus, nicht einmal der Pförtner. der sie hätte hören können. Wahrscheinlich machte er noch seinen Rundgang. Peter Sullivan wusste aus Erfahrungen während seines Amerikaaufenthaltes, wie lange es dauern konnte, bis einen jemand fand. Es war dort keine Seltenheit, das der Lift stecken blieb, denn das Netz war ständig überlastet. Das sagte er ihr natürlich nicht, denn er bemerkte ihre Aufregung. Zum Glück gab es die Notbeleuchtung.
Diesen Tag hatte sich Michele anders vorgestellt.
Sie war gegen 10 Uhr gekommen und wollte zwei oder drei Stunden konzentriert arbeiten. Zuhause würde sie dann ein schönes heißes Bad nehmen und sich in aller Ruhe für die Weihnachtsfeier zurecht machen. Das schien ja nun nichts zu werden.
Nachdem sie vergeblich gerufen hatten, beschlossen sie, nicht in Panik zu geraten und abzuwarten. Schließlich musste ja irgendwann der Pförtner wieder auftauchen, um die Leute vom Partyservice herein zu lassen.
Peter ließ sich an der Wand zu Boden rutschen und streckte seine langen Beine aus.
„Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Bevor die ersten Gäste kommen, wird uns niemand hören. Wir können im Prinzip nichts weiter tun als zu warten. Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir und trinken Sie einen Schluck Sekt mit mir. Der ist echt gut. Ein Glas kann ich allerdings nicht bieten.“
„Schön, dass Sie wenigstens Ihren Humor behalten. Ich finde nichts Amüsantes an dieser Situation.“
Trotzdem tat sie es ihm gleich und ließ sich ebenfalls zu Boden rutschen. Er konnte ja nichts dafür. Sie gab sich geschlagen und nahm die Flasche, die er ihr entgegen hielt. Ein bisschen zu schnell setzte sie die Flasche an den Mund und konnte gar nicht so viel schlucken wie aus der Flasche strömte. Der Sekt lief ihr aus den Mundwinkeln den Hals hinunter bis in die Bluse. Amüsiert registrierte er, wie der Sekt sofort ihre weiße Bluse fast durchsichtig machte. Sie trug offensichtlich einen schwarzen BH, dessen reizende Umrisse sich deutlich abzeichneten. Noch ehe sie seinen Blick bemerkte, sah er zur Decke, als wäre dort etwas sehr Interessantes zu sehen. Inzwischen versuchte sie mit ihrem Taschentuch, den Sekt in ihrem Ausschnitt etwas abzutrocknen. Dann musste sie lachen.
„Sehen Sie, ein Flaschenkind bin ich nicht gerade. Aber der ist wirklich gut, kann ich noch einen Schluck haben?“.
„Nur zu .’Wenn’s alle ist, hört’s auf!’, sagte meine Mom immer“.
„Recht hat sie!“ sagte Michele und nahm noch einen Schluck, diesmal jedoch etwas vorsichtiger.
„Kluge Frau, Ihre Mom. Hat sie noch mehr tolle Weisheiten?“
„Sicher. Und sie ist eine sehr lebensfrohe Natur. Das Produkt sehen Sie vor sich.“
Fragend sah sie ihn an.
„Ich bin das Ergebnis eines Seitensprunges, während meine Mutter vor fast vierzig Jahren hier in Deutschland war. Darum spreche ich auch so gut deutsch. Sie hat mir eine sehr gute Ausbildung ermöglicht und war stets darauf bedacht, dass ich mich viel in Deutschland aufhalte. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Im vorigen Jahr hat sie mir eröffnet, dass mein verstorbener Vater nicht mein Erzeuger war. Das war recht seltsam für mich. Aber nachdem ich meinen richtigen Vater kennen gelernt hatte und mich mit der deutschen Wirtschaft etwas intensiver beschäftigt hatte, beschloss ich, hier zu bleiben. Nach den Ereignissen im letzten Jahr weiß ich, dass es die richtige Entscheidung war...“
Peter stockte. Warum erzählte er ihr das eigentlich alles? Vielleicht interessierte es sie gar nicht und es ging sie ja eigentlich auch nichts an. Doch sie hatte ihm aufmerksam zugehört und sich offensichtlich etwas beruhigt. Er hielt ihr wiederholt die Flasche hin und Michele griff zu. Diesmal setzte sie die Flasche vorsichtiger an und trank den Rest. Überrascht, dass die Flasche bereits leer war, hielt sie sie gegen das Licht.
