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12 Seiten

Ahrok - 48. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Achtundvierzigstes Kapitel: Grim´tor

Ahrok konnte sich das gelegentliche Grinsen nicht verkneifen, als sie hier zu viert am Mittagstisch saßen. Er war wieder hier bei Ariane und saß ihr nun auch noch gegenüber in ihrem Speisesaal.
Sie redete nicht viel, war reserviert und wohl auch etwas ängstlich, aber das war kein Wunder. Schließlich schwebte ja eine Todesdrohung über ihrem Haus. Wie es ihr wohl dabei ging? Ob sie ähnlich aufgeregt war wie er selber?
Er fühlte sich mittlerweile wieder wohl hier im Haus der Adelsfamilie und hatte ein Stück seiner alten Energie zurückgewonnen. Vielleicht lag es aber auch nur an diesem phantastischen Mittagsmahl.
Nach einer ekelhaften Suppe, die Ahrok vorerst daran hatte zweifeln lassen, ob sich der Graf überhaupt etwas Anständiges zu Essen leisten konnte, hatte man dann aber doch noch etwas Fleisch aufgetafelt.
Glücklicherweise besaßen die Leute hier den Anstand, die Portionen auch groß genug zu gestalten. Die nächsten Tage würden herrlich werden. Er griff sich eine neue Geflügelkeule vom Tablett, um den Knochenberg auf seinem Teller noch etwas anwachsen zu lassen.
„Also hast du nun schon einen Plan, Ragnar?“
Ahrok hielt beim Kauen inne. Nicht einmal beim Essen konnte der Graf das leidige Thema um seine Ermordung ruhen lassen. Und warum fragte er nicht nach seiner Meinung? Immer Ragnar hier und Ragnar da. Wie sollte er sich da jemals in Arianes Augen profilieren.
„Keine Sorge! Wir werden euch schon beschützen“, erwiderte er statt des Zwerges mit vollem Mund.
„Ach, halt die Klappe, Ahrok, dich hat keiner gefragt“, war die Antwort.
„Was…?“, stammelte er überrascht.
Ariane konnte nur schwerlich ihr Lachen verbergen.
Es war ihm, als müsste er vor Scham im Boden versinken.
Ragnar und der Graf rückten näher zusammen und begannen eines ihrer Gespräche. Das Einzige was ihm noch blieb, war schmollend weiterzuessen.
Mit einem leichten Lächeln beugte sich die junge Komtess zu ihm.
„Möchtest du, dass ich dir das Haus zeige?“
„Aber gern doch!“
Ahrok legte die angebissene Keule beiseite und wischte sich die Finger an der Hose ab. Seine Laune war schlagartig besser geworden.
„Ariane? Was wird das?“
Der Graf hatte sein Gespräch mit Ragnar unterbrochen und sah sie beide misstrauisch an.
„Ich zeige unserem Gast nur die Örtlichkeiten. Er sollte sie doch kennen, wenn er uns beschützen will.“
Ragnar nickte: „Da hat sie durchaus Recht.“
„Ariane!“, er schickte ihr einen ermahnenden Blick hinterher. „Stell mir ja keinen Unfug an.“

