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3 Seiten

Gaanz typisch

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Das Leben? Oh, das Leben ist vom Feinsten, kann ich da nur sagen. Vielfältig, interessant, chaotisch, alles zusammen und noch viel viel mehr, wie etwa Dummheit, Ignoranz oder, ach, was weiß ich noch alles. Aber was hat das alles eigentlich zu bedeuten? Hat sich irgendwer schon mal darüber Gedanken gemacht, was die ganzen Wörter unserer Sprache genau ausdrücken sollen? Subjekt, Prädikat und Objekt. Und was NOCH? Was ist mit den Gefühlen, den Zwischentönen, mit dem, was zwischen den Zeilen steht? Kommt es in erster Linie nicht DARAUF an?
Vergesst die Grammatik. Werft sie in den Eimer, lasst sie fallen. Lektoren sollen sich mit ihr beschäftigen, weil es ihnen Spaß macht, weil sie Perfektionisten sind.
Allen anderen sage ich: vergesst die Grammatik! Genießt statt dessen das geschriebene Wort, so wie es geschrieben steht. Genießt die Sätze, die Absätze, die Kapiteln, die Bücher, und zwar mit allen Fehlern, die gemacht worden sind. Denn Fehler sind menschlich, und hey: wenn ihr etwas lest, dann wollt ihr doch etwas menschliches lesen, oder etwa nicht? Etwas mit Seele, etwas mit Herz - etwas UNVOLLKOMMENES. Denn nur in der Unvollkommenheit kann sich ein Mensch auch wieder finden, weil, na ja, ihr erratet es doch sicher schon, oder? Ja, richtig: weil nun mal auch der Mensch unvollkommen ist. Und soll ich euch etwas sagen? Das ist auch gut so!
Bücher, die gedruckt worden sind, wirken auf mich oft irgendwie mathematisch, weil doch auch die Grammatik im Grunde nichts weiter als eine Spielart der Mathematik darstellt. Nur heißt es in ihr nicht 1 + 1 = 2, sondern Subjekt + Prädikat + Objekt = vollständiger Satz.
In Büchern, die veröffentlicht worden sind, spürt man irgendwie noch die Seele des Autors. Denn selbst der noch so fleißigste Lektor schafft es nicht, mit seinem mathematischen Perfektionswahn einem Text die Seele des Autors zu rauben. Aber was er auf jeden Fall schaffen kann - und das ist oft schon mehr als genug - das ist, einen Text zu glätten. Er kann ihn derart glätten, dass selbst ein Leser mit einer noch so großen Gabe, die Seele eines Autors hinter einem Text auszumachen, beim Lesen ins Schlittern gerät.
Hey man, klar, ein Text braucht schon ein gewisses Niveau. Er muss schon einen bestimmten Standart erreicht haben, damit er auch lesbar wird. Aber, und das ist das Entscheidende dabei, und wofür ich stets plädiere: ein Text darf niemals ZU perfekt sein.
Tobi nahm sein Whiskey - Glas von dem kleinen Tisch, der vor ihm stand, hielt es dem spärlichen Licht entgegen, das die Deckenbeleuchtung in diesem spartanisch eingerichteten Raum zu spenden vermochte, und sinnierte wären dessen weiter: Auch dieser Whiskey hier ist so ähnlich wie gute Literatur: hie und da ein bisschen kantig und ungeschliffen, dafür aber reich an Charakter. Und deshalb geht er runter wie Öl.
Daraufhin leerte er sein Whiskey - Glas, das bis zur Hälfte gefüllt war, mit einem einzigen Schluck.
Hey, man, klar. Das sind ja nur die Ansichten eines älteren Herrn. Die Jungen, die nach mir kommen werden, die werden das alles wieder ganz anders sehen, da bin ich mir ganz sicher. Denn sie wollen oder müssen sich sogar vom alten Muff irgendwie befreien. Genau so habe ich das damals ja auch machen wollen, ist doch ganz natürlich! Und die Jungen nach ihnen werden es auch ihnen wieder gleich tun wollen, schließlich braucht doch jede Generation ihre eigene Identität. Später einmal, wenn es mich lange schon nicht mehr gibt, wird man über einen Text von mir sagen: da, schau mal an. So haben die damals geschrieben. Typisch für diese Zeit. Gaanz typisch. Sieh nur, diese ganzen laxen Formulierungen, so als habe der Autor sein Handwerk nicht verstanden gehabt. Diese fehlenden Anführungszeichen, keine Absätze und keine klar und eindeutig erkennbare Aussage. Alles irgendwie verschwommen und nebulös, nicht richtig greifbar. Weder Fleisch noch Fisch; weder schwarz noch weiß. Und auch keine klaren moralischen Stellungnahmen. Dies wurde dem Leser noch selbst überlassen. Auch was die Interpretation des Textes angeht. Mit diesen Texten musste man sich noch richtig auseinandersetzen; die waren nicht so schnell mal nebenher konsumierbar. Bestenfalls hinterließen sie Irritationen und / oder offene Fragestellungen, damit sich der Leser noch lange nach dem Lesen mit ihm auseinandersetzen musste. Jeder Text ein grober und ungeschliffener Diamant, der erst durch den Leser zu einem Brillianten werden konnte. Ob dies dann auch tatsächlich geschah, das hing einzig und alleine vom Leser ab. Damit hatte der Autor dann nichts mehr zu tun.
Endlich stellte Tobi sein leeres Glas wieder auf dem kleinen Tisch ab, nahm die Flasche Whiskey, die daneben stand, in die Hand, drehte den Verschluss ab, legte den Deckel zur Seite, und goss sich sehr großzügig, denn so war er nun einmal - zumindest zu sich selber - nach. Schließlich stellte er die offene Flasche seufzend wieder auf ihren alten Platz zurück.
Hm, ja, so könnten sie später einmal über meine Texte sagen. Das könnte passen. Oder auch nicht. Denn auch das wird dann nicht mehr in meinen Händen liegen. Die Zeit wird sich selbst ein Bild aus all dem machen müssen. Und soll ich euch etwas sagen? Das ist auch gut so.
 
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Kommentare  

Na, Jochen, ob es wohl Siebenstein dabei NUR um die Fehler gegangen ist?
Er meinte doch wohl auch den Schreibstil, wie manchmal Bücher zu Tode lektoriert werden. Und ich finde in diesem Sinne, sollte man wirklich vorsichter sein, ruhig Fehler manchmal stehen lassen, damit der originelle Schreibstil erhalten bleibt.


Petra (05.05.2009)

Sehr schön flüssig geschrieben, aber - passend zum Thema- mit kleinen Rechtschreib- und Tippfehlern. Du hast zwar Recht. Übertrieben genau brauchen die Schreiber nicht zu sein. Andererseits aber sollten die Texte nicht all zu viele Fehler haben. Sonst kommen wir Leser vom Wege ab, verstehen den Text nicht mehr so richtig. Ich für meine Person freue mich immer wieder, wenn Texte kaum Fehler haben, weil ich daran erkennen kann, dass man sich Mühe für uns Leser gegeben hat.

Jochen (04.05.2009)

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