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11 Seiten

Ahrok 2.Band - 15. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches · Fan-Fiction/Rollenspiele
© Jingizu
Fünfzehntes Kapitel: Vergessen

Es war nicht zum Aushalten. Was hätte Ahrok nicht dafür gegeben, wenn sie beide jetzt wieder auf ihrem einsamen, winzigen Boot wären. Weitab vom Gestank der vielen Fische und diesem widerlichen Geschaukel des großen Kahns.
Er verstand die Welt nicht mehr. Wieso vertrug sein Magen zwar die Reise in einer mickrigen Nussschale, die im Seegang hin und her geworfen wurde, aber sobald er auf ein größeres Schiff stieg, kam die Übelkeit über ihn, wie ein böser Geist. Er konnte sich auch gar nicht erinnern in letzter Zeit überhaupt so viel gegessen zu haben.
Zu allem Unglück führte der Weg des Fischerbootes, welches sie aufgelesen hatte, nicht einmal annähernd an ihrer alten Reiseroute vorbei. Kasam lag mehrere Wochen vom Heimathafen der Fischer entfernt und sie waren auch nicht bereit gewesen einen Umweg von einem Monat in Kauf zu nehmen, um sie dort abzusetzen, aber wenigstens waren sie mit dem Leben davon gekommen. Obwohl der Tod auf dem Meer wohl kaum schlimmer sein konnte als seine erbärmliche, von Brechreizen gequälte Existenz.
Wenige Schritt neben ihm holten die Fischer samt Ragnar schon wieder ein riesiges Netz voller Wassertiere an Bord. Ein ganzer Haufen Fische zappelten wild und hilflos in den Maschen. Die Übelkeit kroch schon wieder seinen Hals hinauf, doch Ahrok war einfach zu schlapp. Sein Magen, sein Rachen, alles tat weh und er war so müde.
Er würgte ein paar Mal, doch nur ein saurer Speichelfaden rann ihm über die Lippen. Völlig erschöpft krümmte er sich an der Reling zusammen und betete zu dem Namenlosen, dass er ihn von seinem Elend erlösen möge, als Ragnar fröhlich pfeifend zu ihm herüber kam.
„Na, wie geht’s?“, fragte der Valr grinsend.
Ahrok schenkte ihm nur einen gequälten Blick, der den Zwerg nur noch mehr zu amüsieren schien.
„Das hab ich mir gedacht.“, er setzte sich neben Ahrok auf die nassen Planken, „Die freundlichen Leute hier sind sich einig, dass ihr Fang erfolgreich genug war und sie setzen jetzt schon die Segel Richtung Heimat. In drei Tagen dürften wir dann endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben.“
Diese Nachricht erfreute ihn keineswegs. Er musste also noch volle drei Tage musste auf diesem Boot verbringen. Die Vorstellung sich in sein eigenes Schwert zu stürzen wurde mit jeder Minute immer attraktiver.
„Tja, dummerweise liegt ihr Heimatdorf ziemlich weit ab vom Schuss. Da gibt es nicht einmal eine Handelsstraße. Die haben außer Booten und Fischen nicht viel zu bieten, aber wir werden da schon irgendwie wegkommen und uns auf den Weg zu diesem Caer machen. Wir sind noch lange nicht abgeschrieben! Mit etwas Glück kommen wir beide sogar noch vor den Anderen an und heimsen den ganzen Ruhm für Onkel Herbert und Ariane ein!“
Ahrok wischte sich den sauren Speichel vom Kinn und lächelte leicht.
Sie hatten diese Sache schon viele Male besprochen, seit sie hier auf diesem Schiff hockten. Immer wieder hatten sie die Möglichkeiten durchgespielt, wie sie beide als Entdecker des dämonenverseuchten Caer heimkehren würden. Der alte Graf würde beide mit einer Riesenfeier empfangen und Ariane und er würden sich wieder vertragen, so als wäre der Streit nie gewesen. So ungefähr sah es in seiner Traumwelt aus... ganz zu schweigen von den vielen Dämonentrophäen, die sie sammeln würden, um überall tierisch damit anzugeben. Die Namen Ahrok und Ragnar wären im ganzen Land bekannt und berühmt.
Leider war das wirkliche Leben um einiges ernüchternder.
Selbst wenn sie irgendwann von dieser schaukelnden und nach Fisch stinkenden Foltermaschine herunterkamen, dann landeten sie irgendwo in der Walachei in einem einsamen Fischerdorf mitten im Nirgendwo ohne Kontakt zur Außenwelt und selbst wenn es diverse Möglichkeiten gäbe dieses Dorf zu verlassen, so hatten diese mit Sicherheit alle einen stolzen Preis. Soweit Ahrok sich jedoch erinnerte, bestand ihr letztes bisschen Reichtum nur noch aus wenigen Silberstücken, welche die Abschiedsfeier vor ihrer Seereise aus unerklärlichen Gründen überstanden hatten.
Das war kaum genug Silber, um sich ein paar Tage in einem billigen Gasthof einzuquartieren, sofern dieses Dorf überhaupt über so etwas wie Herberge verfügte. Mit etwas Pech würden sie den Rest ihres unrühmlichen Lebens weitab von jeglicher Zivilisation verbringen und sich mit Feldarbeit oder Fischfang über Wasser halten.
Nein, Ahrok teilte keineswegs Ragnars Optimismus. Das Leben war Scheiße.

