194


3 Seiten

Der Taubenhasser

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Kieran Finnigan hockte mit einem Halstuch über Mund und Nase gebunden seit zwei Stunden an der Schleifmaschine. Der feine Staub, eine Mischung aus Kalk und altem Fliesenkleber, der sich von der Wand löste, ließ seine Augen tränen und durch das Halstuch hindurch bekam er kaum Luft.
Owen Simon war nicht zur Arbeit erschienen am Morgen, obwohl er am Abend zuvor noch fit wie ein Turnschuh gewesen war, daraufhin hatte der Bauherr Kelly McGinty den Badezimmerjob an Kieran gegeben. Er hätte lieber weiter draußen die Einfahrt vor dem Haus gepflastert, da war er an der frischen Luft, konnte mit den Nachbarn quatschen und dort hatte Kelly ihn nicht die ganze Zeit im Visier.
Es war kein Freundschaftsdienst, den Kieran übernommen hatte. Seit zwei Jahren war er arbeitslos, seit er aus Belfast zurückgekommen war. Mit Frau und Sohn war er im Haus seines Vaters eingezogen, weil sie sich ein eigenes Haus nicht leisten konnten. Seine Frau Moira kümmerte sich um den alten Finnigan, um die beiden jüngeren Brüder von Kieran, die noch zu Hause lebten und nur Blödsinn im Kopf hatten. Der kleine Darren, zehn Jahre alt und ebenso rothaarig wie seine Mutter, ebenso stur und einsilbig wie sein Vater, war entweder in der Schule oder er streunte über die Weiden und Felder, spielte Fußball mit den anderen Jungs, badete in den Tümpeln der Umgebung, deren torfiges Wasser so dunkel war wie frisch gezapftes Guinness. Wenn einer der anderen Jungs Vermutungen darüber anstellte, was sein Dad in Belfast gemacht haben könnte, prügelte er sich wie ein kleiner Terrier.
Kelly McGinty stellte Ansprüche an sein Bad und er war eine Pest vor dem Herrn. Nicht nur, dass er die Wände komplett gefliest haben wollte, auf dem Boden ließ er hellgraue Steinplatten verlegen, die Duschkabine, die er gekauft hatte und die noch unmontiert draußen im Garten stand, war so groß, dass man ein Pferd darin hätte waschen können. Er wollte auf den Touristenzug aufspringen und ein paar Zimmer an B&B Gäste vermieten. Nur, dass die Touristen sich in diesem hübschen Bad darüber ärgern würden, dass es kaum genug heißes Wasser gab für eine ausgedehnte Dusche. Dazu war der Kessel zu klein. Mit der täglichen Entscheidung mussten alle leben, voller Strahl kaltes Wasser oder ein dünner schüchterner Rinnsal lauwarmen Wassers.
Kieran hörte bei dem Krach nicht, was draußen vor sich ging und stellte den Schleifer erst ab, als Bertie Adare ihm von hinten auf die Schulter klopfte. Sie waren direkte Nachbarn, ihre Grundstücke grenzten aneinander und Darren aß öfters bei den Adares zu Mittag.
„Was ist das für n Krach da draußen?“
Kieran hob den Kopf und horchte. Nachdem die Schleifmaschine verstummt war, konnte er die Schüsse deutlich hören. Bertie sah beunruhigt aus.
„Das ist McGinty.“
„Ja? Was zur Hölle macht er da?“
Bertie hatte noch bis vor drei Wochen in einem Reiterhotel in Grange gearbeitet, wo er Ställe ausgemistet und Pferde versorgt hatte. Der Job hatte ihm gefallen, aber blitzschnell hatte er sich eine Allergie eingefangen und ihm war nichts anderes übrig geblieben, als sich einen neuen Job zu suchen. Jedenfalls war die Pferdehaarallergie das, was er den anderen erzählt hatte, weil ihm die Wahrheit zu peinlich gewesen war.
Der Besitzer des Reithotels hatte ihn mit einer wesentlich älteren Touristin in der Scheune erwischt. Genau in dem Moment, als er das Gesicht zwischen ihren Schenkeln gehabt hatte. Sie hatte dabei in höchsten Tönen auf Italienisch gejubelt. Das konnte er niemandem erzählen.