„Und das hier ist also dein Zimmer? Hübsch.“
Natürlich war das nur eine Redewendung, um Ariane zu gefallen. So etwas wie ein hübsches Zimmer gab es nicht in der Welt eines Kriegers. Es gab nur praktische und unpraktische Räume und dieser war alles andere als der Erstere.
Ahrok stand im Türrahmen und befühlte das dunkle Holz. Es war so glatt und weich. Wie viel mochte so etwas wohl kosten?
Das Zimmer war nicht viel größer als der Raum, in dem Ahrok und Ragnar die letzten Wochen verbracht hatten, dafür jedoch mit bedeutend mehr Mobiliar bestückt.
Ein großes Bett mit Platz für gleich drei Leute stand an der gegenüberliegenden Wand. Links davon befanden sich zwei Nachtschränkchen und rechts davon einer der drei Schränke in diesem Zimmer. Alle waren aus demselben, rotbraunen Holz gefertigt, das Ahrok schon am Türrahmen bewundert hatte.
Es gab zwei große Spiegel und eine langgezogene Kommode, auf der ein paar frische Blumen standen. Aber nicht nur Blumen gab es hier in Hülle und Fülle. Kleiner Tand sowie Schmuck und für ihn unerkennbare Dinge lagen, standen und hangen hier überall im Zimmer herum.
Ahrok begutachtete alles mit eher geringem Interesse.
„Wirklich hübsch“, wiederholte er sich noch einmal.
Der Boden rund um den großen Teppich bestand aus dunklen Dielen und er glänzte im einfallenden Sonnenlicht. Ahrok hatte noch nie einen glänzenden Boden gesehen. Wieso sollte ein Fußboden auch glänzen? Er hob den Blick und sah vorbei an den schweren, weinroten Fenstervorhängen hinaus in die Welt.
Es regnete.
Scheiß Tauwetter.
„Ich hab ein bisschen Angst, Ahrok.“
Sie saß auf ihrem großen Bett und sah ihn mit ihren dunkelgrünen Augen an.
„Hm? Ach… das brauchst du nicht. Ich bin hier und pass auf dich auf.“
Er setzte sich zu ihr.
„Warum tust du das, Ahrok?“
„Na ja, ganz einfach weil ihr Hilfe braucht.“
Sie schmunzelte: „Nein, das mein ich nicht.“ Ariane schob den Ärmel über seinem rechten Arm etwas nach oben und befühlte die vernarbte Haut. „Ich meine das hier.“
Ahrok zog sein Hemd wieder über die alten Brandwunden.
„Ich mach das, weil ich es gut kann und weil es sonst keiner machen will.“
„Das klingt nach einer doofen Ausrede.“
Er sah sie irritiert an.
„Was?“
„Na das ´weil es sonst keiner machen will´ ist doch Blödsinn. Es gibt genug Leute die so etwas machen wollen. Die nennt man Stadtwächter und Soldaten oder Milizen.“
„Das ist aber nicht das, was ich mache.“
„Was machst du dann?“
„Ich bin ein Monsterjäger.“
„Du bist nicht einfach nur ein Monsterjäger. Du reist zusammen mit einem Todessucher. Ja, Onkelchen hat mir erzählt, was Ragnar für einer ist. Der Zwerg will sich umbringen und du begleitest ihn dabei auch noch. Warum?“
Ahrok ließ sich rückwärts auf das Bett fallen und starrte an dem hübschen Kronleuchter vorbei auf die getäfelte Decke.
„Ich weiß es nicht“, antwortete er nach einer Weile. „Macht mich das jetzt zu einem schlechten Menschen?“
„Ich weiß nicht. Bist du ein schlechter Mensch, Ahrok?“
Er schwieg.
Sein erster Impuls aufzuspringen und zu brüllen, was das für eine blöde Frage war, ging in den Bildern der letzten Monate unter. Dieser widerwärtige Hauptmann hatte bei der Befragung vor allen Würdenträgern der Stadt sein Leben ziemlich genau auf den Punkt gebracht. Auch wenn der Mann hier und da so einiges verdreht hatte.
Er war Ahrok die Bestie, Ahrok der Schlächter. Kein guter Mensch trug den Beinamen „der Schlächter“.
Ariane legte sich neben ihn.
„Hey, was ist los mit dir?“
„Ich weiß nicht, was ich bin“, erwiderte er endlich nach einer kleinen Weile. „Ich weiß nur, dass ich hier bin, weil ich dich wiedersehen wollte.“
„Wirklich?“
„Wirklich, wirklich.“
Ahrok drehte sich zu ihr und sie sahen sich in die Augen.
Er konnte nicht erkennen, was ihn ihr vorging, aber ihm selber wurde gerade ganz warm. Langsam näherten sich ihre Gesichter. Sie wich nicht zurück.
„Ich lass nicht zu, dass dir irgendetwas passiert. Versprochen.“
Er hob zögerlich die Hand und strich ihr dann mit den Fingern zärtlich über die Wange. Ariane zuckte kurz zurück, aber dann schmiegte sie sich an seine Handfläche.
„Du bist ein seltsamer Mann, Ahrok.“
Er lächelte und verlor sich im Gefühl tiefer Geborgenheit in ihren Augen.
„Ariane? Ariane?!“, der Graf rief durch das ganze Haus.
Der Zauber war mit einem Mal verflogen und ihre Gesichter bewegten sich wieder von einander fort.
„Wir sind hier oben!“, rief sie zurück.
Ahrok beobachtete sie, wie sie aufstand und ihr Kleid gerade strich.
„Und was jetzt?“
Sie drehte sich zu ihm: „Jetzt geh ich und leiste meinem Onkel etwas Gesellschaft. Er braucht auch etwas Trost in diesen Tagen.“
Ahrok lachte kurz auf.
„Na gut, dann geh ich etwas spazieren.“

