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8 Seiten

Die Nachtjägerin - eine Vampirgeschichte

Schauriges · Kurzgeschichten · Herbst/Halloween
Ich erwachte, langsam, genüsslich und fühlte mich sofort wohl. Ich öffnete langsam meine Augen, nur einen kleinen Schlitz weit, gähnte und begann mich wie ein Katze langsam zu strecken. Es war stockfinster in meinem Schlafzimmer, das war es eigentlich immer und musste auch so sein. Ich hatte nun wirklich nicht vor mich im Schlaf rösten zu lassen.

Nun drehte ich mich auf die Seite, tastete nach der kleinen Lampe neben dem Bett. Die rotleuchtenden Zahlen meiner Digitaluhr blinkten mich mit vier Nullen an. Nanu? War etwa heute der Strom ausgefallen gewesen? Endlich fand ich den Schalter und die kleine 20 Wattbirne ging an. Obwohl so schwach blendete mich das Licht doch erst einmal. Unwillig kniff ich die Augen zusammen.

Außer meinem großen Bett und dem Nachttisch enthielt mein Schlafzimmer eigentlich nur noch einen großen Kleiderschrank, einen Bodenspiegel und eine großer Voliere. Aus eben dieser blinzelte mich nun Ebrona, meine Eule mit großen Augen vorwurfsvoll an. Zu Früh, schien sie zu sagen, viel zu früh!

Langsam erhob ich mich, gähnte nochmals herzhaft und streckte mich erneut. Dann tappte ich barfuss zum Fenster und zog die Jalousie ein kleines Stück weit auf. Tatsächlich, es war noch zu früh. Die Sonne war noch nicht untergegangen. Interessant!
Eigentlich gehörte ich zu den Langschläfern. Also hatte mich wohl etwas geweckt, aber was? Ich lies die Jalousie wieder los und kehrte zu meinen Bett zurück. Auf dem Weg dorthin öffnete ich Ebronas Zuhause, doch die kleine Eule machte keine Anstalten heraus zu kommen. Ebrona konnte sich frei in der ganzen Wohnung bewegen, nur zum schlafen zog sie sich in den riesigen Käfig zurück. "Nun dann eben nicht, Süße. Spiel ruhig beleidigt." Ich musste lächeln als mich die Eule nur schlaftrunken anblinzelte.
Bevor ich mich wieder auf dem Bett setzen konnte lies mich ein leises Geräusch aufhorchen. Meine Augenbrauen wanderten nach oben. Konnte das wirklich sein? War da jemand dumm genug in meine kleine Villa einzubrechen? Ich schlüpfte schnell in meine Sandalen, die ich im Haus trug, griff mir meinen Morgenmantel und verlies mein Schlafzimmer. Neugierig folgte ich dem Geräusch und fand schließlich seinen Ursprung. Des Tags sind überall in meinem heim die Jalousien heruntergelassen, doch nun stand ich vor meinem Wohnzimmerfenster, dessen Jalousie hochgestemmt worden war. Das Fenster war aufgebrochen. Aus dem Esszimmer kamen die leisen Geräusche und ich folgte ihnen. Dann stand ich lange mit schräggelegtem Kopf im Türrahmen und beobachtete den Eindringling, wie er die Schänke durchsuchte. Ein böses Lächeln umspielte meine Lippen. Langsam bekam ich Durst.