Kelly McGintys Taubentick hatte sich noch nicht bis zu ihm herumgesprochen. Kieran und Bertie gingen nach draußen, umrundeten das Haus und fanden McGinty, wie er in seinem peinlich ordentlichen Garten stand, breitbeinig und mit hochrotem Gesicht, als würde ihn jeden Moment der Schlag treffen. Er hielt das Gewehr in der Hand, ein kleines Kaliber, aber groß genug, um Kindern die Augen ausschießen zu können, wenn er schlecht zielte. Er legte gerade wieder an und ballerte in die Luft. Aus dem bewölkten Himmel fiel eine grau-weiße Taube wie ein Stein zu Boden, flatterte noch einmal und lag dann still.
Kieran grinste breit, Bertie stand vor komischem Erstaunen der Mund offen. McGinty drehte sich zu ihnen herum, weder zeigte er eine Reaktion, noch suchte er nach einer Entschuldigung für sein Handeln.
Um die erschrockenen Tauben anzulocken, warf er Brotkrumen auf seinen britischen kurzen Rasen. Die erste Taube, die sich heranwagte, erledigte er mit einem weiteren Schuss. An der Ecke zur Terrasse stand ein schwarzer Müllsack.
„Bertie“, sagte McGinty, während er nachlud, „nimm die Viecher und tu sie zu den anderen.“
„Wo sind die anderen?“ wagte Bertie zu fragen.
„Da, wo sie hingehören.“
„Im Sack“, erklärte Kieran.
Als würde er Bälle aufheben, sammelte Bertie die Tauben auf, die in der Schrecksekunde ihres Todes eine Menge Federn abgeworfen hatte und stopfte sie zu ihren Artgenossen. Aus dem Sack strömte der warme Geruch nach Blut und Federn. Es erinnerte Bertie an einer Hühnerfabrik.
„Weshalb lockst du sie erst an? Du könntest sie doch auch verscheuchen.“
McGinty drehte sich zu Bertie herum und sagte mit mitleidiger Stimme: „Junge, wie soll ich sie abknallen, wenn ich sie verscheuche?“
Er legte sich das Gewehr in die Armbeuge und bemerkte dann murrend, dass die Arbeit im Haus und in der Einfahrt sich nicht von allein erledigte, jedenfalls habe sie das bei ihm noch nie getan, aber vielleicht wäre es bei ihnen ja etwas anderes. Die beiden verzogen sich wieder.
„Wieso hasst er Tauben?“ wollte Bertie wissen. Tauben waren so unnütz und ohne Bedeutung, dass er sich noch nie Gedanken darüber gemacht hatte, ob er sie mochte oder nicht.
„Sie scheißen“, erklärte Kieran, „und McGinty meint, dass er sich an der Scheiße mit irgendwas anstecken könnte. Er ballert schon seit Jahren auf seinem Grundstück rum, aber die Tauben werden nicht weniger. Ich denke, sie versammeln sich extra bei ihm, um ihm den Rest zu geben.“
„Er hat sein Haus als Unterkunft bei einem Reiseveranstalter eintragen lassen.“
„Ich weiß.“
Drei Wochen später waren alle Umbauarbeiten endlich erledigt, Kieran bekam sein Geld und ging mit Bertie einen trinken. Der ganze Pub lachte darüber, dass Kelly die Taubenjagd offensichtlich aufgegeben hatte und sein Haus jetzt „Doves View“ nannte. Kurz vor der Sperrstunde und schon reichlich besoffen, zog Bertie Kieran nach draußen und zu Fuß liefen sie durch das ganze Dorf bis zu Kelly McGintys Haus, fanden in seinen Abfallsäcken eine der toten Tauben.
Die Touristen, die am frühen Morgen ankamen, wurden von einer ans B&B Schild genagelten toten Taube begrüßt, über deren Kopf geschrieben stand: Welcome to Doves CURSE.
Bertie und Kieran bekamen nie wieder einen Auftrag von McGinty.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Das ist vollkommen in Ordnung, wenn du es so siehst. Aus der Sicht der Tauben stimme ich dir zu. *LACH*
Liebe Grüße Dubliner Tinte


Pia Dublin (26.09.2009)

deprimierend

Margaretha (26.09.2009)

Gute Geschichte!

L. G.
Günther J.


anonym (06.09.2008)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Fisteip - Inhaltsangabe  
Das Haus auf der Klippe - Inhaltsangabe  
Hanami - trauriges Kirschblütenfest - WIEDER KOMPLETT EINGESTELLT  
Mein kurzes Leben mit einem Vampir  
Winterreifen für Schubkarren  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De