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9 Seiten

Ahrok - 38. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Achtunddreißigstes Kapitel: Auf dem Markt

Es war mittlerweile elf Tage her, dass ihr einziger vertrauenswürdiger Stadtwächter spurlos verschwunden war. Nichts war seitdem mehr wie zuvor.
Olga hatte sein Verschwinden am härtesten getroffen. Die ersten vier Tage lang hatte sie sich in ihrem Zimmer eingesperrt und wenn man ihr dennoch zufällig in Flur oder Küche begegnet war, dann hatte man, trotz ihrer Bemühungen ihr Gesicht zu verbergen, nicht umhin kommen können, die rotgeweinten Augen zu bemerken.
Nach spätestens einer Woche war es auch dem Letzten von ihnen klar geworden - Hieronimus Schmidt war fort und er würde nicht wiederkommen, nicht nach einer so langen Zeit.
Egal, ob er aufgegeben hatte und fortgelaufen war oder aber in einem Kerker oder auf einem Friedhof verrottete, er war nicht mehr hier und damit hatte sich alles verändert.
Sein großer Plan, in den er natürlich niemanden von ihnen eingeweiht hatte, war mit ihm verschwunden. Schlimmer war nur noch, dass das letzte bisschen Silber für ihre Miete schon seit Wochen aufgebraucht. Olga hätte sie bereits vor etlichen Tagen vor die Tür setzen können, aber etwas hatte sie bisher davon abgehalten.
Ob es nun die Trauer um das Verschwinden des Stadtwächters war oder einfach nur ihre Gutherzigkeit, Ahrok hoffte, dass es noch etwas länger anhalten würde.
Doch in all dem Ärger gab es zumindest eine gute Nachricht in dieser Zeit, denn Ragnar ging es in den letzten Tagen zusehends besser. Er sprach noch immer wenig und verließ das Bett nicht, aber er nahm wieder Nahrung zu sich, auch wenn sie nur aus der mittlerweile üblichen, dreimal abgekochten Knochenbrühe oder Brennnesselsuppe und einem Kanten hartem Brot bestand.
Das blieb dann aber auch das einzig Positive.
Was ihn am meisten an ihrer derzeitigen Situation beunruhigte, war der kommende Winter. Es wurde mit jedem Tag kälter und das nicht nur draußen auf den Straßen, sondern auch in ihrem Quartier. Die Kälte kroch ungehindert durch Ritzen, Löcher und handbreite Spalte in Dach und Wänden in jedes Zimmer.
Als er gestern aufgewacht war, hatte bereits der erste Schnee auf seiner Bettdecke gelegen.
Es ging in seinen Gedanken nun nicht mehr um die Weißen oder ihre bösartigen Pläne. Er machte sich jetzt nur noch Gedanken darüber, wie sie wohl durch den Winter kamen. Nüchtern betrachtet war es unwahrscheinlich, dass sie beide ohne entsprechende Kleidung und in diesem Zustand auch nur eine Nacht draußen auf der Straße überstehen würden.
Gleich nach dem Aufstehen verließ er also das Haus, um die Reste der abgebrannten Sau zu durchsuchen. Er und ein halbes Dutzend anderer Leute durchwühlten die Asche und den Schrott der ehemaligen Taverne nach irgendetwas Brauchbarem.
Viel gab es nicht mehr zu holen. Von Tag zu Tag fanden die Plünderer weniger, aber wenigstens hatte er heute noch einen Arm voll recht brauchbarem Feuerholz aus der Ruine bergen können.
Kurz nach seiner Rückkehr kam die Mittagszeit und mit ihr verstärkte sich der Hunger.
Die heute zum vierten Mal verwässerte Brühe füllte weder seinen Magen, noch stillte sie seine Bedürfnisse. Er fühlte sich auch nach dem Essen noch immer so schwach und antriebslos wie davor. Das Hungergefühl war mittlerweile so permanent vertreten, dass er schon nicht mehr wusste, wie es früher gewesen war. Damals, als er sich noch hatte satt essen können.
Ahrok schob die leere Schüssel fort und schaute gedankenverloren durch die schmutzigen Fenster hinaus auf das Schneetreiben.
´Heute beginnt die Marktwoche´, hatte er auf seinem Streifzug durch die Ruinen der „Pinkelnden Sau“ gehört.
