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Rob und Danny - Episode Aes Sidhe

Romane/Serien · Schauriges
Rob und Danny - Episode Aes Sidhe

*Der Hintergrund dieser Story ist das Schema, die eigentliche Geschichte von den Protagonisten erzählen zu lassen (wie es Stephen King vortrefflich kann) und das wollte ich mal ausprobieren. Vermutlich sind Rob und Danny bei weiteren Abenden im Pub auch bereit, mehr Geschichten zu erzählen... *

Sie saßen wie jeden Abend zum Wochenende zusammen, beginnend am Freitag, kippten ein Bier nach dem anderen, während ihre Jungs im Nebenraum, getrennt durch eine offenstehende Schiebetür Snooker spielten oder so taten, als würden spielen. Rob kam mit der nächsten Runde zurück an den Tisch, stellte die Gläser ab und rief zu den Jungs hinüber: „Macht verdammt nochmal nicht so einen Krach.“
Die Jungs duellierten sich mit den Queues, tanzten umher, schrien und brüllten dabei und es war abzusehen, dass sie sich gegenseitig die Augen ausstachen, besoffen wie sie waren. Sie ignorierten Rob.
„Waren wir auch so, als wir jung waren?“ fragte er, nahm den ersten Schluck aus seinem Glas und Danny sagte: „Keine Ahnung. Ist zu lange her.“
Sie tranken ihr übliches Pensum in ihrem üblichen Zeitraum, grüßten die hereinkommenden bekannten Gesichter und Rob stellte eine seiner Fragen, bei denen Danny jedes Mal liebend gerne aus dem Pub verschwunden wäre, wenn er denn eine Idee gehabt hätte, wo er hätte sonst hingehen können an einem Freitag Abend. In manchen Beziehungen war sein Bruder wie ein Furunkel am Hintern.
„Danny“, sagte er gedehnt, wie ein in Gedanken versunkener Maulwurf in seinem schwarzen Mantel und seiner dicken Brille, mit seinen vernarbten Pfoten, in deren Profile sich der Dreck hineingefressen hatte, „was hättest du getan, wenn wir die Frau gefunden hätten?“
Was hätte Danny getan? Er zog es vor, darüber nicht nachzudenken und weiter seine Lippen ans Bierglas zu halten. Er hasste Dinge, über die er nachdenken musste, es war sein Tagesjob, über Dinge nicht nachdenken zu müssen. Seit dreißig Jahren nahm er Jobs an, bei denen er hörte „Danny, mach dies“, „Danny, mach das“ und das war vollkommen in Ordnung so. Er wollte weder um seine Meinung gefragt werden, noch wollte er Entscheidungen treffen, sein alter Vater hatte schon damals recht gehabt als er sagte, Danny solle „sich keinen Kopf über Dinge machen, die nicht in deiner Macht liegen“. Zu Bruder Rob hatte er das auch immer gesagt, aber Rob hatte sich nie an den Rat gehalten.
„Welche Frau?“ fragte Danny. Gegenüber flog das erste Queue über den grünen Tisch, eine der Kugeln folgte und Rob zuckte zusammen und brüllte: „Cormac, du kannst heute von mir aus bei den Schweinen schlafen, wenn du dich nicht benimmst und außerdem lasse ich dich zu Fuß nach Hause laufen.“ An Danny gewandt fluchte er: „Was hat mich nur dazu gebracht, einen solchen Nichtsnutz in die Welt zu setzen?“
Cormac grinste in ihre Richtung, er war so betrunken, dass er kaum noch etwas deutlich sehen konnte, hob entschuldigend die Hand und wankte an ihrem Tisch vorbei durch den Schankraum in Richtung Männerklo, blieb allerdings mit der Schulter im Türrahmen hängen, fiel fast hin und erntete schallendes Gelächter. Pol und John kamen mit ihren halbleeren Gläsern an den Ecktisch, an dem ihre alten Herren saßen, sich zurück in die Kindheit soffen und danach tapfer nach Hause fuhren oder gingen.
