126


5 Seiten

Einfach ein schlechter Tag (Teil 1)

Romane/Serien · Spannendes
© Middel
Die Zeit arbeitet eindeutig gegen mich. Aber sie hat Unterstützung von ganz oben, denn irgendwie haben sich heute alle Elemente gegen mich verschworen. Angefangen beim Wetter. Wenn es heute Morgen geregnet hätte, wäre ich doch nie auf die Idee zu dieser Bergwanderung gekommen. Ich Depp. Tja, leider fing es erst in dem Moment zu regnen an, als ich schon die Hälfte geschafft hatte. Also stand ich vor der Entscheidung den ganzen bisher gelaufenen Weg zurück, inklusive des Bewusstsein mal wieder einen Weg nicht zu Ende gegangen zu sein. Es wäre ein Fest für meine Eltern, wenn sie dabei gewesen wären. Ich, völlig durchnässt und halberfroren. (Ich höre schon den O-Ton meiner Mutter: „Junge, warum hast du nicht die Regenjacke eingepackt? An so was muss man doch VORHER denken!“) Wie wär’s mit KEINE LUST? Irgendwie sitzen die Alten ja eh immer irgendwo auf meiner Schulter und lachen sich über mich kaputt. Die andere Alternative wäre der Weitermarsch durch Sturm und Regen gewesen, den ich bergauf auch nicht unbedingt durchstehen wollte. Okay ich hab dann die weitaus dämlichere Idee gehabt weder vor, noch zurück zu marschieren, sondern mich irgendwo unterzustellen. Genial diese Idee, noch genialer allerdings, wenn man dazu in eine Höhle klettert. Anfangs war’s nur ein Felsvorsprung, der mich vor dem Regen schützen sollte, der mich richtiggehend auspeitschte. Immer ins Gesicht, wie ich das hasse. Höhnischer Regen, dazu ein klein bisschen Orkan, sodass man da Gefühl hat von der Natur verprügelt zu werden. Ständig fegt einem ein Ast ins Genick oder man rutscht aus und zerrt sich irgendeinen Muskel, von dem man bisher nicht mal ahnte ihn zu besitzen. Na ja, wieder was dazugelernt.
Der von mir auserkorene Unterstand bot dann auch nicht wirklich Schutz. (Als hätten ihn meine Erzeuger persönlich ausgewählt.) Und ich kam auf die glorreichste meiner an Debilität grenzenden Fehlentscheidungen heute und ging durch einen Riss innerhalb der Felswand in diese nach Verrottung und Mief stinkende Höhle. Eigentlich war’s keine wirkliche Entscheidung muss ich zu meiner Verteidigung noch hinzufügen, es war mehr eine Art Glücksspiel. Denn immer wenn ich mir bei einer Sache nicht sicher bin, (O-Ton Dad: „WANN bist du dir jemals einer Sache sicher gewesen?“ DANKE Dad für diese aufbauenden Worte.) dann werfe ich 'ne Münze. So kann ich mir dann später einreden, es war ja nicht meine (Fehl-) Entscheidung. Ein Tipp hierzu (nur am Rande): ES KLAPPT NIE!
Aber eigentlich war ich ja bei der Zeit. Bisher dachte ich immer, wenn ich alles soviel hätte, wie Zeit in meinem Leben, dann könnte ich allein durch das Verkaufen von Reißzwecken bei ebay ein Vermögen verdienen. Metapher nicht verstanden? Kein Wunder, ich steh hier unter enormen Druck. Eventuell erlebe ich die nächsten 10 Minuten nicht mehr, da können Vergleiche schon mal hinken. Apropos hinken, sollte ich tatsächlich dieses größte Fiasko meiner noch dezent an Jugend erinnernden 26 Jahre überleben, werde ich wohl die nächsten Monate einen Gips tragen müssen. Ein Sturz aus gefühlten 20 Metern machen auch diese jugendlichen Kochen nicht so ohne weiteres mit. Da für mich aber das Glas auch weiterhin halb voll ist, rede ich mir ein, dass es zwar ein Beinbruch ist (also ein berechtigter Grund dafür, dass die erste Hälfte des Glases nun nicht mehr mit Feuchtigkeit benetzt ist), ein Genickbruch aber durchaus denkbar gewesen wäre und ich somit doch noch wirklich glimpflich davongekommen bin. Der Pessimist in mir (der sich wohl mit meinen Eltern verbündet hat) gibt zu bedenken, dass mich das Schicksal eventuell nur verarscht, indem es mich im Irrglauben lässt hier jemals lebend wieder herauszukommen. „Halt’s Maul Pessimist!“
