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Nikolas - Zweites Kapitel

Romane/Serien · Schauriges
© Jingizu
Zweites Kapitel
Ich verbrachte vier weitere Stunden zwischen Arrestzelle und Verhörraum nachdem ich das „Labor“ verlassen hatte. Ich hätte beinahe unpassend laut aufgelacht, als ich die kleine Rumpelkammer voller staubiger Utensilien gesehen hatte, in welcher man mir und anderen Männern die Speichelprobe entnommen hatte. Die aufgereihten Proben wurden nun zum nächsten wirklichen Labor geschickt und das Ergebnis würde in ein paar Tagen feststehen. Glücklicherweise bestand man nicht darauf, mich die ganze Zeit bis dahin festzuhalten. Ich hab keine Ahnung ob es daran lag, dass das vielleicht auch gar nicht möglich war.
Nachdem ich also nach insgesamt zwei weiteren Verhören noch immer nicht gestanden hatte, durfte ich, mit der Auflage vorerst das Land nicht zu verlassen, meine Rückfahrt zur Ferienwohnung antreten.
Sie machen sich keine Vorstellungen wie seltsam man im Bus von Leuten angesehen wird, wenn man als Ausländer mit schmutziger, verschwitzter Kleidung direkt vor der Polizei in ein öffentliches Verkehrsmittel steigt.
Omas beobachteten mich heimlich mit einer Mischung aus Abscheu und Furcht, junge Mütter schoben ihre Kinder hinter sich und Männer jeden Alters sogen tief Luft in ihren Brustkorb, um wirklich bedrohlich zu wirken.
Es war eine lange, bedrückende Fahrt, in welcher eine Glocke des eisigen Schweigens fünf Meter in jede Richtung über mir zu hängen schien. Ich konnte tatsächlich das Aufatmen der anderen Fahrgäste hören, als ich in der Haltestelle Storebro das Fahrzeug verließ.
Nie zuvor hatte ich mich je so fremd und ausgestoßen gefühlt wie an diesem Tag.
Als ich nach einem kleinen Spaziergang meine Ferienwohnung betrat, konnte ich die Blicke in meinem Rücken spüren, die mir die Herbergsmutter über den Hof hinweg zuwarf. Als ich mich umdrehte, um ein klärendes Gespräch zu führen, war das einzige was ich sah, die Bewegung der Gardine am Küchenfester, die soeben rasch zugezogen wurde.
Ich seufzte kurz, ließ die Schultern hängen und schlurfte in mein Appartement. Diese Entführungen hatten mir nicht nur einen Urlaubstag ruiniert, sondern wohl auch den Rest meines Aufenthalts hier in Schweden. Ich war kurz davor mich selbstmitleidig zu fragen, warum immer mir so etwas passieren muss, als mir bewusst wurde, dass es doch gar nicht um mich ging, sondern um die vermissten Kinder.
Vor Scham über meinen Egoismus wollte ich beinahe im Boden versinken. Noch immer ohne eine Dusche genommen zu haben fiel ich der Länge nach auf das Bett und suchte Trost im Schlaf.

