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18 Seiten

Ahrok - 18. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Achtzehntes Kapitel: Sigurd Sigurdsson

Es war weit nach Mitternacht, als sie beide endlich die Taverne erreichten. Ragnar hatte mit viel Geduld und noch mehr Glück tatsächlich noch eine Kutsche aufgetrieben, die zu dieser Stunde noch ihrem Betrieb nachging.
Ahrok war im Moment ohnehin alles egal. Das Schmerzmittel wirkte geradezu Wunder und auch wenn der Priester wohl einhundert Mal beteuert hatte, dass es sein Tod gewesen wäre, heute noch zu gehen, hatte der er das Ganze bislang doch recht gut überstanden.
Mit dem wohligen Gestank von herbem Männerschweiß und verschüttetem Bier hieß sie die „Pinkelnde Sau“ willkommen. Es war ruhig und ungewohnt still in der Taverne. Nur ein paar ausdauernde Trinker, die meisten einsame und verbitterte Männer, saßen noch um zwei Tische herum, zwischen denen Kira zu Ellens Gesang tanzte. Hans begrüßte Ahrok und Ragnar mit ungewohnt teilnahmslosen Augen und am Eingang standen ihnen zwei raubeinige Gestalten im Weg.
Der eine hielt Ragnar sogleich die Hand vor die Brust.
„Halt! Das ist hier kein Armenhaus. Wir schließen gleich. Also draußen bleiben.“
Noch bevor irgendjemand ein Wort der Erklärung abgeben konnte, packte Ragnar dessen Handgelenk, riss den überrumpelten Mann ruckartig zu sich hinunter und hämmerte ihm die Faust in den Magen. Mit einem jämmerlichen Pfeiflaut brach dieser auf der Stelle zusammen. Ragnar stieg wortlos über den sich krümmenden Menschen hinweg und stiefelte hinüber zur Theke.
„Ich bin grad wirklich nicht in Stimmung für solche Scherze, Hans. Bring mir ein scheiß Bier.“
Ahrok humpelte dem Valr hinterher, als sich ihm die zweite Person in den Weg stellte. Der Kleine war wohl der kleinste Zwerg, den Ahrok je gesehen hatte - vielleicht lag es aber auch nur am Opium. Jedenfalls war diese Erscheinung ungeheuer witzig. So witzig, dass er breit lächeln musste.
„Was grinst du hier so dämlich, Blondie? Haben wir nicht gerade gesagt, dass hier kein Zutritt mehr ist?“
Ahrok blickte sich lächelnd in der Taverne um. Er hatte sie gar nicht so lustig in Erinnerung. Die fröhlichen Wände, die amüsanten Tische mit ihren komischen Stühlen. Was war das nur für ein herrlicher Ort hier. Zum Ausruhen und Entspannen in alle Ewigkeit.
Das lachhaft kurze Kurzschwert des Zwergs zielte direkt auf Ahroks Unterleib und irgendwo hinter dem breiten Grinsen meldete sich Ahroks Instinkt. Es würde viel zu lange dauern, bis er seinen Zweihänder dem Zwerg unter die rote Nase hätte halten können und er hatte heute schon viel zu viel Blut vergossen – besonders sein eigenes.
Der Zweihänder... Ahrok griff instinktiv nach dem Heft seiner Waffe, die für gewöhnlich auf seinen Rücken geschnallt war, und fasste nur ins Leere.
Wo war denn das Schwert? Er konnte sich nicht erinnern.
„Halt, halt, halt“, ging Hans endlich dazwischen.
Der Schankwirt sah mit seinen verschwommenen Konturen gleich um einiges netter aus als sonst.
„Lass den Jungen rein, Eaken. Die zwei sind Ragnar und Ahrok, meine beiden anderen Jungs.“ Er schnalzte missmutig mit der Zunge und wandte sich Ragnar zu. „Und euch zwei missratenen Lumpen sollte ich jetzt wohl Detlef und Eaken vorstellen. Das sind ein paar zuverlässige Kerle, mit denen ihr ab sofort eure Schichten und euer Gehalt teilen werdet. Diese ständigen Mätzchen, die ihr euch erlaubt, hängen mir zum Hals raus! Mal seid ihr da, dann mal wieder nicht. Ihr kommt und geht wie es euch beliebt. So läuft das nicht. Nicht bei mir. Ihr könnt froh sein, dass ich euch überhaupt noch hier behalte.“
Ragnar schob den Unterkiefer nach vorn und lehnte sich über die Theke.
Einige lange Momente stierten sich Ragnar und Hans wortlos an, dann lehnte sich der Valr zurück.
„Meinetwegen. Und jetzt bring mir endlich was zu Trinken.“
Sandra, die just in dem Augenblick mit ein paar leeren Bierkrügen die Treppe hinunter kam, ließ vor Schreck sogleich alles fallen und sprang die letzten Stufen hinab auf Ahrok zu.
„Ahrok, Schätzchen, Hase, was ist los? Wo bist du nur gewesen?“ Sie wagte es nicht, ihn zu berühren, sondern starrte nur bis ins Mark erschüttert auf ihren geschundenen Liebling. „Ich dachte... du hast doch gesagt... du wolltest gleich wieder da sein. Ach du... ach du meine Güte. Hans! Ruf sofort nach einem Priester!“
Ganz sachte strich sie ihm mit vor Sorge zittrigen Fingern über die Wangen.
„Ahrok, Schatz, was ist denn bloß passiert?“ Ihr Blick hing fassungslos an seiner geschundenen Haut, die sich hier und da von seinem rechtem Arm schälte. Dann wanderte ihr Blick hinüber zu dem Zwerg. Als ihr bewusst wurde, dass dieser ähnlich schwer verletzt war, schlug ihre Sorge augenblicklich in echte Wut um. „Was hast du nur wieder angestellt, Ragnar? Und warum um alles in der Welt ziehst du meinen Ahrok da immer wieder mit hinein? Lass ihn in Ruhe! Er will noch nicht sterben!“
„Jetz hör mal zu, Mädchen...“
„Nein!“, unterbrach sie den Valr. „Ich will gar nichts hören und schon gar nicht von so einem wie dir und mein Ahrok auch nicht. Er braucht absolute Ruhe und Pflege und nicht solche Typen wie dich! Komm, Hasi, ich bring dich nach oben.“
Sie versuchte eine Stelle an Ahroks Arm zu finden, die nicht von Brandblasen übersät war, und zog ihn hinter sich her die Treppe hinauf in sein Zimmer. Ahrok folgte ihr weiterhin dümmlich lächelnd.
Mit ausdrucksloser Miene starrte Ragnar den beiden nach, bis sie hinter den Treppenstufen verschwunden waren.
„Neue Leute also, he?“
Ragnar betrachtete die beiden und schürzte die Lippen.
Womöglich war dies sogar der beste Weg, wie sich die Dinge entwickeln konnten. Er behielt sein Dach über dem Kopf und hatte dennoch genug Zeit, sich um diesen Dökksormr Abschaum zu kümmern. Geschissen auf das bisschen Kupfer, dass ihm ab jetzt durch die Lappen ging.
Ahrok hingegen... den konnte er mittlerweile wohl abschreiben. Der kleine Held war zu einem waschechten Pantoffelhelden verkommen. Hing nur noch mit seinem Mädchen herum und ließ sich von ihr bevormunden. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er sich nicht mehr über Waffen und Kampfschritte sondern über Hausbau und Feldarbeit Gedanken machen würde. Welch eine Verschwendung.
Die Frauen bekamen den Männern eben nicht, aber das war ja nichts Neues.
„Ragnar?!“
Hans Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
„Hm?“
„Hörst du mir überhaupt zu? Was soll das Ganze? Wo wart ihr? Was ist passiert? Muss ich mir etwa wieder Sorgen machen, dass mich jemand auf dem Klo abstechen will?“
Der Valr saugte an seinen Zähnen und seine Augen hingen an der Maserung der Tischplatte. Wie viel konnte er Hans erzählen? War dieser durch ihr Handeln etwa tatsächlich in Gefahr geraten?
„Du erinnerst dich an die Echsen? Ich mein die richtig Großen.“
Hans bedeutete ihm sofort etwas leiser zu sprechen.
„Ja, klar. Was ist damit?“
„Die waren heute wieder in der Stadt. Bei den Magiern, um genau zu sein.“
„Beim Namenlosen“, entfuhr es dem Schankwirt.
„Ja. Wir waren also auch dort und haben sie überrascht und dabei ist Einiges... nun ja, zu Bruch gegangen.“
„Ach du Scheiße! Ach du heilige...“ Hans vergrub seinen Kopf in den Handflächen. „Haben sie euch gesehen? Habt ihr vielleicht sogar Magier erschlagen?“
„Nein, ich denke nicht. Ein paar Ritter der Weißen Lilie sind tot, aber da haben wir aber nichts mit zu tun.“
„Ritter der Lilie?!“ Hans´ Stimme überschlug sich fast. „Seid ihr wahnsinnig? Ihr legt euch mit Zauberern und den Hexenjägern an? Wenn die euch finden, dann ist es aus mit euch! Und wenn die herauskriegen, dass ich euch hier beherberge... oh Gütiger, oh Herr, das gibt’s doch nicht, dann war´s das auch für mich! Die brennen den ganzen Straßenzug nieder!“
„Ja, ja, bleib mal ruhig. Ich glaube nicht, dass...“
„Glaubst du oder weißt du es?!“
„Uns hat keiner gesehen. Ganz sicher“, log Ragnar.
Bei den ganzen Schaulustigen, die das Feuer angezogen hatte, waren sie beide sicherlich irgendjemandem aufgefallen.
Hans Augen huschten unruhig durch den Schankraum. Es war eindeutig zu erkennen, dass er mit einer harten Entscheidung kämpfte. Ragnar blickte sich um. Seine neuen Kollegen standen an der Eingangstür und zollten dem Gespräch nicht viel Aufmerksamkeit. Die wenigen Gäste an ihren Tischen hatten vielleicht ein paar Worte aufgeschnappt, jedoch blickte niemand in ihre Richtung.
„Ihr haltet euch bedeckt, klar? Keine Ausflüge. Ihr verlasst dieses Haus nicht und ich werde ganz sicher keinen Priester für euch kommen lassen. Und jetzt geh hoch in dein Zimmer. Ich will nicht, dass euch jemand hier sieht, falls jetzt noch Kontrollen stattfinden.“