Rob lebte allein in seinem Zwei-Raum-Haus am Ende des Dorfes, nachdem er Cormac vor die Tür gesetzt hatte und Danny war in dem winzigen Raum über dem Pub zu Hause. Dort hauste er seit Jahren, half ein wenig beim Aufwischen und Saubermachen, aber er weigerte sich, hinter dem Tresen zu bedienen. Er hätte es nicht ertragen können, Leute, die er nicht mochte, bedienen zu müssen. Es stand auch außer Frage, sich ein Haus mit seinem älteren Bruder zu teilen. Sie liebten und hassten sich, sie hatten sich Beide in ihrer Jugend in die wundervolle Sarah verliebt und Sarah hatte erst Rob und dann zehn Jahre später Danny geheiratet, aber das hieß nicht, dass sie im Alltag miteinander ausgekommen wären.
„Was macht deine Hand, Danny?“ fragte Pol, als er sich neben ihn setzte, „hab gehört, dir ist jemand draufgetreten, als du aus dem Pub gekommen bist gestern.“
„Was soll das heißen, welche Frau? Erzähl mir nicht, du erinnerst dich nicht mehr daran, wie wir die Frau in Ballymooney...“
„Wann seid ihr denn in Ballymooney gewesen?“
„Lass meine Hand los, Pol“, sagte Danny. Er rückte von ihm ab, wandte sich an Rob: „Ich kann mich daran erinnern, dass wir in Ballymooney gearbeitet haben, aber das ist auch alles. Darf ich bitte mein Bier in Ruhe weitertrinken?“
Wenn Danny energisch wurde, ließ man ihn besser in Ruhe. Er war noch immer ein Haudegen (auch wenn Pol und John ihren Vater nicht so bezeichnet hätten) und er konnte noch immer draufhauen, wenn es nötig war. Der einzige, dem das egal war, war Rob. Man sagte, die beiden hätten schon als Kinder zusammen in der Zelle gesessen und Sprengstoff-Rezepte ausgetauscht, aber das waren fiese Schandmäuler, die so etwas sagten.
Pol machte eine Kinnbewegung zu John, schickte ihn zurück an die Theke, um die nächste Runde zu holen und wartete geduldig darauf, dass Rob wieder nachfragte. Er hatte ganz entfernt von einer komischen Sache in Ballymooney gehört, er war neugierig und außerdem machte das Snookerspiel keinen Spaß mehr, wenn Cormac nur noch die Kugeln durch die Gegend feuerte. Sollten die anderen Jungs allein weiterspielen.
„Wir haben dort an einem alten Herrenhaus gearbeitet, sollte ein guter Job sein, das alte Ding wollten die neuen Besitzer zu einem Country Hotel umbauen. Wir haben behauptet, wir wären Gärtner und Schreiner, dabei ist Danny als Gärtner höchstens geeignet, wenn er sich in die Büsche stellt und pinkelt.“
„Klingt ja aufregend.“
Danny zog es vor, nicht hinzuhören. Er beobachtete, wie Cormac von der Toilette zurückkam, wo er sich offensichtlich übel übergeben hatte und am Snookertisch wieder mitmischen wollte, die anderen ihn aber nicht ließen. Der Geräuschpegel stieg kurzfristig an, bis jemand Cormac eins auf die Nase schlug, er sich in die Ecke setzte und schmollte.
„Wir sind mit einem Kerl in einem alten Vauxhall mitgefahren, der ungefähr in die Richtung wollte und er hat uns zehn Kilometer vor dem Herrenhaus rausgesetzt. Schlimm genug, dass wir laufen mussten, schlimmer war, dass es zu schneien anfing und wir nass bis auf die Knochen wurden. Mit so einem Wetter hatten wir nicht gerechnet.“
„Es war April“, sagte Danny. Es war unvermeidlich, dass Rob diese alte Geschichte erzählte und er hoffte, sie in die richtige Richtung lenken zu können, wenn er sich an den richtigen Stellen einmischte. Rob und er hatten sich damals geschworen, die Wahrheit niemals ans Licht kommen zu lassen und sich auf eine Version geeinigt, die ihnen a) keinen Ärger bereiten und die b) jeder glauben würde.
„Wir haben oft Schnee im April“, sagte Pol.
