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24 Seiten

Ahrok - 11. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Elftes Kapitel: Auf eigene Faust

Innerhalb der nächsten Tage trafen die Kanalwächter bei ihren Patrouillen auf keinen einzigen Weißen mehr, obwohl Ragnar Stein und Bein schwor, dass er ihren Geruch in der Nase hatte. Quod und die anderen verhielten sich aber dennoch weitaus stiller als die Tage zuvor. Ihre Gesänge waren gänzlich verstummt und jeder hielt seine Waffe griffbereit, für den Fall, dass sich eines der Echsenmonster blicken lassen sollte.
Tage vergingen, Nächte krochen dahin und Ahrok verbrachte die ganze Zeit liegend auf seiner kleinen Pritsche. So oft er konnte, erneuerte er den Verband und verbrauchte dabei fast alle Vorräte von der Salbe.
Kehrten die Wächter angespannt und übel gelaunt von ihren Runden zurück, so sprachen sie nicht mehr miteinander. Man schwieg sich in den Abendstunden an, schärfte seine Waffen so lange, bis der Stahl fast unbrauchbar dünn wurde oder trank seine Furcht hinfort. Von unsichtbaren Schauergeschichten geplagt zu werden war für die meisten schlimmer, als jedes greifbare Monster.
Vielleicht nicht für Ragnar, aber der Zwerg war ohnehin nie sonderlich gesprächig.
Eine ganze Woche strich so öde und ereignislos dahin.
Am Vormittag des zehnten Tages, Ahrok war seit diesem Tag wieder ein als einsatzbereit eingestuftes Mitglied der Kanalwacht, suchte sie ihr Sergeant zu einer außerplanmäßigen Dienstbesprechung auf.
„Soldaten der Kanalwache Trupp zwei, angetreten!“
Die Wächter wechselten nur ein paar missmutige Blicke, bevor sie sich die meisten verkatert und ungewohnt früh aus ihren Betten quälten. Niemand sprach ein Wort, um nicht in der Gegenwart eines ranghöheren Soldaten unangemessen ausfallend zu werden.
Nachdem sich die Kanalwächter um Quod dann alle wenig enthusiastisch vor der Schlafbaracke versammelt hatten, begann der Sergeant seine Ansprache: „Soldaten, hört gut zu. Ich komme heute zu euch wegen des Zwischenfalls von vor einer Woche. Ich habe die Angelegenheit mit unserem Hauptmann höchstpersönlich diskutiert und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass dies alles ein großes Missverständnis war. Die offizielle Version lautet, es gibt keine Weißen in unserer schönen Stadt! Verstanden?“
„Wha? Wir schicken keine Armee darunter, um die Viecher auszurotten, solange noch Zeit ist?“, protestierte Ragnar sofort energisch.
„Du hast mir offenbar nicht zugehört, Soldat!“, bellte der Sergeant sogleich wütend. „Es gibt hier keine Echsenmonster! Solche Dinge, wenn es sie überhaupt einmal gegeben haben sollte, sind rein dämonischer Natur. Somit ist es völlig unmöglich, dass sich diese Wesen heutzutage noch hier aufhalten würden. Wieso habt nur ihr beide sie gesehen? Wieso tauchen sie nicht mehr auf, obwohl wir in den letzten Tagen explizit nach ihnen gesucht haben? Ganz einfach, weil es sie nicht gibt. Wie ich bereits von Anfang an vermutet habe, leidet ihr zwei an einem Kanalkoller. Trugbilder, ausgelöst durch die schlechte Luft und die Dunkelheit.
Es ist ein verbreitetes Phänomen unter den Neulingen der Kanalwacht.
Somit ist es also völlig unnötig, etwas zu unternehmen. Unsere Aufgabe ist es, die Stadt zu schützen und sei es nur vor einer Panik, die diese bisher ebenso unbestätigte wie auch unmögliche Nachricht auslösen würde. Weiterhin ist es uns untersagt den F Sektor in den nächsten Wochen zu betreten. Offensichtlich setzen die Dämpfe dort unten unseren Kanalwächtern zu sehr zu. Das ist ein ausdrücklicher Befehl von Hauptmann Schreiber persönlich. Haben das alle verstanden?“
„Jawohl, Herr Sergeant“, murmelten die Wächter, zufrieden diese ungemütliche Episode endlich aus ihrem Leben zu wissen.
„Ich hab dich nicht verstanden, Soldat?“, wandte er sich an Ragnar.
„Ja, hab ich“, knirschte dieser.
„Gut. Das wäre dann alles. Es gibt ohnehin genug Ärger in Märkteburg, da dürfen wir nicht mit solchen märchenhaften Schauergeschichten unsere braven Bürger verschrecken! Es ist ja nicht so, als ob wir nichts zu tun haben. Also dann, an die Arbeit, Männer. Weggetreten!“
Der Sergeant machte kehrt und verschwand wieder aus dem Blickfeld der betretenen dreinblickenden Soldaten.
„So eine Scheiße!“, Ragnar stampfte wütend mit dem Fuß auf.
„Und was nun?“, fragte Ahrok in die Runde.
Sein Bein schmerzte noch immer bei jeder Bewegung, aber die Wunde war mittlerweile mit dickem Schorf bedeckt und würde in ein paar Wochen als eine hässliche Narbe enden, seine erste richtige Narbe wohlgemerkt. Breit und selbst unter den vielen Haaren leicht zu erkennen.
„Sieht so aus, als müssten wir uns allein darum kümmern“, erklärte Ragnar so gelassen, als hätte das Gespräch mit dem Sergeanten gar nicht stattgefunden. „Leute, die Stadt braucht uns. Wir gehen heute in den Sektor F!“
André nickte zustimmend und Hideki tat so, als hätte er den Valr nicht gehört.
„Hast du nicht gehört, was der Sarge gesagt hat“, mischte sich Quod ein. „Du missachtest einen direkten Befehl! Das ist unmoralisch. Schlimmer noch, dafür können wir gehängt werden!“
„Stimmt, aber bedenkt doch einmal die Alternative. Was ist, wenn ich Recht habe? Und Scheiße noch ein, ich habe Recht. Was ist also, wenn dieser Befehl unsinnig ist? Wenn der Hauptmann falsch liegt? Was wenn...“
„Lalalalala, ich hör ja gar nicht hin. Lalalalala“, Quod hielt sich die Ohren zu und verschwand so schnell er konnnte wieder in der Baracke.
Ahrok wusste nicht, was er von den Ereignissen der letzten Minuten halten sollte. Nur eines war glasklar, wenn sich Ragnar nicht irrte, dann mussten sie schnell was unternehmen. Außerdem war da dieses seltsame Verlangen nach Blut, welches sich seit Tagen Stückchen für Stückchen aus dem Schatten vergessener Erinnerungen hervorarbeitete.
„Was steht ihr da noch so herum?“, Ragnar wuchtete sich seinen Hammer auf die Schulter. „Wir müssen los. Es gilt ein paar Monster zu erschlagen. Helden zu werden und... sowas.“
Ohne darauf zu warten, ob ihm jemand folgt, stapfte er auch sogleich hinüber zur Luke und kletterte hinab in die Kanalisation. Ahrok folgte ihm, noch immer vorsichtig humpelnd, auf dem Fuße. André lief den Beiden nach kurzem Zögern hinterher und auch Hideki schloss sich den dreien an.
Quod, der das ganze vom Barackenfenster aus beobachtet hatte, reihte sich griesgrämig in die Schlange ein.
„Ich sag euch, das ist ein Riesenfehler, den wir da machen!“