Erst kam das Fieber, dann die Krämpfe und das Delirium. Sie verfügten in der „Pinkelnden Sau“ über keine heilenden Salben, Toniken oder Schmerzmittel und so konnte man, wenn es im Schankraum mal etwas ruhig zuging, Ahroks Stöhnen und die gelegentlichen, panischen Schreie selbst bis dort unten hin hören. Dies und Ragnars täglich schlechter werdende Laune wirkten sich nicht gerade positiv auf die ohnehin schon mageren Einnahmen der heruntergekommenen Schänke aus.
Die ersten Tage erwachte Ahrok gar nicht aus seinen Fieberträumen, doch dann erlangte er immer wieder unregelmäßig das Bewusstsein, bis er nach sechs Tagen endlich das Schlimmste überstanden hatte.
Letztendlich dauerte es jedoch ganze drei Wochen, bis die Schwellungen wieder abgeklungen und die Bläschen auf seiner Haut verschwunden waren. Die ständige Kühlung und Pflege hatte also doch noch ein kleines Wunder bewirkt, denn nach dieser Zeit waren von dieser schrecklichen Nacht nur einige wenige, unansehnliche Narben auf dem rechten Oberarm und seiner Brust geblieben.
In der vierten Woche ließen dann auch die Schmerzen merklich nach und ab der fünften begannen nun auch die kleinen Löcher in Arm und Schulter wieder zu verheilen. Wahrscheinlich wäre es sogar noch schneller gegangen, wenn er nicht ständig an den Wunden herumgespielt und sich an die Bettruhe gehalten hätte. So oder so hatte er wahnsinniges Glück gehabt, dass keine Knochen oder Gelenke durch die kleinen Metallstücke verletzt worden waren.
In einer der vielen ereignislosen Stunden seiner Krankenruhe hatte ihm Kira die verschmorten Haare wieder auf eine einheitliche Länge gestutzt, was nun jedoch kaum mehr als zwei fingerbreit war. Jeder Besucher bestätigte, dass sich sein Erscheinungsbild damit signifikant verbessert hatte. Ahrok konnte sich mit seinem neuen Ich noch nicht wirklich anfreunden. Sein Gesicht war rauer, kantiger geworden, seine Narben auffälliger und schwerer zu verbergen.
Zwei Monate nach dem Zwischenfall, fühlte sich Ahrok dennoch beinahe so gut wie neu, zumindest körperlich. Die Schrecken dieser Nacht und die Wochen der schmerzhaften Genesung hatten einen unübersehbaren Schatten auf seine Heldenträume geworfen.
Glücklicherweise hatten sich die anfangs ausladenden Nachforschungen der Stadtwache, was das bestialische Massaker an der Universität betraf, auf ein übliches Desinteresse reduziert. Niemand scharwenzelte deswegen noch herum, keiner stellte mehr Fragen und die Ausrufer hatten wieder andere, interessantere Themen. Inwieweit Hans eine schützende Hand über sie beide gehalten hatte, wusste Ahrok nicht.
Er konnte nur von Glück reden, dass der Schankwirt ihn nicht vor die Tür gesetzt hatte, obwohl er derzeit keine große Hilfe war. Ahrok erhielt selbstverständlich keinen Lohn, aber Hans berechnete ihm auch nur einen Bruchteil dessen, was seine Verköstigung und Unterkunft jeden anderen gekostet hätten und so konnte er sich wahrlich nicht beschweren.
Sein bis dato angespanntes Verhältnis zu Sandra hatte sich wieder normalisiert und sie waren sich wieder so nah wie nie zuvor. Die süße Schankmaid hatte sich die ganze Zeit liebevoll um seinen geschundenen Körper gekümmert und war ihm nicht von der Seite gewichen.
Ragnar hingegen hatte sich nur vereinzelt kurz blicken lassen, um sich nach Ahroks Befinden zu erkunden, war dann aber immer wieder schnell verschwunden, um, wie er sagte, neue oder alte Feinde zu finden.
Der Zwerg hatte eben seine Eigenarten.
Ahrok schwang die Beine aus dem Bett. Es war seit langem mal wieder ein Morgen, an dem er sich nicht einfach nur nutzlos und erbärmlich fühlte, sondern im Gegenteil vor Elan nur so strotzte. Er hatte sich über die lange Zeit beinahe wund gelegen und seine alltäglichen Kraft- und Schwertübungen schmerzlich vernachlässigt. Heute war es höchste Zeit, wieder einmal etwas zu unternehmen. Sie hatten ja noch nicht einmal ihren grandiosen Sieg gefeiert. Welchen Sinn hatte so ein Kampf, welch ein Sinn hatten seine ganzen Verletzungen, wenn man nicht einmal den Sieg feierte?
Wie üblich suchte er nach seinem Schwert am Bettpfosten und wie jeden Tag war es nicht da. Wahrscheinlich hatte er seinen Zweihänder in den Flammen verloren. Genaues wusste er aber nicht. Ahrok konnte sich kaum noch an die Nacht dort erinnern. Alles verschwamm zu einer großen Prügelei in einer unvergleichlichen Hitze. Schreie, helle Lichter, Schmerzen. Es war wohl das Beste, dass er das Meiste davon vergessen hatte.
Schwerfällig und behäbig wie ein alter Mann wandte er sich dem Stuhl zu, auf welchem die neuen Kleidungsstücke lagen. Sandra hatte auch diese wieder für ihn besorgt, nachdem sie seine alten, von den Flammen dahingerafften entsorgt hatte.
Diese hier sahen haargenau so aus, wie seine alten Kleider.
Wie so oft in den letzten Tagen verzog er bei dem Anblick den Mund. Ihm wäre ein Stilwechsel viel lieber gewesen. Erst Recht im Hinblick auf den kommenden Winter, aber er hatte darüber kein Wort ihr gegenüber verloren. Solch Kleinigkeiten totzuschweigen schien ihm momentan das Beste, um die Fortschritte ihrer Beziehung in den letzten Wochen nicht zu gefährden.
Als er gerade in seine neue Hose schlüpfte, hörte er, wie der Zwerg nebenan sein Zimmer betrat und sich aufs Bett warf.
Sogleich hatte er wieder bessere Laune. Es war ein Lichtblick in seinem Leben, dass der Valr doch noch nicht verschwunden war, wie er es in letzter Zeit all zu oft befürchtet hatte. Ragnars Besuche an seinem Krankenbett hätten kaum spärlicher sein können und der Zwerg hatte diese gewisse Abneigung gegen ein ruhiges, zurückgezogenes Leben, die es ihm sicher schwer gemacht hatte, sich die letzten Wochen bedeckt und unauffällig zu verhalten.