„Aber nicht so einen Schnee.“
John kam mit den Getränken zurück, klebte Pol den Bon aus der Kasse an sein feuchtes kaltes Glas und machte ihm damit klar, dass er die nächste Runde zu holen habe.
„Wir konnten die Hand vor Augen nicht mehr sehen und haben nur gehofft, dass wir auch auf dem richtigen Weg sind und nicht von der Straße abkommen. Als wir dann endlich vor dem Haus standen, das war ein Haus, Junge Junge, du würdest nicht glauben, dass das ganze verdammte Ding abgebrannt ist...“
„Was nicht unsere Schuld war“, sagte Danny. Er goss den Rest seines Bieres in das frische Glas, es schwappte nur deshalb nicht über, weil der Barkeeper knauserig wie ein altes Weib war und die Gläser nie randvoll machte, trank und setzte hinzu: „Es ist Jahre später abgebrannt.“
„Jedenfalls war es ein ziemlich großer Kasten, leuchtete aus allen Fenstern durch den wirbelnden Schnee und wir freuten uns schon, endlich ins Warme zu kommen. Aber wir kamen nicht rein, weil uns niemand die Tür öffnete.“
„Ich hab sofort gesagt, lass uns wieder nach Hause fahren, aber Rob war dagegen. Er meinte, wenn da überall das Licht brennt, muss auch jemand zu Hause sein.“
Rob nickte, senkte die Stimme und starrte Pol in die Augen. „Genau das habe ich gesagt, wenn da überall das Licht brennt, muss auch jemand zu Hause sein, und kaum hatte ich das gesagt, ging überall das Licht aus.“
„Stromausfall“, sagte Pol unbeeindruckt.
„Entschuldigt mich.“ Danny erhob sich vorsichtig, drückte sich an Rob vorbei und schlurfte zu den Toiletten hinüber. Er warf einen Blick auf Cormac, dessen Nase noch immer nicht aufgehört hatte zu bluten und sagte einem der anderen Jungs, er solle einen nassen Lappen holen. Vor der Pinkelrinne hatte Cormac eine schöne Schweinerei hinterlassen, deshalb zog Danny es vor, durch den Notausgang hinter den Pub und in den Garten zu verschwinden.
Es war kein Stromausfall gewesen in dem großen Haus, konnte es nicht gewesen sein, denn der Verwalter, der sie eine Stunde später hereinließ und behauptete, er hätte sie weder gehört noch gesehen, sagte, dass die Oberleitung vor zwei Tagen abgerissen sei und sie komplett ohne Strom seien.
„Aber wenigstens können sie am Tage arbeiten“, sagte er, „da ist es hell genug. Wer von ihnen ist der Gärtner?“

Als er da so in dem dunklen Garten stand und sein Wasser abschlug, dachte er an Ballymooney und sah zu den Sternen hinauf. Die Nacht war ausnahmsweise sternenklar, die Luft angenehm kühl und es hätte sicher auch nach Sommer gerochen, wenn im Garten nicht die vollen Mülltüten herumgelegen hätten. Die Müllabfuhr war noch nicht dagewesen. Er konnte einige der Sternbilder erkennen, aber er erinnerte sich nicht mehr an deren Namen oder Bedeutung. In seiner Jugend hatte es alte Männer gegeben, die ohne Unterlass Geschichten zu allen möglichen Dingen hatten erzählen können, aber wie es schien, gehörte er nicht zu der Sorte. Er hatte viel erlebt in seinem Leben, aber er hatte das Meiste davon wieder vergessen. Ebenso wie die Geschichte mit der Frau in Ballymooney, die vergaß er auch sehr gerne und nur der verdammte Rob erinnerte ihn jedes Mal wieder daran.

Als er wieder im Pub und an seinem Tisch saß, war Rob mit der Geschichte noch nicht wirklich vorangekommen, er erzählte noch immer, dass der Verwalter ihnen nicht geglaubt hatte, dass sie Licht gesehen hätten in dem Haus und vermutete, sie seien bereits betrunken zur Arbeit erschienen.
John hatte sich von ihrem Tisch verabschiedet, war wieder an den Snookertisch verschwunden, nachdem seine Freunde nach ihm gerufen hatten.