Hauptmann Bernhard erinnerte sich ungern an den gestrigen Tag. Sein neuer Meister hatte erfahren, dass ein paar übereifrige Idioten von der Kanalwache eine kleine Gruppe der Weißen entdeckt hatten und dieses schon so früh, dass die ganze Aktion dadurch gefährdet werden konnte.
Eine ihrer Patrouillen war von gerade einmal zwei Kanalwächtern beinahe komplett aufgerieben worden. Zwei Kanalwächter gegen ein ganzes Rudel Echsen. Bernhard hatte sich ein verstohlenes, stolzes Lächeln erlaubt, als er von dieser unschönen Nachricht gehört hatte. Er hätte diese Leute mit Belobigungen überhäuft, wenn sie ihm unter anderen Umständen begegnet wären. So jedoch hätte er sie am liebsten an den Galgen gebracht, aber eine derart unverhältnismäßige Bestrafung war vor seinen Vorgesetzten nicht zu rechtfertigen.
Wie hatte das Ganze überhaupt geschehen können? Er selber hatte doch weit über die Hälfte, der sowieso schon unterbesetzten Kanalwacht entlassen und das Betreten bestimmter Sektoren untersagt.
Es hatte sich hierbei nur um einen Fehler dieser unfähigen Schlangenmonster handeln können. Ihn traf nicht die geringste Schuld. Zum Glück hatte er seinen Meister auch hiervon überzeugen können und dieser hatte ihm zur Strafe nur einen einzigen Zeh genommen. Es war nur ein kleiner Zeh gewesen, nicht lebenswichtig, kosmetisch unbedenklich und auch nicht auffällig, nun da er fehlte.
Diese Kanalwächter hatten seinem Plan zwar nicht geschadet, aber ihn zur Eile gezwungen. Die Dinge mussten von nun an beschleunigt werden, da die Gefahr der Entdeckung noch immer über ihnen schwebte. Also hatte er um ein weiteres Treffen mit einem dieser schuppigen Biester gebeten und das Vieh war wie üblich wieder viel zu spät.
Wenn diese widerlich stinkenden Reptilien so intelligent waren, wie sie immer behaupteten, warum konnten sie dann nicht einmal pünktlich sein? Es war immerhin nicht ungefährlich für ihn, sich hier herumzutreiben. Bernhard trug einen mausgrauen Umhang mit Kapuze und einige alte Lumpen, außerdem hatte er sein Gesicht geschwärzt, so dass ihn auch bestimmt niemand erkannte, während er hinter seinem Haus in die Kanalisation stieg, um einen dieser „Erleuchteten“, wie sich die Herrscherviecher der Weißen nannten, zu treffen.
Solch ein spontanes Treffen mit häretischen Völkern war eines der vielen Wagnisse, die ein vorsichtiger Mann wie er sehr ungern einging. Sollte die Inquisition auch nur den Hauch eines Verdachts hegen, dann würde er ohne lange Debatte auf dem Scheiterhaufen landen.
Bernhard atmete tief durch.
Der Gestank der Fäkalien war an dieser Stelle zum Glück nicht so stark, da dieser Ort doch einige Schritt von dem bräunlichen Fluss entfernt lag, der hier unabänderlich vorbeischwappte. Der Stadt fehlte es an Regen, um die Kanalisation einmal wieder kräftig durchzuspülen.
Als er den Lichtquarz zum Glimmen brachte, den er unter dem Mantel trug schreckte er zurück. Um ihn herum standen ganze zwölf muskulöse Echsenkrieger in voller Montur. Ihre Schuppen waren glatt und besaßen einen roten Schimmer, der ihn an das Schuppenkleid einer Kornnatter erinnerte. Die spitzen Zähne, von denen er nicht wusste ob sie tatsächlich so wuchsen oder nur gefeilt waren, blinkten strahlend weiß und ihre Rüstungen schimmerten in Gold und Silber. Sie betrachteten Bernhard scheinbar mit völligem Desinteresse, so wie eine satt gefressene Katze eine vorbeihuschende Maus ansehen würde, dennoch war er sich sicher, dass eine einzige falsche Bewegung ausreichen würde, damit diese Bestien sich auf ihn stürzten.
Bernhard starrte wie gebannt auf seine Füße, um die Echsen nicht ansehen zu müssen.
Nach einigen Momenten ungemütlichen Schweigens öffneten sie endlich den Kreis um den Hauptmann und eine weitere, imposante Gestalt schritt gemächlich zwischen den athletischen Weißen hindurch. Die riesige Echse stützte sich auf einen metallenen Stab, der bei jedem ihrer Schritte leise klirrte. Wie ein Kampfstab sah dieser jedoch nicht aus, was nur zwei andere Möglichkeiten offen ließ. Entweder war es nur ein modisches Accessoire unter Schamanen, oder aber dieser Erleuchtete war ein Magus.
Neben dem Stab trug sein Gegenüber nur einen schlichten Lendenschurz und jemand hatte seinen bleichen, schuppigen Körper mit blutroter Farbe und seltsamen, kindlichen Symbolen bemalt.
Es war schwer diese Wilden ernst zu nehmen, einzig das bernsteinfarbene Augenpaar, welches Bernhard aus den Höhlen eines mit Federn geschmückten Totenschädels heraus anfunkelte, riet Bernhard zur Vorsicht.
„Karog guz Nagg, M-m-mensch. W-w-wir haben Ssssssie schon erw-w-w-wartet, Hauptmann. Die Ereign-n-nisssssssse der letzten W-w-w-wochen machen unsss Ssssorgen“, zischte eine tonlose Stimme.
Bernhard erkannte sofort, dass die Kehle dieser Missgeburten nicht für die menschliche Sprache geschaffen war. Trotz des mulmigen Gefühls hier inmitten dieser Monster musste er sich ein Grinsen verkneifen. Stotternde Dämonen. Die finsteren Götter hatten also auch Humor.
„Verzeihung“, antwortete er schlicht. „Ich garantiere, dass das unglückselige Missgeschick neulich nichts an unserem Vorhaben ändert. Hier sind alle Pläne, die Ihr wolltet.“
Bernhard zog ein kleines Bündel sorgsam verschnürter Dokumente aus seinem Mantel. Hierbei handelte es sich um Karten der Oberstadt, sowie genaue Aufzeichnungen über die Kanalisation und ihre Ausgänge. Es waren Pläne, die für einen Hauptmann leicht zugänglich und für eine heimliche Invasion unverzichtbar waren.
Eine bemalte Schuppenhand nahm sie von Bernhard entgegen und als die Krallen des Erleuchteten seine Finger streiften, konnte der Hauptmann ein leichtes Erschaudern nicht unterdrücken. Während seiner Studien über dämonisch befleckte Wesenheiten war Bernhard schon des Öfteren über Bilder von Weißen gestolpert, aber mit ihnen Auge in Auge gegenüber zu stehen, war dennoch jedes Mal beklemmend.
„Sch-sch-sch... schhhhhhhön“, die Echse blickte aufmerksam auf die Zeichnungen und Baupläne, er ihr gerade ausgehändigt hatte. „L-l-losss, erklär mir noch di... di-di... diiiiii... erklär mir dasss da!“, der Erleuchtete wies mit dem Finger auf diverse Symbole und Schriftzüge, welche Straßennamen und Ortsbezeichnungen darstellten.
Bernhard schnaubte missmutig. Er hatte seinem Sergeanten erzählt, er wäre nur kurz außer Haus. Schließlich hatte sein Plan nicht vorgesehen, dass er sich dermaßen lange in der Nähe dieser Viecher aufhalten musste.

