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6 Seiten

Chris - Zweites Kapitel

Romane/Serien · Spannendes
© Jingizu
Zweites Kapitel

Ich kann zu diesem Zeitpunkt nicht oft genug betonen, dass ich nicht am Boden zerschmettert war, nur weil ich meine Arbeit verloren hatte und mich seit Wochen nur mangelhaft von billigem Dosenfutter ernährte, das meiner Gesundheit eher schadete, als es ihr gut tat. Der Prozentsatz an viszeralem Fett stieg durch diese miese Ernährungsweise beträchtlich an und mein Blutdruck mit ihm – keine Ahnung wie nah ich damals an einer Diabeteserkrankung vorbeigeschrammt bin. Falsche Ernährung… ich sag Ihnen dieser Instantdosenfraß hat mehr Leben auf dem Gewissen als meine ganze Branche, aber was tut man nicht alles aus Bequemlichkeit und Geldmangel.
Es war diese eine Nacht. Ich wünschte ich könnte so etwas sagen wie „Ich werde es niemals vergessen“, aber das ist nicht wahr.
Es war im September. Irgendeine Septembernacht. Ich erinnere mich nicht einmal an das Datum, keine Ahnung ob ich es jemals gewusst habe. Der Tag war warm gewesen und der laue Abendwind drang wohltuend durch das frisch geöffnete Fenster in mein kleines Zimmer. Ich hatte Tage und Wochen damit verbracht, vor meinem Rechner zu versumpfen. Hatte am laufenden Band Filme geschaut oder mich auf youtube herumgetrieben. Youporn nicht zu vergessen – auch ein Mann wie ich hat seine Bedürfnisse.
Ich hatte das Fenster nur geöffnet, um einen Blick auf die Welt da draußen zu werfen und erstaunt festgestellt, dass die Sonne bereits nur noch ein kleiner, roter Halbkreis am Horizont war.
Auch dieser Tag war an mir vorbeigerauscht wie schon so viele andere.
Es gab keinen Grund von meinem Stuhl aufzustehen und den Platz vor dem Computer zu verlassen, dennoch tat ich es. Seit ich den verschwindenden Feuerball gesehen hatte, wollte ich nur noch raus aus meinem kleinen, mir selbst auferlegten Gefängnis. Die Tageszeit war perfekt, der Wald nahe. Kein Mensch würde mich sehen, mich stören, mich in Gespräche verwickeln. Es sollte nur ein kleiner Spaziergang durch einen noch immer grünen, spätsommerlichen Wald werden.
Vielleicht war es auch nur der unbewusste Drang meinem überreizten Hirn etwas Ruhe zu gönnen. Falls Sie es noch nicht versucht haben, dann empfehle ich Ihnen einen Spaziergang im halbdunklen Wald. Man kann wunderbar nachdenken, ohne dass Medien, Werbeschilder oder andere Menschen einen schädlichen Einfluss ausüben. Niemals ist der Geist so frei, wie wenn man allein in der Natur sitzt oder liegt oder steht und die Gedanken einfach fließen lässt.
Wenn keine Straßenlärm stört, keine Glühbirne künstliches Licht wirft und keine Stimmen ertönen außer denen der Tiere, dann kann man auf einmal alles hinter sich lassen, alles abschütteln und all die Wut vergessen, die einem die Welt auf die Schultern lädt.
Als meine Schritte mich über den trockenen Waldweg führten, heruntergefallenes Laub unter meinen Sohlen raschelte, da erschienen mir die wochenlang gehegten Rachepläne an dem verdammten Krankenhaus plötzlich so nichtig, sinnlos und kindisch.
Ich weiß wirklich nicht, warum man sagt, dass man Rache am besten kalt serviert.
Der Gedanke an sie verliert mit größerer Distanz immer mehr an Bedeutung, bis er einfach aufhört zu existieren. Nur wenn man Tag für Tag das Feuer schürt, dann wird das Begehren nach Vergeltung zur Obsession – und daraus kann nie etwas Gutes werden. Nein, meiner Meinung nach serviert man Rache am besten heiß. Augenblicklich. Dann genießt man die Befriedigung einer bezahlten Rechnung und macht mit seinem Leben weiter. Lässt man hingegen zu, dass der Gedanken und das Verlangen nach Rache ein Teil des Lebens wird, dann wird man diesen Teil nie wieder los und die Gier nach Vergeltung wird niemals enden.
