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18 Seiten

Ahrok - 7. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Siebtes Kapitel: Massaker

Ruhelos wie eine hungrige Raubkautze marschierte Ahrok in seinem Gefängnis auf und ab. Bei jedem seiner energischen Schritte raschelte das vor langer Zeit ausgestreute Stroh unter seinen Füßen und brachte ihn damit fast um den Verstand.
Seine Zelle war noch kleiner als das Zimmer, dass er sich Zuhause mit seinem Bruder hatte teilen müssen. Bis zur Decke über ihm war nur noch eine Handbreit Platz. Das war zwar hoch genug, so dass sich Ahrok beim Herumwandern nicht den Kopf stieß, aber diese allgegenwärtige Enge beschwor beklemmende Vorstellungen, derer er sich einfach nicht erwehren konnte. Schlimmer als dieses permanente Gefühl des Erdrücktwerdens war noch, dass der Durchmesser dieser Zelle nur wenige Schritt betrug. Ständig musste er auf seiner Wanderung die Richtung wechseln. Und so gaben sich Unwohlsein, Wut und wohl auch ein bisschen Angst ständig die Klinke in die Hand.
Manchmal sah er sich sein Gefängnis etwas genauer an und betrachtete diese kleine, triste Welt. Die Wände, welche er vorfand, bestanden gänzlich aus behauenem Fels und nur an einer Seite wurden sie von dieser schweren Eisentür durchbrochen, die er unmöglich eintreten konnte. Nicht, dass er es nicht trotzdem einige Male versucht hätte.
Auf der anderen Seite gab es in Kopfhöhe ein kleines, vergittertes Fenster, welches ihm ein wenig Licht spendete und dann war da noch Stroh. Beschissenes, trockenes und teilweise auch mal nasses und fauliges, stinkendes Stroh, das raschelte.
Ahrok war im Moment mal wieder stinksauer.
Gerade spielte er erneut in Gedanken durch, wie er die Wächter hätte niederschlagen und sich somit einen Weg in die Freiheit hätte bahnen können. Die alte Mia oder der kleine Valr hätten sich bestimmt nicht so einsperren lassen wie er.
Seine schmerzende Hand und der ungenügende Platz in der Zelle steigerten seine Wut nahezu ins Unermessliche. Unglücklicherweise gab es nichts, woran er sie hätte auslassen können.
Das Geräusch von aufeinander treffenden Waffen, Kampflärm und Jubel drang immer noch durch das Fenster zum Innenhof bis hinunter zu ihm. Offenbar hatten sich dort draußen alle schnell wieder beruhigt und machten fröhlich mit dem kleinen Ausscheid weiter. Er hatte versucht, einen Blick auf die Gestalten zu erhaschen, die noch immer im Innenhof um einen Platz bei der Exkursion kämpften, aber dummerweise gab sein Sichtfeld nur einen kleinen, unbevölkerten Teil des Hofes frei.
Ausgelaugt und von seinem eigenen Zorn erschöpft sank er unter dem Fenster zusammen. Nun, da die Wut langsam verrauchte, machten sich die Schmerzen in der linken Hand umso stärker bemerkbar. Er löste die Schnallen des zerbrochenen Schildes und zog ihn sich vom Arm.
Wütend funkelte er das unfähige Stück Holz an, bevor er es in die nächste Ecke warf. Er hätte es am liebsten angeschrien, aber ihm fehlten die passenden Worte, um einen kaputten Schild zu beleidigen, deshalb blieb es bei dem bösen Blick.
Nach diesem kleinen Ausbruch wandte er sich wieder der verletzten Hand zu. Er konnte sie nur unter Schmerzen bewegen. Die Finger waren in den letzten Minuten bedenklich angeschwollen und gerötet. Ahrok verstand nicht viel von der Heilkunst, also tat er, was ihm am Sinnvollsten erschien. Mit den Zähnen zog er die vielen kleinen Holzsplitter heraus, welche ihm der wilde Schlag ins Fleisch getrieben hatte. Beschissene Elfen! Wenn er könnte, so würde er den Mistkerl gleich noch einmal töten.
Nachdem er alle Splitter entfernt hatte, presste Ahrok seine Finger in eine gerade Haltung und war von da an bemüht, sie nicht mehr zu bewegen, um den Heilungsprozess zu beschleunigen.
Was für ein Scheißtag.
Der Schmerz in seiner Hand war grausam. Nicht, dass sie ihm außergewöhnlich wehtat. Nein, er war Schmerzen gewohnt. Unfälle aufgrund seiner Ungeschicklichkeit und nicht zuletzt Mias folterähnliche Trainingsmethoden hatten ihn abgehärtet, aber das hier war anders. Diese Pein hier ließ nicht nach. Das ewige Pochen und Ziehen bis hinauf zum Ellenbogen machte ihn fast wahnsinnig. Egal wie er seine Hand auch hielt, egal wie er atmete, egal ob er schrie oder still war, es wurde einfach nicht besser.
Wieder einmal schlug er mit der Rechten auf den nackten Fels ein, um sich von den Schmerzen abzulenken.
Diese verdammten Mistböcke! Dieser dämliche Elf! Was hatte er denn Falsches getan?
Es war ein Kampf gewesen, verdammt noch mal! Der Stärkere gewann und der Schwache verschwand. So war es doch. Er hatte nur uralte, unverrückbare Regeln befolgt, die Mia ihn gelehrt hatte.
Einige endlos lange Minuten oder gar Stunden gingen ins Land. Der Lärm vor seinem Fenster ebbte schließlich ab, Stimmen verabschiedeten sich und kurz drauf war es mucksmäuschenstill da draußen.
Die Zeit kroch von nun an im Schneckentempo dahin. Es konnte kaum schlimmer werden. Als dann auch noch die Sonne gänzlich hinter hohen Mauern und Hausdächern verschwunden war, wurde es merklich kalt in seiner steinernen Zelle.
Er wanderte erneut eine gute Stunde in seinem Gefängnis herum und zählte dabei seine Schritte, um nicht an die Schmerzen zu denken. Es half.
Später dann, Ahrok lehnte schon längst wieder an der kalten Steinwand, wurden im Hof Fackeln entzündet und es fiel dann doch wieder etwas Licht in den kleinen Raum. Daraufhin zählte er im Halbdunkel die Strohhalme, bis er müde wurde und einnickte.
Von Zeit zu Zeit rissen ihn die Schritte und Rufe der patrouillierenden Wachleute wieder aus seinem Dösen. Wenn man ihren Rufen glauben konnte, so hatte es gerade elf Uhr geschlagen und nur wenig später vernahm Ahrok dann eine Stimme vor dem Fenster.
„Hey Zwerg! Hier herüber. Ich glaub, ich hab ihn gefunden.“
Ein dumpfer Schlag und ein unterdrücktes Jammern folgten diesen Worten, dann meldete sich jemand dessen Stimme ihm bekannt vorkam: „Ich hab einen Namen, du vermaledeites Spitzohr. Merk dir das! Aber Scheiße noch eins, das wird er wohl sein.“
Zwar konnte Ahrok die Sprecher nur als zwei Schatten vor seinem Fenster erkennen, er war sich aber ziemlich sicher, dass es sich hierbei nur um Ragnar und den komischen Elfen aus der Schlange handeln konnte.
„Ragnar? Ragnar bist du das?“, flüsterte er.
„Na, wer sagt´s denn, unser kleiner Schwerenöter schläft noch nicht. Wie geht’s dir denn so da unten?“
„Mir geht es blendend, einfach wunderbar. Ich amüsiere mich wirklich prächtig mit meinen neuen Freunden. Da wäre zum Beispiel das lustige Fräulein–dreiundzwanzigster–Strohhalm–von–links oder der mürrische Herr–fauliger–Strohhalm, das sind wirklich alles wunderbare Kumpels. Hast du sie noch alle? Mir geht’s beschissen!“, erwiderte Ahrok gereizt. „Wie kommt ihr denn eigentlich hier her?“
„Ganz einfach. Als die unglaublich fähigen Kerle, die wir sind, wurden wir als Eskorte angeheuert. Wir wohnen hier im Haus bis der Jamahl übermorgen wieder kommt. Und da unser Quartier hier ganz in der Nähe ist, haben wir gedacht, wir besuchen dich mal, bevor du hingerichtet wirst.“
„Hingerichtet?!“, Ahroks Stimme überschlug sich.
„Na klar, was dachtest du denn. Die Dienstleute schließen schon Wetten darüber ab, ob du gevierteilt oder nur enthauptet wirst“, grinste der Zwerg im Halbdunkel.
„Was?!“
Ahroks schrille Stimme hallte mit einem Mal über den ganzen Hof.
„Nu sei mal nich so laut. Ja, es stimmt schon, das ist nicht nett von denen. Das haben wir uns alle auch gedacht. Schließlich hast du ja nur ´nen Elfen umgebracht.“
„Was redest du da, Zwerg? So denkst du also darüber?“
Jetzt erst bemerkte Ahrok, dass sich doch mehr Leute vor seinem Fenster versammelt hatten, als nur Ragnar und Natsuki.
„Wer ist denn da noch alles draußen?“
Ein beinahe unnatürlich makelloses Gesicht drängte sich an die Gitterstäbe: „Oh, werter Unglücksrabe, du darfst mich Sashi nennen, den Meisterdieb und Herzensbrecher. Sicher der wichtigste Mann auf der kommenden Expedition.“
„Pah, du ein Herzensbrecher, dass ich nicht lache.“ Das Gesicht wurde beiseite gestoßen und eine Frau blickte zu ihm in die Zelle. „Hey Kleiner, ich bin Elaine. Fährtenleser und die einzig wahre Herzensbrecherin hier in diesem Haufen.“
Noch bevor Ahrok genauer hinsehen konnte, verschwand auch ihr Gesicht und ein pockennarbiger Troll streckte seinen Schädel hin.
„Ich bin Darnoc. Ehemaliger Luftpirat und... ähm... sonst nichts. Einfach nur Luftpirat, dafür aber doppelt so gut. Hey du da unten.“
Das Grinsen des Trolls entblößte einige spitz gefeilte Hauer, die Ahrok zurückweichen ließen.
„Es sind alle gekommen, die heute am Ausscheid teilgenommen haben, na ja bis auf deinen Bruder, der hat gemeint, du sollst jetzt endlich lernen Verantwortung zu übernehmen.“
Das war ja mal wieder typisch Sebastian. Nie war sein Bruder für ihn da, wenn er ihn brauchte.
„Also mach dir mal keine Sorgen. Wir hohlen dich da schon irgendwie raus. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen ... oder nein, doch besser morgen, weil es übermorgen ja schon viel zu spät ist!“
Die Gruppe brach urplötzlich in schallendes Gelächter aus.
Ahrok fand das überhaupt nicht witzig.
„Na, dann mach’s erst mal gut, wir müssen wieder zurück sein zum Mitternachtsimbiss. Man sieht sich... hoffentlich. Buaha.“
Erneut stimmten Sie dieses abscheuliche Lachen an.
Selbst als sie schon lange nicht mehr zu sehen waren vernahm Ahrok noch ihr Johlen und Jauchzen über diesen ziemlich misslungenen Scherz.
Nun, zumindest hatte man ihn nicht vergessen und er schöpfte neuen Mut aus diesem Umstand, auch wenn ihn die Nachricht von seiner geplanten Hinrichtung im Gegenzug wieder etwas mehr beunruhigte. Dennoch etwas weniger aufgewühlt als noch vor ein paar Minuten, legte er seinen Kopf gegen den Stein. Trotz dieser mehr als unbequemen Lage und den nach wie vor unveränderten Schmerzen in der Hand, war er bald darauf wieder eingeschlafen.