Es waren nur noch ein paar Stunden bis zum Abend und Sebastian genoss die aufkommende Unruhe. „Wenn man diesen aufregenden Kitzel der Jagd nicht mehr spürte, dann war es Zeit aufzuhören.“ So oder so ähnlich hatte es sein Vater ihm einmal gesagt. Nun nach dem Gefühl in seinem Magen zu urteilen, war es noch lange nicht soweit für ihn.
Heute Abend würde er sich endlich in der Gilde profilieren. Der Name seines Vaters würde dann offiziell auf ihn übergehen und er würde einer der ganz Großen in diesem Geschäft werden.
Zwei Leute standen nur noch zwischen ihm.
Einer davon war ein Zwerg.
Es war schwierig, gegen Zwerge zu kämpfen. Ihre geringe Größe sorgte dafür, dass die meisten Kampftaktiken abgeändert werden mussten. Anders als andere Rassen bevorzugten sie außerdem den direkten Nahkampf auf höchstens einer Armlänge Entfernung. Ließ man einen Zwerg so nah an sich heran, dann befand man sich urplötzlich in einem Handgemenge wieder, dass man nur schwerlich gewinnen konnte. Zwerge mussten daher aus der Entfernung oder mit langen Waffen bekämpft werden.
Dummerweise war er nicht so behände mit der Lanze oder dem Speer, deshalb hegte er insgeheim die Hoffnung, dass sich einer seiner angeheuerten Gefährten um den Kurzen kümmern würde.
Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich und zwei bildhübsche Elfen standen auf dem Gang.
„Hallo, schwarzer Drache“, lächelte die eine keck von der Sebastian weder wusste ob es sich um Amaya oder Kasumi handelte.
„Hallo, ihr beiden.“
Sebastian erwiderte ihr taktisches Lächeln.
Elfen hatten ihre eigene Art. Sie versteckten all ihre Gefühle, und sei es selbst der tiefste Hass, hinter einer Fassade aus endloser Freundlichkeit und scheinbar belanglosen Anspielungen. Er erschauderte beinahe vor dem tödlichen Liebreiz dieser beiden. Unter keinen anderen Umständen als diesen hätte er die zwei näher als bis auf Armbrustreichweite an sich herangelassen.
„Ihr seid wohl schon ganz heiß auf die Kopfprämie.“
Sebastian wollte das Gespräch schnellstmöglich auf den Auftrag lenken. Die Elfen machten ihn nervös.
„Kopfprämie? Davon höre ich zum ersten Mal.“
„Hat euch Grim´tor nichts davon erzählt?“
„Nein, das muss ihm wohl entfallen sein.“ Eine der beiden stemmte die Arme in die Hüfte und zog einen Schmollmund. Sebastian fühlte sich trotz aller Vorsicht sogleich zu ihr hingezogen.
„Wo ist er eigentlich?“, wollte er wissen. Es war besser, jetzt noch einmal alle Details zu besprechen und Fragen zu klären.
„Das wissen wir nicht. Wir dachten, er wäre bei dir.“
Sebastian traf die Erkenntnis wie ein Donnerschlag. Ihm klappte die Kinnlade herunter und es war ihm in dem Moment vollkommen egal, wie dämlich er aussehen musste. Jetzt war Eile geboten.
Der verdammte Troll wollte ihm doch tatsächlich seinen Auftrag stehlen.