Der Markt war um diese Jahreszeit etwas Besonderes, denn während noch im Sommer und Herbst an jedem Tag scharenweise Händler aus der ganzen Swanmark ihre Waren in der Stadt feilboten, so hatte sich dies mit der zunehmenden Kälte auf ein Minimum reduziert.
Der Fluss war zugefroren und damit nicht mehr für die Schifffahrt passierbar, Luftschiffe hatten ihre wahre Not bei den aufkommenden Schneestürmen zu segeln und somit blieb für die meisten Handelsreisenden nur noch der Landweg.
Eine langwierige und kostspielige Alternative.
Die Händler reisten von nun an nur noch in großen Gruppen und mit einer Vielzahl an wintertauglichen Waren. Dann machten eine Woche lang halt in Märkteburg, bevor sie wieder für ein oder gar zwei Monate verschwanden.
Eine Woche.
Er stand auf und verließ das Haus, ohne sich zu verabschieden.
Vielleicht, wenn alles gut lief, dann könnte er…
Während Ahrok durch die schneebedeckten Straßen stapfte, hing er seinen jetzt etwas herabgestuften Träumen nach. Möglicherweise stieß er unterwegs auf einen verlorenen Geldbeutel oder ein gutherziger Fremder würde ihn anheuern und für seine Dienste hervorragend bezahlen. Er könnte sich warme Kleidung kaufen oder eine Decke und endlich wieder etwas zu essen…
In der wirklichen Welt drang ihm indes das Wasser durch die fehlerhaften Nähte seiner Stiefel und sein Magen knurrte so sehr, dass es schon weh tat.
Der Wind hier draußen machte es ihm noch schwerer, sich nicht einfach hinfortzuträumen.
In den windstillen, engen Gassen ließ es sich zwar aushalten, aber sobald er dem beißenden Wind auf den breiten Straßen ausgesetzt war, spürte er die ganze, unbeugsame Macht des Winters. Der eiskalte Sturm kratze ihm mit frostigen Fingernägeln über Gesicht und Hände, so dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Seine Finger, Ohren und Zehen spürte er schon auf der Hälfte der Strecke nicht mehr. Bis er dann den Marktplatz erreicht hatte, litten Arme und Schenkel an ähnlichen Phänomenen. Doch von da an wurde es wieder besser.
Es gab hier so viele Leute, so viele Feuer und so viele Planen, dass die Winterkälte gar keine Gelegenheit bekam, sich seiner hier zu bemächtigen.
Bei einem kleinen, windgeschützen Stand hielt er an, um sich etwas aufzuwärmen. Ein älterer Mann verkaufte hier Röstkastanien, die er in einer riesigen Pfanne über einem offenen Feuer zubereitete. Zuerst hatte ihn nur der Duft der Leckereien angelockt, aber er verweilte dann einige Minuten wegen der wärmenden Glut des Feuers, die das Leben zurück in seine Extremitäten strömen ließ.
So stand er also einige Zeit dort am Rande des Marktplatzes und beobachtete die Männer, Frauen und Kinder, welche nach einem kurzen Gespräch mit dem Händler fröhlich mit einer Tüte voll dampfender Röstkastanien von dannen zogen und in der Menge verschwanden.
Zwar machte der hagere Kastanienröster keine Anstalten ihn fortzujagen, doch als der Hunger und das Verlangen allzu groß wurden, verließ Ahrok seinen Platz und wanderte zwischen all den Marktständen entlang.
Er sah Brezeln, Brote, Fleisch und Bier und Wein und daneben noch allerlei nicht essbaren Krimskrams, den er kaum beachtete. An jedem Stand hielt er sich eine kleine Weile auf und betrachtete die Waren, welche zum Verkauf standen oder beobachtete die Leute, wie sie um bessere Preise feilschten.
Ein Pelzhändler nahm dann wenig später seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.
Es war ein dicker Mann mit flauschigem Vollbart, der in seine eigenen, noch dickeren Pelze gehüllt war und herrlich warme Mäntel, Schals und Muffe anpries. Es wäre wunderbar jetzt so ein warmes Kleidungsstück zu besitzen.
Ahrok blickte sich um.
Zwischen all den Leuten hier spazierten einige Stadtwächter auf der Suche nach Beutelschneidern, Betrügern oder dreisten Dieben entlang. Es musste irgendwann eine Gelegenheit geben, wenn Händler und Stadtwächter gleichermaßen abgelenkt waren, dann könnte er sich einen der Pelze greifen und so schnell wie möglich davonlaufen.