Plötzlich hielt er inne und drehte sich erschrocken um. Der Mann sah gar nicht schlecht aus, jedenfalls für einen Menschen. Jung, vielleicht fünfundzwanzig, muskulös, mit dunklem Haar und braunen Augen. Er sah mich einen Moment überrascht an, dann zog er seine Waffe. Bevor er sie auf mich richten konnte, hatte ich bereits meinen Platz verlassen. Innerhalb eines Wimpernschlags stand ich dicht vor ihm und hatte sein rechtes handgelenk fest gepackt. Verblüfft blinzelte er, dann verzerrte sich sein Gesicht vor Schmerz. Ich verdrehte das Gelenk und schließlich hörte ich das leise Knacken, als es brach. Die Waffe entglitt seinen nun kraftlosen Fingern und er drohte in die Knie zu sacken. Blitzschnell drehte ich mich unter dem Arm hindurch und verdrehte ihm somit den Arm auf dem Rücken. Mit ein wenig nachhelfen meinerseits sank der Mann nun wirklich auf die Knie. Nun griff ich mit der rechten Hand zu, versenkte sie in seinen Haaren und riss seinen Kopf zurück. Er fürchtete sich, ich konnte sein Adrenalin riechen. Oh wie ich es liebte, wenn sie Angst hatten!
Jetzt begann er sogar leise zu betteln.
"Bitte...bitte..."
Das war einfach nur Musik in meinen Ohren. Ganz nahe kam ich mit meinen Lippen an sein linkes Ohr.
"Weißt du," flüsterte ich, "man muss schon ziemlich dumm sein um in das Haus eines Vampirs einzubrechen."
Mit diesen Worten festigte ich meinen Griff, zog seinen Kopf etwas zur Seite und schlug meine scharfen Zähne in seinen Hals. Er zuckte und versuchte sich zu wehren. Doch das lies bald nach, langsam wurde er ruhiger und wurde schlaff in meinem Griff. Jetzt bekam er die erotischlähmende Wirkung meines Bisses zu spüren und eigentlich war es nun sogar unnötig den Mann noch weiter festzuhalten. Das heiße, süße Blut erfüllte meinen Mund und stachelte meine Gier, meinen unbändigen Hunger noch mehr an. Kurz nach dem aufwachen ist der Durst immer am heftigsten und das erste Opfer der Nacht überlebt für gewöhnlich nicht. Über die vielen Jahrhunderte, die ich nun schon existierte hatte ich gelernt mich selbst dann zu kontrollieren. Das machte die ganze Sache noch interessanter.
Aber dieses Mal würde ich mich nicht zurückhalten. Dieser Mensch war in mein Heim eingedrungen, dafür würde er nun sterben! So trank ich weiter und weiter und spürte voller Lust, wie der Körper immer schwächer wurde. Ich konnte hören, wie sein Herzschlag immer schwächer und langsamer wurde und mit dem letzen Schlag lies ich ab von ihm. Man musste den Zeitpunkt gut abpassen. Es war nicht gut über den Tod des Opfers hinaus zu trinken. Zu leicht konnten sie einem dabei mit sich reißen. Hörte man aber zu früh auf überlebten sie vielleicht und wurden zu einem Ghul, also so etwas ähnliches wie ein Zombie. Natürlich konnte man das unterbinden, indem man sein Opfer vom eigenen Blut trinken lies und es dadurch zu einem Vampir machte. Aber dann hatte man den Neuling am Hals. Man musste Jungvampiren erst Kontrolle beibringen, denn sonst töteten sie instinktgetrieben und willkürlich, was geschah wenn man sie alleine lies. Das zog natürlich ungewollte Aufmerksamkeit auf unsereins. Außerdem waren zu viele Vampire an einem Ort auch nicht gut, die Konkurrenz drückte dann gewaltig und es kam zu Kämpfen mit unseresgleichen. Natürlich konnte man auch auf Nummer sicher gehen und sein Opfer nach begangener Tat einfach den Kopf abreißen. So jemand stand gewiss nie mehr wieder auf. Oder man trank sie einfach nicht leer und lies sie am Leben, das ging natürlich auch. Jene lebten einfach ihr Leben weiter und entweder vergaßen sie was geschehen war oder sie getrauten sich nicht darüber zu sprechen, aus Angst, das man sie für verrückt halten könnte. Wenn doch einer redete, dann hielt man ihn meistens für verrückt.
Ich persönlich war immer der Auffassung das es schlicht eine Sache der Übung ist.

