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5 Seiten

Lilly (Kapitel 21)

Romane/Serien · Fantastisches
Ende. Anne klappte das Buch zu und war sehr glücklich, die Geschichte zu Ende gelesen zu haben. Sie fühlte diese stimulierende Energie, die sie immer am Ende eines gelesenen Buches spürte. Sie war einerseits traurig, dass sie am Ende angelangt war und nun ein anderes Buch würde lesen müssen um die Lücke auszufüllen, aber andererseits machte es sie froh, nun endlich den Ausgang der Handlung zu kennen.
In ihrer Funktion als Nachtschwester machte sie ihre Runde. Es war schon sehr spät, beinahe 23 Uhr. Aber für sie war es quasi erst der Beginn ihrer Schicht, die in sieben Stunden erst wieder enden würde. Alles schien nach Plan zu verlaufen, das hieß, die Kinder auf der Station schliefen. Als Anne in Zimmer neun eintraf, bekam sie einen fürchterlichen Schock!
Die kleine Lilly Jenssen, über deren beängstigenden Zustand sie erst am Nachmittag in der Besprechung mit Doktor Mendelbaum erfahren hatte, lag in ihrem Bett und wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt. Immer wieder krächzte sie mit heiserer Stimme das Wort ‚Mama’ und zog es dabei in eine schier endlose Länge. Panisch und zittrig verließ Anne das Zimmer und hastete in Richtung Stationszentrale um dem Doktor Bescheid zu geben.
„Ich bin in zehn Minuten da“, versicherte dieser eine Minute später am Telefon. Anne lief auf und ab. Selten kam es vor, dass so ein Zwischenfall in der Kinderstation auftrat. Sie hatten meist auch nur leichte Fälle, nur äußerst selten behandelten sie einen kleinen Patienten, der ernstzunehmende Beschwerden hatte und besonderer Pflege und Fürsorge bedarf. Ohne genau zu wissen, was sie tun sollte, begab sich die Nachtschwester zurück in Lillys Zimmer.
„Kannst du mich hören?“ sprach sie zu dem Kind. Sie bekam keine Antwort, da Lilly noch immer nicht aufhörte zu krampfen. Ihr Geist machte wohl dicht; nichts konnte in ihr Inneres vordringen. Zuerst wollte Anne ihr die Hand halten und durch den menschlichen Kontakt einen Bezug zur Außenwelt für sie herstellen, entschied sich aber dagegen, weil man von krampfenden Patienten eher Abstand halten sollte um sich nicht selbst zu verletzen.
Endlose Minuten später traf Doktor Mendelbaum leicht verschlafen und mit einer wirschen Frisur im Zimmer des kleinen Mädchens ein.
„Puh, was ist denn hier los?“ fragte er die Nachtschwester, ohne eine Antwort zu erwarten.
„Ich machte grad meine Runde, da entdeckte ich sie so.“ Anne konnte man das Mitleid in ihren Augen deutlich ansehen, selbst ein Blinder würde es erkennen, schon alleine wegen dem Klang ihrer Stimme. Da Anne oft eine tiefe emotionale Bindung zu den Patienten aufbaute und sich untrennbar mit den individuellen Schicksalen verband, war es kaum verwunderlich, dass sie das Kind bedauerte. Selbst Adam bedauerte sie in einem solchen Moment. Ob sie viel von dem mitbekam, was mit ihr geschah?
„Besorgen Sie mir zwei Einheiten Morphium und einen Waschlappen mit kaltem Wasser“, befahl der Arzt geistesgegenwärtig.
„Einen Waschlappen auch?“
„Manchmal können einfache Hausmittel auch ihre Wirkung haben, vor allem wenn man jemanden in den Wachzustand zurück holen möchte“, meinte Adam augenzwinkernd und entließ die schmunzelnde Anne aus seinem Blick.
„Ach, und sagen Sie den Eltern Bescheid“, warf Adam Anne hinterher ohne sich umzudrehen.
Anne lief los, hetzte gerade um die Ecke um die benötigten Dinge zu holen und den Eltern Bescheid zu geben, da erschrak sie. Beinahe wäre sie Lillys Eltern in die Arme gelaufen.
„Wer sind Sie denn?“ fragte Anne verwirrt.
„Wie geht es unserer Tochter?“ fragten Mark und Tanja wie aus einem Munde.
Anne war jetzt komplett verwirrt. Wieso waren Lillys Eltern hier? Sie konnten unmöglich wissen, dass sich der Zustand ihres Kindes so dramatisch verändert hatte.
„Woher wissen Sie, dass etwas nicht stimmt?“
Mark und Tanja ließen die verwirrte Anne auf dem Flur stehen und begaben sich zum Zimmer von Lilly. Anne blieb noch einen Moment stehen um ihre Gedanken zu sortieren und holte dann die Dinge, die der Arzt so dringend brauchte.