Er spähte nach einem geeigneten Fluchtweg und als er endlich glaubte ihn gefunden zu haben, verwarf er seinen Plan wieder und marschierte weiter. Stehlen lag ihm nicht sonderlich. Es hatte sich nie als moralisches Dilemma erwiesen, die toten Körper seiner Feinde ihrer Habseligkeiten zu berauben, aber Stehlen war dann doch etwas anderes.
Ahrok kam auf seiner erneuten Wanderung wieder nicht sonderlich weit, denn sein knurrender Magen ließ ihn vor dem Stand eines Großbauern halten.
Alles roch so phantastisch vertraut hier und erinnerte ihn schmerzlich an sein früheres Leben.
Hier gab es alles. Pökelfleisch, Dörrfleisch, Schinken, Butter, Honig und ganze Säcke voll mit Gerste, Hafer, Hirse und Weizen für nahrhaften Brei oder Grütze, Körbe voll mit gelbleuchtenden Äpfeln und Birnen oder Nüssen und hinten reihten sich Pastinaken, Zwiebeln und Rote Rüben auf.
Er konnte seine Augen nicht von all diesen Speisen wenden, auch wenn ihm der Hunger spürbare, seelische und körperliche Qualen bereitete.
So stand er wohl eine Stunde in der Nähe des Marktstandes, bemüht, nicht allzu sehr aufzufallen. Er beobachtete die Käufer, die Verkäufer, zählte die Zwiebeln oder tagträumte davon, in einen der Äpfel zu beißen.
Diese Äpfel… so süß und saftig. Der Korb mit ihnen stand ganz links außen auf dem Tresen und es wäre wohl ein Leichtes, unbemerkt vorbeizuschlendern und einen zu ergreifen. Nur einen. Einen kleinen. Der Mann und seine Frau hinter dem Verkaufsstand würden so einen kleinen Apfel kaum vermissen bei all den Gütern.
Und während er noch überlegte, wie er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte, stieß ein unachtsamer Kunde mit dem Ellenbogen gegen eben jenen Korb. Dieser kippelte und acht der aufgetürmten Äpfel kullerten über die nassen Pflastersteine des Marktplatzes.
Zwei davon, als ob von unsichtbarer Hand geführt, rollten direkt vor seine Füße.
Rasch bückte er sich, hob sie auf und schob sie unter sein Hemd.
Dann blickte er sich um.
Niemand hatte es gesehen. Der Bauer und seine Frau waren so mit dem Verkauf ihrer Waren und dem Aufsammeln der anderen Äpfel beschäftigt, dass sie die beiden nicht einmal als vermisst wähnten.
Ahrok versuchte mit aller Macht, das selbstzufriedene Grinsen zu unterdrücken, welches sich bereits seiner Mundwinkel bemächtigt hatte, doch dann legte sich ein anderes Gefühl in seine Magengegend. Etwas das sogar noch schlimmer war als der ständig präsente Hunger.
Es war ein ungutes Gefühl, das nicht weichen wollte. Er schlich zum Stand hinüber, holte die Äpfel unter seinem Hemd hervor und legte sie unbemerkt zurück zu den anderen in den Korb.
Verdammt, er war so nah dran gewesen. Noch immer schalt ihn ein Teil von ihm für diese Tat.
Er wandte sich zum Gehen, um den verdammten Marktplatz ein für alle Mal hinter sich zu lassen, als ihn eine Stimme verfolgte: „He, Bursche, warte doch einmal.“
Ahrok drehte sich um, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, die aufmerksam umher huschenden Augen zu schmalen Schlitzen zusammengepresst, jederzeit bereit loszuschlagen oder sofort die Flucht zu ergreifen.
Die rundliche Bäuerin warf ihm einen Apfel zu.
„Komm her, Junge.“
Misstrauisch näherte sich Ahrok wieder ihrem Verkaufsstand.
„Du bist eine ehrliche Haut.“
Er wusste nicht was er darauf antworten sollte oder was sie damit bezweckte, also schwieg er einfach.
„Einer unserer Knechte hat sich heute Morgen ein Bein gebrochen und wir könnten etwas Hilfe beim Beladen und Entladen unserer Wagen gebrauchen. Du bekommst eine warme Mahlzeit am Tag und sagen wir einen Beutel Hirse, wenn du gut mit anpackst. Was sagst du?“
Ahrok nickte einfach nur.
„Gut, dann komm in drei Stunden wieder. Da gibt es dann etwas für dich zu tun.“