„Wir wollten schließlich nicht länger darauf herumreiten, dass wir den Kasten hell erleuchtet vor uns gesehen hatten und Danny tat so, als habe er Ahnung von der Gartenarbeit und ich ließ mir zeigen, welche Fensterrahmen und Türen ich ausbessern sollte. Zunächst dachte ich, ich hätte es dort lange aushalten können, wir bekamen ein gutes Quartier im Angestelltenflügel, da waren die Zimmer sauber und ordentlich und man konnte darin schlafen, wenn gelüftet war, wir durften die Küche benutzen, von dort aus hatte man einen freien Blick auf den Park hinter dem Haus. Aber es stank überall. Du weißt schon, wie diese alten Bauten riechen, die Feuchtigkeit kriecht überall rein. Wenn es nach dem Verwalter gegangen wäre, hätten wir sofort mit der Arbeit anfangen sollen, aber wir beide haben uns ja nicht hinter der Tür versteckt, als die Schlauheit verteilt wurde. Wir haben ganz wichtig getan und gesagt, wir müssten uns erstmal einen Überblick verschaffen und das würde schon einen Tag in Anspruch nehmen, wenn die Arbeit denn ordentlich, schnell und sauber ausgeführt werden sollte. Das hat er geschluckt. Dann sind Danny und ich also durch den ganzen Kasten gelaufen, haben uns das Gelände angesehen, miteinander geflüstert, die Köpfe geschüttelt und besorgte Gesichter gemacht, falls der Verwalter uns beobachten sollte.“
Danny erinnerte sich, dass das zu dem Zeitpunkt noch Spaß gemacht hatte. Es war zwar kalt gewesen, aber es schneite nicht mehr und sie hatten so den halben Tag vertrödelt, von dem sie überzeugt gewesen waren, ihn regulär bezahlt zu bekommen. Sie waren sich sehr ausgebufft vorgekommen.
„Stell dir vor“, flüsterte Rob, „sie überlassen es uns, die Materialien zu beschaffen. Wir können sie bescheißen von vorne bis hinten. Und damit alles gut aussieht, lassen wir noch ein paar Jungs herkommen, damit sie uns helfen. Die haben wenigstens ein wenig Ahnung von dem, was wir hier machen sollen.“
Und dann war der Abend gekommen, erst das milchige Zwielicht und dann die Dunkelheit. Danny und Rob waren Landeier und waren die komplette Dunkelheit gewöhnt, die von keiner Straßenlaterne oder Leuchtreklame gestört wurde, aber was sie sofort bemerkten, war die absolute Stille. Sie saßen im Angestelltenflügel und ihr eigener Atem kam ihnen so laut vor, dass es ihnen unheimlich wurde. Alte Häuser machten Geräusche, sie knackten, knarrten, stöhnten manchmal sogar, aber dieses Haus sagte keinen Ton.
„In einer Gruft kann es auch nicht stiller sein“, flüsterte Rob und Danny hätte ihm fast die Halsschlagader abgedrückt. Niemals hätte er zugegeben, dass er sich nicht nur etwas unwohl fühlte, sondern dass er die Hose gestrichen voll hatte. Er hatte das Gefühl, dass irgendetwas, was in dem Haus war, in seine Knochen kroch und sich dort ausbreitete. Sein Herz raste, er hatte kalten Schweiß auf der Stirn und obwohl er auf dem Bett hockte und sich nicht bewegte, ging sein Atem flach und schnell. Ein Seitenblick genügte und er sah, dass es Rob genauso ging, aber sie grinsten sich an wie zwei Wasserspeier und sagten nichts.
Irgendwann gingen sie zu Bett, unterdrückten das eigene schlechte Gefühl, aber kaum hatten sie das Licht gelöscht (sie waren vom Verwalter mit Mag-lites ausgestattet worden), waren in ihre klammen Betten gekrochen, konnten sie vor lauter Stille nicht einschlafen.