Ich richtete mich auf und leckte mir die letzen Blutstropfen von den Lippen. Ebrona hatte nun doch ihre Voliere verlassen und saß nun auf einem nahem Stuhl. Ich sah die Eule mit funkelndem Blick an und grinste.
"Hmm...Frühstück frei Haus. Mal was anderes, nicht war Ebrona."
Die Eule gab nur ein ´Huh´ von sich, blinzelte mich mit ihren großen Augen an und flog schließlich auf meine Schulter.
Ich wandte mich um, stieg über die Leiche und ging Richtung Küche. Dort angekommen nahm ich eine Schale mit Hackfleisch für Ebrona aus dem Kühlschrank und wärmte es etwas in der Mikrowelle vor. Während die Eule ihr Frühstück verspeiste warf ich meine Kaffeemaschine an. Während ich darauf wartete, das mein Kaffee fertig wurde verlor ich mich in Gedanken.
Von wegen Geschöpfe wie ich könnten keine normale Nahrung zu uns nehmen! Tatsächlich mussten wir nicht unbedingt essen, aber wir konnten es durchaus. Auch die Sache mit dem Knoblauch war purer Quatsch. Die Wurzel hatte glatt gar keine Wirkung auf uns, mir persönlich schmeckte sie sogar. Ich aß sehr gerne Spagetti Frute de Mare mit viel Knoblauch.
Was Autoren mit ihrer Fantasie, Aberglaube und Filme alles anrichten konnten. Belustigt schüttelte ich den Kopf.
Wir hatten durchaus ein Spiegelbild. Und wir zerfielen auch nicht zu Staub oder gingen sofort in Flammen auf, wenn wir in die Sonne kamen. Tatsächlich war uns das helle Licht unangenehm und wir bekamen sehr schnell heftigen Sonnenbrand. Da musste man wirklich vorsichtig sein!
Ja klar, wenn wir einen ganzen Tag in der Sonne lägen oder man uns in ein Solarium stecken würde, dann würden wir wohl große Ähnlichkeit mit einem Verbrennungsopfer bekommen. Außerdem wurden wir müde und reizbar im hellem Sonnenlicht.
Dann auch noch das Gerücht das wir keine Kirchen betreten könnten oder auch keine Kreuze ansehen. Nun ich fand Kirchen eigentlich schöne Gebäude und vom Kunsthandwerk her einfach interessant und Kreuze ansehen, das konnte ich auch ohne Probleme. Sie anfassen, ja das war etwas ganz anderes, das tat gemein weh!
Immerhin sind und waren Kreuze ein heiliges Symbol, und ich und die meinigen sind alles andere als heilig, oder gut.

Das Piepsen des Kaffeeautomaten riss mich aus meinen Gedanken. Ich goss mir eine Tasse der heißen Flüssigkeit ein und begab mich in Richtung Terrasse. Ebrona hatte mittlerweile ihr Frühstück beendet und flog zurück auf meine Schulter.
Um den toten Einbrecher machte ich dieses mal einen Bogen.
Ein Blick auf die mechanische Uhr im Wohnzimmer sagte mir, dass Jakob in etwa einer halben Stunde eintreffen würde. Jakob war mein Haushälter und erledigte alle Taggeschäfte für mich. Dazu gehörten auch Bank- und Behördengänge, Einkäufe und Handwerker. Weiterhin hielt er das Haus in Ordnung und kümmerte sich um den kleinen Park, der zu meiner Villa gehörte. Jakobs Familie kümmerte sich schon seit Generationen um meine Bedürfnisse. Schon sein Großvater, sein Urgroßvater und dessen Urgroßvater waren in meinen Diensten gestanden. Sie alle wussten wer und vor allem was ich war. Natürlich gehörten auch eher unangenehme Dienste zu Jakobs Aufgaben, wie zum Beispiel die Überreste ungebetener Besucher zu entsorgen. Besucher, wie jener Einbrecher, der mich heute geweckt hatte. Im Gegenzug für diese Dienste und sein Schweigen wurde er großzügig entlohnt und hatte lebenslanges Arbeitsrecht bei mir.
Jakob war wohl der einzige Mensch, den ich über längere Zeit in meinem Heim dulden konnte. Tatsächlich waren Jakob und seine Familie die einzigen Menschen, die sich nicht vor mir zu fürchten brauchten. Um ehrlich zu sein ich mochte den jungen Mann mit seinen schulterlangen, blonden Haaren und den strahlend blauen Augen, deren Licht nicht einmal das Zusammensein mit einer Jägerin der Nacht zum verlöschen bringen konnte.

Ich ließ mich in einem Stuhl auf der Terrasse nieder, während Ebrona von meiner Schulter zu einem ihrer zahlreich angebrachten Sitzplätze flog.
Genießerisch nippte ich an dem heißem Getränk.
Über die Auffahrt kamen die Lichter eines Autos näher, das musste Jakob sein. Er schien heute etwas früher zu kommen. Mittlerweile war die Sonne untergegangen und die Dunkelheit herrschte über die Welt.