Als sie nach drei weiteren Tagen auf hoher See am späten Abend in den kleinen Hafen einliefen, war Ahrok kaum mehr als ein Schatten seiner selbst. Sein blasses Gesicht war mit kratzigen Bartstoppeln übersät und eingefallen. Er hatte seit gestern nicht mehr die Kraft sich auf den Beinen zu halten, also trugen ihn zwei der Matrosen die Planke hinunter aufs Land.
Ragnar folgte ihnen, den Rucksack mit dem Rest ihrer Habseligkeiten auf den Rücken geschnallt.
Das kleine Dorf lag ein einer bewaldeten Bucht, welche nur den Blick auf das Wasser und die dunklen Berge um sie herum zuließ. Es war hier so einsam, als hätten sich der Ort und all seine Einwohner mit ihm absichtlich vom Rest der Welt abgekapselt. Kleine Kähne schaukelten an den schon lange nicht mehr ausgebesserten Stegen und die untergehende Sonne verschwand gerade tiefrot hinter den Bergen im Westen, um lange, kalte Schatten auf das ruhige Land zu werfen.
„Und wo ist jetzt die Taverne in eurem Kaff?“, wandte er sich an einen der Fischer.
Der Mann wies auf eines der wenigen Häuser, die dieses Dorf bildeten: „Das große Haus da drüben. Da wohnt der alte Huno, der hat einen großen Raum, in dem ab und zu Feste abgehalten werden. Dort könnt ihr wahrscheinlich erst einmal unterkommen. Wir bringen euch hin.“
Die Matrosen schleiften den schlaffen Körper von Ahrok vorweg und Ragnar stapfte ihnen hinterher. Aufmerksam betrachtete er das Dorf, um den nächstbesten Ausgang zu suchen. Es bestand aus achtunddreißig windschiefen Hütten deren morsches Holz dringend ausbesserungsbedürftig war. Die Dächer waren mit Schilf gedeckt und scheinbar hatte wirklich jeder sein Haus dahin gebaut, wo er gerade Lust dazu hatte, denn es gab nicht die geringste Symmetrie oder etwas, das auch nur im Entferntesten an eine gerade Straße erinnerte. An jeder dieser Bretterbuden lehnte ein Ruderboot und Fische hingen an Leinen zum Trocknen oder steckten aufgespießt an Stöcken im Rauch schwelender Feuer.
Die Rückkehr der Fischer brachte den größten Tumult mit sich, den dieses Dorf seit Wochen erlebt hatte. Aus jedem Haus quollen die Leute heraus und umringten die triumphreich heimgekehrten Männer. Reichtum schienen diese Leute hier nicht einmal aus Büchern zu kennen. Ein jeder, ob groß ob klein, trug nur das Nötigste am Leib. Einfache Hosen und Hemden aus Leinen, oftmals Dutzende Male geflickt, die meisten hatten nicht einmal Schuhe an den schwieligen Füßen, dennoch waren die Leute keineswegs ungepflegt. Sie und ihre bescheidene Kleidung waren so sauber, wie man es in der Stadt selten bei ähnlich armen Leuten sah.
Das wertvollste an diesem ganzen Dorf war sicherlich das Schiff.
Doch noch viel aufregender als die Heimkehr der Fischer waren die beiden Fremden, die nun zusätzlich zu der gewohnten Besatzung von Bord stiegen beziehungsweise getragen wurden. Alle Augenpaare waren dabei auf ihn gerichtet. Wahrscheinlich hatte hier noch nie jemand zuvor einen Zwerg zu Gesicht bekommen.
Eine dichte Menschentraube umringte sie sogleich und laut gerufene Fragen schlugen ihnen entgegen.
Wer waren die Fremden? Waren es Seeräuber, welche die heroischen Fischer auf ihrer Reise überwältigt hatten? Kleinwüchsige Meereslebewesen oder Schiffbrüchige? Die zwei Männer, welche Ahrok schleppten, riefen einige Erklärungen in die Menge, doch die Fragen rissen trotzdem nicht ab. Ein kleines Mädchen mit roten Haaren drängte sich zu ihm durch und berührte neugierig seinen Oberarm. Fröhlich kichernd lief sie gleich darauf davon.
Ragnar seufzte.
Er wollte nach den Strapazen der letzten Wochen doch nur einen Abend lang Ruhe und nicht als Attraktion eines Hinterwäldlerdorfes ausgestellt werden.
Nach ihrem kurzen Marsch hielten die Männer vor dem besagten Haus. Einer von ihnen hämmerte auch gleich mit der Faust gegen die Tür.
„Huno. Hey Huno mach auf. Ich bin´s Klaus. Wir sind zurück und haben hier ein paar Schiffbrüchige.“
Kurze Zeit später lugte ein faltiges Gesicht aus einem Fenster im oberen Stockwerk: „Was soll denn der Auflauf Klaus? Ihr wisst doch das ich meinen Mittagsschlaf brauche!“
„Es ist auch schon Abend mein Bester. Wir haben mitten auf dem Meer zwei Schiffbrüchige aufgelesen. Die beiden sind am Ende ihrer Kräfte und brauchen einen Platz zum Ausruhen. Du hast doch sicherlich Platz für zwei Männer in deiner Hütte.“
„Natürlich. Einen kleinen Moment nur noch.“, das Fenster schloss sich wieder und es dauerte wieder einige Minuten, bis die Eingangstür geöffnet wurde.
Der Alte blickte Ahrok fassungslos an: „Warum hast du das nicht gleich gesagt, dass sie so erbärmlich aussehen. Schafft den hier umgehend hinten ins Zimmer. Ich hab dort noch ein Bett stehen, da legt ihr den Jungen dann erst einmal hinein. Daron du besorgst noch schnell eine Strohmatte für den kleinen Dicken und ihr anderen geht wieder nach Hause zu euren Familien. Hier gibt’s nichts zu gucken, die zwei brauchen ihre Ruhe.“, er betrachtete Ahrok besorgt. „Der hier sieht gar nicht gut aus, aber das wird schon wieder. Ruht euch erst einmal bei mir aus. Morgen sieht die Welt dann ganz anders aus.“