„Was ist los?“ fragte Mark und positionierte sich in die Mitte des Raumes, als wollte er damit ausdrücken, der neue Boss zu sein. Adam drehte sich zu ihm um und kam schnell auf ihn zugelaufen.
„Sie sind aber schnell hier. Ihre Tochter wurde vor wenigen Minuten krampfend aufgefunden. Es scheint wieder loszugehen.“ Adam ließ die Worte erstmal zu den Eltern durchdringen und fuhr dann weiter: „Ich bitte Sie, draußen Platz zu nehmen, solange wie wir hier versuchen, Lilly zu beruhigen.“
Widerwillig schritten Mark und Tanja in Richtung Tür, nahmen aber nicht davor Platz sondern blieben am Türrahmen stehen. Auf diese Art störten sie weder das Personal, noch verpassten sie eventuelle Fortschritte des Arztes.
Die Nachtschwester kam an ihnen vorbei. Sie nahm kaum Notiz von dem Ehepaar, begab sich schnell zum Arzt und überreichte ihm das Morphium.
„Danke“, sagte Adam. „Nehmen Sie den Lappen und halten ihn auf die Stirn des Mädchens.“
Anne tat was man von ihr verlangte.
Lilly warf sich in ihrem Bett hin und her. Die Bettdecke lag längst neben dem Bett auf dem Boden. Lillys Augen waren geschlossen, schon fast zusammen gekniffen. Es wirkte, als müsste sie große Schmerzen haben.
„Halten Sie sie fest“; befahl wieder der Arzt. Anne hatte sehr große Mühe, den Körper des Kindes ruhig zu halten, ruhig genug, damit der Arzt ihr das Beruhigungsmittel injizieren konnte. Anne drückte Lilly mit den Armen in die Laken, während ihr Oberkörper sich aufbäumte. Das Kind keuchte und schnaubte, als wäre es vom Teufel besessen. Immer stärker wehrte sie sich gegen die Versuche der Nachtschwester, sie still zu halten. Adam sah, dass Anne Probleme bekam, das Kind niederzudrücken. Wenn er ihr das Mittel spritzen wollte, dann jetzt oder nie. Der Arzt setzte an und suchte eine Vene. Als er eine fand stach er zu, doch es kam zu Komplikationen. Unter der Haut des Mädchens bewegten sich die Muskeln sehr gezielt, als wollten sie den Versuch mit der Spritze zuzustechen, sabotieren. Doch es war mehr, als bloße Muskelkontraktionen. Irgendwie bewegte sich Lillys Arm auf eine äußerst unnatürliche Weise. Er wollte seine natürliche Form verlassen. Die Finger bewegten sich auf gleiche Weise und sogar der ganze Körper begann sich derart seltsam zu bewegen. Lilly krampfte nun nicht mehr einfach drauf los, sondern ihre Bewegungen wurden gezielter, überlegter. Sie lag wesentlich ruhiger da und schnaubte und keuchte nicht mehr. Zuerst wollte das Adam für ein gutes Zeichen halten, doch er irrte sich.
Arme und Beine des Kindes schlugen nacheinander aus und erweckten den Eindruck, so länger werden zu wollen. Der Eindruck täuschte, denn sie wurden tatsächlich länger. Lilly begann wieder zu keuchen und heftig zu stöhnen. Sie schwitzte am ganzen Leib. Ihre Finger wurden langgliedriger, ihre Beine wuchsen genauso in die Länge, wie ihre Arme. Der Brustkorb dehnte sich aus und ihr Becken gewann an Form. Ihr Schädel bekam größere Dimensionen. Zuvor wirkte Lilly mit ihrer Figur und ihrer geringen Körpergröße plump und kompakt, so wie man eine Vierjährige sieht. Die Proportionen soweit verschoben, dass der Kopf für den restlichen Körper zu groß wirkte und so ihre Kleinkindlichkeit unterstrich. In Wahrheit war ihr biologisches Alter aber sechs, also war sie definitiv zu klein und zu wenig körperlich entwickelt. Nun wuchs ihr Körper in nur wenigen Minuten um mehrere Zentimeter und verlieh ihr eine Körpergröße, die einer Sechsjährigen angemessen war. Arme und Beine wurden durch das Wachstum länger und dünner und auch ihr Becken glich sich ihrem Alter an. Sie sah nun deutlich weiblicher aus. ihr Kopf wuchs weit weniger. Dadurch verschoben sich ihre Proportionen in den Bereich, der als perfekt oder normal angesehen wurde.