Wie es zu diesem formidablen Sturz und seinen schmerzhaften Folgen kam? Ach das war nicht schwer, ich könnte es den schlechten Sichtverhältnissen innerhalb dieses Steinverlieses zuschreiben, oder der Tatsache, dass ich mich in Dunkeln eh nie wohlgefühlt habe. Das rührt wohl noch aus meiner Kindheit, als mich die älteren Jungs der Nachbarschaft, allen voran Nick Sinkewitz, einmal als Mutprobe in einem alten Koffer sperrten. Weiß Gott wo sie den aufgetrieben hatten, dem Geruch nach zu urteilen direkt aus nem Skunkarsch, aber mir gefiel in den drei Stunden meiner Gefangenschaft der Gedanke, dass er Nick Sinkewitz’ Privatbesitz war, was es mir auch leichter machte mich innerhalb des Koffers zu erleichtern. Ja, Kinder machen so was. Und ja, so was vergisst man sein Leben lang nicht mehr. Aber all das ist wohl eher nicht der Grund dafür, dass ich wie ein Blöder weiter in die Höhle latschte, ich bildete mir ein es wäre sicherer vonwegen Sturm und so, um dann in einem unbedarften Moment in diese Spalte zu stürzen. Der Moment, wahrscheinlich ist es eher der Moment eines Moments eines Moments, also die Tausendstelsekunde bis man unten ankommt, ist unbeschreiblich. Einerseits macht man sich in dieser doch relativ kurzen Zeitspanne so viele Vorwürfe, dass selbst die Altvorderen zuhause es nicht präziser und genauer auf den Punkt bringen könnten (eventuell mit mehr Pathos, aber das zählt jetzt nicht) und andererseits weiß man irgendwie schon direkt, dass das nicht gut ausgehen wird. Man spürt faktisch den Schmerz schon vor dem Ereignis. Ich bin kein Psychologe, aber wenn ich einer wär, würd ich das mal untersuchen.
Dann lag ich da. Und so laut ich in den Sekunden während und vor allem nach dem Aufprall geschrieen hatte, so leise und wimmernd vegetierte ich nun auf diesem beschissenen Felsboden herum und bemitleidete mich und alle die mich kennen, kannten oder jemals auch nur versucht hatten diesem Vollhonk, der zu blöd ist zu erkennen, dass dies einfach nicht sein Tag ist, ein Zeitungsabbo aufzuquatschen. Aber manchmal sind Schmerzen auch ganz hilfreich, bei mir jedenfalls, denn sie erzeugen eine unheimliche Wut und zuweilen kann Wut auch ganz gut sein. Als Katalysator zum Beispiel, so wie damals, als Fiona, meine erste große Liebe, die Frau mit der ich (natürlich) alt werden wollte urplötzlich entschied doch nicht mit mir zum Abschlussball zu gehen, sondern mit Nick Sinkewitz. Nach unendlichen Stunden voller Selbstmitleid kam damals eine so große Wut in mir hoch, dass ich alles auf eine Karte setzte und Fionas beste Freundin (und dazu noch das Mädchen, bei dem niemals einer landet, ihr versteht was ich meine) Miranda Schwarz auf den Ball einlud. Ich ging einfach am nächsten Morgen zu ihrem Haus, klingelte und teilte ihr dann unumstößlich mit, dass ich der Einzige wäre, mit dem sie zum Abschluss gehen dürfe und ich mich ansonsten vor den nächsten Laster schmeißen würde. Ich glaube bis heute, dass sie der nicht ganz ernst gemeinte Entschluss mit dem Laster schlussendlich überzeugt hat, da ihr Vater eine Firma mit dutzenden Lastern besaß und sie es wohl für einen nicht ganz abwegigen Gedanken hielt. Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass ich mich als erster Junge überhaupt getraut hatte in ihre Privatsphäre auch nur ansatzweise einzudringen, indem ich bis vor ihre Haustür angelangt war. Nicht bestätigten Gerüchten zufolge, sollte es schon einmal einer versucht haben, der aber von einem zweieinhalb Meter großen Bernhardiner namens Killer schon beim Versuch zu klingeln dezent verjagt worden war. Mir aber gefiel der Gedanke, der Einzige gewesen zu sein.