Ahrok wusste nicht, was er davon halten sollte. War das wieder nur einer seiner Tagträume? Es fühlte sich an wie einer. Sollte es wirklich wahr sein, dass er, er Ahrok, wirklich einmal Glück hatte?
Er biss in den Apfel und es erschien ihm wie die größte Freude auf Erden. Tatsächlich etwas zum Kauen zwischen den Zähnen zu haben, war das Beste, was ihm in den letzten Wochen passiert war.
Der Geschmack war so herrlich süß und überwältigend, dass ihm die Augen ein bisschen feucht wurden. Wie hätte er sich jemals erträumen können, dass ihm ein Apfel je so gut schmecken würde?
Vier, fünf, sechs weitere Bissen und er hatte binnen weniger Augenblicke beinahe die gesamte Frucht im Mund. Es war so viel, dass ihm das Kauen schwerfiel. Der Saft troff ihm vom Kinn und er stand einfach nur kauend da und lächelte.
Dieses Jahr in seinem Leben war ohne Zweifel ganz große Scheiße. Was immer er auch angepackt hatte, war total schief gelaufen, aber wie immer würde er auch hier das Beste aus dieser Situation machen.
Ein Beutel Hirse… So viel würde ihn und Ragnar ein paar Tage lang satt machen, selbst wenn sie Olga ebenfalls etwas davon abgeben mussten. Keine Wassersuppe, kein Hungern mehr für einige Tage. Es klang wie ein herrliches Versprechen.
Die nächsten Stunden bewegte er sich kaum von der Stelle, um die Chance auf seinen Beutel Hirse nicht zu gefährden, nur weil vielleicht zufällig ein anderer, ehrlicher Kerl vorbei kam.
Am späten Nachmittag war der Aufenthalt auf dem Marktplatz noch immer recht angenehm und er wanderte in kleinen Kreisen zwischen den Käufern und Gaffern umher.
Die vielen, dick angezogenen Leute hier schützen ihn vor dem Wind und strahlten genügend Wärme ab, um ihm trotz seiner dünnen Kleidung nicht mehr frieren zu lassen, doch als die Sonne dann zügig hinter den Giebeln der Gebäude verschwand, wurde es auch auf dem Marktplatz rasch leerer und damit merklich kälter.
Zeit, welche vorher noch recht zügig vergangen war, schlich nun zähflüssig dahin.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Stadtwächter die sechste Stunde der zweiten Tageshälfte ausriefen und damit das Ende der Geschäfte ankündigten.
„Junge“, die Bäuerin winkte ihn zu sich.
Rasch huschte Ahrok zu ihr herüber. Sein Herz schlug schneller. Dies war ein bedeutender Moment, dem Vorabend einer Schlacht nicht unähnlich. Entweder schickte sie ihn nun fort oder brauchte seine Hilfe.
„Mein Emil holt gerade den Wagen. Du reichst ihm die Säcke und Körbe in der Reihenfolge hoch, wie ich es dir sage. Verstanden?“
Ahrok nickte ihr mit einem unverschämt breiten Grinsen im Gesicht zu.
„Gut. Wir fangen da hinten mit dem Hafer an, also kannst du die Säcke schon einmal hierher bringen.“
Die beleibte Frau setzte sich auf einen wackligen Hocker und wischte sich den Schweiß mit einem Tuch von der Stirn, während sie ihn mit Argusaugen beobachtete.
Ahrok zerrte die ersten Säcke in die von ihr angegebene Position, als der Pferdewagen auch schon vor ihnen hielt. Der Mann kletterte vom Kutschbock auf die Ladefläche und rief ihm auch gleich Anweisungen zu.
„So, Bursche, dann reich mir mal die Säcke da hinten mit dem Weizen.“
Er stutzte kurz, dann ging er jedoch an den Hafersäcken vorbei nach ganz hinten, um die mit dem Weizen anzuschleppen.
„Du willst den Weizen als Erstes aufladen?“
Die Frauenstimme ließ ihn innehalten.
„Ja.“
„Nicht den Hafer?“
„Nein.“
„Warum?“
„Weil ich denke, dass es so besser ist.“
„Na gut“, sie winkte Ahrok zu weiterzumachen. „Dann bring ihm eben den Weizen zuerst.“
Ihm war es egal.
Die Getreidesäcke hatten ein ansehnliches Gewicht, aber selbst ohne das Training der letzten Monate hätte er sie mühelos bewältigen können. Schon als Kind hatte er es als Herausforderung angesehen, schwere Dinge von einem Ort zum anderen zu tragen und das waren schon damals größtenteils Säcke voller Getreide oder Rüben gewesen.
Es war seine Art des Trainings gewesen, da sein Vater ihm ja alles andere verwehrt hatte.
Schon der Geruch von Getreide in Jutesäcken erinnerte ihn wieder an sein Zuhause, welches so weit weg schien, wie sonst kaum etwas in seinem Leben. Dabei könnte er in gerade einmal zwei Tagen wieder vor der Tür seines Vaters stehen und auch wenn es sicher Schelte und böse Blicke oder gar Schläge hageln würde, so müsste er jedoch keinen Hunger mehr darben und hätte ein dichtes Dach über seinem Kopf.
Nein… es ging nicht. Mal davon abgesehen, dass es Ahrok nicht fertig brachte, dorthin zurückzukehren, wo er immer noch der Verlierer der Familie war, so hatte ihm doch Sebastian bereits vor Monaten vom Tod ihres Vaters berichtet.
Es blieb also nur Sebastian als Herr des Hofes und zu seinem Bruder, in dessen Schatten er immer gestanden hatte, zurückzukehren, war noch schlimmer als zu einem enttäuschten Vater.
Dennoch… vielleicht sollte er zumindest mitteilen, dass es ihm gut ging. Also… den Umständen entsprechend zumindest.
„Junge, hör auf zu träumen! Reich mir den Sack weiter rauf. Ich bück mich doch nicht so tief!“
Ertappt wuchtete Ahrok den Sack in die Hände des wartenden Bauern und schüttelte die störenden Gedanken ab.