Schweißgebadet erwachte er einige Stunden später aus einem Traum, in welchem ihn fliegende Zwerge durch eine düstere und blutverschmierte Altstadt von Märkteburg gejagt hatten.
Sein Herzschlag beruhige sich langsam, während er sich in der Dunkelheit neu orientierte.
Unglücklicherweise war die Realität, in der er sich wieder fand, nicht gerade viel hübscher als als sein jüngst verflossener Albtraum. Noch immer lag er auf fauligen Strohhalmen, atmete modrig, kalte Luft und bekam Rückenschmerzen von dem unebenen Boden.
Das Schicksal meine es wirklich nicht gut mit ihm. Nie! Immer war er der Angearschte. Warum immer er? Andere hatten doch auch ständig Glück, aber er musste ja von allen Leuten in der Stadt einen bekloppten Zwerg treffen, der ihn in diese ausweglose Situation gebracht hatte. Es war ja alles so ungerecht. Er hätte auf einem dieser Luftschiffe mitfliegen können und hätte die Welt von oben gesehen, aber nein! Dieser Zwerg musste ihn ja zu diesem dämlichen Wettkampf schleifen, in dem man seine Elfen nicht erschlagen durfte. Wer dachte sich diese beschissenen Regeln überhaupt aus? Die hatten doch nun wirklich rein gar nichts mit der wirklichen Welt zu tun!
Den Rest der Nacht und einen Großteil des nächsten Tages verbrachte Ahrok in tiefem Selbstmitleid.