„Erinnerst du dich, wie sie geschrien hat?“ flüsterte Rob in Dannys Richtung, sah dabei Pol so direkt an, dass Pol gar nicht anders konnte, als zu fragen: „Wer hat geschrien?“

Sie wussten nicht, wer schrie. Der schrille hohe Schrei, den sie in der Dunkelheit ihres Zimmers hörten, hallte so lange durch das Haus, dass Rob und Danny sich sicher waren, dass ihn kein Mensch ausgestoßen haben konnte. Rob schaltete zitternd die Mag-lite ein, leuchtete an die Decke und sie starrten zu dem unruhigen Lichtkreis nach oben. Dieser Schrei klang endlich ab und wiederholte sich nicht und an seine Stelle trat wieder die unnatürliche Stille, nicht nur in dem großen Haus, sondern in der ganzen Umgebung, wie es schien.
„Wir redeten uns ein, dass es irgendein Tier gewesen sein müsste, vielleicht war es in eine Falle geraten oder von einem anderen Tier gefressen worden. Das war die einzige Erklärung, die wir parat hatten, aber schlafen konnten wir trotzdem nicht. Wir haben die Taschenlampe die ganze Nacht brennen lassen und ich bin jedes Mal zusammengezuckt, wenn Danny sich bewegt hat und seine Knie knackten.“
„Am Morgen sind wir direkt an die Arbeit gegangen“, sagte Danny, „wir haben nicht einmal gefrühstückt, in der großen Küche nur einen Kaffee getrunken und dann waren wir froh, aus dem Haus zu kommen. Ich sollte ein paar Hecken schneiden und gab mir Mühe, aber ich musste immer wieder auf das Haus sehen und die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, aus den Fenstern beobachtet zu werden. Und Rob hatte das gleiche Gefühl, er hatte im Haus Türen ausgemessen und die Parkettfußböden kontrolliert und meinte, er habe ständig das Gefühl, jemand stünde hinter ihm und wenn er sich umdrehte, war da niemand. Wir hielten es beide nicht lange aus und trafen uns wieder in der Küche.“
„Wunderschöner Mosaiksteinfußboden“, warf Rob ein.
„Wir wollten uns einen Tee kochen, ich hatte das Wasser aufgesetzt auf dem Gasherd und wir sprachen darüber, wo die anderen Handwerker sein mochten, denn es war doch sehr unwahrscheinlich, dass für ein so großes Herrenhaus nur zwei Männer angeheuert worden waren.“
„Was hat der Verwalter dazu gesagt?“ fragte Pol.
„Wir konnten ihn nicht danach fragen, denn wir konnten ihn nicht finden.“
Wenn Danny daran zurückdachte, hatte er wieder das schleichende schlechte Gefühl im Bauch und sein Arm begann zu brennen. Er erinnerte sich, wie er mit Rob durch die ebenerdige Etage des Hauses gelaufen war, um den Verwalter zu finden.
Sie hatten sich einige Male verlaufen in den dunklen Korridoren, hatten Türen verschlossen gefunden, die sie zuvor offen gestanden hatten, weil Rob den Fußboden an der Schwelle kontrolliert hatte, waren sich aber nicht sicher, ob es die selben Türen waren, an denen sie vorbeikamen. Sie fanden den Verwalter nicht und hatten die Nase voll, gingen zurück in die Küche in der Hoffnung, das Teewasser wäre endlich fertig. Obwohl Danny die Gasflamme bis zum Anschlag hochgedreht hatte und sie eine kleine Ewigkeit durch das Haus gelaufen waren, kochte das Wasser noch immer nicht. Danny konnte einen Finger in den Topf stecken, ohne sich zu verbrühen.
„Ich bekam das Wasser einfach nicht zum kochen“, sagte Danny, „und zu allem Überfluss schneite es draußen schon wieder.“
Der Tee schmeckte fade mit dem lauwarmen Wasser und hinterließ einen üblen Geschmack auf der Zunge, den sie Beide lange nicht loswurden. Obwohl es schneite, verließen sie das Haus und wollten nachsehen, ob es einen Fuhrpark gab. Die alten Stallungen hinter dem Gebäude waren zu Garagen umgebaut worden, aber dort fanden sie nur einen alten Kastenwagen, als sie die Tür aufschoben und hineingingen. Er war auf allen vier Reifen platt.