Jetzt war es endlich wieder Zeit, sich Auge in Auge mit ihm zu treffen.
Sie hatten so viel zu bereden. Nicht nur ihr weiteres Vorgehen. Ahrok brannte auch darauf, die Geschehnisse jener Nacht wieder und wieder mit jemandem zu besprechen, der daran ebenso beteiligt war wie er selber. Mit jemandem, der ebenso dachte und fühlte wie er selber. Mit jemandem, der das Feuer und die Angst gespürt, der das Blut gekostet hatte und der ebenso tief in dem Schlamassel steckte.
Mit Sandra konnte er nicht über solche Themen reden.
Sie war nur eine Frau.
Keine Frau wie Mia, sondern eine von den Üblichen, die eben nur die Augen verdrehten, wenn er von Kampftaktiken und Angriffsvariationen sprach. Eine die nicht verstand, warum man mit einem Schwertstreich auf Weichteile oder Gelenke und nicht auf Knochen zielte, während ein Hammer andere Ziele bevorzugte. Eine von denen, die unverhohlen und besonders tief seufzten, wenn er überschwänglich von alten Kämpfen und Schlachten und seiner Rolle darin berichten wollte.
Ein Mann brauchte vor allem Gleichgesinnte.
Noch im Gehen warf er sich das Hemd über, gähnte noch einmal und marschierte dann hinüber in Ragnars Zimmer. Hoffentlich würde dieser sich ebenso freuen, ihn zu sehen.
Die Tür zum Zimmer des Zwerges war wie üblich nicht verschlossen und schwang lautlos nach innen auf.
Entgegen Ahroks Annahme lag jedoch nicht Ragnar auf dem Bett, sondern jener hatte seinen Hammer achtlos dorthin geworfen. Das sah dem Zwerg gar nicht ähnlich, denn dieser Hammer war ihm ohne Zweifel das Liebste auf der ganzen Welt.
Der Valr stand am geöffneten Fenster und starrte stumm hinaus auf die Straßen und Dächer der Stadt. Vielleicht war er wieder in seinen trüben Gedanken versunken, die schon so manche fröhliche Stimmung versaut hatten.
Ahrok setzte sich neben Umti auf das Bett.
„Was liegt an Ragnar?“
Langsam drehte der Zwerg seinen Kopf in Ahroks Richtung.
„Geht´s dir also endlich wieder besser.“
Nach diesem knappen Satz wandten sich seine Augen wieder der Außenwelt zu.
„Klar“, erwiderte Ahrok ungebremst fröhlich. „Viel besser. Danke noch mal, dass du mich da rausgetragen hast. Was hast du eigentlich die ganze Zeit gemacht?“
„Ich war unterwegs und hab da draußen nach weiteren Zeichen der Dökksormr gesucht. Scheiß beschissene Schlangen!“ Er wies mit einer unbestimmten Geste hinaus auf die Straße. „Aber da war nichts, gar nichts.“
Ahrok hatte ehrlich gesagt auch nichts Anderes erwartet. Märkteburg war riesig und die Kanalisation darunter noch viel unübersichtlicher als die verwinkelten Straßen der Oberwelt. Wie sollte da ein einzelner Mann in so kurzer Zeit etwas finden, was sich vor der Außenwelt versteckte.
„Vielleicht haben wir sie schon vertrieben? Immerhin haben wir ein paar ordentliche Arschtritte ausgeteilt.“
„Pff!“, schnaube der Valr verächtlich. „An so einen Unsinn brauchst du gar nicht erst zu denken, bevor du nicht ein paar Tausende von ihnen in Stücke gehackt hast... Aber ich hab etwas anderes gefunden. Auf meinen Rundgängen durch die Stadt bin ich auf einen alten Bekannten getroffen.“ Ragnar drehte sich ihm wieder zu und lehnte sich mit den Unterarmen an den Fensterrahmen. „Sigurd, den Meister der Unempfindlichkeit wie er sich heute nennt.“
Ahrok hatte keine Ahnung was der Valr nun schon wieder beabsichtigte.
„Und?“
„Es ist ein wirklich dämlicher Name, aber Sigurd ist ohne jeden Zweifel ein alter, zäher Hund. Er hat schon in mehr Kriegen gekämpft und wurde schon von mehr Pfeilen und Speeren durchbohrt als manche Armee und was noch viel wichtiger ist, er hat sich sofort bereit erklärt, zwei neue Schüler in seiner Schule aufzunehmen.“ Ragnar spuckte aus dem Fenster. „Es läuft nicht gerade gut mit seiner Kampfschule und er sucht händeringend nach neuen Mitgliedern. Wir hätten es kaum besser treffen können. Wie sieht´s aus? Hast du Zeit?“
„Zeit hätte ich schon, aber was kann mir der Kerl denn schon beibringen?“ Ahrok schob den Hammer beiseite und fläzte sich auf das Bett. „Bisher bin ich noch mit jedem so fertig geworden.“
Ragnar verzog abwertend das Gesicht. Es war nicht zu übersehen, dass ihn Ahroks Worte schwer getroffen hatten.
„Du hast deine Übungen schwer vernachlässigen müssen und obendrein sind da noch die vielen Verletzungen, die deine Kraft auch noch weiter mindern. Nimm dazu noch die fehlende Erfahrung und dann dürfte selbst dir klar sein, dass dir bis zu einem echten Kämpfer noch eine ganze Ecke fehlt, Menschling. Aber wenn du nicht willst... ich werd dich sicher nicht zwingen.“
Ahrok konnte sich das Grinsen nur schwer verkneifen, welches ihm ins Gesicht zu springen drohte. Natürlich brannte er darauf, einen neuen Lehrmeister zutreffen und mit anderen zu trainieren, um noch bessere Techniken und Manöver zu erlernen, als das, was ihm Mia in der kurzen Zeit gezeigt hatte, aber er fand es gerade unwiderstehlich, den Zwerg zu necken. Dessen mürrische Art forderte es geradezu heraus.
„Na gut, na fein, ich kann es mir ja mal ansehen, wenn es dich glücklich macht. Wann geht es denn los?“
„Morgen. Ich hab uns gleich angemeldet und Sigurd schon im Voraus mit unserem letzten Silber bezahlt“, meinte Ragnar immer noch etwas verstimmt. Ganz offenbar hatte er erwartet, Ahrok eine größere Freude mit diesem Angebot zu machen.
„Nu zieh nich so ein grummliges Gesicht“, lachte Ahrok endlich auf. „Ich freu mich schon die ganze Zeit drauf, mal endlich wieder was mit dir zu unternehmen“
Wenn diese Worte Ragnars Stimmung anhoben, so ließ er sich dieses jedoch nicht anmerken und starrte nur weiter hinaus aus seinem Fenster.