Wenig später hörte ich die Haustüre und dann Jakobs Schritte und seinen überraschten Ausruf.
"Madame? Madame Sabrin?"
Ein Lächeln huschte über mein Gesicht.
"Mir geht es gut, Jakob. Ich bin auf der Terrasse."
Nur wenige Augenblicke später war er bei mir.
"Oh Madame! Was bin ich erschrocken. Ich dachte schon die ´Gruppe Van Helsing´ hätte...!"
Jetzt musste ich richtig lächeln, seine Stimme klang so besorgt.
"Oh Jakob, ich habe es dir schon so oft gesagt. Du musst mich nicht Madame nennen. Ich betrachte dich und Deine Familie als Freunde. Und das heute, das war nur ein dummer, kleiner Einbrecher. Er dachte wohl das die Besitzer dieser Villa verreist wären. Mach Dir nicht so viele Sorgen."
Ein liebenswertes Lächeln huschte über sein Gesicht.
"Ich werde mich sofort um den Körper kümmern."
Und damit verschwand er. Ich blickte ihm nach und konnte nur kurz drauf seine Bemühungen im Esszimmer hören. Dann wandte ich meinen Blick wieder dem dunklem Park zu.

Er hatte von einer sehr realen Bedrohung gesprochen. Vor vielen Jahren war es nur ein einziger Mann gewesen, aber nun war es eine regelrechte Organisation die mit der katholischen Kirche und anderen Religionen zusammenarbeitete. Die Gruppe Van Helsing und ihr einziges Ziel bestand darin, Geschöpfe wie ich es war zu vernichten.
Aber um mich zu erwischen mussten sie schon mehr tun als das was sie bisher taten. Ich hatte ihre Agenten fest im Blick und wenn sie mich entdecken sollten, dann wäre ich einer der ersten, die es erfahren würde.

Ich lehnte mich zurück. Es war erstaunlich wie viel man mit Geld kaufen konnte. Oder wie leicht man daran kommen konnte. Der Verkauf einiger Münzen, die vor vierhundert Jahren kaum etwas wert waren brachte nun viele tausend Dollar. Es war wirklich erstaunlich!
Über die Jahrhunderte hatte ich mir einiges an Vermögen angeeignet. Aber nun mit klugem handeln und ein wenig Geschick an der Börse hatte ich ein großes Vermögen erreicht. Ich besaß mittlerweile nicht nur meine kleine Villa mit Park, sondern auch drei Schlösser und vierzehn Mietshäuser. Außerdem war ich stille Partnerin an drei großen Konzernen. Geld war nun wirklich kein Problem mehr für mich.
Das einzige was ich so alle fünfzig bis siebzig Jahre tun musste war, das ich einen neuen Namen annehmen und mir selbst alles vererben musste. Über diesen abstrakten Gedanken musste ich nun erneut lachen.

Ich reckte mich und war am überlegen. Sollte ich mich heute schick machen und los ziehen? Vielleicht in eine Bar gehen und mir einen hübschen Mann angeln, mit dem ich dann Spagetti essen gehen würde? Und ihn dann mit nach Hause nehmen, wo er erst zu spät entdecken würde, das er der Nachtisch sein würde? Andererseits hatte ich heute schon genug getrunken. Vielleicht sollte ich einfach diese Nacht zu Hause bleiben?

Wie dem auch sei, ich stand auf jeden Fall auf und begab mich zurück in mein Schlafzimmer. Dort suchte ich mir ein Kleid, das schick und bequem zugleich war. Lange bürstete ich mein langes nachtschwarzes Haar. Danach kehrte ich auf meine Terrasse zurück.
Jakob hatte schwere Einkaufstüten bei sich gehabt. Das hatte ich hören und riechen können. Er wusste um meine Vorlieben und er wusste ebenso, wie gerne ich Muscheln aß. Wenn es heute auf dem Markt welche gegeben hatte, dann waren sicher welche in den großen Taschen gewesen. Er war nicht nur ein guter Gärtner und Haushälter, er war auch ein guter Koch. Ich liebte es, wie er die Muscheln zubereitete. Also warum nicht daheim bleiben, wo doch schon meine Gier nach Blut befriedigt war?
Ich beschloss, das wenn Jakob Muscheln gekauft hätte ich diese Nacht zu Hause bleiben würde.