„Halt! Ich glaub da vorne ist was?“, flüsterte Ragnar.
Ahrok war sofort in Alarmbereitschaft, denn er hatte keinen Grund an den Fähigkeiten des Zwerges zu zweifeln.
„Was ist es denn?“
„Beim gütigen Erwachten, das ist ein Fehler. Wir werden alle aufgeknüpft. Ich seh uns schon baumeln“, ertöne Quod zum wohl hundertsten Mal. „Hier, fetter Strick, mitten um den Hals… ich krieg jetzt schon kaum noch Luft.“
„Dort hinter der Ecke sind einige Weiße, aber ich höre auch Stimmen.“
„Ja klar, wir suchen die Viecher seit zehn Tagen, aber heute laufen die uns sofort ins Messer.“
„Scht!“, kommentierte Ragnar die spöttische Bemerkung des Zwergentrolls.
Vorsichtig schlichen sie bis zur Windung des Ganges und blickten in die Richtung, die Ragnar ihnen angewiesen hatte. Dort, nicht einmal achtzig Schritt entfernt, stand ein volles Dutzend dieser Echsen im schwachen Schein eines Lichtquarzes und umringte einen Menschen in einer grauen Kutte.
„Ach du Scheiße…“, entfuhr es Quod.
„Kennt jemand diesen Kerl dort?“, flüsterte Ragnar.
„Scheiße, Scheiße, Scheiße was geht denn hier ab? Das sind… oh Mann, hast du das gesehen? Die sind locker zwei zu eins in der Überzahl“, Hidekis Stimme versagte beinahe Vor Aufregung und Angst.
„Ja, wir sollten näher rangehen, dann können wir vielleicht auch das Gesicht des Kerls da erkennen.“
„Du hattest Recht, Zwerg“, räumte Quod ein. „Es war wichtig, hier her zu kommen. Wir müssen unsere Vorgesetzten sofort davon unterrichten. Nicht nur, dass es sie wirklich hier in unserer schönen Stadt gibt, Monster, die sich mit Menschen einlassen… das stinkt nach Verrat!“
Plötzlich straffte sich einer der Weißen, legte den Kopf schräg und horchte aufmerksam in die Richtung der Kanalwache. Wie auf Kommando drehten sich dann auch alle anderen Echsenköpfe in ihre Richtung. In aller Eile hastete der vermummte Mensch die Leiter hinauf zur Strasse und eine riesige Gestalt unter den Weißen raffte schnell einige fallengelassene Zettel zusammen, um dann flink in entgegengesetzter Richtung zu verschwinden.
„Sie haben uns entdeckt. Holt sie euch!“, donnerte Ragnars tiefe Stimme durch die Tunnel.
Aus der Mitte der fliehenden Echsen flogen plötzlich ein paar faustgroße Kugeln in Richtung der heranstürmenden Soldaten. Sie prallten an den Kanalwänden ab und hüpften aufgeregt über den feuchten Boden. Mit sprühenden Funken brannten die kleinen Lunten der Kugeln rasend schnell herunter.
„Runter vom Weg! In Hadwins Namen, geht in Deckung!“, die Stimme des Valr überschlug sich fast, als er die Warnung herausschrie.
„Was? Wieso, ich ...“
Da erhielt Ahrok auch schon einen Stoß und er wurde vom Steg hinab in die Tiefe gerissen.
Er geriet mit dem Kopf unter Wasser, stieß mit den Knien an einen Stein und wollte schreien, doch als er registrierte, das Ragnar ihn soeben in die Kloake geworfen hatte, vergaß er den Schmerz und stattdessen wurde ihm schlagartig schlecht. Das mit Exkrementen und Abfall verzierte Wasser drängte sich ihm durch die Kleidung und suchte sich einen Weg in alle Körperöffnungen. Ätzender Schleim brannte ihm in den zugekniffenen Augen. Diese Brühe war echt das Letzte. Der Zwerg hätte mit dem Reinschubsen wenigstens warten können, bis Ahrok Luft geholt hatte.
Langsam wurde ihm diese nämlich knapp, doch als er wieder auftauchen wollte, hielt ihn eine kräftige Hand unter der Oberfläche.
Über ihm erschien plötzlich ein gleißender Blitz und eine dumpfe Schockwelle raste durch die Suppe.
Seine Augen brannten, seine Lunge drohte zu bersten, sie schrie nach Luft. Die Panik gab ihm einen gewaltigen Adrenalinschub. Mit einem energischen Kraftstoß riss er sich frei und stellte sich auf. Gierig sog er die rauchgeschwängerte Luft ein, als neben ihm Ragnar auftauchte und vorsichtig die Lage prüfte.
Ahrok stand bis zur Hüfte in der trüben Suppe und stierte den Valr aufgebracht an.
„Was sollte das?“
Mindestens ebenso wütend wie übel riechend kroch Ahrok aus dem Wasser.
„Ich würde sagen, ich hab dich gerettet“, giftete ihn Ragnar an und wies mit seiner bräunlich verzierten Hand auf Quod, der in sich zusammengesunken an der Tunnelwand lag.
Als sich der Rauch etwas gelichtet hatte, erblickte Ahrok das gesamte Ausmaß der Zerstörung. Die Wände waren rußgeschwärzt und zerkratzt. An einer davon lag Quod. Mit leeren Augen hing der Kopf schlaff vom zerfetzten Körper des Trolls, welcher von Dutzenden Schrapnellen durchsiebt war. Es sah so aus, als hätte ihn eine gigantische Faust an die Kanalwand geschleudert und ihm dabei alle Knochen gebrochen. Der riesige Mann war eindeutig tot.
„Diese Sprengkugeln der Weißen haben enorme Zerstörungskraft. Vielleicht habt ihr Menschen so was vergessen, aber nicht wir Dwawi“, erklärte Ragnar etwas zu hochnäsig für Ahroks Geschmack.
Etwas abseits planschten gerade Hideki und André an Land.
„Heilige Scheiße, was war denn das? Oh, bei den zwölf heiligen Namen des Erwachten! Quod!“
In der Ferne hörte Ahrok das Klicken und Zischen der Weißen.
„Sie kommen, um zu sehen, was von uns übrig ist“, knurrte Ragnar grinsend. „Bereiten wir ihnen einen märkteburger Empfang, den sie so schnell nicht vergessen werden.“
Durch den Rauch konnte Ahrok ausmachen, wie sich die Silhouetten von gerade einmal zwei diese Echsenviecher näherten.
Zwei Gegner. Ahrok entspannte sich. Die waren es ja kaum wert die Waffe zu ziehen. Sollten sich doch zur Abwechslung einmal Hideki und André um die Bestien kümmern. Doch noch mitten in diesem Gedanken verwarf Ahrok diesen wieder. Etwas war anders an denen da hinten.
Erst als sie sich um weitere zehn Schritte genähert hatten, erkannte Ahrok den Unterschied zu den Weißen, die er vor einer Woche hier unten getroffen hatte. Nicht nur dass diese um einiges größer waren, sie waren auch bedeutend muskulöser und bewegten sich mit der tödlichen Eleganz erfahrener Kämpfer. Er wusste sogleich, das hier vor ihnen waren dieses Mal kampferprobte Echsenkrieger und nicht nur ein leichter Spähtrupp.
Aus irgendeinem Grund hatten die Weißen sie noch nicht bemerkt. Vielleicht lag es an den Rauchschwaden, die noch immer vereinzelt durch die Kanalisation krochen oder daran, dass ihr Bad in der Suppe ihren Körpergeruch übertönte. Egal aus welchem Grund, die Weißen erkannten erst viel zu spät, dass ein Großteil ihrer Gegner noch quicklebendig war.
Bevor sie auch nur eine Warnung zischen konnten, waren Ragnar und er bereits auf Schwertlänge heran.
Der wirbelnde Hammer des Zwerges krachte gegen die Panzerplatten des einen und Ahroks Schwerthieb traf den Schild des anderen Echsenkriegers. Es war erschreckend, wie schnell die beiden überraschten Echsen von einer instinktiven Verteidigung zum Angriff übergingen.
Ohne Zweifel hatte Ragnar seinem Gegner gerade ein paar Rippen gebrochen, aber dieser war dadurch nicht im Mindesten aufzuhalten oder auch nur zu verlangsamen.
Weder gab es eine Absprache, noch ein Augenzwinker, das Ahrok erkennen konnte, aber die Echsen wandten sich nahezu gleichzeitig dem Zwerg zu. Mit zwei blitzschnellen Schlägen schlitzen sie Ragnars Oberarme auf. Fluchend ließ er seinen Hammer fahren und konnte sich nur knapp unter den koordinierten Angriffen der beiden Weißen hinwegducken. Wie ein Mann griffen sie immer weiter an und drängten den unbewaffneten Zwerg zurück bis an die Tunnelwand. Verzweifelt suchte Ahrok eine freie Stelle in der Verteidigung der Weißen, konnte jedoch nichts entdecken. Es sah schon nach den ersten Augenblicken gar nicht gut für sie aus.
Er stimmte verzweifelt ein lautes Gebrüll an und schwang seine lange Waffe hin und her, um sich und Ragnar etwas Luft zu verschaffen.
Die Weißen ließen dadurch tatsächlich für den Augenblick von Ragnar ab und verschanzten sich hinter ihren Schilden. Leise, so als wollten sie verhindern, dass der Gegner Ihre Absprache durchschauen konnte, zischten sie sich etwas zu.
Ahrok stand der Schweiß auf der Stirn. Was sollte er nur tun? Solche Situationen hätte er mit Mia lieber auch einmal trainieren sollen! Diese Gegner waren besser als er.
„Ragnar?“
Der Zwerg antwortete nicht. Der kleine Mann stand tief gebeugt an der Wand, weiter zurück ging es für ihn nicht, der Hammer lag mehrere Schritt weit vor ihm auf dem rutschigen Boden und er fixierte die Weißen mit starrem Blick.
Ahrok sah den Angriff gar nicht kommen. Nur mit Glück wich er dem blitzschnellen Schwertstreich seines Gegners aus, doch dann erhielt er auch schon einen kräftigen Stoß mit dem Schild und wurde wie eine Strohpuppe fortgeschleudert. Er taumelte zurück, stolperte über Quods Beine und fiel auf den Hintern.
Die Kraft der Echsen war enorm.
Er brachte gerade noch rechtzeitig seine eigene Klinge nach oben, um den schweren Stahl der Echsenwaffe abgleiten zu lassen. Ein paar wilde und ungezielte Schwinger verschafften ihm dann jedoch wieder genug Platz, um sich erheben zu können.