Der Tag verging wie im Flug. Ahrok hatte endlich wieder seine alte Anstellung aufgegriffen und mit Ragnar die Nachtschicht in der „Pinkelnden Sau“ übernommen. Man bezahlte ihnen dafür zwar nur noch ein Drittel des ursprünglichen Lohns, aber das war immer noch besser, als gar nichts zu verdienen.
Nach dem Ende der Schicht war er erst spät ins Bett gekommen. Sie hatten einen ruhigen Abend gehabt und in den langen, ereignislosen Stunden viel über die Ereignisse in der Magierschule gesprochen. Hatten Narben verglichen, Bösewichte imitiert und ihre Kämpfe nachgestellt. Mit all seinem Charme hatte er Sandra dann doch noch davon überzeugen können, ihm nicht aufs Zimmer zu folgen. Schließlich wollte er bei dem Treffen mit dem großen Lehrmeister morgen den bestmöglichen Eindruck machen. Doch kaum hatte er die Augen geschlossen und war eingedöst, da begann es auch schon, an seiner Tür zu hämmern.
Ahrok schreckte aus seinem Schlaf hoch.
„Was ist denn?“, rief er missgelaunt dem Plagegeist zu.
„Steh endlich auf. Wir müssen los“, vernahm er Ragnars Stimme vom Flur.
Der blöde Zwerg nervte ihn jetzt schon. Bleischwere Glieder wälzten sich mühsam aus seinem Bett. Es war ihm, als hätte er sich gerade erst hingelegt und ein Blick aus dem Fenster bewies ihm, dass er mit dieser Vermutung auch völlig richtig lag. Nicht ein einziger Sonnenstrahl blinzelte über den Horizont. Der Zwerg hätte wenigstens in einem ihrer Gespräche erwähnen können, dass er sich gar nicht erst hätte hinlegen brauchen. Jetzt war er gerade erst so richtig müde.
„Ich komme“, gähnte Ahrok und warf sich seine Kleidung über.
Vor seiner Tür wackelte der Zwerg ungeduldig von einem Bein aufs andere.
„Schön dass du auch endlich aufstehst“, maulte dieser sogleich los.
„Ja…“, brummte Ahrok.
Der Valr hatte ja wieder eine besonders gute Laune heute. Das konnte ja was werden heute. Es wäre so herrlich, wenn Ragnar einmal andere Gemütszustände als depressiv oder verärgert annehmen könnte.
„Warum müssen wir so früh los?“, fragt Ahrok gereizt und wischte sich den Schlaf aus den Augen.
„Das Training bei Sigurd beginnt um sechs Uhr früh und wir wollen doch pünktlich sein. Außerdem hab ich versprochen, eine Stunde früher da zu sein, um die restlichen Formalitäten zu erledigen. Also keine Fragen mehr. Wir sind eh schon im Verzug.“
Schon wandte sich der Zwerg um und verließ das schlafende Lokal.
Ahrok war schon wieder versucht, dem Zwerg einen Stiefel an den Kopf zu werfen. Sie hatten gestern fast acht Stunden lang ununterbrochen geredet aber der blöde Zwerg hatte kein Wort davon erwähnt, dass der andere blöde Zwerg in aller beschissenen Frühe mit seiner Ausbildung begann.
Mit halb geschlossenen Augen schlurfte Ahrok dem Valr hinterher und auf der Straße vor der „Pinkelnden Sau“ holte er ihn dann auch endlich ein.
„He, sag mal, Ragnar. Wieso nennt sich den Kumpel eigentlich ´Meister der Unempfindlichkeit´?”
Der Zwerg antwortete, ohne sich auch nur umzudrehen oder seine Schritte zu verlangsamen.
„Hörst du mir denn irgendwann auch einmal zu? Sigurd rühmt sich damit, dass er durch seine vielen Verletzungen gelernt hat, Schmerzen besser zu ertragen und dass er dieses Wissen an seine Schüler weitergeben kann. Ich habe schon Zwerge kämpfen sehen, obwohl deren Körper mit dutzenden Pfeilen und Speeren gespickt waren und die aus vielen, tödlichen Wunden bluteten. Schiere Willenskraft, mein Menschling. Das wirst du da noch lernen.“
„Aha...“, kommentierte Ahrok die Worte des Valrs.
Ein fremder Zwerg wollte ihn also quälen und verlangte auch noch sein letztes Silber dafür. Irgendwie klang das Ganze jetzt schon weit weniger toll als noch gestern. Er hatte etwas anderes von diesem Training erwartet. So ein Monat Pause wäre doch auch einmal eine gute Idee. Schmerzfrei, ohne Kampf und Getöse seiner Arbeit nachzugehen und nachts erschöpft neben einer wunderschönen Frau einzuschlafen, hörte sich mit einem Mal viel besser an als das, was der Zwerg mit ihm vorhatte.
Dieser stapfte hingegen durch die Dunkelheit, so als ob sein Leben davon abhinge. Wahrscheinlich hatte der Zwerg es nur so eilig, weil er keine Freundin hatte. Das war es wohl. Ganz sicher musste ihm bloß einmal ordentlich das Kurzschwert poliert werden, damit er wieder etwas umgänglicher wurde.
Schweigend und in eigenen Gedanken versunken, die hauptsächlich mit allerlei Foltermethoden zu tun hatten, denen er sich ausgesetzt sah, folgte er Ragnar durch die dunklen Gassen der schlafenden Stadt.
Kalte, feuchte Nachtluft trieb ihm die Müdigkeit aus seinen Knochen. Es war ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Herbst nun auch in der Stadt Einzug hielt. Ahrok konnte es hier zwischen all den Steinbauten zwar nicht so genau erkennen, denn man sah nur selten Bäume am Straßenrand, an deren Blätterkleid man die Jahreszeit ablesen konnte, aber die Kälte kam und mit ihr auch der Regen und der Nebel.
Während er die Arme um den Körper schlang, um sich zu wärmen, wünschte er sich, dass seine Fellrüstung nicht in den Flammen drauf gegangen wäre. Der Herbst war eine abscheuliche, nasskalte Jahreszeit und wieder einmal wunderte er sich, wie der Zwerg, nur mit einer Weste über dem nackten Oberkörper, die Kälte ertrug. Dieses ekelhafte Wetter schien dem Kleinen gar nichts auszumachen. Im Gegenteil, der Zwerg sah so aus, als würde er die Luft an diesem Morgen sogar noch genießen.
Ahrok senkte den Kopf und lief den Stiefeln des Zwerges hinterher.
Natürlich begegneten sie niemandem zu dieser Tageszeit.
Stadtwächter gab es in den verkommenen Häuserschluchten des Armenviertels kaum, die Diebesbanden hatten schon vor etwa einer Stunde ihr Tagwerk beendet und selbst wenn sich hier noch jemand in den Schatten ducken würde, so wäre er sicher nicht so verrückt, zwei heruntergekommene, aber dafür gut bewaffnete Männer überfallen zu wollen.
Händler, Krämer und Tavernenbesitzer, Rattenfänger, Bettler und Alchemisten lagen in ihren warmen Betten in wohlverdientem Schlaf, während er sich hier über rutschige Pflastersteine quälte.