Wie auf ein Stichwort erschien der Mann wieder. Ich lächelte ihn an.
"Ah Jakob, wir werden wohl einen Handwerker brauchen, wegen dem demolierten Fenster." Der Mann nickte. "Jakob, ich habe gesehen, das Du eingekauft hast. Hast Du auch zufällig Muscheln auf dem Markt gefunden?"
Ein Lächeln erfüllte sein Gesicht.
"Oh ja Madame, ganz frische sogar."
"Sehr schön. Ich denke ich werde heute nicht außer Haus sein. Tatsächlich freue ich mich auf ein neues Muschelgericht von dir, Jakob."
Ich konnte seine Freude darüber regelrecht riechen. Er eilte davon.
"Ach Jakob," rief ich ihm hinterher.
Der Mann drehte sich um.
"Nenn mich doch bitte nicht immer Madame. Mein Name ist Sabrin! Und ich möchte auch nicht, das du immer allein in der Küche isst. Wir können auch genauso gut zusammen essen." Ich lächelte warm. "Ich betrachte dich wirklich als Freund, Jakob und es würde mich freuen, wenn du etwas ähnliches in mir sehen könntest."
Er strahlte mich an und ein weiches Lächeln huschte über sein Gesicht.
"Das werde ich gerne, Sabrin. Ich habe ein neues Rezept aufgetan. Gratinierte Muscheln... Was hältst du davon?"
"Hört sich wunderbar an!" Mein Lächeln war echt.
Das kommt nicht oft vor, nur bei jenen, die ich wirklich gerne habe. Und das sind nicht viele.

Jakob verschwand in dunklem Haus, gleich darauf hörte ich ihn in der Küche summen. Ich wandte mich wieder dem dunklem Park zu. Der Mond ging am klarem Himmel auf und taucht alles in ein silbriges Licht. Es war Hochsommer und der Duft des Nachtjasmins erfüllte die Luft mit seinem sinnlichen, süßen Duft. Der Nachtjasmin....
Oh ja, wie sehr ich ihn liebe. Sein Duft hat mich schon betört, bevor ich zu dem wurde, was ich heute bin. Wie lange ist das nun schon her? Wie viel Jahre sind vergangen, seit der Nacht, in der mich Aseran gebissen hat und mir dies neue, schrecklichschöne Leben schenkte?
Ich wusste es nicht mehr. Irgendwann bei zweitausendfünfhundert Jahren hatte ich aufgehört zu zählen.
Aber Aseran gab es nicht mehr, schon lange nicht mehr. Und auch Vlad Dracul, jenen den man nun als Dracula kennt, gab es nicht mehr. Wie viele von den alten, den wirklich alten gab es eigentlich noch?
Ich hatte keine Ahnung.
Eine kurze Traurigkeit umhüllte mich, doch sie verging schnell, als der Duft der frischen Muscheln in meine Gedanken drang. Nun das Leben ob lebendig oder untot war eben so wie es eben war. Auf jeden Fall musste man es genießen, gerade so wie es kam.
Wieder sog ich den Duft des Nachtjasmins ein. Das die Pflanze hier wuchs war Jakobs Werk. Anscheinen hatte sein Großvater ihm erzählt, wie sehr ich diesen Busch liebte und er, Jakob hatte keine Mühen gescheut mir diese Freude zu machen. Vor fünf Jahren hatte er drei der Pflanzen aufgetrieben und hier, nahe der Terrasse gepflanzt. Seither hegte und pflegte er die Büsche und sie gediehen unter seinen Händen prächtig. Und seither spielte der Duft des Nachtjasmins wieder mit der dunklen Nacht und besänftigte meine Sinne.
Die kleine weißen Blüten der Pflanze scheuten das Tageslicht ebenso wie ich selbst. Des Tages schlossen sie sich zu festen kleinen Knospen, aber sobald die Sonne im Abendrot verschwand öffneten sie sich und verströmten ihren wundervollen, betörenden Duft. Ich war Jakob unendlich dankbar, das er mir den Nachtjasmin gepflanzt hat. Ein liebevolles Lächeln spielte um meine Lippen.