Ahrok klopfte gegen die Tür seiner momentanen Behausung.
Vor Kälte zitternd trat er von einem Bein auf das andere und verfluchte Olga, da sie nicht binnen weniger Augenblicke die Tür öffnete. Genaugenommen dauerte es sogar einige lange Atemzüge, bis sich die Tür einen Spalt öffnete und sie ihn anblickte.
„Ja?“
Er hob den Beutel, so dass sie ihn sehen konnte.
„Ich bringe etwas zu essen.“
Die Tür flog auf und sie winkte ihn einladen hinein.
„Na dann komm rein, Ahrok. Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“
Als er die Hütte betrat, musste er enttäuscht feststellen, dass ihm seine Erinnerung einen Streich gespielt hatte. Hier drinnen war es kaum wärmer als draußen auf der Straßen, aber zumindest wehte hier nicht der eisige Wind.
„Wie geht es Ragnar? Hat er heute etwas gegessen?“
„Seinen Teller Suppe, ja.“
„Dann… setzt du uns bitte noch einen großen Kessel mit Hirsebrei an?“, er reichte ihr den Beutel.
„Natürlich, natürlich. Ich geb sogar die zwei Eier mit hinzu, die ich heute von Frau Müller ergattert habe. Ich glaub, ich hab sogar noch irgendwo etwas Honig herumstehen.“
Ahrok nickte und schob sich dann an ihr vorbei, um nach Ragnar zu sehen.
Kaum, dass er die Tür zu ihrer kleinen Kammer öffnete, musste er auch gleich vor einem wirbelnden Hammer zurückweichen.
Ragnar wankte in scheinbar festem Rhythmus zwischen den Betten hin und her und schwang seinen Hammer in alle Richtungen. Seine Augen waren geschlossen, seine Bewegungen ruhig und zielgerichtet, dennoch kam es allzu oft vor, dass der Zwerg das Gleichgewicht verlor und seinen Stand erneut korrigieren musste.
Ein letzter Schlag gegen einen imaginären Feind und Ragnar ließ den Hammer sinken. Der Valr tastete sich am Bettpfosten entlang zu seinem Bett. Er atmete wie nach einer großen Anstrengung und schwitzte trotz der Kälte hier in dem Zimmer.
Ahrok schloss die Tür demonstrativ laut, um seine Anwesenheit anzukündigen.
Als der Zwerg ihn erkannte lächelte er matt.
„Hey… wie geht’s dir, Ahrok?“
„Mir?“ Er musste unfreiwillig grinsen. „Besser als so manch anderen, die ich kenne. Ich sehe, du kannst wieder deinen Hammer schwingen?“
„Ja, wenn auch nur für die ´Slought du kant chregmannen´.“
„Ähm… was?“
„Es ist ein…“, Ragnar rieb sich die Stirn und suchte nach den richtigen Worten, „So haben wir früher geübt. Es ist ein Ritual, in welchem man siebenunddreißig Feinde niederstreckt.“
„Die aber nicht da sind?“
„Die aber nicht… du musst sie dir vorstellen, so dass sie da sind.“
„Mhm…“, Ahrok hatte heute keine Geduld für die dämlichen Zwergenspiele, „Ich hab dir etwas zu essen mitgebracht. Hier.“
Er griff unter sein Hemd und holte die halb aufgegessene Pastinake hervor.
Die Bauern hatten nicht gelogen.
Man hatte ihm eine warme Mahlzeit versprochen, also hatte er am Ende des Tages auch eine gedämpfte Pastinake zu seinem Beutel Hirse bekommen. Obwohl sein Hunger groß genug gewesen war, um zwanzig dieser kleinen Rüben zu verschlingen, so hatte er doch die Hälfte davon für Ragnar aufbewahrt.
Der Valr riss ihm die mittlerweile kalte Wurzel aus der Hand und biss ein großes Stück davon ab. Es war eine Freude zu sehen, wie sehr der Zwerg die kleine Mahlzeit genoss.
Nach zwei weiteren Bissen hatte Ragnar sich wieder gefangen und bot Ahrok den kleinen Rest der schmackhaften Rübe an, dieser winkte nur lächelnd ab.
„Danke, ich hatte schon genug. Iss nur.“
Aus der Küche drang derweil das Prasseln des Feuers bis zu ihnen. Olga machte sich also gerade daran, den Brei zuzubereiten und das verhieß Wärme und eine weitere warme Mahlzeit für sie alle.
Ahrok stand lächelnd im Türrahmen.
Er hatte heute gute Arbeit geleistet und alles würde wieder besser werden, als es jetzt war.
Morgen durfte er wieder beim Be- und Entladen der Wagen helfen und man würde ihm wieder etwas Hirse oder Hafer als Bezahlung anbieten. Die Tage des Hungers waren vorbei. Ragnar und er selber wurden wieder kräftiger. Es ging einer strahlenden Zukunft entgegen.