Ein aus einem Fenster ausgeschütteter Pisspott war dann auch das einzige Lebenszeichen der Stadt, welches Ahrok heute zu sehen bekam.
Als endlich die ersten Sonnenstrahlen vorsichtig über die Hausdächer lugten, hielt Ragnar vor einem riesigen Grundstück, welches von einer gut drei Schritt hohen Mauer aus Stein umgeben war. Hohe und tiefe Schreie, das Klappern von Holzwaffen und die Kommandos der Ausbilder hallten darüber hinweg.
Ragnar begann kräftig gegen das hölzerne Tor zu hämmern.
„Sigurd! Wir sind´s! Mach auf!“
Sofort, als ob man nur auf ein Klopfen gewartet hatte, schwang das Tor auf und ein weiterer Valr stand breitbeinig in der Tür. Der Zwerg war noch weitaus älter als Ragnar, denn unter seinen rituell geflochtenen Zöpfen blitzten schon etliche ergraute Haare hindurch und die faltige Haut wirkte schlaff und ledern. Den Bart trug er wie Ragnar ebenfalls brustlang.
„Das wurde aber auch Zeit. Was war denn los, Ragnar? Hat dich das Langbein da aufgehalten?“
„Das ist ein Freud von mir, Sigurd Sigurdsson“, erwiderte Ragnar mit einem scharfen Unterton.
Der andere Valr spuckte aus und beäugte Ahrok misstrauisch.
„Ein Freund von dir? Das ist der Andere? Ragnar Sohn des Rango, bist du etwa weich geworden über die letzten paar Jahrzehnte? Warum bringst du uns einen vom Grautfolc?“
„Wir sind beide hier, um bei dir zu lernen, oh großer Meister der Unempfindlichkeit.“
Ragnars unverhohlener Spott machte die ganze Situation sicher nicht besser. Ahrok starrte verlegen auf seine Füße.
„Du hast schon immer schlechte Witze gerissen, Ragnar Rangosson. Ein Menschling? In meiner Schule? Dir wurde bei dem Höhleneinsturz damals wohl das letzte bisschen Verstand aus dem Schädel gehämmert, was? Das hier ist eine ehrbare Schule. Von Dwawi für Dwawi und ich lasse da nicht jedes dahergelaufene Langbein hier herein, dass weder die Gebräuche achtet noch die Regeln kennt.“
Durch das geöffnete Tor riskierte Ahrok einen Blick in den Innenhof. Viele Zwerge hatten sich dort zu einem großen Pulk zusammengefunden und gafften ihn ihrerseits an.
Er reckte sich zur vollen Größe und wandte sich nun seinerseits an den Zwerg.
„Ich bin ein Krieger und ich kann kämpfen, Meister Sigurd. Ich hab viel gelernt und mein Silber ist so gut wie das eines jeden Zwerges.“
Der alte Valr war sichtlich erbost über Ahroks Einmischung. Sein Brustkorb hob sich, als der Zwerg zu einer energischen Zurechtweisung ansetzte, doch dann ließ der Alte einfach nur seinen Atem wieder entweichen und schüttelte nur den Kopf.
Einige schweigsame Augenblicke vergingen und Ahrok ging dieses betretene Schweigen mächtig auf den Zeiger.
„Nun gut, du sollst deine Chance bekommen, Menschling, weil du der Freund eines Zwerges bist. Entledige dich deiner Hose und des Hemdes und finde dich da hinten bei meinen Schülern ein.“
Es war arschkalt und dieser griesgrämige Zwerg zwang ihn nun auch noch, seine Sachen auszuziehen. Mürrisch warf er das neue Hemd und die Hose auf den schmutzigen Boden und stapfte hinüber zu den anderen Zwergen. Zwerge... was dachten die sich nur immer dabei, ihn herumzukommandieren?
Sigurd hob anerkennend die linke Augenbraue, als er Ahroks vernarbten Oberkörper sah.
„Woher hast du den Menschen?“, fragte er Ragnar zugewandt.
„Der ist mir im Sommer zugelaufen... ist ´ne lange Geschichte. Ich kenne ihn nun schon seit einigen Monaten und ich schwöre dir Sigurd, an dem da ist ein echter Dwaw verloren gegangen.“
„Hmpf, wir werden sehen. Narben kann sich jeder Schwachkopf einhandeln.“
Die beiden Zwerge betraten nun ihrerseits den großen Hof, wo ein bibbernder Ahrok in der Zwergenmenge wartete.
„So, ihr fragt euch sicher, was diese ganze Aufregung hier zu bedeuten hat, was wohl so Bedeutsames passiert ist, dass wir sogar eure wirklich notwendiges Ausbildung unterbrechen. Dieser Mensch hier, dieser... Mensch... will bei uns trainieren. Hier. Bei mir. Zusammen mit euch. Ich wollte ihn fortschicken, doch dieser Valr hier hat sich für ihn eingesetzt und sein Wort hat Gewicht in meinen Ohren.
Deshalb gebe ich diesem Langbein eine Gelegenheit, sich zu beweisen. Das Ritual der Weide. Es soll entscheiden, ob der Menschling würdig ist, hier unter uns zu weilen. Rogg, hol den Stock und du, Menschling, stell dich ruhig hin. Breitbeinig und die Arme vom Körper gestreckt.“
Ahrok begab sich in die genannte Position und gerade als er fragen wollte, was das Ganze sollte, knallte es wie ein Peitschenhieb über seinen Rücken. Vor Überraschung und Schmerz schrie er auf und fuhr herum. Dort stand einer von diesen kleinen, miesen Dreckskerlen mit einer Weidenrute in der Hand und holte gerade zum nächsten Schlag aus. Die Zwerge um ihn herum lachten Ahrok hämisch an oder schüttelten verächtlich den Kopf.
So hatten sie nicht gewettet.
Noch bevor sein Peiniger das nächste Mal zuschlagen konnte, trat Ahrok zu. Sein Fuß erwischte die Schulter des Schlagarmes und warf diesen zurück. Das bärtige Gesicht war frei und ungedeckt und lechzte schon nach Ahroks Faust, doch mitten im Angriff fiel ihm jemand in den Arm.
Etwas unmenschlich Starkes riss ihn zu Boden und warf sich auf ihn. Mit schmutzigen Stiefeln trat ihm derjenige auf dem geröteten Rücken herum, als er ihm den Arm nach hinten riss und ihn auf dem Boden festnagelte.
„Ich hätte mittlerweile wissen müssen, wie unendlich dumm und arrogant die Menschen sind, aber du hier setzt neue Maßstäbe. Du kommst hier her und nennst dich einen Krieger. Pah! Das Ritual der Weide ist ein heiliges Ritual unter Anwärtern. Zehn kleine Schläge nur. Stoisch und starr wie ein Fels, wie ein echter Sohn der Berge erträgt es ein Mann ohne sich zu rühren oder einen Ton von sich zu geben. Und was tut der Mensch beim ersten Klaps? Schreit wie ein Katzenjunges, wenn es gegen eine Wand geschleudert wird.“ Alles um ihn herum lachte. „Verschwinde, Menschling. Du hast hier nichts verloren.“
„Bitte ich, argh!“ Der Kerl auf seinem Rücken hebelte seinen Arm gleich viel stärker, als Ahrok Widerworte von sich gab. „Ich krieg das hin. Ich hab euer wunderschönes Ritual nur nicht gekannt. Es tut mir leid, gebt mir noch eine Gelegenheit, es zu beweisen.“