Ach ja, wie herrlich es doch ist über diese Anekdoten zu sinnieren, während einem eiskaltes Wasser langsam über die Hosenaht steigt. Ach das habt ihr noch nicht gewusst? Deshalb erzähl ich es doch, besser aufpassen und mir zuhören, wenigstens das hab ich mir heute verdient. Wie es dazu kam? Mein Gott ihr könnt’s nicht erwarten was? Nachdem ich dann irgendwann mehr Wut als Schmerz zuzüglich Selbstmitleid mal unendlich hatte, raffte ich mich auf und versuchte logisch (ja Vater, ich weiß ich komme mehr nach Mutter und Logik ist NICHT meine Stärke) zu überlegen. Ich sah mich um und entdeckte innerhalb dieses ziemlich großen Hohlraums eine Art unterirdischen Bach, während ich mir langsam bewusst wurde, dass es eigentlich viel zu hell war, dafür, dass hier kein Licht eindrang. Ergo kam ich zu der Annahme hier drang Licht ein und zwar aus der Richtung, in die der Bach verschwand. Halb hüpfend wie ein Frosch, halb kriechend wie eine Schnecke folgte ich dem Bach bis zu einer Stelle, an der er unter einem Felsen verschwand. Zwischen Wasseroberfläche und Felswand war aber immerhin noch ein Spalt, so, dass ich mir einredete es wäre das Leichteste der Welt hier inmitten einer beschissenen Höhle und mit einem gebrochenen Bein, dazu einem Rucksack mit allerlei unnützem Zeug, allerdings ohne Regenjacke, durch circa 1,70 cm tiefes (immerhin knapp 10 cm weniger als ich groß bin) Wasser zu humpeln und darauf zu hoffen auf der anderen Seite, sofern es sie gab und ich sie erreichte, das helle Tageslicht zu erblicken und eventuell in der Nähe eines 5-Sterne-Hotels oder zumindest einer kleinen Bergpension oder, falls das zuviel verlangt sein sollte, eines stinknormalen Hauses zu sein.
In diesem Moment, in dem ich mit mir selbst noch haderte, ob ich es riskieren sollte, meinen Lebensfaden an diesen rostigen Hoffnungsnagel zu hängen und damit alles auf eine Karte (mitnichten ein Ass) zu setzen, fiel mir mein Handy ein. Und während ich schon darüber nachdachte, ob ich mir im Krankenhaus ne Pizza kommen lassen sollte als ich mein Handy rauskramte (wie konnte ich DARAN nicht schon früher denken? Doch auf den Kopf gefallen vorhin?), meldete sich wieder Mr. Pessimist und bester Freund meiner Eltern in mir.
„Handy kaputt“, waren die einzigen beiden Worte, die ich sinnvoll gedanklich aneinander reihte, der Rest war nur ein Gefühl, dass sich am Besten mit: „Bitte nicht!“ beschreiben lässt. Ganz langsam, fast in Zeitlupe und mit zitternden Händen zog ich dann das (tatá) völlig unversehrte Handy aus dem Rucksack. Ich dachte nur: „Gut, dass du jetzt dran gedacht hast und nicht während sich dein Rucksack langsam mit Wasser füllt, während du dich unter einer Trillionen Tonnen Stein hindurchzwängst, um einem unterirdischen Wasserlauf zu folgen, der dich wahrscheinlich eh nirgendwohin führt. In diesem Moment hatte ich das Bedürfnis in irgendeinen Mediamarkt zu latschen und mir ein verdammtes wasserdichtes, stoßfestes und (wer weiß, was noch kommen mag) feuerfestes Handy zu kaufen. Nur für den Fall, dass ich diese Scheiße überleben sollte, schreib ich mir einen imaginären Einkaufszettel und zu alleroberst stand dieses Handy, dicht gefolgt von einem Regenmantel, den von meiner Mutter hab ich schon vor einiger Zeit aus Wut weggeschmissen. Das war dann wohl einer von den vorhin unerwähnt gebliebenen Momenten, in denen Wut einen nicht weiterbringt. Zumindest nicht, wenn man in einen mittelschweren Taifun gerät und 40 Liter Wasser pro Sekunde und Quadratmeter einen wünschen ließen, einmal im Leben auf seine Mutter gehört zu haben.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Du hast deinen ganz eigenen Stil, verbindest Humor mit Spannung. Bin darum gespannt auf die nächsten Kapitel.

Gruß Elke H.


anonym (23.04.2008)

Das ist ja eine schöne Geschichte. Dieser Trotz, oder wie man es auch nennen kann, der sich durch den ganzen Text zieht, der trockene Humor etc. gefallen mir besonders gut. Da bin ich mal auf den zweiten Teil gespannt. Lg Sabine

Sabine Müller (31.03.2008)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Alea  
Einmal umschulen, bitte!  
"Pete" oder Revanchieren mal anders  
Becker (Teil 7)  
Becker (Teil 6)  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De