Mit einem kurzen Blick nach hinten orientierte sich sein Gegner neu und versuchte sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen.
Ahrok atmete schwer. Der Rauch von der Explosion brannte ihm in der Kehle und den tränenden Augen.
Er hatte völlig den Überblick über das Kampfgeschehen verloren. Die anderen Kanalwächter und Ragnar mussten sich in der Nähe befinden, ebenso die zweite Echse, aber er hatte im Moment nur Augen für den Gegner direkt vor ihm.
Eher zufällig fiel ihm der sich windende Schwanz der Echse auf. Das Ding wippte rhythmisch hin und her. Es war genau vorherzusehen, wohin sich der Schwanz seines Gegners bei dessen Angriffen bewegen würde.
Ahrok verlegte sich weiterhin auf die Verteidigung und beobachtete den Schweif der Echse. Es gab nur eine einzige Chance gegen solch einen Gegner. Die durfte er nicht vermasseln.
Beim nächsten Vorstoß warf er sich ihr entgegen, ließ den Stahl an seiner eigenen Klinge abgleiten und tauchte zwischen den Beinen der Echse hindurch. Als er auf dem Rücken liegend sein Schwert in einer fließenden Bewegung wieder nach oben brachte, drang es tief bis auf den Knochen kurz unterhalb des Steißbeins in seinen Gegner ein. Rotes Blut schoss wie ein Sturzbach aus der Wunde und bespritze sein Gesicht.
Das wilde Quieken der Echse war ohrenbetäubend.
Ahrok lag noch immer zwischen den Beinen seines Gegners in einer für ihn äußerst ungünstigen Position. Einen Angriff von hier aus abzuwehren war völlig unmöglich. Der Schwerthieb, der sein Leben beenden sollte, war nur noch Augenblicke entfernt.
Doch Ragnar, welcher sich gerade wieder nach einem Stoß erhob, erkannte seine Chance. Mit einem wilden Schrei rannte er auch sei beide zu, warf er sich gegen den verwundeten und unachtsamen Echsenkrieger und riss diesen mit sich in die stinkende Brühe, aus der sie erst kurz zuvor empor geklettert waren.
„Hey, Scheiße, Ragnar, was soll das!? Du hast doch selber einen!“, rief ihm Ahrok wütend nach.
Dieser Feigling von einem Zwerg! Jetzt wo es mal richtig hart auf hart kam, musste er sich natürlich den leichten Gegner schnappen.
Rasch rappelte Ahrok sich wieder auf und fixierte die andere Echse. Trotz der für sie bedrohlichen Situation ließ sie ihm alle Zeit der Welt, sich wieder zu erheben.
Beinahe belustigt zeigte das Monster Ahrok seine Fangzähne und zischte herausfordernd, als es ihn umrundete und immer wieder vorstieß. Es waren keine ernst gemeinten Angriffe. Sein Gegner wollte ihn nur einschüchtern und das Schlimme daran war, dass er durchaus Erfolg damit hatte. Entgegen aller Vernunft bekam Ahrok es mit der Angst zu tun. Seine Schläge prallten entweder wirkungslos vom Schild oder der Rüstung ab oder trafen die enorm austrainierte Echse erst gar nicht.
Sein Gegner nahm sich erneut einen Augenblick Zeit, um seine Überlegenheit auszukosten.
Wenn Schlangenmonster überheblich grinsen konnten, dann sah es gewiss genau so aus.
„André? Hideki?“, Ahrok wagte es nicht den Blick von seinem Gegner zu nehmen, während er nach Unterstützung suchte. Wo waren die beiden bloß?
Der Weiße ging sogleich wieder in einen wilden Angriff über und setzte ihm gewaltig zu. Ein wahrer Schlaghagel fuhr auf Ahrok hernieder und zwang ihn erneut in die Defensive. Vieles konnte er parieren, manche Treffer wurden durch die Fellrüstung abgeschwächt, aber jeder einzelne Schlag zeigte Wirkung. Die derben Stöße raubten ihm die Luft und hier und da schnitt die Echsenwaffe durch die gegerbte Haut in sein Fleisch. Ahroks Kraft ließ merklich nach und es wurde für ihn immer schwerer, den Zweihänder aufrecht zu halten, um die ruppigen Schläge seines Gegners zu parieren.
Wieder einmal blockte die Echse seinen Gegenangriff mit dem Schild ab. Es war eher eine Instinkthandlung, als ein wirklich durchdachter Angriff, aber just in dem Moment trat er der Echse kräftig in den ungeschützten Unterleib. Dieser erste, echte Treffer wendete das Blatt zu seinen Gunsten.
„So regeln wir Männer das hier oben! Gimachti!“, Ahrok brüllte vor Erregung so laut, dass ihm fast die Stimme versagte. Sein Schwert hatte dieses Mal freie Bahn. „Kruchon!“
Mit tödlicher Präzision glitt die Klinge über das Gesicht seines Gegners und schnitt durch das rechte Auge der Echse hinunter bis zum Kiefer. Wild kreischend taumelte die Kreatur geblendet zurück.
Ahrok stutzte. Das Biest musste einen Schädel aus Stein haben. Jedem anderen hätte dieser Schlag sofort das Hirn freigelegt.
Obwohl die Bestie kaum etwas sehen konnte, riss sie sofort wieder Schwert und Schild zur Deckung hoch.
„Hast du noch nicht genug?! He? Na los! Komm schon! Hier bin ich!“
Mit einem weiteren Hagel aus blindwütigen Angriffen stieß das Biest vor. Die Angriffe besaßen immer noch dieselbe unmenschlicher Kraft und Wildheit, aber ihnen fehlte von nun an die Präzision. Mit einem wilden Grinsen kam sein Selbstvertrauen zurück. Es war dieses Mal ein Leichtes, die Echse auszumanövrieren.
Ein Schritt zur Seite, eine Körperdrehung mit Hieb und Ahroks Schwert fraß sich schmatzend durch den Nacken der Echse hinunter bis zum Brustkorb. Schwerfällig rutschte der zuckende Leichnam die Klinge hinab.
Mit pumpender Brust besah sich Ahrok seinen Sieg, dann wurde ihm schwindelig und er musste sich erst einmal setzen. Dann kam die Übelkeit. Aus dem Augenwinkel betrachtete er das Plätschern und Keuchen neben ihm. Dort in der Suppe rangen noch immer Ragnar und der andere Echsenkrieger miteinander. Mittlerweile hatten sie beide ihre Waffen verloren und während der Weiße versuchte, den Valr mit Klauen und Zähnen zu zerfleischen, drückte Ragnar diesen immer wieder unter die Oberfläche.
Ahrok konnte nicht anders, als diesem grausigen Kampf gebannt zuzusehen.
In Todesangst biss und kratze die Echse nach dem Zwerg und riss einen weiteren Hautfetzen von Ragnars Armen. Dieser schlug ihr kräftig die Faust auf den Schädel und sie versank erneut in der schleimigen Brühe. Mit aller Gewalt versuchte Ragnar dieses Mal, den Kopf des Weißen unter Wasser zu halten und sein Gegner wehrte sich mit aller verbliebenen Kraft. Wild peitschten Arme, Beine und der blutende Schwanz auf und ab, aber der Zwerg ließ nicht locker, sondern drückte seinen Gegner mit dem ganzen Gewicht eines wütenden Zwerges hinunter und schlug dabei immer wieder auf den untergetauchten Schädel der Echse ein.
Es war ein bizarres Schauspiel, welches Ahrok hier nur eine Armlänge entfernt beobachten konnte.
Nach etwa einer halben Minute wurden die Bewegungen der Echse hektisch und ungezielt. Die Panik und Instinkt hatte von nun an die Kontrolle in diesem Überlebenskampf an sich gerissen – eine denkbar ungünstige Kombination, wenn es ein muskelbepackter Zwerg darauf abgesehen hatte, einen zu ersäufen. Ruckartig zuckten die Arme über die Wasseroberfläche, bekamen aber nichts mehr zu greifen. Es dauerte noch einmal eine halbe Minute, bis die Echse gänzlich erschlaffte und, von der eigenen, schweren Rüstung hinuntergezogen, auf den Boden sank. Ragnar ließ die Bestie fahren, aber Ahrok griff hinunter in die stinkende Brühe und erwischte das Vieh an seiner schuppigen Kralle. Mit aller ihm verbliebenen Kraft zerrte er es an Land.
„Du ziehst das Vieh raus, anstatt mir hoch zu helfen?“, keuchte Ragnar, als er sich beschwerlich aus dem Wasser quälte.
„Wir brauchen doch Beweise für den Kommandanten. Der tritt dir sonst nur wieder in den Arsch“, erwiderte Ahrok trocken.
„Ui, was für ein Brocken“, staunte Hideki, der noch immer an derselben Stelle stand wie vor einigen Minuten. „Zum Glück habt ihr es geschafft, die Viecher kalt zu machen.“
Ragnar spuckte aus und ging schweigend an ihm vorbei. Der Zwerg machte sich nicht einmal die Mühe, sich die Suppe aus den Haaren oder aus den Wunden zu wischen. Ahrok drückte dem verdutzten Shin den Arm der Echse in die Hand.
„Hier. Schlepp du den, damit du auch mal was tust.“
Ihm fiel es schwer seinen Ärger für sich zu behalten. Wo war der verdammte Elf nur die ganze Zeit gewesen? Scheiß blauhaariger Mistkerl.
Hideki nickte ihm zu. „Alles klar, mach ich, aber dann nehmen wir lieber den Weg zurück durch die Kanalisation. Ich will nicht, dass jemand von oben das Vieh zu sehen bekommt. Das wär eine Katastrophe.“
Ahrok zuckte nur mit den Schultern.
„Katastrophe am Arsch. Ich will nur noch ins Bett zu meiner Salbe.“
Ein paar Schritte weiter kniete André fassungslos neben der Leiche von Quod und war den Tränen nahe.
„Komm, Kleiner, der ist tot.“ Ahrok legte ihm die Hand auf die Schulter und André zuckte unter der Berührung zusammen. „Wir müssen zurück und die anderen warnen.“
Apathisch erhob sich der Junge, seinen Blick noch immer Quod zugewandt, und folgte Ahrok, letzter im Bunde war Hideki, der ächzend den schweren Körper der Echse hinter sich herzog.