„So, das war’s.“, sagte sie und lehnte sich leicht beschwipst zurück.
Nun bekam Michele auch Hunger. Sollte sie ihm sagen, dass sie eine noch fast volle Flasche Rotwein beizusteuern hatte? Sie lachte und zwinkerte ihm zu.
„Also, lange halte ich das nicht mehr aus. Sieht ja fast so aus, als müssten wir hier noch ein wenig durchhalten. Wenigstens müssen wir weder verhungern noch verdursten. Schauen Sie mal! Ich habe etwas zu unserer privaten Weihnachtsfeier beizusteuern. Da wären: Eine noch fast vollständige Pizza Hawaii und eine fast volle Flasche Rotwein. Was sagen Sie nun?“
Er lachte sie verschmitzt an.
„Sie sehen mich nicht nur hungrig, sondern auch sprachlos. Darf ich das also als Einladung verstehen?“
Sie hatte ihre Akten in eine Ecke des Lifts gelegt. Nun rutschte sie diesen als Tisch in die Mitte. Ihren Blazer hatte sie bereits ausgezogen und vorsichtig an die Seite gelegt, ebenso die Pumps.
Er deutete ihr Nicken als Zustimmung und hatte bereits sein Taschenmesser in der Hand, um die Pizza zu zerteilen. Sie hätte warm natürlich besser geschmeckt, aber was machte das in dieser Situation schon? Beide machten sich hungrig über die Pizza her und nahmen nacheinander einen guten Schluck aus der Rotweinflasche. Mit vollem Mund sagte Michele:
„Wissen Sie, es ist eigenartig. Eigentlich sollte ich Angst haben, aber ich fühle mich richtig gut. Mir ist nur ein bisschen warm. Hoffentlich bleibt das auch so, wer weiß, wie lange wir hier noch festsitzen.“
Sie machte es sich etwas bequemer. Peter war auch nicht gerade kalt, aber er konnte ja schlecht den Overall ausziehen. Daher schlüpfte er aus den Ärmeln, ließ das Oberteil hinten hinunter hängen und machte es sich ebenfalls bequem. Ungeniert beobachtete sie ihn und stellte fest, wie gut er gebaut war. Das Hemd spannte leicht über einem muskulösen Oberkörper. Alles dran!, stellte sie für sich fest und ließ ihn nicht aus den Augen. Der ist sicher schon vergeben, dachte sie bei sich. Schade, der könnte mir gefallen. Er bemerkte, dass sie ihn musterte und hielt ihrem Blick amüsiert stand. Seine Gedanken waren ähnlicher Art. Ihr dunkles Haar schimmerte im fahlen Licht leicht rötlich und umspielte ihr hübsches Gesicht.
Der Rotwein begann bei Michele Wirkung zu zeigen. Sie wurde gesprächig und plauderte darauf los. Sie unterhielten sich ausgezeichnet. Nach zwei Stunden wusste Peter fast alles über sie. Sie war ausgesprochen nett und sprach ganz frei über dies und das, auch über die Firma. Aufmerksam lauschte er ihrem Geplauder. Zum Beispiel kannte bisher niemand den neuen Chef, das fand sie sehr aufregend. So spekulierte sie, dass er ganz locker durch den Betrieb laufen konnte und niemand würde ihn erkennen. Leider würde sie ihn heute nicht kennen lernen, denn die Party war bereits im Gange – ohne sie. Schade. Doch sie sagte ihm wie froh sie war, dass sie hier nicht ganz allein fest hing. Sie hätte sicher wahnsinnige Angst gehabt, aber in so netter Begleitung war es natürlich wesentlich erträglicher.
Doch nun begann Michele müde zu werden, es war immer noch recht warm. Auch Peter war nicht mehr so ganz munter.