Ragnar wälzte sich unruhig auf der Strohmatte hin und her. Es war seine erste Nacht an Land, aber trotz des beruhigend steinernen Bodens blieb der Schlaf dennoch aus. All seine Gedanken kreisten nur um eines. Bier und wie dringend er jetzt einen Humpen benötigte.
Die Gastfreundschaft dieser einfachen Menschen war zwar überwältigend, doch verloren sie durch ihren Aufenthalt hier nur noch mehr von ihrer ohnehin schon sehr knapp bemessenen Zeit. Denn entgegen aller Wahrscheinlichkeiten hatte er diese Reise noch nicht als Misserfolg abgetan, es musste hier in der Nähe eine Stadt geben, in welcher man ihnen weiterhelfen und sie mit Alkohol versorgen konnte.
„Geht es dir nicht gut Herr Zwerg?“
Der alte Mann kniete schon seit Stunden an Ahroks Bett und legte ihm von Zeit zu Zeit ein frisches, feuchtes Tuch auf die Stirn.
Ragnar schüttelte den verschwitzten Kopf bis er er merkte, dass der Mann diese Geste gar nicht sehen konnte, da er ihm den Rücken zuwandte.
„Zwerge brauchen nicht so viel Schlaf. Wie geht es Ahrok?“
„Es sieht schlimmer aus, als es in Wirklichkeit ist. Die Seekrankheit hat ihn in ihren grausamen Klauen, aber das geht vorüber, nun da er wieder festen Boden unter den Füßen hat. In allerspätestens zwei Tagen ist er wieder bei Kräften.“
„Vielen Dank für Eure Mühen guter Mann, aber ich fürchte wir können nicht noch mehr Zeit vertrödeln und wir haben auch kaum Silber, um Euch für eure außergewöhnliche Gastfreundschaft zu entlohnen.“
Der Alte schüttelte den Kopf und wirkte beinahe beleidigt.
„Behaltet euer Silber nur bei euch. Gastfreundschaft wäre nicht Gastfreundschaft, wenn man dafür bezahlen müsste und außerdem haben wir keine Verwendung für Gold und Silber.“
Ragnar hob ungläubig die Augenbraue: „Fein, das mit der Gastfreundschaft verstehe ich, aber dass ihr armen Schlucker hier kein Geld nötig habt, dass kannst du dem schwarzen Steinbeißer erzählen.“
Der Mann sah ihn an, wie ein Kind, welches gerade etwas sehr einfältiges gesagt hatte.
„Ich glaube du verstehst unsere Lage hier nicht. Niemand hier besitzt auch nur ein Kupferstück, denn innerhalb unserer Dorfes bilden wir eine große, fürsorgliche Gemeinschaft, die solcher Tauschmittel nicht bedarf und mir anderen Gemeinden pflegen wir keinen Kontakt. Wir würden die Münzen höchstens einschmelzen um Nägel oder… etwas anderes daraus zu fertigen.“
„Hm…“, brummte Ragnar.
„Der Einzige der vielleicht Interesse an eurem Silber haben könnte, wäre Meister Tharo.“
Ahrok stöhnte leise auf und der alte Mann wandte sich wieder dem todsterbenskranken Jungen zu.
Ragnar war derweil aufgestanden und wanderte, sich den Bart kraulend, auf und ab. Es gab in diesem verlassenen Fischernest also doch noch einen, der den Wert guten Goldes zu schätzen wusste. Jemand mit solch fortschrittlichen Ansichten würde ihnen vielleicht weiterhelfen können.
„Und wo lebt dieser Tharo?“
„Der Meister ist ein gelehrter und weiser Mann, der die Abgeschiedenheit liebt.“
„Ja… wer es einsam mag, der ist hier bei euch total richtig.“
„Er wohnt nicht im Dorf, sondern noch viel weiter draußen in den Bergen südwestlich von hier, aber genug von uns. Wir hatten seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr zur Welt. Erzählt uns doch bitte von dem Ort, von dem ihr stammt.“