Nach einer kleinen Weile hatte André auf ihrem Rückweg die Führung übernommen und trottete an der Spitze der vier Kanalwächter den Gang entlang. Er war als Einziger von ihnen unverletzt, aber dafür lag ihm der Tod des missgestalteten Trolls umso schwerer auf der Seele.
„Also, was hältst du davon, Ragnar?“, waren die ersten Worte, die sie beide nach dem Gemetzel vorhin wechselten.
„Wovon? Dass sich unser glorreicher Anführer umbringen lässt wie ein beschissener Anfänger?“
„Hey, red nicht so von Quod“, mischte sich Hideki ein.
„Oder davon, dass ich Recht behalten habe und zwei von den Viechern beinahe vier von uns kalt gemacht hätten?“
„Na, so schwarz würd ich das Ganze nun auch nicht…“
„Ich bin Scheiße noch eins angepisst! Von beidem! Irgendsoein beschissener Schwanzlutscher macht gemeinsame Sache mit den Dökksormr und du wirst beinahe abgemurkst, während Blaulöckchen und der Zartbesaitete da sich am Sack spielen!“
„Also ich wurde ganz sicher nicht ´beinahe abgemurkst´. Es sah mir eher danach aus, als ob du in Schwierigkeiten stecktest.“
„Ich hatte alles im Griff. Vielleicht erinnerst du dich ja noch, wer dich vor den Sprengkugeln gerettet hat. He?“
„Ja, ist ja gut.“
„Das war nämlich ich.“
„Ja, du warst es.“
„Sonst hättest du dich gleich neben unseren Quod legen können. Sah nich schön aus, oder?“
„Ich hab´s kapiert… also?“
„Also was?“
„Also antwortest du jetzt mal auf meine Frage, was du von der Situation hältst? Das Ganze überfordert mich gerade ein bisschen.“
„Scheiße, ich weiß nich. Verräterische Menschen, gut ausgerüstete Dökksormr direkt unter Märkteburgs Straßen… ich hab das Gefühl die Scheiße fliegt uns hier bald um die Ohren. Und nicht nur uns.“
Ahrok nickte und trottete weiter. Das schmutzige Wasser brannte in seinen Körperöffnungen und allen Kratzern und Schnitten, die ihm die Echsen zugefügt hatten. Sie hatten den Kampf gewonnen, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass sie trotzdem die Verlierer dieser Auseinandersetzung waren.
„He, André“, rief Hideki von hinten, „komm her und hilf mir mal mit dem Vieh hier.“
Er deutete auf die immer noch bewusstlose Echse, die er an ihrem nackten, verstümmelten Schwanz durch die Kanalisation schleifte.
Der Junge drehte sich zu ihm um. „Gut ich ko... urgh...“, die restlichen Worte gingen in unverständlichem Gurgeln unter.
Alarmiert richteten alle ihren Blick auf André.
Dieser stand ihnen zugewandt und starrte fassungslos auf das zwei Spannen lange, spitze Ding, welches ihm aus der Brust ragte. Blut pumpte ihm bei jedem Atemzug aus dem Mund. Hinter ihm funkelten acht pechschwarze Augen im Schein der Lichtquarze, als sich ein riesiger Kopf mit zitternden Mandibeln neben Andrés Hals in den Lichtkegel schob.
„Schattenspinner!!!“, schrie Hideki, ließ den Weißen fahren und riss sein Langschwert hoch. Mit einem Ruck zog die riesige Spinne ihr Bein zurück aus Andrés Körper und dieser sank ächzend auf die Knie. Blutiger Schaum quoll dem Jungen aus Nase und Mund. Dort wo gerade noch das Spinnenbein gesteckt hatte, klaffte ein fast zwei Zoll breites Loch in seiner Brust. Völlig verständnislos betrachtete der Junge seine blutverschmierten Hände und kippte dann zur Seite.
Mit vorsichtigen Schritten betrat das Monster zögerlich den Lichtkegel. Allein seine acht fetten, behaarten Beine waren länger als Ahrok groß war und sie endeten in schwarz glänzenden Klauen, die man getrost als Kurzschwerter hätte benutzen können. Der riesige, rötlich behaarte Körper warf grausige Schatten an die Kanalwände.
Hideki wich erschrocken zurück. „Das ist ein verdammt großer Schattenspinner!!!“