„Mit dem ist schon lange niemand mehr gefahren“, sagte Rob und bemerkte ebenfalls, dass hier auch kein weiteres Fahrzeug gestanden hatte – der Boden war mit einer dicken Staubschicht bedeckt und ihre Schuhe hatten die einzigen Spuren hinterlassen. Sie zogen die Schiebetür wieder zu, sahen zu dem Park mit seinem alten Baumbestand, hügeligen Wiesen und den Hecken hinüber, froh darüber, das Herrenhaus für eine Weile nicht mehr sehen zu müssen. Es lag hinter den Stallungen und sie hatten ihm den Rücken zugedreht.
„Was machen wir jetzt?“ fragte Rob, „ich bin weiß Gott nicht scharf darauf, dort wieder hineinzugehen, selbst wenn es dort warm und trocken ist.“
„In diesem Haus ist es weder das eine noch das andere. Ich wünschte...“ sagte Danny. Weiter kam er nicht. Die Gestalt, die Frau mit den großen schwarzen Augen, dem aufgerissenen Mund wie eine Höhle in ihrem fahlen Gesicht, stand plötzlich vor ihnen, der Schnee fiel durch sie hindurch, schmolz und berührte sie doch nicht. Sie war einen Kopf größer als die Danny und Rob, sie hob ihre Hände, die wie die kahlen Äste eines Baumes aussahen, ihr Gesicht starrte auf sie herunter und aus ihrem Mund, der keine Lippen hatte, sondern nur ein ausgefranstes, dunkelrotes Loch war, viel zu groß für ihr Gesicht, strömte der Schrei, den sie in der Nacht zuvor gehört hatten. Rob wusste von dieser Begegnung nur noch, dass er sich weder bewegen noch atmen konnte, er wollte sich die Ohren zuhalten, aber er schaffte es nur mit Mühe, die Augen zu schließen. In dem Schrei verwoben, mitgezerrt von ihm hörten sie Beide die Stimme der Frau, die direkt in ihre Gedanken einflüsterte und erst, als Danny einen heiseren Schrei ausstieß, verschwand sie. Rob riss die Augen auf, sah sie einige hundert Meter entfernt unter einer der alten Eichen stehen, wo sie mit einer Hand zum See deutete, dann war sie im Schneetreiben verschwunden.
„Sie hat mich angefasst“, murmelte Danny, er war auf die Knie gefallen, hielt sich den linken Arm mit der rechten Hand umklammert, „sie war nicht wirklich da, aber sie hat mich angefasst.“
Rob zerrte ihn hoch, plötzlich hektisch und der Panik nahe und sagte: „Du hast sie gehört. Wir müssen sie finden.“

Sie rannten durch den Park, bis zu dem See hinüber, auf den die Frau gezeigt hatte und begannen dort an einer Stelle zu graben. Sie wussten, dass es genau diese Stelle sein musste. Hätten sie ihre Sinne beisammen gehabt, hätten sie Schaufeln und Hacken mitgenommen, aber sie standen Beide neben sich. Mit den Händen rissen und schoben sie erst den Schnee, dann die Erde und das Gras beiseite, wussten genau, das hier war die Stelle, wo sie suchen mussten, hier würden sie finden, was sie suchten. Sie kamen erst zur Besinnung, als sie die Hupe eines Wagens hörten, hielten im Graben inne, starrten auf ihre blutigen und verdreckten Hände, starrten in das Loch, das einen halben Meter tief war und fragten sich, was sie hier taten.
Das war aber nicht das, was Rob Pol erzählte. Er sagte, die Frau sei vor ihnen neben der Hecke aufgetaucht, habe sie angesehen und sei dann wieder verschwunden und das habe schon gereicht, um ihnen eine Heidenangst einzujagen. Die Wahrheit hielten sie unter dem Mantel verborgen. Danny leerte sein Glas und sagte, er würde die letzte Runde spendieren und dann nach oben verschwinden.