„Och Menschling das ist aber ´ne lange Geschichte, die du da erwartest.“
„Nun weder ich noch der Junge werden in den nächsten Stunden davonlaufen, also sehe ich da kein Problem.“
Ragnar seufzte genervt. Seine Hände zitterten leicht und er schwitzte schon wieder bei dem bloßen Gedanken an ein Bier. Er schluckte den irrationalen Ärger herunter und tröstete sich damit, dass die Geschichte ihn vielleicht etwas ablenken würde.
„Also wir zwei kommen aus der Swanmark im Norden. Der Landstrich untersteht der Regentschaft von König Heideggar Stahlbart dem Neunten und da so ziemlich alles, was Zwerge anpacken, gut endet, ist das Land dort bereits seit Jahrzehnten von den schlimmsten Auswirkungen des letzten Zeitalters befreit worden. Einhundertzwanzig Jahre nach der letzten Öffnung ist es schon wieder ganz kuschelig da oben.“
„Nach welcher Öffnung denn?“
„Man, man, man ihr kriegt hier echt nicht viel mit was? Na gut ich hol noch ´n Stückchen weiter aus.“, er griff instinktiv nach einem Krug, um seine Kehle zu befeuchten und schnupperte kurz daran. Enttäuscht stellte er fest, dass es sich hierbei nur um Wasser handelte, aber nach kurzem Überlegen nahm er dennoch einen Schluck zu sich.
„Alle vierhundert Jahre ändert sich die Welt gravierend. Vierhundert Jahre lang leben wir alle in Frieden und Eintracht und Todesangst unter den Bergen, um uns vor den Dämonen zu verstecken, die an der Oberfläche wüten. Nur wer sich ihrem Einfluss entziehen kann, da hat überhaupt eine Chance diese grauenhafte Zeit zu überleben. Es gibt soweit ich weiß sechs Methoden, sich vor den magischen Invasoren zu verstecken oder sich vor ihnen abzuschotten, aber die effektivste und daher am weitesten Verbreitete war natürlich die Zwergische.
Grab tief und weit und roll einen dicken Stein vor den Eingang und es wird dich ganz sicher niemand mehr finden.“
„Du meinst ihr habt euch eingebuddelt?“
„Aus deinem Mund klingt das so, als wär es etwas Schlechtes. Natürlich haben wir uns nicht nur ´eingebuddelt´! Es gehört einiges dazu eine Stadt tausend Fuß unter der Oberfläche zu errichten. Viele tausend Doppelzentner harter Stein müssen zuerst punktgenau abgebaut und fortgeschafft werden, um überhaupt erst einmal den Platz zu schaffen. Allein diese Arbeit dauert schon Jahrzehnte. Dann gilt es in dem geschaffenen Hohlraum Behausungen zu errichten und die Versorgung stabil zu halten. Jeder Caer muss über die ganzen vierhundert Jahre völlig autark existieren können. Manche von ihnen beherbergten schon zu Beginn des Zeitalters der Bestrafung über fünftausend Männer, Frauen und Kinder. Ich denke jetzt bekommst du langsam ´ne Vorstellung davon, was wir Zwerge so alles leisten.“
„Hab ich nie bezweifelt.“
Ragnar grinste: „Ja klar. Doch das bloße Verstecken ist nicht genug. Alle Zugänge sind durch mehrere, klafterdicke Stahltore und magische Barrieren gesichert, die weder Mann noch Dämon von außen öffnen können soll.“
Er machte eine kurze Pause und genoss die Aufmerksamkeit des Mannes. Ahrok hörte ihm nie so lange zu, wenn er von wichtigen Dingen sprach.