Nach schier endlos langer Zeit klopfte es und Ahroks Herz rutschte in die Hose. Den langen Schatten auf dem Hof nach zu urteilen musste es bereits weit nach Mittag sein und niemand hatte sich bislang blicken lassen. Auch von Ragnar und den Anderen gab es bislang keine Spur. Unzuverlässiges Pack allesamt! Was wenn dies nun schon sein Henker war?
„Gefangener, hier kommt deine Tagesration, also stell dich hinten an die Wand“, erklang eine unfreundliche Stimme dumpf vor der Tür.
Ahrok lähmende Angst verflüchtigte sich und auch die verlorengeglaubte gute Laune ließ sich bei dem Gedanken an eine Mahlzeit wieder blicken.
Als sich die Gefängnistür öffnete, kauerte er wie eine zusammengerollte Schlange in einer der Ecken seiner Zelle. Bereit, seine Mahlzeit zu empfangen oder aber auf etwaige Peiniger loszugehen wie ein tollwütiger Hund.
Aus dem Dunkel trat jedoch ein weiß gekleideter Elf mit unerwartet freundlichen Augen, der so gar nichts mit der Stimme von eben gemein hatte. Die Luft war auf einmal gefüllt von herrlichen Wohlgerüchen, die den fauligen Gestank von pissnassem Stroh übertünchten. In seinen Händen balancierte der Mann ein großes Tablett, auf dem verschieden große Schüsseln und Töpfe standen, die herrlich dampften.
Auf Ahroks fragenden Blick antwortete der Bedienstete mit einem Schulterzucken: „Was soll´s, er war eh ein mieser Bastard gewesen und hatte die Tochter vom Koch geschwängert. Früher oder später hätte er sowieso ein Küchenmesser im Rücken gehabt.“ Der Elf grinste so fröhlich, dass Ahrok plötzlich daran zweifelte, tatsächlich wach zu sein. „Hier, das ist für dich, mit besten Grüßen von unserem Koch.“
Das Tablett landete vorsichtig mitten im Stroh zwischen ihnen beiden.
„Für mich?“
„Ja. Es tut mir leid um dich, Junge, aber so bekommst du noch einmal eine gute Mahlzeit.“ Er wandte sich zum Gehen. „Ihr könnt wieder zumachen“, rief er noch den Wächtern zu und dann fiel die Tür wieder ins Schloss.
Noch völlig perplex und in Gedanken versunken öffnete Ahrok die Töpfe mit der gesunden Hand. In einem befanden sich dampfende Knödel, ein anderer enthielt mehrere Brocken verschiedener Fleischsorten, die in einer herrlich duftenden, dicken, braunen Sauce schwammen. Gleich daneben, in einer kleinen Karaffe, befand sich ein halber Liter roten Weins. Nüsse, Äpfel, Brot und allerlei Grünzeug aalten sich dann noch in kleinen Schalen auf dem Tablett.
Sofort machte er sich über dieses Festmahl her. Henkersmahlzeit hin oder her, er hatte wahnsinnigen Hunger.
Sein knurrender Magen verschlang die Köstlichkeiten in atemberaubendem Tempo. Es hatte kaum eine Minute gedauert, bis sein Hungerfühl bereits einer kleinen Übelkeit gewichen war und er sich zufrieden an die Wand lehnte.
Das erneute Quietschen des Schlüssels alarmierte Ahrok jedoch sogleich, denn es konnte sicher nichts Gutes bedeuten. Die Tür gab erneut einen Blick auf den dunklen Kellergang frei, doch dieses Mal betraten zwei Wärter seine Zelle.
„Du, Simon? Das sieht mir aber nicht nach dem üblichen Häftlingsfraß aus, oder?“
Da war die Stimme wieder. Eine böse Ahnung beschlich Ahrok und er stopfte sich sicherheitshalber noch einen ganzen Knödel in den ohnehin schon vollen Mund.
„Nein, Louis, ganz und gar nicht.“ Beide lachten geradezu kindlich vergnügt. „Nun, ich denke, da hat sich der gute Frederik wohl verlaufen. Das sollte wohl eher an uns gehen, oder?“
„Der Meinung bin ich auch, Simon.“ Der Schließer umfasste das Tablett und wollte es Ahrok aus den Händen reißen, aber dieser hielt trotz seiner verletzten Finger kräftig dagegen. Dieses leckere Essen würde er nicht kampflos aufgeben.
Ein rascher, harter Tritt gegen seine Linke erstickte jedoch seinen Widerstand sofort. Das Tablett wurde Ahrok ruckartig aus den Händen geschleudert und der Inhalt der Töpfe und Schalen ergoss sich über den Boden.
„Unser schönes Essen“, tadelte der Wächter.
Ahrok kassierte noch einen weiteren Tritt in die Rippen, bevor die zwei Menschen mit den Resten seiner Mahlzeit belustigt kichernd den Raum verließen.
Mit Tränen in den Augen krümmte sich Ahrok am Boden und verfluchte die Wachen.