Ahrok blieb mit dem Gesicht im Dreck liegen, bis der sadistische Typ endlich seinen Arm freigab. Erleichtert ließ Ahrok den Atem fahren und rieb sich die schmerzende Schulter.
„Du willst noch einmal?“, rief Sigurd in die Runde. „Na fein. Es soll mir niemand nachsagen, ich wäre nicht nachsichtig.“ Und hinuntergebeugt zu Ahrok flüsterte er: „Du hättest aufgeben sollen. Niemals kommt so etwas wie du in meine Schule. Niemals.“
Der Alte sprang von seinem Rücken und Ahrok erhob sich langsam. Alle anderen Zwerge grinsten ihn nur dämlich an. Nicht einer machte einen Hehl daraus, dass sie ihn auslachten. Selbst Ragnar verzog nur das Gesicht und vermied es ihn anzusehen. Dieses verdammte, kurzbeinige Pack. Denen würde er es schon zeigen.
Er begab sich wortlos wieder in die Ausgangsposition wie vorhin, schloss die Augen und bereitete sich mental auf einen Treffer vor.
„Nun, mein uneinsinniger Menschling, bist du bereit?“
Noch bevor Ahrok nicken konnte, knallte auch schon die Weidenrute auf seinen Rücken.
Mit diesem Trick hätte der Zwerg ihm beinahe einen unbedachten Aufschrei entlockt.
„Na fein, dann mach weiter, Rogg.“
Waren die ersten beiden Schläge noch erträglich, so hämmerte der Zwerg die nächsten drei geradezu feindselig auf Ahrok ein. Doch seine Gedanken waren ganz woanders. Wie Mia es ihm gezeigt hatte, schickte er seine Gedanken auf Wanderschaft und spürte die Schläge nur als leichtes, dumpfes Ziehen in seinem Rücken.
„Was, bei den erbsengroßen Eiern deines Vaters, ist los mit dir, Rogg? Du verdammter Anfänger, gib mir die Rute! Das ist ja nicht mit anzusehen.“
Sigurd riss die Weidenrute aus den Händen seines Schülers und stieß diesen beiseite.
Schon der erste Schlag riss Ahrok brutal zurück in die Wirklichkeit. Seine Zähne knirschten hörbar, als das Holz seine erste, blutende Wunde riss. Er verkrampfte sich. Sein Atem ging gepresst und stoßweise. Sein Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt. Der nächste Schlag ging über den Oberarm, ein weiterer quer über den Hintern und noch einer über den Oberschenkel.
Er zitterte und bebte bei jedem Hieb. Nur noch einer. Der Gedanke war alles was ihn daran hinderte den Wünschen seiner Muskeln nachzugeben und hinzufallen. Nur noch einer, dann war es geschafft.
Ahrok war der Ohnmacht nahe, als endlich der letzte Streich quer über den Nacken Blutspritzer an seinem Gesicht vorbeischickte.
Leise stöhnend fiel Ahrok vornüber auf die Knie. Das Blut rann ihm den Rücken hinab und die aufgeplatzte Haut schmerze im kalten Herbstwind gleich doppelt so sehr.
„Das war nicht schlecht. Gar nicht mal schlecht... für einen Menschling. Aber ich kann dich hier nicht gebrauchen. Jemand der nicht einmal das Ritual der Weide kennt, der hat hier nichts verloren.“
Was musste er da hören? Alles sollte umsonst gewesen sein? Die Prügel, die Schmerzen – für nichts? Tränen schossen ihm in die Augen. Einen Augenblick lang legte sich die Resignation wie ein Mühlstein auf Ahroks Schultern, dann wurde diese jedoch in einem Anflug alles überdeckenden Zorns fortgeschwemmt.
Mit einem befreienden Aufschrei kam er wieder auf die Beine. Schwer atmend, die Muskeln zum Zerreißen angespannt stand er da und stierte bedrohlich in die Menge.
„Ich bin noch nicht fertig hier. Hörst du? Du da. Das regeln wir jetzt wie Männer. Gimachti Kruchon!“
„Du forderst mich heraus? Mich?“ Sigurd lachte verächtlich. „Na fein, wenn du willst.“
„Ich hoffe nur du hast schon alle Söhne gezeugt, die du wolltest. Das ist nämlich ab heute vorbei!“
Der Zwerg zeigte belustigt seine Zähne.
„Ein großes Mundwerk hast du, das muss ich dir lassen. Aber fangen wir doch bitte gleich an, ich will nicht den ganzen Vormittag mit dir vertrödeln.“
Schnickschnackschnuck. Papier schlägt Stein. Ahrok begann.
Bereitwillig nahm sein Gegenüber die Grundhaltung ein und wartete. Sein Gesicht zeigte nicht die leiseste Besorgnis.
Ahrok versuchte den Ärger zu verdrängen und die verspannte Muskulatur zu lockern. Diese miesen Zwerge. Seine Schultern waren verkrampft und steinhart. Er würde diesem hochnäsigen Zwerg schon zeigen, was eine Harke ist. Ein kurzer Anlauf, dann der Tritt aus vollem Lauf... es war ihm, als hätte er gegen einen Felsen getreten.
Der Zwerg vor ihm ließ mit halb geschlossenen Augen betont langsam seinem Atem entweichen und blickte ihn dann fröhlich an.
„Nett, ganz nett soweit. Obwohl dir deine Größe hierbei sicherlich von Vorteil ist. Nun bin ich aber dran.“
Ungläubig starrte Ahrok den alten Valr an. Das konnte doch nicht wahr sein. Er hatte alle Kraft in diesen Tritt gelegt, alles was er hatte und der Zwerg zeigte nicht die geringste Regung.
„He, Menschling, aufwachen. Ich bin dran.“
Ahrok schüttelte diesen leichten Anflug von Angst ab, der ihn zu überkommen drohte, und stellte sich breitbeinig hin. Starr fixierte er den Zwerg. Dieser würde nicht gewinnen. Nicht hier und nicht heute.
Dann setzte der Zwerg auch schon an. Links, rechts... oh, ein Linksausleger schoss es Ahrok durch den Kopf, als er das kurze Bein auf seine Leistengegend zurasen sah.
Der Aufprall traf ihn wie ein Dampfhammer ins Gemächte und Ahrok jaulte leise auf.
Entgegen aller Vernunft fiel Ahrok nicht und als die funkelnden Sterne vor seinen Augen langsam wieder verschwanden, fand er sich immer noch zittrig stehend in der kleinen Arena voller Zwerge wieder.
Anerkennendes Raunen und Tuscheln war um ihn herum zu hören.
Langsam nahm auch die Wirklichkeit wieder feste Formen an. Sein Gegner stand schon wieder in Position und erwartete seinen Angriff. Langsam streckte sich Ahrok. Seine Beine wollten ihm nicht so recht gehorchen, ihm war schwindlig und obendrein wahnsinnig schlecht, aber das war hier noch nicht zu Ende. Mit wildem Kraftschrei beflügelte er sich selber und stürmte erneut vor... aber er kam nicht weit. Schon beim zweiten Schritt nach vorn wurde ihm schwarz vor Augen und er fiel der Länge nach auf den nasskalten Boden.