„Dennoch bleibt es ein gefährliches Spiel mit der Wahrscheinlichkeit. Mächtige Dämonen werden durch physische Barrieren nicht aufgehalten, also muss für den Caer ein Ort gefunden werden, an dem die Magiekonzentration so gering ist, dass ein großer Dämon sich dort nicht lange aufhalten kann und dann muss der Fels und die Schutzmaßnahmen gut genug sein, dass sich auch kleinere Monster nicht ebenso einfach hindurchgraben können. Trotz vielfach überprüften Berechnungen waren die Entscheidungen oft genug falsch. Immer wieder fallen Caer den dämonischen Angreifern zum Opfer und von denen hört man dann nie wieder etwas, denn entweder sind alle Einwohner längst tot, oder aber die Inquisition kümmert sich mit Feuer und Schwert um die Überlebenden eines geöffneten Caers.“
Ragnar trank einen weiteren Schluck Wasser, als vor seinem Auge Szenen erschreckender Gräueltaten vorüberhuschten.
„Doch ein Großteil der Caer hält dieser Verdammnis stand. Wenn das Magieniveau sinkt und die Wesen aus der großen Leere sich wieder in eben diese zurückziehen müssen, werden die Mutigsten an die Oberfläche geschickt, um zu erkunden ob die Welt für einen Neubesiedlung bereit ist.
Üblicherweise kehrt die ersten Jahre keiner dieser Spähtrupps zurück. Doch irgendwann kommt immer jemand mit der Nachricht, dass die Welt vom größten Übel befreit ist und dann strömen hunderte Krieger hinauf an die Oberfläche. Hunderte, vielleicht Tausend Männer und Frauen nur für diesen einen Moment trainiert, um zurückzuerobern, was rechtmäßig unser ist. Vor genau einhundert einundzwanzig Jahren öffneten alle großen Caer im Gebiet um die Gipfel von Êowîgart ihre Tore und beanspruchten die Swanmark für ihren König.
Das mein guter Mann war die letzte Öffnung.“
„Aha, also stammt ihr aus so einem Caer?“
„Nein! Hörst du mir nicht zu? Ahrok hier ist noch viel zu jung, als dass sich sein Großvater überhaupt an so etwas erinnern zu könnte und auch meine Familie lebte in keinem Caer. Mein Klan lebte die letzten 1847 Jahre in der Stadt Hammarôg in den südwestlichen Ausläufern der Drekiberga.
Wie die meisten Städte in den erzreichen Drachenbergen war auch Hammerfels berühmt für seinen Wohlstand und Glanz. Du kannst dir nicht einmal in deinen wildesten Träumen ihren Prunk vorstellen. Fünfhundertdreizehn Fuß unter der Oberfläche erstreckte sie sich auf einem Gebiet von acht Quadratmeilen.
Der Fluss von Edelsteinen, Gold und magischen Metallen wie rotem Stahl oder falschem Silber aus den Minen und Schmelzen unserer Stadt nahm kein Ende. Unterirdische Handelswege, so breit, dass drei voll beladene Handelskarren nebeneinander fahren konnten, führten über Hunderte Meilen zu anderen, gewaltigen Städten meines Volkes.“, Ragnars Stimme war urplötzlich von unermesslichem Stolz erfüllt.
„Hübsch. Die Stadt ist wohl eine Reise wert.“
„Nein, nicht mehr. Dafür bist du jetzt dreißig Jahre zu spät dran Menschling. Hammerfels ist nicht mehr… wie schon so viele unserer Städte. Sein Glanz ist verschwunden, seine Schätze geraubt, seine Einwohner getötet und die Häuser eingerissen und zerstört. Nicht ein einziger Stein zeugt heute noch von seiner alten Pracht. Hammerfels lebt nur noch in den Erinnerungen meines Volkes und in unseren Herzen.“