„Wir sind von dort verschwunden, so schnell wir konnten“, sagte Rob, „und wir haben den Verwalter nicht einmal nach der Bezahlung gefragt. Er war mit dem Wagen zurückgekommen und hatte nach uns gehupt, und als wir sagten, wir seien nicht scharf auf den Job, machte er ein unglückliches Gesicht und fragte, ob irgendwas vorgefallen sei. Ich hätte ihn töten können dafür. Er hätte uns sagen können, dass dort eine Frau umgeht, aber vermutlich sind genau deshalb alle Handwerker vorher auch schon laufen gegangen.“
„Ist das Haus wegen ihr abgebrannt?“
„In der Zeitung stand was von einem Kurzschluss, aber wer weiß. Sie hat’s geschafft, das Wasser am kochen zu hindern und uns mit der Weihnachtsbeleuchtung im Haus willkommen zu heißen, vielleicht hat sie auch zwei Drähte zusammengedreht, die nicht zusammengedreht sein sollten. Ich denke, sie ging um, weil ihr in dem Haus etwas Schreckliches zugestoßen ist und sie zeigte zum See hinüber, weil man sie dort begraben hatte. Aber Danny meinte, es ginge uns nichts an und er wollte nicht weiter darüber nachdenken.“ Er senkte die Stimme. „Er erzählte mir, er dachte, sie hätte ihn berührt, an seinem Arm.“
„Ich werde mal googeln, ob ich was über das Haus finde“, sagte Pol.
John rief zu ihnen hinüber, dass Cormac mit dem Typen, der ihm eins auf die Nase gehauen hatte, vor die Tür gegangen sei und er habe gerade zwei Zähne ausgespuckt.
„Dein Sohn ist genauso ein Schwachkopf wie du es in seinem Alter warst“, sagte Danny von der Theke, wo er die Biere entgegennahm.
Sie ließen den Abend ausklingen bei der letzten Runde Bier, Cormac in ihrer Mitte, das Hemd mit Blut und Kotze bekleckert, in der Faust hielt er zwei Schneidezähne und murmelte undeutlich, er bräuchte jemanden, der noch nüchtern genug sei, um ihn ins Krankenhaus zu fahren.
„Ich kümmere mich darum“, sagte John, „und dann bring ich Rob nach Hause.“
Pol übernahm es, seinen alten Vater, der noch gar nicht so alt war, bis vor die Tür seiner Wohnung zu begleiten und meinte, es würde Zeit, mit dem Saufen ein wenig kürzer zu treten. Diese Überlegung stellte er jeden Abend an, jeden Freitag, jeden Samstag und jeden Sonntag, wenn es mal wieder eskaliert war.
„Diese Ballymooney Geschichte hast du uns nie erzählt.“
„Ihr wisst auch jetzt nur die Hälfte“, erwiderte Danny mit einem schiefen Grinsen.
„Hat sie dich berührt? An dem Arm, wo das Ekzem immer wieder kommt?“
Danny sah seinen erwachsenen Sohn lange an. Von unten aus dem Pub hörten sie, wie Stühle und Tische zusammengeschoben wurden, damit Bernadette den Boden wischen konnte. Pol glaubte, er würde auf diese Frage keine Antwort bekommen oder er würde ein ungnädiges „Frag doch Rob“ hören, aber Danny räusperte sich und sagte: „Sie war kein böser Geist, vermutlich eine Sidhe, aber wenn du jemandem sagst, dass ich das gesagt habe, bekommst du Ärger mit mir. Ich konnte ihre Stimme in meinem Kopf hören und wenn der Bann nicht gebrochen worden wäre, wären wir vielleicht verschwunden, Rob und ich. Sie hätte uns mitgenommen, aber wenn Rob behauptet, sie hätte mich berührt, dann hat er geflunkert.“
„Alter Mann, du nimmst mich auf den Arm“, sagte Pol. Sie wünschten sich eine gute Nacht und Pol polterte die Treppenstufen nach unten, traf vor dem Pub John, der den Motor des Wagens laufen ließ, um seine Verwandtschaft ins Krankenhaus und nach Hause zu fahren.
„Eure Mutter wäre stolz auf euch“, sagte Rob, und Pol machte sich eine geistige Notiz, nicht nach Geistererscheinungen in Ballymooney zu forschen. Er wusste, dass sein Vater ein hartnäckiges Ekzem am Oberarm hatte, knapp überhalb des Ellebogens, das er stets gut verborgen hielt unter seinen Hemden und Pullovern und Pol wusste, dass es die Form eines Handabdruckes hatte.
 
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