Ragnar räkelte sich auf seinem Stuhl. Er hatte die Nacht wieder so schlecht geschlafen. Womöglich waren es diese viel zu weichen Betten, die ihm diese Rückenschmerzen bescherten.
Jetzt, da auch Herbert die Tafel verlassen hatte und er allein mit den Resten des Mittagsmahls hier im Speisesaal saß, konnte er ruhig einmal für ein Stündchen die Augen zumachen.
Mann, da hatte er sich wieder in etwas reinreiten lassen.
Beschissene Meuchelmörder.
Durch die Klinge eines Attentäters zu sterben, hieß vor den Augen der Ahnen, dass man einfach nicht aufgepasst hatte. Es war ein unwürdiger Tod wie das Ertrinken oder von einem Kind erwürgt zu werden.
Somit war ein Tod gegen solches Pack alles andere als akzeptabel für einen Valr. Jetzt musste er sich nicht nur anstrengen einen guten Kampf zu liefern, nein, jetzt musste er auch noch alles daran setzen, diesen Kampf zu überleben. Das warf alles, was er jemals über Kampftaktiken gelernt hatte, über den Haufen.
Dieser Ahrok bereitete ihm aber auch nur Ärger, seit der sich in die Gräfin verguckt hatte.
Scheiße, wenn er früher gewusst hätte, wie viel Umstände dieser ganze Valr Mist macht, dann hätte er schon damals auf seinen Vater gehört.
Irgendetwas polterte und fiel zu Boden.
Ragnar schreckte auf.
Sein rationaler Verstand sagte ihm, dass es dafür eine logische Erklärung gab, aber ein kleiner Teil von ihm wollte ihn gerade davon überzeugen, dass seine Ahnen ihn wegen der bösen Gedanken strafen wollten.
Blödsinn.
Er sank wieder zurück in eine bequeme Position und schloss die Augen. Der Schlaf kam so schnell, das Ragnar nicht wusste ob das zweite laute Geräusch ihn aus einem schönen Traum weckte oder direkt nach dem ersten erfolgte. Er wischte sich über die Augen und rutschte von seinem Stuhl.
„Alles in Ordnung da draußen?“, rief er durch den Korridor.

Ahrok stand auf der untersten Stufe vor dem Haupteingang und starrte hinaus in die diesige Umgebung. Der Regen hatte nachgelassen und es war ein ungemütlicher Nebel aufgezogen. Man konnte nur noch etwa einhundert Schritt weit sehen. Alles dahinter verschwand in milchigem Weiß.
Es war zwar noch immer ungemütlich kalt hier draußen, aber Ahrok spürte die Kälte gar nicht. Ihm war jetzt noch so warm ums Herz von den kurzen Momenten mit ihr zusammen, dass es förmlich glühte vor Lebensfreude.
So hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Nein, so hatte er sich noch nie gefühlt! Es war ihm, als hätte sie ihm in diesen paar Augenblicken einen Ort gezeigt, der so etwas wie ein Heim, ein richtiges Zuhause war. Ein Ort, an den man immer zurückkehren konnte und liebevoll aufgenommen wurde, egal was passiert war. Ein Ort, an dem man nicht stark sein musste sondern einfach nur man selbst sein konnte, ohne dafür verurteilt zu werden.
Irgendetwas Krachte und Quietschte laut vor ihm, aber er konnte durch den Nebel nicht erkennen, was genau da passiert war. Nach dem lauten Geräusch herrschte wieder diese eintönige Stille, welche gut zu der trostlosen Umgebung passte und er hing wieder seinen Gedanken nach.
Ariane… so wie sie ihn heute behandelt hatte, würde er alles für sie tun. Er würde ihr den Himmel zu Füßen legen, nur um sich weiterhin so wohl in ihrer Gegenwart fühlen zu können.
Ahrok blickte lächelnd hinab auf seine Füße, als er diesen Gedanken hatte. Die Pfütze vor ihm warf in regelmäßigen Abständen kleine Ringe, dabei regnete es gar nicht mehr.
Misstrauisch spähte er um sich.
Tatsächlich war es, als ob jeden zweiten Atemzug die Erde ein winziges Bisschen beben würde. Noch während Ahrok überlegte, welches Phänomen wohl dahinter steckte, durchbrach ein dunkler Schatten die Nebelwand vor ihm.
Mit langsamen Schritten, die genau mit den Erschütterungen übereinstimmten, kam dort jemand auf ihn zu.
Er sprang die letzte Stufe hinunter und bewegte sich auf den Schatten zu, um etwas zu erkennen. Mit jedem Schritt gab der dichte Dunst mehr Details frei.
Ehrfürchtig hielt Ahrok inne, als er gewahr wurde, was dort auf ihn zukam.
Das Ding war anderthalb mal so groß wie er und wohl doppelt so breit. Es hatte die Proportionen eines sehr breiten Mannes und es waren tatsächlich seine behäbigen Schritte, die die Welt um ihn herum zum Beben brachten.
Sein Gegenüber war riesig und bestand aus massivem Stahl. Noch nie hatte er eine solche Rüstung gesehen. Das war kein Kettenhemd oder eine Ansammlung von Metallplatten. Dies war ein gewaltiger Körperpanzer ohne auch nur die geringste Schwachstelle. Ein breiter Flügelhelm bedeckte den Kopf seines Gegenübers und hinter dem schmalen Sehschlitz des Helmes herrschte totale Finsternis.
Auf der rechten Schulter balancierte die übergroße Stahlrüstung eine ebenso übergroße Keule.
Etwa fünfzig Schritt vor ihm stoppte das Ding.
„Bist du ein von Lichtenstein?“, fragte eine dumpfe Stimme unter dem Helm.
„Nein. Und wer bist du?“
„Bist du ein Diener hier?“
„Auch nicht. Also was ist los? Was willst du hier?“
Die Keule fiel hinab von der Schulter und zerbarst die Steinplatten, auf denen sie landete. Ohne ein weiteres Wort setzte sich die Rüstung wieder in Bewegung. Doch dieses Mal schritt sie nicht mehr so langsam voran.
Der Koloss sprintete auf ihn zu. Seine riesige Keule schleifte dabei über den Boden und riss eine tiefe Furche in das Pflaster. Ahrok war so überrumpelt, dass er kaum noch genug Zeit hatte, sich umzudrehen und die Flucht in das Herrenhaus anzutreten. Das Geräusch der Waffe, die durch die Steine pflügte und das Quietschen der Gelenke der Rüstung kamen bedrohlich näher.
„Ragnar!!!“, brüllte er. „Ragnar! Schwert!!!“