Ragnar verstummte kurz, seine Augen waren starr auf den festgestampften Lehmfußboden gerichtet, als er mit leiser Stimme weitersprach.
„Wir sind noch ein junges Volk, anders als ihr. Wir wollten einst an Orte reisen, die ihr schon längst vergessen habt, aber diese Träume scheinen heute so unendlich fern. Es geht nur noch ums nackte Überleben.
Damals, als die Welt im Sterben lag, gebar sie die Dwawi, die stolzen Söhne und Töchter der Berge. Seit Anbeginn der finsteren Zeit schürfen wir in den Bergen nach Gold und Edelsteinen, bauen dort Städte und Zufluchten, wie es kein anderes Volk könnte, aber selbst wir Eisernen mussten schmerzlich erfahren, dass nichts für die Ewigkeit ist. Nicht einmal die Kinder der Berge, denn so wie der Fluss des Wassers selbst den härtesten Stein schwinden lässt, so haben uns die vielen Kriege und Kämpfe beinahe vollständig ausgelöscht.
Zu viel Krieg, zu viel Verrat und Hinterlist, zu viel Stolz um nachzugeben.
Unaufhörlich branden die Armeen unserer Feinde gegen die letzten zwergischen Bastionen… und mein Volk stirbt Menschling. Wir kämpfen einen erbitterten Kampf, den wir nicht gewinnen können. Mit jedem Jahrhundert wird ein weiteres Stück von unserem Glanz unwiederbringlich ausgelöscht, bis wir eines Tages nicht mehr sind und nur noch Legenden und Lieder von den Eisernen erzählen.
Niemand lebt ewig, aber Erinnerungen und Legenden überstehen selbst den Wandel der Zeitalter. Geschichten halten jede, die uns lieb und teuer sind, über Tausend Jahre lang am Leben. Wenn ich es schaffe, dass nur ein einziges Lied über mich und meine Taten geschrieben wird, so war mein Leben nicht vergebens. Ich will nicht vergessen werden wie so viele meines Volkes. Ich will nicht einfach nur irgendein Zwerg sein der kam und dann wieder ging. Ich will das man sich an mich erinnert!“
Betretene Stille herrschte im Raum.
Ragnar, der bei den letzten Sätzen über sich hinausgewachsen war, räusperte sich verlegen. Plötzlich war er sehr froh darüber, dass ihn Ahrok sonst immer bei seinen Reden unterbrach, bevor er sich derart hineinsteigerte und mehr von sich preisgab, als ihm lieb war.
„Na wie auch immer… genug von alten Geschichten. Wir müssen rasch weiter nach Kasam.“
„Am einfachsten wäre es, wenn ihr ein Schiff…“
Ahrok riss ruckartig die Augen auf und packte den Arm des Mannes.
„Nein... kein Schiff...“, stöhnte er, dann sank er wieder kraftlos zurück auf sein Lager.
„Ja… das mit dem Schiff sollten wir lieber lassen. Kennt ihr Leute hier nicht noch einen anderen Weg?“
Huno kratzte sich am Kinn.
„Nicht dass ich wüsste. Kasam liegt meines Wissens recht weit östlich von hier. Wenn ihr also immer am Ufer entlanglauft, dann dürftet ihr sicher in zwei Monaten dort ankommen. Oder ihr fragt Meister Tharo.“
„Der Name fällt ja ziemlich häufig. Der ist wohl ´ne große Nummer bei euch.“
„Nun um die Wahrheit zu sagen gehört er nicht zu unserem Dorf. Er lebte schon an diesem Ort, bevor unsere Väter hier ankamen. Meister Tharo liebt die Abgeschiedenheit und sitzt Tag und Nacht über seinen Büchern, daher weiß er auch so viel.“
„Hm…“, Ragnar setzte den leeren Wasserkrug ab und legte sich wieder auf die Strohmatte. „Na dann statten wir dem großen Meister morgen mal einen Besuch ab.“