Ja ich gebe zu, dass, wenn ich meine Waldspaziergänge mache, an mir wohl ein Philosoph verloren gegangen ist… vielleicht spinnt sich mein Hirn dann aber auch nur einen Haufen Müll zusammen… keine Ahnung ob das nicht sowieso dasselbe ist.
Kaum dreißig Minuten nachdem ich die Haustür hinter mir geschlossen hatte, befand ich mich bereits unter dichten Baumkronen. Es lag an dem Abend dieser Geruch von Holz in der Luft, den man in der Stadt ganz aus den Augen verliert. Alles was in diesem Augenblick gefehlt hatte, um ihn perfekt zu machen, wäre ein leichter Regen gewesen.
Ich ging also einfach drauflos. Nahm eine Abzweigung links, die nächste rechts – ohne festen Plan wohin mich mein Weg führen sollte. Nach einer Stunde oder zwei mochte ich bereits mitten im tiefsten Wald stecken, oder aber vielleicht nur dreißig Meter von einer Straße entlang wandern. Ich hatte keine Ahnung und genau das fühlte sich gut an.
Das war das letzte Mal, dass ich irgendwohin gehen konnte, ohne mir ständig über die Schulter blicken zu müssen.
Dann näherten sich Schüsse und Stimmen.
Zuerst hatte ich sie gar nicht wahrgenommen, da ich zu sehr in meiner eigenen Gedankenwelt gefangen war, doch als sie lauter und deutlicher wurden, erregten sie meine Aufmerksamkeit. Schüsse, Knallfrösche, Feuerwerk. Woher hätte ich damals auch wissen sollen, wie sich eine Makarow PM anhört. Es hätte genauso gut ein Stadtfest sein können. Die Menschen um mich herum feierten schließlich so gern mit blinkenden, blitzenden Lichtern und lautem Knall. Das war wieder so eine Sache, die ich nie verstanden habe und auch bis heute nicht verstehe.
Aus dem Dunkel des Waldes rechts von mir blitzte Mündungsfeuer, welches von eben diesen kleinen Explosionen begleitet wurde.
Ich stand wie festgenagelt auf der Stelle und lauschte.
Nicht vor Angst, denn ich war mir der Situation um mich herum schließlich nicht bewusst. Ich war eher neugierig entgegen alle Vernunft. Stimmen drangen durch das Dunkel zu mir. Die Rufe waren kurz und knapp durch den Sauerstoffmangel einer wilden Hetzjagd durch das Unterholz. Die Worte waren jedoch nicht zu verstehen. Polnisch, Russisch, Ungarisch,... es war irgendeine dieser osteuropäischen Sprachen, die ich weder sprach noch verstand. Sprachen waren schon in der Schule nicht meine Stärke gewesen. Nicht weil ich zu dumm oder zu faul war, sie zu lernen, sondern einfach, weil es in meiner eigenen Muttersprache schon genug Leute gab, mit denen ich nicht reden wollte – wozu dann noch andere Sprachen lernen.
Da stand ich also, halb an einen Baum gelehnt, leicht gebückt, um im Falle einer Gefahr mich schnell zusammenkauern zu können und dann raschelte es neben mir im Gebüsch. Können Sie sich meinen Schrecken vorstellen? Die Stimmen waren noch mindestens zwanzig Meter weit entfernt. Vielleicht hatten sie ein Wildschwein, einen Fuchs oder eine ähnlich gefährliche Bestie aufgescheucht, die nun direkt in meine Richtung flüchtete.
Ich sprang in die Höhe, um auf den Baum zu klettern, vor dem ich gerade stand, als etwas durch das Dickicht brach und mit mir zusammenstieß. Ich schrie wie ein kleines… also ich meine… ich schrie wie ein zutiefst überraschter, echter Kerl während ich fiel.
Jemand traf mich in vollem Lauf und fiel auf mich, während er mich mit sich zu Boden riss. Der Fremde war ein groß gewachsener Mann von schmaler Statur. Sein Atem raste flach dahin und er starrte mich nicht minder erschrocken an, als ich ihn. Das dunkle Haar, welches sich schon an so manchen Stellen grau färbte, war klatschnass vom Schweiß.
Es vergingen einige Sekunden in denen sowohl er als auch ich mit unserer Fassung rangen, dann tastete er nach der Brille, welche er bei dem Zusammenstoß verloren hatte und kam umständlich wieder auf die Beine.
Er kam jedoch nicht einmal dazu noch einen Schritt zu machen, als erneut Mündungsfeuer aufblitzte. Ich kann heute nicht mehr sagen wie viele Schüsse fielen. Ob drei oder sechs oder sogar noch mehr. Der Fremde brach auf der Stelle zusammen und sein zitternder Körper landete erneut auf mir.