Ragnar verließ den Speisesaal und blickte den Hausflur entlang zum Haupteingang woher die seltsamen Geräusche kamen. Etwas geschah dort draußen. Er konnte leises Rufen von dort vernehmen.
„…nar!!! Mein Schwert!!!“
Ahrok hatte die Eingangstür aufgestoßen und kam stolpernd auf ihn zu gerannt.
Noch bevor er fragen konnte, was überhaupt geschehen war, verdunkelte ein großer Schatten den Eingang. Es krachte laut, als eine hünenhafte Gestalt das Haus betrat und dabei Türrahmen und Trägerbalken gleichermaßen knickte, als wären es Schilfhalme.
„Was hast du…?“
Doch Ahrok war schon an ihm vorbei gerannt.
Dieser gewaltige Stahlberg hielt kurz inne.
„Bist du ein von Lichtenstein?“, hallte es unter dem Helm hervor.
„Nein“, antwortete Ragnar, während er fieberhaft nach einer Erklärung suchte.
„Bist du ein Diener hier?“
„Antworte ihm nicht, Ragnar!“, brüllte Ahrok hinter ihm.
„Seh ich aus wie ein Diener?“
Von der Rüstung kam keine Antwort, stattdessen schritt sie nun wieder auf ihn zu. Die viel zu breiten Schultern rissen die Wände links und rechts auf.
„Was ist das für ein Lärm? Was ist hier los?“, aus der Stimme des Grafen sprach echter Ärger. Herbert von Lichtenstein kam gerade die Treppe herunter, um nach dem Rechten zu sehen.
Kaum, dass der Graf des Riesen gewahr wurde, versagte ihm die Stimme und ihm fiel seine Kinnlade herunter. Die Augen wurden größer und er sank mit zittrigen Knien rücklings auf den Hintern. Es war ein Wunder, dass er sich noch auf den Stufen halten konnte.
„Verschwinde, Herbert!!!“, brüllte Ragnar.
Ohne sich auch nur umzudrehen, stolperte der alte Graf sofort wieder die Treppe hinauf.
Der Koloss pflügte ungebremst durch den Hausflur und schickte Holzsplitter und Lehmstaub durch die Gegend.
Ragnar trat den Rückzug in den Speisesaal an, in dem sich sein Hammer befinden musste. Nach nur zwei Schritten stieß er heftig mit Ahrok zusammen, der gerade wieder mit dem Schwert in der Hand in den Flur stürzte.
Mit einem überraschten Aufschrei riss er den Jungen um und beide lagen kurz benommen auf den hölzernen Dielen. Nur Augenblicke später krachte der stachlige Kopf der Keule neben seinen Füßen in das Holz und bedeckte sie beide in einem Splitterregen.
Als er wieder zu sich kam, rollte er sich über Ahrok und sprintete zu dem Platz, an dem Umti noch immer lehnte.