********************

Worterklärungen

Slought du kant chregmannen – wörtlich „die Schlacht der einhundert Krieger“, ein festgelegter Bewegungsablauf im Kampf gegen siebenunddreißig imaginäre Gegner
 
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Kommentare  

Ich hätte als Marktfrau Ahrok auch Arbeit gegeben. Sehr gut beschrieben wie er Hunger leidet und sich trotzdem zusammenreißen kann. Detailliert und sagenhaft plastisch hast du hier den ganzen Markt beschrieben. Rührend auch wie Ahrok Ragnar die gekochte Wurzel überreicht, damit der wieder auf die Beine kommt. Als das Süpplein brodelte habe ich mich richtig für die drei mitgefreut. Sehr gelungen.

Petra (16.02.2012)

Danke für deinen Kommentar Ingrid.
Sperrig zu lesen, schwer hineinzukommen - ja so etwas meinte ich und danke für deine Vorschläge.


Jingizu (13.02.2012)

ahrok ist eine ehrliche haut, das sag’ ich einfach mal so.
trotz der kälte, trotz des hungers (da hab ich selber hunger gekriegt und den duft der gerösteten kastanien gerochen und auch die anderen sachen, die er gesehen hat), widersteht er der versuchung. finde ich toll! kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen, dass jemand so viel skrupel hat wegen so wenig... ;-) noch toller finde ich, dass seine ehrlichkeit belohnt wird.
ragnar ist auch wieder auf den beinen, und es scheint wirklich wieder bergauf zu gehen.
dieser teil ist am anfang etwas sperrig zu lesen, und wenn du ihn genau prüfst, dann wirst du es an den details erkennen (ich schick dir mal ein beispiel), aber im großen und ganzen ist er sehr gelungen. ja!


Ingrid Alias I (13.02.2012)

Also ich muss sagen, da kann ich nicht meckern. Ich weiß nicht, was du hast. Es ist sogar ein sehr schönes Kapitel geworden. Zwar ganz ruhig ohne jeden Kampf, aber das muss nicht immer sein. Gerade das plastische, lebensechte, gefühlvolle an diesem Kap fand ich richtig gut.

Jochen (12.02.2012)

Dies ist wieder eines dieser Kapitel... die mir einfach nicht gefallen wollen. Vielleicht hab ich grad einfach keine Muse zum Schreiben, aber irgendwie bin ich nicht zufrieden hiermit. Vielleicht kann ja jemand ein paar Hinweise geben - ich wär sehr dankbar.

Jingizu (12.02.2012)

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