Er hatte nicht geschrien, kein Wort gesagt und auch jetzt, in seinen letzten drei Atemzügen, blieb er stumm. Sein maßgeschneiderter Anzug wies mehrere Löcher an Brust und Rücken auf, aus denen sein Blut quoll. Nichts hätte ich lieber getan, als zu schreien oder den Toten von mir zu stoßen, aber ich gab vor Angst keinen Mucks von mir, sondern lag still und reglos auf dem Waldboden, während sich fremdes Blut über mich ergoss.
Vielleicht würden die anderen Stimmen einfach weitergehen und nicht unter der Leiche nachsehen – natürlich hatte ich mich geirrt. Die Stimmen waren verstummt, aber der Waldboden knackte unter schweren Stiefeln, die sich meiner Position näherten.
„Alexei?“
„Умерший.“, bestätigte jemand, direkt über mir.
Die Leiche wurde von mir gerollt und ich blickte anstatt auf starre Augen in den Lauf einer Pistole.
„Что ты делаешь?“, fuhr mich der Mann hinter dem Lauf an.
Ich hob zögerlich die Arme in der internationalen Geste des Nicht-erschossen-werden-wollens.
„В чём дело?“, rief ein Anderer.
„Проблема.“
Kurz darauf tauchte ein weiteres, vermummtes Gesicht über mir auf.
„Кто это??“, fragte es.
„Я не знаю.“
„Leute ich versteh kein Wort.“, rief ich dazwischen, aber die beiden reagierten gar nicht.
„Перестреляй его.“
Das Spannen des Hahns, verriet mir jedoch, was die letzten Worte bedeuten sollten.
„Wartet! Wartet, wartet, wartet! Das müsst ihr nicht tun. Ich hab nichts gesehen!“
„Что он сказал?“
Ich hörte den weiteren Verlauf ihres Gespräches nicht, da ich wie gebannt auf die Mündung vor meinem Gesicht starrte und jederzeit erwartete, dass ein gleißendes Licht das Letzte war, was ich sehen würde.
„Wer bist du?“, fragte der Mann hinter der Waffe mit starkem Akzent.
„Niemand! Ich bin niemand! Ich meine… krieg das nicht in den falschen Hals. Man würd mich vermissen, wenn ich nicht zurückkomme!“
„Du sitzt in der Scheiße Bürschchen.“
„Das musst du mir nicht extra sagen, dass seh ich auch so!“, keifte ich ihn gereizt an.
„Du hilfst uns jetzt den Mann zu vergraben. Dann darfst du gehen.“
„Ja klar. Hältst du mich für blöde? Ich heb doch hier nicht mein eigenes Grab aus.“
„Что он сказал?“, fragte der Zweite schon wieder.
„Was sagt er?“
„Заткнись! Seid ruhig! Alle beide! Du wirst graben, oder ich erschieße dich gleich hier und jetzt.“
„Also wenn du nicht willst, dass die Polizei den Mann gleich morgen findet, dann würd ich ihn hier aber nicht vergraben.“, die Worte waren wie die letzten meiner Sätze weder überlegt noch zielten sie auf etwas ab. Mein rational denkender Teil hatte sich einfach eingeschaltet und das Reden übernommen.
„Was meinst du damit?“
„Dieser Wanderweg hier wird gleich morgen früh von Rentnern und Joggern mit ihren Hunden nur so wimmeln. Die kläffenden Köter werden eure Leiche schneller finden, als… na ja mir fällt grad kein guter Vergleich ein. Aber jedenfalls werden sie schon in ein paar Stunden hinter euch her sein.“
„So? Schlaumeier.“, er drückte meinen Kopf mit der Mündung zurück auf den Waldboden. „Was schlägst du denn dann vor?“
„Wenn ihr ihn ganz sicher loswerden wollt, dann hilft nur Auflösen.“
„Auflösen?“, der Druck auf meiner Stirn verringerte sich geringfügig.
„Wie groß war er? Einsachtzig, einszweiundachtzig? Das ergibt bei seiner Statur ein Volumen von etwa 75 Liter. Grob geschätzt bräuchte man also nur eine 100 Liter Plastikwanne, ein paar Liter Flusssäure und ach ja es würde helfen ihn vorher in Stück zu schneiden. Das spart Platz und man könnte ihn auch auf zwei drei kleinere Wannen verteilen.“
Die Überlegungen sprudelten einfach aus mir heraus, als wäre ich gerade wieder an der Uni und würde ein beliebiges Problem lösen.
„Dimitri? Что вы говорите?“
„Успокаивай Sascha! Und du Bursche давай, давай du hilfst mir jetzt diesen Mann zum Auto zu tragen. Du scheinst mir doch nicht so nutzlos.“