„Hacken, schlitzen, stoßen!“ Es waren die ersten Worte, die Ahrok wieder vernahm. „Schneller, härter! Strengt euch endlich mal an! Angreifen, verstümmeln, töten!“
Irgendjemand brüllte hier ganz schön laut rum.
Als er die Augen aufschlug, sah er das rundliche Gesicht einer jungen Zwergin über sich.
„Ah, du bist wach. Endlich. Wir hatten schon befürchtet, dich heute mit dem Müll in die Kanalisation schmeißen zu müssen“, kicherte sie. „War nur ein Scherz.“
„Was ist passiert?“
„Du bist umgefallen. Das ist passiert. Einfach ohnmächtig geworden. Scheint so, als ob dein Körper der Anstrengung nicht standgehalten hat. Sag mal, hast du heute schon etwas gegessen?“
„Nein... ich denke nicht... au!“
Als Ahrok sich erheben wollte, knallte er mit dem Kopf gegen die viel zu niedrige Decke. Erst jetzt fiel ihm auf, dass auch seine Beine weit über das kleine Bett hinausragten, in das man ihn gesteckt hatte.
„Ja, das ist blöd. Wer viel arbeitet muss auch gut essen. Sonst wird das alles nichts.“
Ahrok nickte und verschaffte sich einen Überblick über seine aktuelle Lage.
Jemand, sicherlich die kleine Zwergin hier, hatte seine aufgeplatzten Wunden verbunden und ein nasses Tuch auf die Stirn gelegt. Er lag in einem viel zu kleinen Bett in einem Raum mit viel zu niedriger Decke.
„Gertrude! Was ist nun? Ist der Kerl jetzt endlich gestorben oder wach?“, brüllte jemand von draußen.
„Er ist wach, Vati“, rief die Kleine neben ihm nicht minder laut zurück.
„Dann schick ihn raus! Oder was treibt ihr da drinnen?“
„Du hast Papa gehört, Junge. Schwing deine Beine aus dem Bett und mach dich raus hier.“
Noch bevor Ahrok sich im Klaren darüber war, ob er nach dem Tritt des gemeinen Zwerges nicht vielleicht noch immer halluzinierend im Dreck auf dem Trainingsgelände lag, zog diese Gertrude ihn auch schon auf die Beine.
„Komm endlich. Mein Vater ist nicht der geduldigste Zwerg in Märkteburg.“
Was sollte jetzt noch kommen? Hatte der alte Zwerg nun vor, ihn noch einmal vor versammelter Mannschaft zu demütigen, bevor er ihn nach Hause schickte? Dieser widerliche Zwergenbastard hatte ihn einfach so besiegt. Was für ein beschissener Tag.
Mangels einer Alternative folgte er der kleinen Frau widerstandslos nach draußen. Jede Bewegung tat weh und das lag nicht nur an seinem verletzten Stolz. Durch die Tür hindurch musste er sich dann auch noch bücken. Dann ging es nur noch einen kleinen Gang entlang und er stand wieder auf diesem Übungsplatz von heute früh.
„Das nennt ihr Anstrengen?“, hallte die energische Stimme wieder über das Gelände. „So was nenn ich Urlaub, also hoch die Seile, hoch die Seile!“
Der Sprecher, dieser alte Valr, wandte sich um und musterte Ahrok.
„Ah, der Menschling. Hat er sich endlich aus dem Bett gequält.“
„Ja“, antwortete Ahrok trotzig.
„Wie sagte mein alter Lehrer immer. Das Mittel ist Ehrgeiz, das Produkt ist Stolz. Er hat zwar auch mal gesagt, dass Steine fliegen können, wenn sie nur fest genug wollen, aber ich will verdammt sein, wenn du heute nicht deinen Ehrgeiz bewiesen hast, Menschling. Nenn mir deinen Namen.“
„Ich bin Ahrok.“
„Ahrok, he? Ein dämlicher Name, aber dafür leicht zu merken. Geh zu den Seilen Ahrok und rauf da.“