„Psst, sei vorsichtig, Sashi“, ermahnte Elaine.
„Bleib locker, Süße. Ich weiß, was ich tue“, gekonnt fingerte der Dieb mit seinen Dietrichen im Schloss der Kellertür und der Riegel schnappte klackend zurück.
„Bitte sehr! So, meinen Teil hab ich getan, jetzt liegt der Rest an euch. Wenn ihr mich sucht, ich bin dann auf meinem Zimmer.“
Bevor auch nur irgendjemand etwas sagen konnte, war der Dieb dann auch schon wieder im Schatten der umstehenden Gebäude verschwunden. Ragnar verzog unverholen angewidert das Gesicht. Wenn er eines nicht leiden konnte, dann waren es Feiglinge und Diebe und dieser Kerl war gleich beides auf einmal.
„Worauf wartet ihr? Suchen wir den Jungen“, kommandierte Elaine. „Ich will echt nicht, dass uns noch jemand entdeckt.“
Der Valr betrat als Erster die Kellergewölbe, gefolgt von der Fährtenleserin und dem Luftpiraten. Sugi Natsuki schlich den dreien mit gespanntem Bogen hinterher, um ihnen so, nach eigenen Aussagen, Feuerschutz zu geben.
Abrupt stoppte der Zwerg und bedeutete den anderen mit der geschlossenen Faust ebenfalls stehen zu bleiben. Leicht piekte Natsukis Pfeil in den Oberschenkel des Trolls.
„Pass auf, wo du mit dem Ding hinzielst! Dass mir der Bogen ja nich losgeht und du mir ein zweites Arschloch schießt“, brummte Darnoc. „Warum halten wir eigentlich?“
Wortlos wies Ragnar auf die drei Wachleute, die sich hinter der Windung auf dem Gang versammelt hatten. Ihren lauten Worten nach zu urteilen, unterhielten sie sich gerade angeregt über ein Kartenspiel.
„Und was machen wir jetzt? Niemand hat etwas davon gesagt, dass es hier Wachen gibt“, quietschte der Elf. Die Panik in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Umhauen“, grunzte Darnoc.
„Das klingt vernünftig“, nickte Ragnar.
„Wartet“, meldete sich Elaine, „Das geht auch anders. Lasst mich nur machen.“
Leichtfüßig wie eine Elfe schwebte sie den drei Uniformierten entgegen.
„Was hat sie vor?“, wunderte sich Darnoc.
„Abwarten“, antwortete der Valr schlicht.
Argwöhnisch beobachteten die drei, wie Elaine sich den Wachen näherte. Ragnar hatte nicht unbedingt ein gutes Gefühl dabei, dieser Frau zu vertrauen, denn die waren für gewöhnlich so unzuverlässig und wankelmütig.
Schließlich wurden die Wächter der jungen Schönheit gewahr, die sich ihnen mit aufreizendem Hüftschwung näherte.
„Hallo, ihr Süßen. Könnt ihr mir helfen? Ich glaube, ich hab hier irgendwo mein Strumpfband verloren.“

„Was geht da vor?“, der Elf piepste vor Nervosität.
Die vier Leute in dem Kellergang vor ihnen begannen ausladend zu gestikulieren und zu lachen. Ein jeder der Wächter versuchte gerade, Elaine mit einer besonders schönen Anekdote für sich zu gewinnen.
„Ich glaube, da läuft was schief“, der Troll griff bereits nach seiner Keule.
„Scheiße. Na fein, wir wollen lieber nichts riskieren. Angriff!“, befahl Ragnar.
Völlig überrumpelt registrierten die zwei Wachleute kaum, wie ihr dritter Mann mit einem Pfeil in der Kehle zu Boden sank, als schon ein großer Troll und ein nicht weniger grimmiger Zwerg auf sie zugerannt kamen.
„Was...?“, brachte noch einer der beiden heraus, bevor ihm die stachelbewehrte Keule des alternden Luftpiraten den Schädel zerschmetterte. Ragnars Kriegshammer traf zuerst den Fuß der letzten Wache, dann riss er seine Faust nach oben und schickte so den vor Schmerzen schreienden Mann ins Land der Träume.
„Was soll der Scheiß?!“, kreischte Elaine. „Mein neues Hemd! Voller Blut! Sagt mal, habt ihr sie noch alle?“ Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf. Das Ragnar fröhlich lachte, schien sie dabei nur noch weiter aufzuregen. „Ihr dämlichen Vollidioten. Ich fass es nicht! Also das reicht jetzt. Ich gehe!“
Elaine stapfte aufgebracht Richtung Ausgang und gab dabei so wüsteste Beschimpfungen von sich, dass den drei Männern die Ohren rot wurden.
Darnoc versuchte sie noch zu beschwichtigen: „Mein Spätzchen, warte doch. Hase... bitte... So warte doch. Wir wollten dir doch nur helfen.“
Wie ein kleiner Hund mit eingekniffenem Schwanz schlich der Troll Elaine hinterher und versuchte dabei möglichst reumütig auszusehen und alle Schuld auf Ragnar und den Elfen zu schieben.
Kurz darauf standen sie beide allein in dem steinernen Gang.
„Tja… Weiber... was gibt´s da noch zu sagen? Ich suche Ahrok und du versuchst hier bei denen einen Schlüssel zu finden.“
Geistesabwesend nickte Natsuki. Der Elf starrte noch immer auf den grässlich zugerichteten Schädel der Wache und bewegte sich keinen Zoll weit.
Der Valr begann derweil an sämtlichen Türen zu rackeln.
„Ahrok? ... Hey, Ahrok, bist du vielleicht hier drin? ... Ahrok?“
Lange Zeit antwortete ihm keiner. Entweder waren die Zellen leer oder die Insassen schliefen so tief und fest, dass sie ihn nicht hörten. Das war bei dem Dunkel in den Räumen selbst für einen Zwerg nicht zu erkennen.
Endlich gab eine Tür seinem Drängen nach und schwang auf. Überrascht sog Ragnar die Luft ein, so etwas hatte er hier unten nun nicht erwartet. Vor ihm lag das wohl sauberste Wachquartier der ganzen Stadt, welches auch gleichzeitig als Lagerraum für dieses Gewölbe diente.
An dem eichenen Tisch mit der goldbestickten Seidendecke, welcher an der Wand stand, hatte man noch bis vor kurzen um Geld gespielt. Eine Kerze flackerte dort immer noch im letzten bisschen Wachs. Ihr Licht beschien eine Handvoll Münzen und Spielkarten sowie zwei Schüsseln mit bereits kaltem Fleisch und Knödeln. In einer Ecke des Raumes, unter einem kunstvollen, jedoch nicht mehr so ganz so modernem Wandteppich, lag ein Haufen Zeugs ordentlich aufgebahrt. Kleinkram vom Geldbeutel über Schmuck bis hin zu Stiefeln. Da nichts davon zusammen passte und auch sonst mit der Einrichtung hier gemein hatte, handelte es sich dabei wohl um die Habseligkeiten der hier Eingesperrten.
An der ihm gegenüberliegenden Wand stand ein großes Regal mit verschiedenen Waffen.
Einige gut gepflegte Hellebarden ruhten dort neben zwei auf Hochglanz polierten Bidenhändern und einem Speer in ihren Halterungen.
„Ragnar? Bist du das da draußen?“, rief jemand aus der Zelle hinter ihm.
„Scheiße, Ahrok, warum meldest du dich nicht?“, schimpfte Ragnar. „Wir suchen dich hier schon ´ne halbe Ewigkeit. Moment, wir haben dich da gleich raus.“
Ragnar wandte sich Natsuki zu: „Wie sieht´s aus? Schon die Schlüssel gefunden?“ Der Elf stand noch immer an derselben Stelle wie vorhin. „Hey, Spitzohr! Schlüssel?“ Er erhielt keine Antwort. „Na gut, dann eben so!“
Ragnar erhob seinen Hammer.
„Nein! Nicht!“, rief Natsuki plötzlich, aber da war es schon zu spät. Ragnars Hammer traf auf die eherne Tür. Wie ein Glockenschlag hallte es durch das ganze Gewölbe.
„Ich bin raus hier.“, der urplötzlich aus seiner Lethargie erwachte Elf war auch gleich darauf verschwunden.
Ragnar hingegen fuhr fort, weiterhin mit voller Wucht auf die Tür einzuschlagen. Nach fünf donnernden Schlägen hatte sich das Metall schon merklich nach innen gebogen.
„Zurücktreten bitte, gleich wird’s zugig da drin.“