Ebrona, meine stille, sanfte Gefährtin der Nacht hatte derweilen in den Park hinein gespäht und gelauscht. Nun erhob sich die kleine Eule auf lautlosen Schwingen. Kurz kreiste sie, um sich dann auf ein kleines Geschöpf im Gras zu stürzen. Ich hatte das wildpochende Herz der Maus auch wahrgenommen und nun hörte ich, wie es verstummte. Wie das Herz meines Einbrechers. Wie das Herz so vieler meiner Opfer, die so unvermutet hatten sterben müssen.
Ein stilles Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Alle die uns für wild und ungebärdig hielten, die hatten niemals einen alten Vampir getroffen. Denn wir die alten, wir waren wie die Eulen. Wir kamen lautlos, unvermutet und brachten den stillen Tod. Wie die Eulen, stille Jäger der Nacht.
Meine Gedanken kehrte zu Jakob zurück. Er war einer der wenigen Menschen, die es verstanden. Die verstanden, was wir waren und wer. Ich war schön öfter versucht, ihn zu einen der unseren zu machen, doch jedes Mal beherrschte ich mich. Als er das erste mal zu mir kam war er grade achtzehn Jahre alt, dies war nun schön zwölf Jahre her. Seither war der Mann immer für mich da. Seit kurzer Zeit brachte er seine jünger Schwester mit. Das achtzehnjährige Mädchen war noch etwas schüchtern mir gegenüber, aber bereits jetzt mochte ich sie. Lilli war ihr Name.
Ich sah Ebrona zu, wie sie ihre Maus verschlang und der Gedanke, der in mir Gestalt annahm war neu, war abenteuerlich und ungewöhnlich. Ja ich wollte Jakob zu einem der unseren machen, ich wollte ihn länger als nur wenige Jahrzehnte bei mir haben. Aber ich würde ihn fragen. Nein ich würde ihn nicht gegen seinen Willen verwandeln, so wie ich es bei vielen getan hatte. Einfach nur weil ich sie mochte, oder weil sie mir gefielen.
Aber Jakob wollte ich fragen, wollte ihm diesen Weg offen legen, ohne ihn zu zwingen. Genau das war es, was an diesem Gedanken so fremdartig für mich war. Ich wollte Jakob nicht zwingen oder zu diesem Dasein verführen.

Es war neu, es war ungewöhnlich, aber das war diese Nacht auch. So ungewöhnlich wie die Nacht, in der ich zuließ das mich Aseran verwandelte, zu einer Zeit als ich noch Serahl hieß.
Der Hochsommer trocknete das Land aus, die Nacht war warm und der Nachtjasmin verströmte seinen betörenden Duft.


Anariel ´06
 
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Kommentare  

Hallöchen,

wie schön, dass euch allen auch diese schon ein wenig ältere Geschichte so gut gefällt.


Huhu Doska,
freut mich, dass du in Serahls Nachtwelt eintauchen konntest. Dann hab ich was richtig gemacht.

Hallo Petra,
das freut mich, dass du tolle bilder vor Augen hattest. Darum ging es mir in dieser Geschichte auch ein klein wenig.

Hallöchen Jochen,
nun das bleibt abzuwarten.
Es gibt ja noch einige dieser kleinen Geschichten über Serhal. Aber schön, dass es auch dir so gut gefällt.

Huhu Rosmarin,
nun einen Hauch Romatik kan man nicht abstreiten und eine gewisse Sinnlichkeit ist sowies vorhandne, wenn es um Vampire geht. Zumindest in den Geshcichten, die ich über sie schreibe.
Naja, auch wenn ich zeitweise ohl ebenso ein nachtgelichter wie diverse Vampire bin, so möchte ich selbst dohc nicht wirklich einer sein. Dafür sitze ich vile zu gerne im Sommer auf Balkonien in der Sonne.
Aber ich schreibe ganz gerne mal so kleine Vampirstorys.


Einen herzlichen Dank an euch alle für die netten Kommentare.

Mit lieben Grüßen


Tis-Anariel (10.02.2010)

hallo, anariel, wenn beide es wollen, ist es ja auch viel romatischer und sinnlicher und währet ewiglich. manchmal wäre ich auch gern ein vampir.
grüß dich


rosmarin (09.02.2010)

Schön, einfach schön, deine kleine Vampirstory und irgendwie glaube ich, dass Jakob nicht nein sagen wird.

Jochen (09.02.2010)

Eine romantisch- verträumte Gruselerzählung. Einfach nur schön. Habe ganz tolle Bilder dabei vor Augen gehabt.

Petra (08.02.2010)

Toll. Sehr guter Schreibstil. In flüssigen fast melodisch klingenden Sätzen lässt du uns Leser in die Nachtwelt der geheimnisvollen Serahl eintauchen.

doska (07.02.2010)

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