„Sie können sich ruhig an mich anlehnen, wenn Sie müde sind. Ich sehe Ihnen doch an, dass sie nicht mehr wach sind.“
„Ist schon gut, so schlimm ist es ja nun auch nicht!“, versuchte sie zu beschwichtigen. Doch nach zwei Minuten nahm sie sein Angebot doch an. An der Wand war es ihr zu unbequem und so lehnte sie sich mit dem Rücken an seine Schuilter. Hoffentlich wurden sie bald aus dieser misslichen Lage befreit. Und wenn er noch so nett war, sie wollte einfach nach Hause. Sie war müde.
So nahe beieinander nahm er den Duft ihres Parfüms und ihres Haares auf und wusste, er würde ihn nicht so schnell vergessen. Ihm war die Situation keineswegs unangenehm.
-
Gegen 22:30 Uhr machten sich die ersten Gäste auf den Nachhauseweg. Man verabschiedete sich, Taxis und Abholer wurden bestellt. Richard Landvogt ließ es sich nicht nehmen, alle einzeln zu verabschieden. Es konnte schließlich gut sein, dass er zum letzten Mal an einer Weihnachtsfeier teilnahm und manchen nicht wieder sah. Er ging sogar mit zum Lift und drückte auf den Rufknopf, und zwar auf den, der eigentlich defekt war. Aber dass unten ein Schild stand, wusste oben niemand mehr. Nach mehrmaligem Drücken setzte sich dieser dann doch in Bewegung. Einige Gäste wollten nun doch nicht zu Fuß nach unten gehen und warteten auf den Lift.
Das Bild, welches sich den Gästen dann bot, war ausgesprochen amüsant. Die Lifttür öffnete sich und gegenüber der Tür saßen Michele Hohdorf und ein junger Mann in einem offenen Overall, den niemand kannte. Sie machten den Eindruck, als wären sie auf ihrer eigenen Party. Beide hatten leicht gerötete Gesichter und beide schienen ihre Entdeckung sehr gelassen hinzunehmen. Der Fußboden war mit Akten übersät, in der Ecke lag eine leere Pizza-Schachtel und daneben rollten zwei leere Flaschen hin und her. Es rief ein allgemeines Gelächter hervor. Noch bevor Michele richtig mitbekam, was los war, gab Peter Sullivan dem Seniorchef fast unmerklich ein Zeichen. Er lächelte die Umstehenden an und fragte, ob man denn hier richtig sei, auf der Weihnachtsparty. Hoffentlich hatte Richard Landvogt verstanden.
Immerzu drängten nun Leute zum Lift, um zu sehen, warum alle lachten.
Peter und Michele standen auf und brachten ihre Kleidung in Ordnung. Das allgemeine Gelächter machte Michele erst richtig munter. Sie lachte zwar, doch sie schämte sich auch ein wenig. So etwas war ihr noch nie passiert. Aber beide wurden so lustig empfangen, dass es nur einen kurzen Moment lang Verlegenheit gab. Man nickte beiden aufmunternd zu.
Michele sammelte ihre Akten vom Boden auf, Peter die leeren Flaschen und die Pizza-Schachtel. Nun war Platz, die Gäste nach unten fahren zu lassen.
Dann wurden beide von Richard Landvogt an einen kleinen Tisch neben dem Weihnachtsbaum gebeten. Er machte eine Geste zum Büffet hin und reichte beiden ein Glas Sekt, um mit ihnen anzustoßen.
Väterlich und verständnisvoll lächelnd prostete er ihnen zu.
 
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Kommentare  

hallo, karin, die geschichte ist gut und flüssig geschrieben, aber leider schon nach den ersten zeilen sehr voraussehbar. und auch klischeebeladen. warum müssen zum beispiel die prots in solchen geschichten immer gutaussehend sein? und auch charakterlich so ganz ohne ecken und kanten. ich hätte mir doch bei der länge der geschichte die eine oder andere interessante wendung erhofft. so ist mir das alles zu glatt, auch wenn mir dein schreibstil sehr gut gefällt.
lieben gruß von rosmarin


rosmarin (02.01.2008)

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