Ahrok hatte selten einen so beruhigenden Ton gehört, wie das ohrenbetäubende Hämmern an der Tür. Sein Herz veranstaltete in wilder Vorfreude auf die Freiheit einen Freudentanz. Mit einem gewaltigen Scheppern flog das schwere Tor in den Innenraum. Es störte ihn nicht einmal, dass ihn das große Stück Metall dabei nur um etwa eine Handbreit verfehlte.
„Verdammt, Ragnar, das wurde aber auch langsam Zeit“, lachte er erleichtert. „Die drangsalieren mich hier schon die ganze Zeit.“
„Na, dann komm endlich raus. Oder willst du da vergammeln?“
Ahrok sprang über die zerbeulte Tür hinaus in den Gang.
„Wo geht es denn hier nach draußen?“
Als ob ihm die Götter antworten wollten, stürmte just in dem Moment ein Dutzend Soldaten die Treppe herunter.
„Wir haben sie, Männer! Sie sind immer noch hier unten!“
Befehle wurden gebrüllt, Waffen glitten aus ihren Scheiden.
Es traf seine kurz aufgeflammte Freude wie ein Tritt ins Gemächte, als er die schwerbewaffneten Männer im Fackelschein sah. Sie quollen wie Ameisen in das kleine Kellergewölbe und ließen ihm keine Möglichkeit zur Flucht.
Ragnar stieß ihn in den gegenüberliegenden Raum.
„Vergiss den Ausgang! Hier rein!”
Ahrok stolperte durch die Wucht des Stoßes und kam erst zum Halten, als er an einen Tisch prallte, auf dem die Schüsseln mit seiner Henkersmahlzeit standen. Links davon lag ein Haufen Gerümpel, rechts vom Tisch stand ein Waffenregal und sonst gab es nichts weiter hier. Keinen Weg nach draußen, nicht einmal ein Fenster.
„Hast du mich gerade da drüben raus geholt, um mich hier einzusperren“, fuhr er den Zwerg an. „So ´ne Scheiße aber auch. Was machen wir denn nun?“
Ragnar schob den Riegel vor.
„Also wir legen hier eine kleine, taktische Verschnaufpause ein, du schnappst dir ´ne Waffe und dann... geh´n wir wieder raus.“
„Hast du gesehen, wie viele Kerle da draußen sind?“
„Ja.“
„Und hast du gesehen, dass man mir die Hand gebrochen hat.“
„Hab ich nicht vergessen.“
„Und wie, verdammte Scheiße noch mal, soll ich da bitte ein Schwert führen? Die Mistkerle werden mich in Stücke hacken!“
„Mann, bist du heute empfindlich. Liegt das vielleicht am Stroh?“
„Am Stroh?! Was...? Nein, Mann, das liegt daran, dass ich nicht sterben will!“
„Ja, ja, überlass das mal dem Zwerg.“
Ragnars Ausführungen wurden von einem lauten Hämmern unterbrochen.
„Hier spricht das Sicherheitspersonal des hochgeschätzten Herrn Abliba. Öffnet die Tür!“ Der Valr lachte nur. „Aufmachen ihr zwei! Es hat keinen Sinn, sich zu verstecken, ihr macht die ganze Sache nur noch schlimmer!“
Noch schlimmer? Ahrok lachte verzweifelt mit. Wie konnte es denn noch schlimmer werden?
„Also pass auf, Kleiner. Ich hab da vorhin so ein Ding gesehen… wo war das nur…?“ Ragnar wühlte auf dem Tisch zwischen all den Karten und Silberstücken. „Ah, hier ist es ja.“ Der Zwerg hielt eine kleine Phiole in der Hand. „Trink das.“
„Ich scheiß auf den Schnaps, Ragnar. Wir haben hier echte Probleme. Man kann nicht alles mit Alkohol lösen!“
„Ihr habt es so gewollt!“, erklang die Stimme von vor der Tür. „Schick ein paar Männer los, die ein Brecheisen besorgen sollen.“
„Das ist doch kein Schnaps.“ Ragnar entkorkte das Fläschchen und schnupperte daran. „Ja, ich bin mir sicher, das hier ist wirklich kein Schnaps.“
„Und was dann?“
„Na, das steht doch drauf: ´heildranc´.“
„Scheiße, Ragnar, ich kann weder die Runen lesen noch spreche ich eure Sprache.“
„Also das kann man ja auch wohl verstehen, wenn man der Dwawenspakk nicht mächtig ist. ´Heildranc´ bedeutet so viel wie Heiltrank.“
„Ähm… ja gut. Stimmt. Gib her.“
Er nahm das Fläschchen aus der Hand des Zwerges und schnupperte selber einmal daran. Das roch gar nicht so übel. Es schien eine Art Kräutermischung zu sein.
„Und was ist das jetzt genau?“
„Na ja, so´n Heiltrank ist ´n ziemlich teures Zeugs. Ziemlich aufwendig in der Herstellung. Kräuter, Magie, Pferdepisse… keine Ahnung was da alles drin ist. Der Kerl hier muss ziemlich viel Zaster haben, wenn er es sich erlauben kann, seine Wachen mit den Dingern zu bestücken. Nu trink schon. Das beschleunigt das Zellwachstum und damit die Heilung. Kurz gesagt, du alterst schneller.“
Ahrok, der gerade die Phiole angesetzt hatte, hielt inne.
„Ich was?“
„Na ja, nur ´n paar Tage, vielleicht auch ´ne Woche oder zwei. Was macht das schon? Das ist so, als ob dein Körper sich ´ne Woche lang ausruht, aber eben in ein paar Augenblicken.“
„Das klingt wirklich hilfreich.“
„Ich würd´s aber nicht übertreiben mit den Dingern. Ich kenn ´n paar Leute die sahen mit dreißig schon aus wie siebzig Dank einer Überdosis Heiltränke.“
Ahrok überlegte nicht weiter. Ihm blieb ohnehin keine Zeit mehr.
Das lauwarme, zähflüssige Getränk schmeckte nach Honig, Flieder, Fenchel und noch allerlei Kräutern, die er nicht genau herausfiltern konnte. Ein wohlig warmes Gefühl durchströmte ihn, als der Sirup seine Kehle hinab glitt. Das Zeug war klasse. Es war so lecker wie noch nie etwas in seinem Leben. Seine Schmerzen wichen so rasch, dass er sich kurz darauf fragen musste, ob sie überhaupt jemals real gewesen waren. Ein erfrischendes Prickeln rann ihm durch alle Glieder, selbst seine gebrochene Hand konnte er jetzt wieder mühelos bewegen.
„Whoa! Scheiße! Was ist denn das für´n Zeug gewesen?“
Ahrok bewegte die Finger seiner linken Hand, aber da war kein Schmerz, kein Pochen, kein Ziehen – nichts. Alles war wieder vollkommen verheilt.
Ragnar grinste zu ihm herüber.
„Ja, ja, da staunste, was? Genug Zeit verplempert. Jetzt greif dir lieber eine Waffe. Hier geht es bestimmt gleich heftig zur Sache.“
Ahrok nickte. Ein Kampf war unvermeidlich. Um bei der Wahrheit zu bleiben, er wollte ihn auch gar nicht mehr vermeiden. Reden führte zu nichts. Reden schwangen nur schwache Leute, die nicht die Eier hatten, sich ihr Recht mit Gewalt zu nehmen. Mia hatte ihn vieles gelehrt und das Wichtigste davon war, dass es für die Starken nur einen Weg gab sich zu artikulieren.
Das Schwert.
Er zog einen der beiden Zweihänder aus der Halterung im Regal.
Seinem prüfenden Blick hielt die Klinge durchaus stand. Die Waffe war mit ihren sechs Pfund etwas schwerer als das, was er sonst so in den Händen gehalten hatte, aber sie war gut ausbalanciert. Ihre Klinge war mehrere Zoll breit und gut zweieinhalb Ellen lang, eine schmale Parierstange trennte sie von einem Heft, welches noch einmal eine Spanne maß. Konstante Pflege und seltener Gebrauch hatten dafür gesorgt, dass die Waffe in tadellosem Zustand war.
„Eine gute Wahl“, meinte Ragnar.
Ein grässliches Quietschen erklang, als sich die Brechstange zwischen Tür und Rahmen presste.
„Meinst du?“
„Zieht Männer! Zieht!“
„Ein Schwert passt zu dir“, nickte der Zwerg.
Das Metall bog sich hinter dem Riegel.
„Wir sollten wohl lieber aus dem Weg gehen“, schlug Ragnar vor und hob seinen Hammer, bereit zum Schlag.
Ahrok überflog die Situation. Besonders viel Platz blieb ihnen hier drin nicht. Er trat einen Schritt beiseite und wog die Klinge in der Hand. Andererseits war hier mehr Platz zum Schwingen einer großen Waffe als auf dem Gang dort draußen.
Er griff noch schnell in die Keramikschüssel und stopfte sich einen kalten Knödel in den Mund. Dann brach unter lautem Johlen der Riegel und die massive Tür flog auf.