Ahrok schmeckte Blut, als er dort am Boden lag.
Beim Zusammenstoß mit dem Zwerg hatte er sich auf die Zunge gebissen.
Verdammte Scheiße, tat das weh.
Er brauchte eine kleine Weile, um die Benommenheit abzuschütteln, doch dann kam er wieder rasch mit einer Rückwärtsrolle auf die Beine. Sofort musste er noch einen Schritt nach hinten springen, um der gestoßenen Keule zu entgehen.
„Ragnar?“, er wagte es nicht sich umzusehen. „Bist du da?“
„Scheiße, ja“, knurrte der Zwerg.
„Was jetzt? Was tun wir?“
Der Valr trat neben ihn.
Einen Augenblick später krachte der Hüne durch die Tür zum Speisesaal und hielt kurz inne. Der Raum hier war geräumig und hatte eine so hohe Decke, dass der Stahlkoloss hier aufrecht stehen konnte.
„Ahhhh, beide auf einem Haufen. Wie wunderbar“, dröhnte es hinter dem geflügelten Helm.
„Auf ein Bier können wir dich wohl nicht einladen? Der Graf hat ein paar wirklich gute Fässer hier.“
Ihr Gegenüber lachte.
„Ich werde mich an eurem Blut betrinken, nachdem ich euch Arme und Beine ausgerissen habe“, ratterte er den Satz wie einstudiert herunter.
„Tja, ich hab’s versucht“, der Zwerg zuckte mit den Schultern, „Dann müssen wir ihn wohl töten.“
Die Keule zerriss die Dielen und Teile der Einrichtung, als ihr Gegenüber sie sich wieder auf die Schulter wuchtete.
„Dann zeigt mal, was ihr könnt.“
Noch bevor die Worte im Raum verklungen waren, knallte Ahroks Zweihänder mit voller Wucht gegen die Rüstung und erzeugte dadurch einen gleißenden Funkenregen auf der Brust seines Gegners. Der Schock des Aufpralls hatte ihm beinahe die Waffe aus der Hand geprellt, aber der Stahlriese kippelte nicht einmal. Außer einem leichten Kratzer im Metall hatte der Angriff keine Wirkung gezeigt.
Ahrok musste sofort zwei Schritt zurückweichen, um der Keule zu entgehen, die das Monster nun gegen ihn schwang. Völlig perplex starrte er auf sein Schwert. Zu seinem Schrecken waren bereits einige, kleine Splitter aus der Klinge herausgebrochen.
Die Rüstung bebte vor Lachen.
„Du hast keine Chance.“
Es hallte wie ein Glockenschlag durch das Gebäude als Ragnars Kriegshammer den Stahl der Rüstung traf. Der Zwerg war von einem Tisch abgesprungen und hatte so genug Höhe erreicht, um die Schulter ihres Gegners zu treffen.
Die Wucht war so enorm, dass der Koloss in die Knie ging.
Ragnar duckte sich unter der heranrasenden Stachelkeule hinweg und landete einen weiteren Treffer am Knie des Riesen. Der Aufprall fegte den stählernen Giganten von den Füßen. Es schepperte laut, als dieser gewaltige Metallberg längs auf die Dielen krachte. Splitter und Staub stieben auf und nahmen Ahrok die Sicht.
Ohne auch nur einen Atemzug zu verschwenden holte Ragnar erneut aus und ließ Umti begleitet von einem lauten Heulen auf den Schädel des Riesen Krachen.
Dann wurde es still.
Als sich der Staub legte, sah Ahrok, wie Ragnar sprachlos am Kopf der Rüstung stand und auf das zerbrochene Stück Holz in seinen Händen starrte. Der Hammerschlag hatte eine kleine Delle im Helm ihres Gegners hinterlassen, aber Umtis Kopf lag in mehrere Teile zerschmettert neben der Rüstung.
Ungläubig registrierte Ahrok wie der Eiserne wieder auf die Beine kam.
„Ragnar!“
Der Zwerg reagierte gar nicht.
„Ragnar, pass auf!“
Ahrok riss sein Schwert nach oben. Die schwere Klinge traf den Waffenarm des Giganten und hieb diesen ein kleines Stück aufwärts. Gerade weit genug, damit die stachlige Keule über Ragnars Kopf hinweg schlug.
„Scheiße, Ragnar, komm zu dir!“
Der Zwerg schüttelte sich und stimmte dann ein infernalisches Gebrüll an, dass sogar Ahrok einen Schritt weit zurückweichen ließ. Blind vor Zorn warf Ragnar den zerborstenen Stiel seines Hammers fort und stürzte sich auf ihren Gegner. Seine großen Fäuste trommelten wie wild gegen den Stahl.
„Ragnar!“
Der unbeeindruckte Stahlriese war kurz davor, dem Zwerg den Schädel zu zerschmettern. Mit einem wilden Ansturm schlug Ahrok eine neue Kerbe in sein Schwert.
Ragnar besaß trotz seines unbändigen Zorns noch die Geistesgegenwart, sich unter dem nächsten Angriff hinwegzuducken, dann setzte er umgehend seine Reihe von erfolglosen Angriffen fort.