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Worterklärungen

Dökksormr – „Schlangen aus der Dunkelheit“ Bezeichnung der Zwerge für die Weißen
Gimachti kruchon – wörtlich „das Gemächte zerschmettern“, eine zwergische Art des Zweikampfes
Grautfolc – wörtlich „das große Volk“, Bezeichnung der Zwerge für alle anderen Rassen
 
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Kommentare  

Ich glaube ich lese mal die anderen Kapitel durch :) Ich hab nichts weiteres zu sagen.

Heartless Heart (13.10.2010)

Ich, ein Freund der Zwerge, finde dieses Kapitel sehr gut. Mir gefällt dein Schreibstil.
Freu mich schon weiterzulesen.

Gruß


Alexander Bone1979 (13.10.2010)

Mensch, mit diesen frisch verheilten Wunden schon zum Kampftraining - alle Achtung! Der Junge hat Power! Muss er ja auch haben, sonst wäre er kein Held. Aber Schuld daran trägt Ragnar, der lässt den Menschling hart rannehmen. So ein Heldentum entsteht eben nicht einfach so aus dem Nichts heraus.

Jochen (11.09.2010)

sigurd, der meister der unempfindlichkeit hält wohl nicht viel von den menschlingen...
und ja wirklich, ein wunderschönes ritual, zehn kleine schläge nur – und dann fordert ahrok den meister auch noch zu einem gimachti kruchon auf. na ja, er hat’s überlebt. irgendwie.
ein köstliches kapitel! ;)


Ingrid Alias I (09.09.2010)

Ahhh die gute, treue Petra ^^ ich glaubte dich schon fast verloren, so lang kam mir deine Abstinenz vor.

Das 18. Kapitel war in der vorherigen Version eine der großen Schwachstellen der Geschichte um Ahrok und Ragnar - es findet jetzt offensichtlich doch etwas mehr Anklang als zuvor.


Jingizu (08.09.2010)

Und nun wird trainiert. Naja, von nichts kommt nichts und Ahrok will schließlich beser werden um die Dökksormr (köstlicher Name) endlich völlig aus der Stadt zu vertreiben. Na, wir werden weitersehen.

Petra (07.09.2010)

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