André gurgelte nur ein paar unverständliche Worte.
Der Elf riss seinen Blick von dem sterbenden Jungen und stürmte zusammen mit Ahrok und Ragnar zum Angriff auf den Schattenspinner.
Doch das Spinnenmonster entwickelte plötzlich ungeahnte Agilität. Flink huschte es aus der Reichweite seiner Angreifer und startete blitzschnelle Gegenangriffe, nur um sich dann gleich wieder ein Stück zurückzuziehen. Ahrok parierte einen Vorstoß der messerscharfen Mandibeln und ließ seinen Bidenhänder auf das dämonische Monster krachen. Sein Schlag ließ ein paar Haare der Spinne durch die Luft fliegen, hinterließ aber ansonsten nicht einmal einen Kratzer auf dem steinharten Panzer.
Dem zeitgleich angreifenden Zwerg ließ die Spinne nicht einmal nah genug für einen Angriff heran, sondern fegte Ragnars Ansturm mit zwei ihrer Beine beiseite, so wie man ein lästiges Insekt verscheucht. Fluchend kullerte der Zwerg durch die Gegend. Zu seinem Glück kugelte er in Richtung Wand und nicht in die der Suppe.
Für Hideki entstand jedoch in diesem Augenblick eine kleine Lücke in der Verteidigung des Monsters, die er sofort nutzte.
„Zielt auf ihren Kopf! Den Kopf!“, brüllte er den anderen zu, als er seinen eigenen Worten Taten folgen ließ.
Doch den seelenlos schwarzen Augen des Monsters entging gar nichts. Die Spinne fing das heransausende Schwert mit ihren Beißwerkzeugen ab und riss es dem Elfen mit einem festen Ruck aus der Hand. Es war, als bebte der Körper des Monsters vor Lachen, als es mit einem kräftigen Biss den Stahl in zwei Teiler brach.
Vor Entsetzen erstarrt stand der Elf reglos vor dem geifernden Mundwerk der Spinne.
Ein kurzes Würgen und eine grünliche Flüssigkeit spritzte auf den erschrockenen Kanalwächter. Ahrok vernahm ein Zischen, als er sah wie die Haut des Elfen zu dampfen begann. Schreiend warf dieser die Hände vor sein Gesicht und fiel auf die Knie.
´Hass ist dein engster Verbündeter, Hektik der größte Feind´
Von einer plötzlich aufkeimenden, unbändigen Wut beflügelt, umfasste Ahrok seinen Zweihänder. Er suchte nun nicht mehr nach einer Schwachstelle in der Verteidigung des Monsters, sondern griff nur noch blindlings an.
Der Schattenspinner hätte besser auf ihn geachtet, anstatt sich an dem schreienden Opfer zu ergötzen, denn einer von Ahroks blindwütigen Hieben drang gleich neben dem fetten Körper in eines der Gelenke hinein. Ein weiterer Ruck riss das Schwert noch ein Stück tiefer und trennte eines der acht Beine ab. Zuckend fiel dieses nieder und zitterte über den Boden.
Mit einem spitzen Schrei huschte der Schattenspinner sogleich wieder aus dem Lichtkegel.
Als letztendlich das rasche Klacken der Klauen auf dem steinernen Boden nicht mehr zu vernehmen war, ließen die zwei Krieger ihre Waffen sinken. Eine Verfolgung der Bestie war unmöglich. Dieses Monstrum war viel zu schnell und wohl schon einige hundert Schritt entfernt, außerdem konnten sie die Verwundeten nicht einfach so zurücklassen.
„Das war also ein märkteburger Schattenspinner“, stellte der Zwerg fest. „So was Hässliches hab ich schon lange nicht mehr gesehen.“
Ragnar starrte noch eine Weile in die Dunkelheit, in welcher die Spinne verschwunden war. Ohne sich umzudrehen fragte er: „Wie sieht´s aus? Verluste?“
Ahrok beugte sich gerade über André. Der Junge hielt sich mit zittrigen Händen die blutverschmierte Brust. Im blauen Schein der Lichtquarze wirkte er totenbleich, doch der Atem ging noch flach und rasselnd. Ahrok legte sein Schwert neben dem Jungen ab und kniete sich zu ihm.
„Hey, keine Sorge, das wird schon wieder. Solch Verletzungen haben wir hier alle schon mal überstanden. Ein bisschen von der Salbe und du pfeifst morgen schon wieder lustige Lieder.“
André öffnete die tränennassen Augen und blickte Ahrok flehend an. Der Junge bekam kaum noch Luft und erstickte qualvoll an seinem eigenen Blut.
„Hilf mir... ich will nicht sterben... ich will...“, jedes Wort warf kleine rote Blasen, dann wurden seine Augen plötzlich riesig groß und blickten entsetzt an Ahrok vorbei.
„Was ist denn da?“, Ahrok erhob sich und blickte zur Kanaldecke. Ein fettes, rotes, siebenbeiniges Etwas huschte nahezu geräuschlos die Decke des Tunnels entlang. Die Spinne hatte sie mächtig verarscht. Anstatt zu fliehen, um ihre Wunden zu lecken, kam sie nun aus der anderen Richtung.
Das Monster plumpste nur wenige Ellen vor ihm auf den Boden und betrachtete ihn mit ihren unergründlichen, schwarzen Augen.
„Ragnaaaar!!! Hier hinten ist sie!“, brüllte er noch schnell und tastete nach seinem Schwert, ohne die Augen von dem Monster zu lassen.
Und schon ging der Schattenspinner mit atemberaubender Geschwindigkeit zum Angriff über, Ahrok hechtete zur Seite, vermochte jedoch nicht dem blitzschnellen und kraftvollen Biss ausweichen. Die Mandibeln drangen durch seine Fellrüstung wie durch Papier und stießen tief in seinen Bauch hinein. Es war, als hätte man ihm soeben zwei zackenbewehrte, rostige Dolche in den Unterleib gerammt. Mit einem grässlichen Schmerzensschrei hing Ahrok am Maul des Monsters. Mit zwei weiteren Beinen hob es den hilflos zappelnden Krieger in die Luft.
„Raaagnaaaar?!“
Drei verzweifelte Schläge auf die Augen des Monsters genügten jedoch schon, um ihm etwas Luft zu verschaffen. Die Spinne ließ Ahrok sofort fallen, dabei rissen ihre Beißwerkzeuge einige Fetzen blutige Haut mit sich. Dumpf landete er auf dem Rücken und prallte mit dem Kopf gegen den steinernen Boden. Sofort sah er wieder leuchtende Punkte vor seinen Augen tanzen. Bevor er sich erholen konnte, huschte die Kreatur über ihn und betrachtete ihre hilflose Beute mit kalten Augen.
Sein Schwert lag nur wenige Zoll von seinem ausgestreckten Arm entfernt. Er versuchte die grässlichen Schmerzen zu ignorieren, um endlich wieder an seine Waffe zu kommen, aber er konnte dem Gefängnis aus sieben langen Beinen keinen Zoll weiter entkommen.
Der Schattenspinner senkte seinen Kopf, bis er nur noch eine Handbreit von Ahroks Gesicht entfernt war. Saurer Geifer tropfte von den blutigen Mandibeln auf seinen Hals. Dieses abstoßende, fremdartige Spinnengesicht würde ihn wohl noch Jahrzehnte in seinen Alpträumen verfolgen. Wenn er nicht schon vorher als Hauptgericht in einem Kokon landen würde.
Ragnar hangelte sich indes hinter der Spinne an der bröckeligen Tunnelwand hinauf. Endlich und viel zu spät, wie Ahrok fand, sprang er dem hünenhaften Schattenspinner auf den Rücken. Das Biest fuhr überrascht nach oben. Sofort rollte Ahrok zu seinem Schwert und riss es an sich. Ragnar ließ er seinen stahlbewehrten Hammer auf den hässlichen Schädel krachen, nahezu gleichzeitig stach Ahrok nach oben. Der breite Stahl schrammte den Schädel entlang über zwei der Augen der Spinne. Ein ohrenbetäubendes Kreischen hallte durch die unterirdischen Tunnel, als das Monster sich vor Schmerz aufbäumte.
Ragnar konnte sich nirgends auf dem Rücken des Schattenspinners festhalten und kullerte von ihrem Körper. Während des Sturzes verlor er seinen Kriegshammer und krachte selber unsanft mit dem Kopf gegen die Tunnelwand. Die Spinne erblickte ihren kleinen Peiniger und würgte erneut.
„Pass auf Ragnar!“, Ahrok sprang auf, warf sich mit einem verzweifelten Satz gegen den benommenen Valr und schleuderte ihn aus der Flugbahn der Säure, die sich nun zischend über den Boden ergoss.
„Danke!“, grinste dieser. „Nun bringen wir das aber zu Ende!“
Das Monster bebte entweder vor Zorn oder vor Schmerz und es wankte unsicher auf seinen sieben Beinen umher. Eine solch wehrhafte Mahlzeit hatte es sicher nicht erwartet. Es hätte erneut die Gelegenheit zur Flucht ergreifen können, aber so weit kam es nicht mehr.
Ragnar schlug einen Purzelbaum und ergriff dabei seinen Kriegshammer. Mit einem weiteren Hechtsprung landete er unter dem Körper der Spinne und schlug ihr aus der Rolle gegen den Unterleib. Der Hieb riss die Bauchhülle auf und der Valr wurde in einer Masse aus grünlichen, zähflüssigen Gedärmen begraben. Der Schattenspinner öffnete im Todeskampf das grässliche Ding, welches Ahrok für den Mund hielt und ließ einen weiteren markerschütternden Schrei erklingen. Er nutzte die Gelegenheit und rammte dem Ding sein langes Schwert bis zum Anschlag dort hinein.
Zittrig stand es noch kurz auf den langen Beinen, dann gaben sie nach und der Körper fiel in sich zusammen.
„Verdammte Scheiße! Bei Rangos Bart ist das Ding schwer“, hörte er die Stimme des Valrs dumpf unter dem massigen Körper des Monsters. Weiterhin wild fluchend zog sich Ragnar aus den schleimigen Innereien der furchterregenden Bestie.
Ahrok riss sein Schwert heraus und wandte seinen Blick angewidert von dem Schattenspinner, selbst im Tod war es ein ekelhaftes Mistvieh.
Etwas weiter abseits lag Hideki und hielt sich noch immer das Gesicht. Aus seinem Schreien war ein kraftloses Wimmern geworden. Soweit Ahrok das beurteilen konnte, war er aber immer noch ganz. Dieser verweichlichte Elf hätte ihnen ruhig etwas helfen können. Direkt neben ihm zuckte André noch schwächlich. Der Junge versuchte nicht einmal mehr, die Ströme von Blut aufzuhalten, die ihm aus dem Körper flossen.
Ahrok kniete sich wieder zu ihm und legte den Kopf des Jungen in seinen Schoß.
„Alles wird gut, Kleiner. Das Vieh ist tot und wir leben alle noch. Keine Panik, dich kriegen wir auch wieder hin.“
„Ich ... ungh ... ich will noch nicht sterben…“, weinte André leise. „Das tut so weh. Ich will zu meiner Mami.“
Ahrok strich ihn mit seiner blutigen Hand über den Kopf. „Nu hab dich nicht so, das ist ja kaum ein Kratzer. Einen echten Mann... André? Andre?!“
Die starren Augen des Jungen blickten an Ahrok vorbei zur Decke. Dieses Mal war da oben jedoch kein Spinnenmonster.
So jung und schon ins Gras gebissen. Arme Sau... Hauptsache war jedoch, dass es ihn selber nicht erwischt hatte.
Besorgt befühlte Ahrok nun seine eigenen Verletzungen. Sie bluteten nicht und schmerzten kaum. Im Gegenteil, die Regionen um die Bisswunden herum fühlten sich völlig taub an. Schleimiger Spinnengeifer klebte dafür überall an der blutverschmierten Fellrüstung und zog Fäden, wenn er ihn berührte.
„Nun denn, lass uns weiter, eh uns hier noch etwas über den Weg läuft“, meinte Ragnar während er sich die Innereien der Spinne aus dem Bart fischte. „Die Toten müssen wir erst einmal zurück lassen, die holen wir später. Du nimmst den jammernden Shin und ich das schuppige Ungeheuer.“
Ächzend und hustend erwachte der Weiße aus seiner Ohnmacht.
„Ach, jetzt nerv du nicht auch noch!“ Ragnars Stiefel schickte die Echse wieder ins Land der Träume, dann wuchtete er sich das schwere Vieh auf seine Schultern. „Können wir endlich?“
Ahrok musste sich beeilen, um mit dem Valr Schritt zu halten, besonders, da der schwerverletzte Hideki mit pausenlosem Gejammer „Ich will nicht, Nein!“ oder „Lasst mich doch einfach liegen!“ und „Meine Freunde, ihr müsst sie mitnehmen!“ sich heftig zur Wehr setzte.