Wie konnten sie diesem Monster nur beikommen?
Ahrok stand unschlüssig im Raum.
Der Zwerg hing wie ein Wahnsinniger an der Rüstung und ließ ihm damit wenig Platz, um selber zu attackieren.
Schon wieder holte ihr Gegner aus, aber diesen Angriff sah Ragnar nicht kommen.
Die gewaltige Keule riss den Zwerg von der Rüstung und schleuderte ihn wie einen Spielball quer durch den Raum.
Frisches Blut tropfte von den Spitzen der Stacheln.
„Ragnar?“
Es kam keine Antwort.
Der Zwerg lag regungslos zwischen umgeworfenen Stühlen.
„Zwei im Sinn, einer ist hin“, reimte der Eiserne höhnisch.
„Ragnar?!“
Es blieb weiterhin still.
Ahrok brachte sein Schwert erneut in Position.
Bei den Göttern, er würde so lange auf das Ding einprügeln, bis einer von ihnen dabei draufging – und das würde dann hoffentlich der Kerl in der Rüstung sein.
Gerade als Ahrok zum Schlag ausholen wollte, stürzte ein heftig blutender Zwerg an ihm vorbei und rammte seine Schulter in den Bauch des Riesen.
Die Rüstung knickte in der Hüfte ein und stürzte mit einem überraschten Aufschrei nach hinten.
Ganz und gar hilflos lag sie auf dem Rücken genau zwischen Flur und Speisesaal eingeklemmt. Die breiten Schultern steckten zwischen den Hauswänden fest und die Beine scharrten über den Holzfußboden, konnten aber keinen festen Halt finden.
Donnerndes Gebrüll erklang aus dem Helm.
Sofort war der Zwerg auf ihrem Gegner und drosch auf die Metallplatten ein.
Ruckartig fuhren die Arme des eingeengten Hünen nach oben und packten Ragnar am Hals.
„Du nicht, kleiner Wicht! Du nicht!!!“
Ragnar strampelte hilflos an den ausgetreckten Armen des liegenden Riesen und röchelte leise.
Vier schnelle Schritte brachten Ahrok zu den beiden.
Die Augen des Zwerges traten hervor und er lief blau an, als sich die stählernen Finger um seinen Hals schlossen. Er schlug hilflos gegen die bewehrten Arme ein, aber der Griff um seine Kehle lockerte sich nicht. Rotes Blut aus einer langen Wunde am Oberschenkel spritze umher und beschmierte die Rüstung.
Ahrok sah das Blitzen der Augen hinter dem Helmvisier der Rüstung.
Das war die Gelegenheit.
Der Sehschlitz war nicht besonders breit und vielleicht war seine Klinge ohnehin viel zu dick, aber der Versuch war es wert.
„Hey, du!“, brüllte er, aber keiner der beiden reagierte.
Der Winkel war ungünstig und es gab viel zu wenig Platz. Außerdem war ihm Ragnar im Weg.
Ahrok stieß dennoch zu.
Er verfehlte das Visier um einen guten Zoll und der Stahl seiner Klinge kratze kreischend am Helm vorbei. Sofort ließ der Riese den Zwerg fallen und hob seine Hände schützend vor das Gesicht.
Verdammt, das hatte er gründlich versaut.
Ragnar kam hustend wieder zu sich.
Mit einem Ruck, der einen Teil der Wand einriss, befreite sich ihr Gegner aus seinem Gefängnis. Quietschend richtete sich sein Oberkörper auf.
Ahrok schluckte schwer und wich einen Schritt zurück.
Der Stahlriese griff nach seiner Keule und schlug nach Ahrok.
Dieser konnte gerade noch rechtzeitig seine Waffe zur Verteidigung hochbringen. Metall krachte gegen Metall und schleuderte ihn herum. Mit dem Kopf schlug er gegen etwas Hartes und es wurde Dunkel.
„Ahrok!“, erklang eine Stimme von weit weg.
„Ahrok, steh verdammt noch mal auf, du fauler Sack!!!“
Die Stimme wurde deutlicher. Sie gehörte eindeutig Ragnar.
„Ahrok! Ich könnte hier deine Hilfe gebrauchen!“
Unsicher schwankend kam er wieder auf die Beine. Als sich das verschwommene Bild vor seinen Augen wieder zusammensetzte erkannte er, wie Ragnar hinter dem immer noch dort sitzenden Riesen stand. Der Zwerg hatte die Arme ihres Gegners umklammert und nach hinten gerissen.
„Mach schon! Versau es diesmal nicht schon wieder“, brüllte der Zwerg.
Ahroks Finger tasteten nach dem Heft seines Schwertes.
Der Zwerg und der Stahlriese rangen unnachgiebig miteinander. Beide brüllten wie von Sinnen, aber der Hüne konnte sich nicht aus Ragnars eisernem Griff befreien.
Mit einem heiseren Schrei stieß Ahrok erneut vor.
Die schartige Klinge glitt genau in die schmale Öffnung des Helmvisiers und kam erst zum Halten, als sie hinten wieder an den Helm stieß.
 