Es war der vierte Frühlingsball in diesem Monat und Ariane saß verzweifelt an der festlich geschmückten Tafel. Seit Wochen hielt sie auf diesen Festen Ausschau nach dem adretten Fremden, doch hatte sie ihn bislang nie wieder gesehen. Sie kannte weder seinen Namen noch seinen Rang und wusste nicht einmal, ob es sich bei ihm um einen einheimischen Adligen gehandelt hatte oder nur um jemanden, der auf der Durchreise gewesen war. Letzteres wurde mit jeder verstreichenden Woche immer wahrscheinlicher und genau dieser Gedanke zog sie hinunter in die Schwermut wie ein Mühlstein. Dieser Mann war der Einzige gewesen, in dessen Gegenwart sie sich wohl gefühlt hatte, nachdem ihr Liebesleben so grausam über ihr zusammengebrochen war.
Zwischen ihnen gab es kein überflüssiges Reden, kein Drama um Verlobungspolitik und Ehepläne, sondern einfach nur starke Arme in denen sie zum Klang des Orchesters diese schreckliche Welt für ein paar Stunden vergessen konnte.
Die Männer und Frauen um sie herum lachten fröhlich und genossen ihr Leben, während sie an der wohl dunkelsten Stelle im Saal saß und zwei Männern nachtrauerte, die sich aus ihrem Leben gestohlen hatten. Von Zeit zu Zeit horchte sie auf, wenn jemand zur Tür hineinkam oder sie seine Stimme zu hören glaubte, doch sank sie danach immer wieder enttäuscht zurück auf ihren Stuhl.
Es war ihr ganz Recht, dass sie in ihrer kleinen Ecke so wenig Aufmerksamkeit bekam, dass sie von niemandem zum Tanzen aufgefordert wurde und selbst der Mundschenk sie übersah, so konnte sie ihren Gram zumindest vor dem Rest der anscheinen überglücklichen Welt verstecken.
 