Nach einer vollen Stunde beschwerlichsten Fußmarsches, bei dem Ahrok mit jedem Schritt mehr Kraft einzubüßen schien, erreichten sie wieder die Leiter zum Innenhof ihrer Kaserne. Das wurde aber auch endlich Zeit. Die ewige Dunkelheit, der Gestank und das Gejammer des Elfen waren auf Dauer unerträglich für Ahrok. Er war schon einige Male versucht gewesen den widerborstigen Shin einfach in die Suppe zu stoßen.
Der Hof der Kaserne war völlig leer. Nicht eine Menschenseele tummelte sich in der Kaserne. Ragnar warf die Echse von seinen Schultern und Ahrok legte den wimmernden Hideki neben sich ab auf den Boden. Im hellen Sonnenlicht erkannte Ahrok erst, wie sehr die Säure dem Elfen zugesetzt hatte. Die Haut des Mannes hatte sich teilweise vom Gesicht gelöst und das Fleisch darunter hatte einige ungesund aussehende Färbungen angenommen. Augen so weiß wie Milch blickten ziellos umher. Der Elf war zu alledem erblindet.
Ahroks Blick auf seine eigene geschundene Gestalt ließ ihn erschaudern. Nicht nur, dass Gülle und Abfall überall an seinem Körper klebten, nein, unterhalb seiner Rippen klaffte auch ein breiter Riss, aus dem ein kleines, rotes Rinnsal über die Fellrüstung lief.
„Ich verschwinde erst mal ins Bad!“, rief er Ragnar zu.
Der Zwerg schüttelte nur mitleidig den Kopf. „Kannst du deinen scheiß Reinlichkeitsfimmel nicht wenigstens jetzt mal unterdrücken? Wir haben hier zu tun!“
„Wohin geht ihr alle? Lasst mich nicht allein“, flehte Hideki. „Hallo?“
Vor sich hingrummelnd zog Ragnar den Weißen in die Schlafbaracken. „Ach Scheiße, mach doch was du willst.“
Ahrok reagierte weder auf die Rufe des Elfen, noch auf die Worte des Valr, sondern marschierte schnurstracks zu den kleinen Kabinen mit den Waschtrögen.
Nachdem er sich der stinkenden und verkrusteten Kleidung entledigt hatte, festigte er erneut den Entschluss, dass er sich diese ganz sicher nie wieder überziehen würde. Das kalte, abgestandene Regenwasser aus dem Holzeimer wusch Müll, Essensreste, Knochenstücke und natürlich haufenweise Exkremente aus seinem Haar. Es war kalt und er zitterte, aber es war ein befreiendes Gefühl, diesen ganzen Dreck wieder los zu sein. Zum ersten Mal heute entspannte er sich wieder, als all die schrecklichen Erlebnisse von gerade eben mit dem ganzen Schmutz hinfort geschwemmt wurden.
Nur mit einem schmutzigen Tuch um den Hüften und seinem Schwert in der Hand schlich er sich herüber zur Krankenstation und entwendete den letzten Becher dieser herrlichen Salbe. Das Betttuch, welches er vor ein paar Tagen zerrissen hatte, musste auch heute wieder als improvisierter Verband herhalten.
Nachdem er großzügig den letzten Rest der Salbe um die Stichverletzungen herum verteilt und den Verband dreimal rings um den Bauch gewickelt hatte, grinste er glücklich. Zufrieden betrachtete Ahrok sein Werk. Eigentlich hätte er auch Heiler werden können, so schwer war das doch gar nicht.
Kaum dass dieser Gedanke beendet war, erschienen auch schon wieder die hübschen Farben und das herrliche Gefühl der Schwerelosigkeit ergriff Besitz von ihm. Ahrok setzte sich glücklich auf einen Stuhl und lehnte sich zurück, um das Leben zu genießen. Diese Salbe… was sollte er jetzt nur ohne sie anstellen?
Erst als die lustigen Farben sich langsam wieder auflösten, ging er, immer noch nur mit einem schmierigen Handtuch bekleidet, hinüber zur Schlafbaracke und trat ein. Dort saß der bewusstlose Weiße an einen Stuhl gefesselt und von Ragnar gab es keine Spur. War er lange fort gewesen? Die wunderbaren Momente, die ihm die Salbe schenkte, waren schwer zeitlich zu erfassen. Ein kurzer Blick auf das Lager von Herbert verriet ihm, dass die Hose, die dort lag, ungefähr seine Größe hatte.
Kaum hatte er sich in dieses Kleidungsstück gezwängt öffnete sich die Tür. Ertappt zuckte er zusammen, doch es war nur Ragnar, der gefolgt von dem Sergeanten der Kanalwache, den Raum betrat.
„So, Menschling, wir haben dir was Schönes aus der Kanalisation mitgebracht“, der Valr wies feierlich auf den ohnmächtigen Echsenmenschen auf dem Stuhl.
„Was... was ist das für ein Ding?“, wunderte sich der Sergeant.
„Das, mein lieber, ungläubiger Mensch, ist einer eben dieser Weißen, die es da unten gar nicht geben soll.“
„Unmöglich!“, entfuhr es dem Sergeanten. „Das kann nicht sein.“
„Ja, es ist aber so. Mach die Augen auf und sieh einfach nur hin. Das ist eindeutig einer der Dökksormr“, Ragnar wurde langsam aber sicher ungeduldig. „Im F Sektor gibt es wahrscheinlich noch Hunderte davon.“
„Das ist ja... das kann doch nicht...“
Ahrok trat zu den beiden.
„Außerdem haben wir dort gesehen, wie sich diese Mistviecher mit einem anderen Menschen unterhalten haben. Es ist wichtig, dass wir sofort...“
„Was!?“, donnerte der Sergeant Ahrok an. „Ihr wart im Sektor F? Gegen den ausdrücklichen Befehl des Hauptmanns?“, seine Verblüffung wich im Handumdrehen echtem Zorn.
„Jetzt pass mal auf, wie du hier mit uns redest! Wir sind da unten beinahe draufgegangen und haben dir den unwiderlegbaren Beweis mitgebracht, dass sich dein Hauptmann geirrt hat und dass wir jetzt endlich was unternehmen müssen!“, Ahrok ließ sich sogleich von der Wut anstecken.
„Seid still, Soldaten! Das wird ein Nachspiel haben. Missachtung eines Vorgesetzten, Befehlsverweigerung und Ungehorsam in der Truppe, darauf steht die Todesstrafe.“
„Schieb dir deine Strafe sonst wo hin, da ist doch der Weiße. Hier sieh ihn dir an!“, Ahrok rüttelte an der übergroßen Echse und sie erwachte zischend.
„Ich sehe an dem Ding überhaupt nichts! Was sagt so ein hässliches Vieh denn schon aus? Vielleicht habt ihr da nur einen der unglücklichen, missgestalteten Bürger aus der Kanalisation erwischt! Schon einmal daran gedacht?!“, brüllte der Sergeant. „Was ich jedoch ganz genau sehe sind zwei selbstsüchtige Möchtegernhelden, die meine Befehle aufs grässlichste missachten, meine Männer in Gefahr bringen und sich dann immer wieder irgendwelche Geschichten ausdenken, damit man sie für etwas Besonderes hält. Des Hauptmanns Wort ist Gesetz in unserer Truppe. Nur so funktioniert unsere Arbeit und nun geht mir aus den Augen! Das wird noch ein Nachspiel haben sag ich euch! Ich wird persönlich dafür sorgen, dass ihr noch diese Woche hängen werdet!“
„Du verdammter, sturer Mistkerl!“, in Rage stieß Ahrok sein Schwert nach vorn.
Perplex starrte der Sergeant auf den Stahl, der in seiner Brust steckte und vergaß sogar zu schreien.
„Was...?“
„Jetzt guck nicht so! Das hast du dir selbst zuzuschreiben!“, brüllte ihn Ahrok an, dann riss er seine Waffe wieder heraus.
Der Mann fiel zu Boden und umklammerte kraftlos die große Wunde in seiner Brust. Hilflos stammelte er ein paar Worte, die keiner der beiden Krieger verstand.
„Das du immer gleich so maßlos übertreiben musst.“ Ragnar schüttelte den Kopf. „Wem sollen wir denn jetzt von den Weißen hier berichten, he? Kannst du mir das vielleicht verraten?“
Ahrok stieß dem armen Kerl sein Schwert in die Kehle und beendete seinen Todeskampf.
„Was hast du denn für ein Problem? Der hat hier alles versaut. Nicht ich. Der wollte uns aufhängen, dafür das wir ihm das Ding da gebracht haben.“ Er zog das blutige Schwert aus der Leiche des Wächters. „Und was nun? Wir sind mal voll am Arsch!“
„Keine Ahnung. ´Scheiße gelaufen´ würd ich sagen. Ich kümmere mich hier erst mal um unseren Freund und du suchst alles Brauchbare zusammen. Besser wir verschwinden so schnell wie möglich von hier.“
Ahrok durchsuchte missmutig den Leichnam und fand an der Hüfte des Sergeanten einen blutverschmierten Geldbeutel mit einigen Silbermünzen.
„Hey, guck mal, das hier sollte uns als Lohnausgleich genügen“, rief er Ragnar zu und schwenkte seine Beute.
Auf ein Knacken folgte sogleich ein schrilles Quieken, ein weiteres Knacken beendete abrupt die Schmerzenslaute des Weißen.
„Na dann, lass uns gehen. Ich kenn da einen Platz, an dem wir erst einmal untertauchen können, bis sich die Aufregung etwas gelegt hat.“ Ragnar schob sich kopfschüttelnd an Ahrok vorbei. „Mann, Mann, Mann, Mann, Mann,...“
Als sie die Baracke verließen, kamen ihnen die Soldaten der H–Brigade entgegen. „Hey, was ist denn los? Solltet ihr nicht unten in der Suppe sein?“
„Ach, äh... gar nichts. Der Sarge verhört nur äh ... gerade einen Gefangenen hier drinnen und möchte unter keinen Umständen gestört werden. Wisst ihr.“ Ahrok lächelte und wischte sich beiläufig das immer noch blutige Schwert an der Hose ab.
„Einen Gefangenen? Wir machen doch gar keine…“
„Moment mal… ist das da nicht meine Hose?“, unterbrach Herbert seinen Kameraden.
„Ähm... nein. Wir müssen mal kurz weg“, rief Ahrok im Vorbeigehen und winkte ihnen noch freundlich zu. Schulterzuckend ging die H–Brigade in eine der anderen Baracke zum Ausruhen.