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Kommentare  

So, da ich immer noch am hinterherlesen bin, wieder ein verspäteter Kommentar von mir.
Auch hier kann ich mich nur wieder den andren anschließen. Schön geschrieben und die Beziehung zwischen den zwei kommt wirklich gut zur Geltung.

Ach ja, in diesem Satz hat es ein "war" zuviel: "Somit war ein Tod gegen solches Pack war alles andere als akzeptabel für einen Valr"


Tis-Anariel (06.03.2012)

Schön, dass dieses Kapitel euch auch gefallen hat, obwohl es hier wieder heftig zur Sache geht und ich freue mich, dass die Beziehung zwischen Ahrok und Ariane auch so rüberkommt wie von mir beabsichtig.

Jingizu (06.03.2012)

Ahrok und Ariane, die Namen fangen zwar beide mit ´A` an, aber ansonsten sind sind die zwei Menschlein so unterschiedlich wie sie unerschiedlicher nicht sein können. Aber gerade solche Unterschiede können auch sehr anziehend sein und das ist hier der Fall. Das stellst toll dar. War eine Freude zu lesen. Mal was richtig schön Romantisches zwischen all den Kämpfen. Im zweiten Teil kam es dann auch zu einem Kampf gegen ein riesenhaftes Geschöpf, aber wie`s so aussieht werden wohl Ahrok und Ragnar siegen.

Petra (05.03.2012)

was mir alles gefallen hat:
ariane beantwortet ahroks frage, ob ihn all seine metzeleien zu einem schlechten menschen machen, mit einer gegenfrage: bist du ein schlechter mensch ahrok?, und darüber kommt er schwer ins grübeln.
sehr bildhaft, das mit der pfütze, die vor ihm ihn in regelmäßigen abständen kleine ringe warf, so als ob etwas die erde erschüttern würde. da musste ich automatisch an jurassic park denken.
die rüstung bebte vor lachen... ich bebte mit. ;-)
der kampf gegen den stählernen riesen. hoffe, dass ahrok die richtige stelle getroffen hat, wobei die vorstellung, dass es sich um einen roboter handeln könnte, großes mitleid meinerseits verhindert. yep!


Ingrid Alias I (05.03.2012)

Bezaubernd, die zärtliche Szene zwischen der vornehmen Ariane und dem rüpelhaften Ahrok. Und dann der Kampf mit dem Monsterwesen - gigantisch! War wieder eine sehr gute Unterhaltung.

Jochen (04.03.2012)

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