*************************************

Умерший (Umjerschie) - tot, verstorben
Что ты делаешь? (Schto tüi djelajesch?) - Was machst du hier?
В чём дело? (W tschjom djelo?) - Was gibts? Was ist los?
Проблема (Prabljema) - Probleme
Кто это? (Kto eto?) - Wer ist das?
Я не знаю. (Ja nje snaju) - Ich weiß nicht.
Перестреляй его. (Pjeresstreljai jego) - Erschieß ihn.
Что он сказал? (Schto on sskasal?) - Was sagt er?
Заткнись (Satkniss) - Halt die Schnauze!
Что вы говорите? (Schto wüi gawaritje?) - Was redet ihr da?
Успокаивай (Usspokaiwai) - Beruhig dich
давай, давай (dawai, dawai) - los, los
 
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Kommentare  

Dem Verständnis halber, hab ich russisch nun auch tatsächlich in kyrillischer Schrift verfasst und werde bei Bedarf noch eine Üebrsetzung zufügen, obwohl ich bislang der Meinung war, dass gerade das fehlende Verständnis des Protagonisten gut herüber kommt, wenn man selber nicht so genau weiß, was geredet wird.

Jingizu (03.09.2012)

Hallo Francis.

Das Schöne daran ein Hobby-Leser zu sein, ist es ja, sich aussuchen zu können, was man liest und was nicht. Ich find es kein bisschen schlimm, dass die dir Geschichte um Ahrok nicht liegt, dafür freue ich mich umso mehr, deinen Kommentar zu diesem, wie ich finde noch viel kontroverserem Charakter zu lesen.
Das was du da liest ist tatsächlich russisch - nun ja vielleicht auch nur für Gangster untypisches schulrussisch, denn so sehr liegt mir diese Sprache nicht mehr, als dass ich wirklich umgangssprachlich in ihr schreiben könnte.

Eine Fortsetzung ist zu dieser Geschichte in Arbeit, diese muss aber warten, bis ich wieder etwas mehr Zeit für sie habe.

Nochmals danke und Gruß zurück.


Jingizu (01.08.2012)

Eine spannende Fortsetzung. Angenehm mal eine Ich-Perspektive zu lesen, obwohl die eigentlich häufig geschrieben wird. Aber hier auf diesem Forum habe ich sie selten gelesen. Soll ja angeblich leichter zu schreiben sein. Finde, ist was dran.
Auf deine Story zurück zu kommen...gefällt mir etwas besser als Ahrok, weil ich kein Fantasy-Fan bin ;)
Die fremdartige Sprache beruht sich wohl nicht auf schwedisch? Selbst erfunden? Vielleicht doch russisch oder gar außerirdisch?
Die Fantasie wird jedenfalls angekurbelt und dein chaotischer Protagonist wirkt einsam und man fiebert mit ihm. Ist ne Fortsetzung wert, weil meiner Meinung nach makellos gut geschrieben.

Grüße dich...


Francis Dille (28.07.2012)

Danke doska. Der Text driftet von der humoristischen Schiene immer mehr in Richtung Psycho ab... aber es gibt momentan nichts, was ich dagegen tun kann.

Jingizu (01.06.2012)

Oh, Gott? Dein Prota scheint ja ziemlich in der Xxxxxße zu sitzen! Na da wollen wir mal hoffen, dass er sich aus dieser noch einigermaßen herauswursteln kann. Spannend, humorvoll und überraschend - einfach saugut.

doska (30.05.2012)

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