Während Ahrok sich hastig kauend dafür entschied, jeden seiner Gegner in diesem Raum zu bekämpfen, stürzte sich Ragnar mit lautem Gebrüll auf die Männer.
„Ich hab euch doch gesagt verstecken nützt...“, weiter kam der Soldat nicht. Ein wuchtiger Hammerschlag traf seinen Bauch und schleuderte ihn in die Arme seiner Kameraden.
„Siehst du, Ahrok, so macht man das“, rief ihm Ragnar noch kurz zu, bevor er hinaus auf den Gang stürmte. Ängstliches Schreien, wütendes Fluchen und das Scheppern von Metall bewiesen Ahrok, dass der Zwerg nicht gerade zimperlich mit den überraschten Wachen umsprang. Mit einer derartigen Gegenwehr hatte wohl niemand gerechnet.
Einige Soldaten schafften es jedoch tatsächlich, unbehelligt an dem wilden Valr vorbei zu ihm in den Raum zu gelangen.
Mit einem Mal sah sich Ahrok in einer tödichen Zwickmühle, denn gleich drei dieser einheitlich gekleideten Soldaten umringten ihn mit vorgehaltenen Hellebarden. Ein kurzer Blick nach hinten verriet ihm, dass er nur noch einen guten Schritt Platz bis zur Wand hatte.
Er schluckte den Rest des Knödels herunter. Diesen Waffen war hier schwer beizukommen. Im Gang hätte er ihren Reichweitenvorteil besser ausgleichen können.
„Sich mit einem Zwerg im Tunnelkampf zu messen… ihr habt vielleicht Nerven!“, dröhnte die markante Stimme des Valrs durch das Gewölbe, „Ist das etwa schon alles? Kommt schon, wehrt euch.“
Das ausgestreckte Schwert war alles, was noch zwischen ihm und dem Stahl seiner Gegner stand. Keiner in dem Raum sprach auch nur ein Wort, während von draußen der Kampflärm hereinfloss.
Seine drei Gegner, alles junge Kerle in einer grellblauen Uniform, wagten noch keinen Vorstoß, sondern blickten sich ständig nach dem Geschehen im Gang um.
„Komm schon, Bursche. Erspar und das hier. Gib auf und lass die Waffe fallen, dann wird niemand verletzt.“
Ahrok lachte gereizt. Die Worte seines Gegenübers weckten etwas in ihm.
´Du darfst niemals aufgeben, dafür ist das Leben zu kurz´, war einer ihrer Sprüche gewesen, wenn er wieder völlig erschöpft und erschlagen alles hinschmeißen wollte.
Die drei Soldaten, die ihm an Bewaffnung und Schutz einiges voraus hatten, warteten sicher nur noch kurz darauf, dass er sein Schwert fallen ließ. Natürlich hatte er Angst, aber ein wahrer Krieger besiegt seine Angst. So hatte es Mia ihm eingebläut.
Entschlossen nutzte er einen kleinen Augenblick der Unachtsamkeit. Er riss er sein Schwert hoch und hieb eine der Hellebarden beiseite. Die dadurch in der Verteidigung eines der Soldaten entstandene Lücke war mehr als er benötigte. Sofort schlug er zu. Sein Schwert traf auf Widerstand und malte einen herrlichen Funkenregen auf das Kettenhemd seines Gegners. Die unerwartete Krafteinwirkung gegen seine Rippen warf den überraschten Mann zu Boden und ein Lächeln legte sich auf Ahroks Lippen.
Es war einer dieser wunderbaren, schönen Momente des Kampfes, für die es sich zu leben lohnte.
Seine Gegner waren gut ausgebildet. Ohne zu zögern stießen die Hellebardiere vor und Ahrok vermochte nur mit Mühe den todbringenden Stahlspitzen zu entgehen. Metall schrammte über behauenen Fels und hinterließ tiefe Spuren. Ihr dritter Mann hatte sich währenddessen wieder erhoben.
An Reichweite waren sie ihm überlegen, jedoch nicht an Geschwindigkeit. Sie selbst beengten sich und nahmen sich so den Bewegungsspielraum, den sie benötigt hätten, um ihn zu besiegen. Mias Training war gut genug gewesen, um mit diesen drei Leuten fertig zu werden. Das erkannte er jetzt.
Dem nächsten Ansturm wich Ahrok tänzelnd aus, dabei wirbelte er um die eigene Achse. Sein Schlag traf den ungeschützten Nacken eines der Angreifer und mähte ihn auf der Stelle nieder. Vom Blut ihres Kameraden bespritzt zögerten die beiden anderen Soldaten einen Augenblick zu lang.
Genügend Zeit für Ahrok.
„Ich soll also aufgeben, wie?“, in einer fließenden Bewegung aus einer weiteren Drehung heraus schnitt seine Waffe durch das Kniegelenk des einen und traf ungebremst den Helm des anderen Kämpfers.
Schreiend kippte der Erstere um, während der andere zu Boden glitt.
„Mich wolltet ihr umbringen?“
Ahrok hob sein Schwert. Seine Augen waren vor Erregung geweitet und ein geradezu wahnsinniges Lächeln umspielte die Lippen.
„Ich glaube daraus wird nichts.“
Sein Zweihänder sauste nieder und bohrte sich tief durch die Ringe des Kettenpanzers in die Brust seines Gegners. Er lachte befreit auf. Drei Männer! Es war wie damals im Wald, doch dieses Mal hatte er die Oberhand gewonnen. Ein unglaubliches Glücksgefühl durchströmte ihn. Es war alles so wohlig warm. Da war keine Last mehr auf seinen Schultern und er war für einen kurzen Moment wirklich frei.
Plötzlich riss ihn ein stechender Schmerz im Nacken aus dem Glückstaumel. Erschrocken fuhr Ahrok herum. Er hatte die Welt um sich herum ganz vergessen, doch jetzt hatte sie ihn wieder, denn ein schmuckloser Dolch bohrte sich mehrere Zoll tief in sein Fleisch.
Der Angreifer, ein weiterer Wachsoldat, stierte ihn mit weit aufgerissenem Mund an. Die Angst in den Augen des Mannes war unverkennbar.
„Ich… ich…“, der Mann wollte zurückweichen, stolperte dabei aber über die Körper seiner Kameraden und fiel der Länge nach hin.
Ahrok befühlte seinen Nacken. Nur wenige Zoll weiter links und es hätte seine Halsschlagader erwischt. Mit einem kräftigen Ruck riss er seine Waffe aus dem toten Leib unter ihm.
„Du bist also auch so einer, der mich töten will.“
Er zog sich den Dolch aus der Schulter und warf diesen zu Boden.
„Nein, warte, warte. Ich wollte nicht…“, die restlichen Worte des Mannes wurden durch das Schwert in seiner Kehle erstickt.
Ahrok nahm die Welt nur noch verschwommen war. Er hatte mit einem Mal schreckliche Kopfschmerzen. Eine wilde Freude übermannte ihn, gepaart mit unsagbarem Zorn.
Aus dem Gang tönte immer noch unverändert der Kampflärm.
Der Schmerz wurde völlig vom Blutrausch hinfort geschwemmt. Wie ein wildes Tier warf er sich brüllend der Menge entgegen.
Blindwütig hieb er nach links und rechts. Jeder Treffer forderte seinen Tribut. Seine Kleidung war mittlerweile über und über mit Blut besudelt, nur wenig davon war sein eigenes. Im Gang erklangen die panischen Stimmen der Fliehenden und Schwerverletzten wie weit entferntes Rufen.
Der letzte Soldat, der sich Ahrok entgegenstellte war ein junger Bursche. Er hatte den rechten Moment zur Flucht verpasst und jetzt ging es für ihn weder vor noch zurück. Seine vorher wohl nie benutzte Waffe ungeschickt von sich gestreckt starrte er Ahrok mit schreckgeweiteten Augen an und arbeitete sich langsam rückwärts Richtung Ausgang.
Er hielt sein Schwert viel zu verkrampft und wenn er auch nur einen weiteren Schritt nach hinten wich, so würde der Junge über blutige Leichenteile stolpern.
Ahrok sah ihn nur schemenhaft. Es war, als würde er die Welt durch einen blutroten Schleier wahrnehmen, der alles ausblendete, was kein Feind war.
„Bitte... bitte, tu mir nichts. Tu mir nichts. Ich wollte doch nicht... Ich bin doch erst fünfzehn. Lass mich bitte einfach gehen“, flehte er.
Dicke Tränen kullerten über das jugendliche Gesicht.
Ahrok hörte die Worte zwar, doch sie drangen nicht bis zu ihm durch. Sein Schwert glitt mühelos durch den Jungen und prallte gegen die Tunnelwand.