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Worterklärungen:

Hadwin – „Freund des Kampfes“ Kriegsgott der Zwerge
Dökksormr – „Schlangen aus der Dunkelheit“ Bezeichnung der Zwerge für die Weißen

Hragan nugg tarrrrg. – „Wir sind zurück.“
 
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Kommentare  

Ich find das keineswegs zu hart. Ahrok ist keineswegs ein Held, auch wenn er sich gern so sieht.
Er ist eben auch ein gewaltbereiter, egozentrischer, naiver Junge der vor keinem Leben Respekt hat ausser seinem eigenen.
Der Mord an dem Sergeanten ist nur eines vieler Indizien die auf diese dunkle Seite seines Charakters hinweisen.
Und eine Katharsis ist noch weit entfernt - es wird erst von viel schlimmer werden.


Jingizu (29.09.2010)

Also bisher fand ich Ahrok ja einiger Maßen symphatisch.

Jetzt hingegen halte ich ihn für einen plumpen Mörder. Das mag vielleicht hart klingen, ist aber meine Meinung. Immerhin hat er den Sergeant kaltblütig ermordet. Nicht mehr und nicht weniger.

Schade, das du diese (Aus)weg für ihn gewählt hast.

Sonst fand ich das Kapitel gelungen. Vor allem die Kämpfe gefallen mir.

Gruß


Alexander Bone1979 (24.09.2010)

so nun hatte ich endlich mal Zeit mich in Deine Story einzulesen, wow, viel Phantasie, witzig und flott geschrieben...gefällt mir

Hanim (26.08.2010)

was für ein gemetzel, was für kreaturen, und dieser hauptmann bernhard, was soll das...
aber das mit der kanalwache hat sich ja nun erledigt. ;)
lieben gruß


Ingrid Alias I (26.08.2010)

"Trugbilder ausgelöst durch die schlechte Luft und die Dunkelheit." Da lassen sich Ahrok und Ragnar nichts vormachen. Hauptmann Berhard Schreiber stattet seinen "Freunden" einen kurzen Besuch ab. Haben ja eine "nette" Sprache diese Echsenmonster*Grins* Nein, ich möchte denen wirklich nicht im Dunkeln begegnen. Sind dir gelungen die Viecher. Schönes schauriges Kapitel.

Jochen (25.08.2010)

Ja, das ist eine der etwas gravierenderen Änderungen im ersten Teil, das ihre Gegner komplett überarbeitet wurden um sich der neuen Welt anzupassen.

Jingizu (25.08.2010)

Der Sergeant gehorcht Hauptmann Berhard Schreiber- Befehl ist halt Befehl. Nicht so Arhrok und Ragnar. Mit denen kann man das nicht so einfach machen. Vonwegen Ihnen etwas erzählen von Kanalkoller usw.
Wenig später müssen sich Ragnar und Ahrok nicht nur mit den Weißen, den Echsenmonstern, herumschlagen, auch mit einer riesigen fetten Spinne *Würg!* Klar, dass die beiden "Helden" nach solch einem ausgestandenen Abenteuer reichlich sauer auf den Sergeanten sind.
Sag mal, waren die Weißen früher nicht riesige Ratten oder irre ich mich da?


Petra (24.08.2010)

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