Adam und Anne sahen sich dieses beispiellose Schauspiel fassungslos an. Vor ihnen lag ein sechsjähriges Mädchen, das bisher wie eine Vierjährige aussah. In nicht mal fünf Minuten wuchs ihr Körper derartig schnell, wie er nur in zwei Jahren gewachsen wäre. Das Nachthemd, das Lilly trug war ihr nun deutlich zu klein und spannte sich sehr fest um ihren Körper. Jede Hautfalte, jede Unebenheit ihres Körpers zeichnete sich nun durch den Stoff des Nachthemdes ab. Adam löste sich langsam aus seiner Starre und wollte die Spritze endlich verabreichen. Er versuchte die Vene zu treffen, die er sich vorher ausgesucht hatte, doch die Nadel kam keinen Millimeter durch die obere Hautschicht. Als Adam mehr Druck ausübte, brach die Nadel auf einmal ab. Anne und Adam standen erschrocken da und konnten sich nichts von alle dem erklären. Was war nur los mit diesem Kind?
Doktor Mendelbaum bestückte die Spritze mit einer neuen Nadel und suchte eine neue Stelle zum Durchstechen. Diesmal glückte sein Versuch, ihr das Morphium zu spritzen, doch der erwartete Effekt trat nicht ein.
„Das versteh ich nicht, normalerweise müsste sie jetzt im tiefsten Schlaf sein“, meinte Adam. Anne stand ihm hilflos gegenüber. Ihr Blick galt noch immer der kleinen Lilly, um die sie sich große Sorgen machte. Anstatt dass Lilly wie erwartet schlief, schoss ihr Oberkörper nach oben und sie schrie wie am Spieß.
Mark und Tanja fuhren zusammen, blieben aber an der Tür stehen. Auch ihnen war keine Idee gekommen, wie man in dieser Situation handeln sollte.
Adam und Anne warfen sich auf das Kind und zwangen es dazu, sich wieder hinzulegen. Lilly riss die Augen auf und formte ihre Lippen zu einem Wort, brachte aber keinen Ton heraus. Ihr Blick ging zwar in die Richtung des Arztes, doch flog glatt durch ihn hindurch. Sie schien in die Unendlichkeit zu starren.
„Nevra cum abodartis mea shrivrola….!!!“ brüllte Lilly aus aller Kraft. „Mea shrivrola…“ wiederholte sie im Flüsterton.
Anne sah zu Adam. Der hatte ebenfalls keine Ahnung, was das Kind da sagte. Zuerst klang es wie Latein, aber da Adam Latein sprach, konnte er mit Sicherheit sagen, dass sie diese tote Sprache gerade nicht gesprochen hatte.
Lilly fing an zu weinen. „Ti gom’pori ar fravothai.“ Das Kind schluchzte. Dann fiel es von alleine in die Kissen und verstummte.




„Sag mal, kommt dir das nicht bekannt vor?“ Tanja flüsterte, als sie Mark das fragte.
„Ja, du hast Recht. Sie hat schon mal in diesem Kauderwelsch gesprochen.“ Mark drehte sich ein wenig um die Ecke um den Blicken des Stationspersonals zu entgehen. Tanja folgte ihm.
„Wir müssen sie hier raus holen“, sagte er mit eiserner Überzeugung. „Es fängt an!“
Tanja nickte stumm. Es hat bereits begonnen, doch so langsam dämmerte auch ihr, dass nun die kritische Phase erreicht war. Dieses Gebrabbel in einer Phantasiesprache zeigte sich schon vorher, aber die körperlichen Veränderungen, das blitzartige Wachstum und die Krampfattacken waren neu.
 
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