„Ich glaube, das hätten wir“, keuchte Ragnar und hielt sich die Brust.
Ahrok kam langsam wieder zu sich. Die Welt vor seinen Augen wurde wieder klarer und auch die Kopfschmerzen verflüchtigten sich. Zu seinen Füßen lagen neunzehn Männer. Manche bewusstlos, andere tot oder schwer verletzt. Ihr Schreien und Stöhnen waren die einzigen Geräusche, die er noch wahrnahm.
Der Zwerg an seiner Seite blutete aus sechs unterschiedlich tiefen Wunden, hielt sich aber dennoch standhaft auf den Beinen.
´Nur ein toter Gegner, ist ein besiegter Gegner´, drang ihm Mias Leitspruch in den Kopf.
Solange noch einer der Männer hier lebte, war er in Gefahr, also schritt er zwischen den Verwundeten und Ohnmächtigen hin und her und rammte ihnen sein Schwert in die Brust.
„Tja, Ragnar, das hätten wir dann jetzt wohl wirklich. Saubere Arbeit.“
Ahrok lachte, aber es war ein schales, aufgesetztes Lachen, das nicht so recht passen wollte.
Die unbändige Freude, welche zuvor von ihm Besitz ergriffen hatte, war verschwunden. Das Blut seiner Gegner, ihre Schreie, das Adrenalin im Moment der Gefahr, wenn er das eigene Leben wegwarf, um das seines Feindes zu nehmen – das alles war ein unbeschreiblich schönes Gefühl gewesen, aber jetzt...
Nachdem dieses Hochgefühl verschwunden war, war alles leer.
Es gab keinen Siegestaumel und keinen Freudentanz.
Ahrok musste sich stattdessen zusammenreißen, um den aufkeimenden Würgereiz unterdrücken.
Den Verletzten zu seinen Füßen nachträglich noch das Leben zu nehmen hatte sich falsch angefühlt, aber wie konnten Mias Lehren falsch sein? Sie war die Einzige, die es je gut mit ihm gemeint hatte. Sie hatte ihm gezeigt, wie ein großer Mann zu handeln hatte und das war eben nicht immer leicht.
Seine Kleidung klebte ihm nasskalt in einer Mischung aus Blut und Schweiß am Körper. Die angespannten Muskeln erschlafften wieder und auch der Schmerz setzte nun wieder ein. Er atmete tief durch, um seine Zweifel zu verscheuchen. Mias Lehren waren richtig!
Ahrok fuhr sich mit der blutgetränkten Hand durch die Haare.
Nahezu zwei Dutzend Männer im Alter von fünfzehn bis vierzig lagen reglos um ihn herum. Ihre Knochen zerschmettert, ihre Gliedmaßen abgetrennt. Erschlagen, verblutet oder nachträglich abgestochen. Mit leeren Augen und panisch verzerrten Gesichtern blickten sie ihn anklagend an.
Es war ein abstoßender Anblick.
Er hob seine Waffe prüfend ins Licht, um seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.
Eine Menge Blut klebte an der Klinge und sie hatte hier und da ein paar Kratzer von den Ringen der Kettenpanzer abbekommen, aber sie hatte sich mehr als nur bewährt. Er würde das Schwert behalten. Sozusagen als Ausgleich dafür, dass man ihm seine Trainingswaffe und die Fellrüstung abgenommen hatte.
Irgendwo mussten diese Kerle ja auch seinen Beutel mit dem Silber und Mias Brief hingeschafft haben, aber dummerweise konnte Ahrok jetzt keinen mehr fragen, wohin genau man seinen Besitz gebracht hatte.
Er nestelte also einen Geldbeutel vom Gürtel eines der Erschlagenen und verstaute daraufhin eilig alle Wertsachen der Toten darin, die er auf die Schnelle fleddern konnte. Münzen, Ringe, Ketten – einfach alles was die Leichen bei sich trugen. Schließlich hatten die nun keine Verwendung mehr dafür.
„Also um Geld brauchen wir uns erst einmal keine Sorgen mehr machen. Wie sieht es bei dir aus, Ragnar?“
Der Zwerg antwortete nicht. Er lehnte nur schwer atmend an der Wand und hielt sich die Brust. Dort klaffte seine größte Wunde. Das Blut quoll unaufhörlich daraus hervor. Es rann ihm durch die Finger und tropfte in eine große Lache zu Ragnars Füßen. Eine Axt oder Hellebarde musste den ungeschützten Oberkörper des Zwerges mit beachtlicher Wucht getroffen haben, um eine solch grässliche Wunde in sein Fleisch zu reißen.
Sogleich zog Ahrok sein Hemd aus.
„Hier, Ragnar. Nimm das, um die Blutung zu stoppen.“
„Ach was...“, röchelte Ragnar. „So einen Kinderkram braucht ein Zwerg nicht.“
„Und ob du das brauchst.“
Ahrok gelang es trotz Ragnars obligatorischen Gegenwehr, aus seinem Hemd einen provisorischen Verband für den Zwerg zu fertigen. Es war sicher nicht seine beste Arbeit, aber vorerst versiegte der Blutschwall in dem dreckigen Stoff.
„So, bin doch schon fertig. Hör auf zu jammern.“
„Jammern? Jammern?! Valr jammern nicht! Kein Zwerg tut so was. Na warte, bleib stehen, damit ich dir in deinen hässlichen Menschenhintern treten kann“, keuchte Ragnar.
Ahrok lachte kurz auf und lief an ihm vorbei, den Gang entlang ins Freie.
„Was für ein Monster, was für ein Schlächter...“, murmelte Ragnar, dann folgte er dem jungen Menschen hinaus in die Nacht.
 