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Kommentare  

Danke für deine lieben Worte Ingrid. Das Kapitel war in seiner Ursprungsform etwas schwer und theatralisch, das wollte ich etwas abmildern, ohne den Einblick in Ragnars wahre Gefühlswelt zu vernachlässigen. Leider fehlt mir im Moment grad ein bisschen die Muße und die Geduld mich intensiv mit dem Schreiben und Überarbeiten zu beschäftigen, weshalb ich zu diesem Zeitpunkt generell unzufrieden mit meinen Texten bin. Da ist es schön etwas positives Feedback zu bekommen.

Jingizu (18.05.2012)

der herr zwerg braucht bier, aber das gibt es in diesem verlassenen kaff nicht. ;-) hinterher war ich richtig berührt über das, was er erzählte. tragisch, so ein junges volk und schon zum aussterben verdammt. bin gespannt auf meister tharo, muss ja schon ziemlich alt sein.
einer deiner besten teile, wie ich finde, er hat die richtige mischung aus humor, tragik und information.


Ingrid Alias I (17.05.2012)

Ich hab mich ja sowieso schon gewundert wie schnell ihr alle die Beziehung zwischen Ahrok und Ariane abgeschrieben hattet. Vielleicht muss ich hier und da doch noch ein paar Änderungen im Band 1 vornehmen...

Jingizu (10.05.2012)

Glücklicherweise sind die Fischer freundlich, die völlig in der Abgeschiedenheit leben. Ragnar und Ahrok - wenn er denn kann - wollen Meister Tharo einen Besuch abstatten um mehr in Erfahrung zu bringen und ...was mich sehr freut, Ariane hat ihren Ahrok noch immer nicht vergessen. Geht wohl doch nicht so leicht wie sie gedacht hatte :=)

Petra (08.05.2012)

Allmählich bekommt man man Mitleid mit dem armen Ahrok. Das schaukelnde Boot hat ihm anscheinend den Rest gegeben. Ragnar ist zwar äußerlich fit, aber seelisch haut es ihn doch so ein bisschen um, als er erfährt dass sein geliebtes Hammerfels nicht mehr existiert. Und nun kommt wohl die Sache mit dem gruseligen Zauberer. Ich bin gespannt.

Jochen (07.05.2012)

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