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Kommentare  

Na, das war ja man gut, dass Ahrok da nicht drin bleiben musste, in diesem Gefängnis, denn der nächste Tag hätte wohl nicht so schön für ihn ausgesehen. Ragnar zeigt ihm was Freundschaft heißt. Gut dass da auch ein Heilmittelchen zur Verfügung steht. Ahrok ist wie ein großer Junge, total naiv und ein wenig dumpf im Denken. Deswegen wird er wohl auch nicht allzu viel Mitgefühl für andere Personen haben und ich glaube Ragnar empfindet da ähnlich. Die zwei Krieger passen eben zusammen.

Jochen (18.08.2010)

das mit der hand liest sich gar nicht gut, das mit der bunten rettungstruppe dagegen sehr. ;) und vor allem das mit dem heiltrank, der aber wohl so 'ne art zeitbeschleuniger ist und sehr sparsam eingesetzt werden sollte. wie auch immer, excellent beschrieben, dieser blut- und kampfesrausch und auch die ernüchterung danach.
lieben gruß


Ingrid Alias I (18.08.2010)

Hallo Petra.
Vielen Dank für die lieben Kommentare!
Mich überrascht es schon fast, wie du immer noch solch Sympathie für den naiv-brutalen, ja fast schon sadistischen Protagonisten der Geschichte hegen kannst :)


Jingizu (18.08.2010)

Also, ICH hätte das auch nicht nett gefunden, wenn sie Ahrok gevierteilt oder geköpft hätten:-) Darum war es gut, das Ragnar und seine Freunde Ahrok helfen konnten. Ragnar scheint zufrieden mit Ahroks Kampfkünsten zu sein, denn "Schlächter" ist wohl das anerkennenste Wort, das ein Zwerg für einen Menschen finden kann. War wieder sehr schön.

Petra (17.08.2010)

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