Ich musste nach einigem Hin und Her tatsächlich an die sechs Stunden geschlafen haben, denn als ich hungrig erwachte, war es bereits abends. Im ganzen Dörfchen gab es nur ein einziges Restaurant und wahrscheinlich hatten sich die Vermutungen über meinen boshaften Charakter bereits bis zum letzten Einwohner herumgesprochen, also vermied ich es heute in diesem Gasthof zu Abend zu essen.
Meine erste Mahlzeit an diesem Tag bestand also nur aus ein paar Scheiben Brot mit Käse und dazu gab es Wasser aus dem Wasserhahn. Das war wirklich alles andere als ein Urlaubsdinner.
Unzufrieden mit mir, meinem Urlaub, dem kärglichen Abendbrot und dem Rest der Welt verließ ich dennoch nach langem Überlegen die vier gemieteten Wände, in denen mir beinahe die Decke auf den Kopf fiel. Vielleicht hatte ich mir die ganze Situation schlimmer ausgemalt, als sie wirklich war, außerdem dämmerte es bereits, als ich meinen Spaziergang durch Storebro antrat.
Ich sag Ihnen, dass man sich sehr merkwürdig verhält, wenn man derartig verdächtigt wird. Man blickt in alle Richtungen, fühlt sich von jedermann verfolgt und beobachtet und verurteilt. Obwohl ich es gar nicht wollte, bemerkte ich trotzdem die vielen Augen, die mich verfolgten. Ich sah wie die Leute grundlos die Straße wechselten, wenn ich mich ihnen näherte und ich hörte die leise geflüsterten Gespräche, die hinter vorgehaltener Hand geführt wurden, als ob ich sie ohnehin nicht verstanden hätte. Ich hatte dem Kommissar zwar gesagt, dass ich gern meine Ruhe hatte, aber nicht so.
Also trugen mich meine Schritte fort von denen, die mich im Stillen verurteilten über die Wiesen hinweg Richtung Wald. Kein Vogel und kein Hase würde mich hier ausstoßen wollen, nur weil die ahnungslose Polizei in meiner Richtung ermittelte.
Die ausgetretenen Wege hießen mich willkommen, doch noch bevor ich das schützende Dunkel der Bäume erreichte, ereilte mich eine Stimme, die mir etwas zurief. Ich tat so, als hätte ich die Worte nicht gehört, und marschierte weiter. Wahrscheinlich waren es sowieso nur Drohungen oder Beschimpfungen gewesen, aber die Stimme wiederholte ihren Ruf noch zweimal, bis ich mich umdrehte.
„Hören Sie auf mir hinterherzurufen! Ich versteh ohnehin kein Wort Schwedisch!“
Mein Herz blieb fast stehen, als ich meinen Verfolger erkannte.
Keine fünfzig Meter hinter mir stand dieser wunderliche Alte aus dem Polizeirevier. Er war noch immer wie ein Jäger gekleidet und dieselbe Zigarre hing in seinem Mundwinkel. Doch dieses Mal trug er zusätzlich eine doppelläufige Schrotflinte in den Händen.
Da war sie also. Die gruselige, schwer bewaffnete Nachbarschaftswacht von Storebro und ich ganz allein mit ihr auf weiter Flur. Ohne Deckung, ohne Hilfe. Ich hob langsam die Arme auf Schulterhöhe: „Bitte nicht schießen. Ich hab doch rein gar nichts getan.“
Der alte Mann näherte sich bis auf fünf Meter, bevor er in akzentfreiem Deutsch antwortete.
„Nun seien Sie doch nicht so ein Dummkopf. Ich schieße schon lange nicht mehr auf Deutsche, sondern wollte Sie nur warnen. Sie sollten um diese Zeit nicht in den Wald gehen.“
„Und warum nicht?“, fragte ich schnippisch. Nachdem man mich also nicht im Dorf haben wollte, durfte ich nicht einmal mehr den Wald betreten?
„Nehmen Sie endlich die Arme runter.“, kommandierte er ungeduldig, „Sie sollten nicht in den Wald gehen, weil es nachts dort sehr gefährlich ist.“
„Ich komme durchaus zurecht. Danke.“
Er lächelte wie jemand, der einem störrischen Kind gerade etwas sehr Simples erklärt.
„Sie jagen, wenn die Nacht kommt – und sie sollten dann nicht in der Nähe sein. Sie machen nämlich kaum einen Unterschied zwischen Mensch und Wild. Für sie sind wir alle nur Fleisch.“
„Wovon reden Sie da? Bären? Wölfe? Ich hab mich erkundigt und Sie machen mir keine Angst.“
„Oh nein, ich rede von etwas viel Gefährlicherem. Haben Sie die Nachrichten nicht verfolgt? In den letzten zwei Wochen wurden Elche und Kühe in der Umgebung gerissen und dazu kommt jetzt, dass die Kinder verschwinden. Es liegt doch ganz klar auf der Hand - wir haben wieder Trolle in Storebro.“
 
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Kommentare  

Da kann ich mich eigentlich nur doska anschließen. Gefällt auch mir gut.
Jetzt wird es wirklich interssant. Bin mal gespannt wie sich das weiterentwickeln wird.


Tis-Anariel (06.06.2012)

Oh, jetzt driftet deine Geschichte also ins Fantastische hinüber und merkwürdigerweise nimmt man dir das ab, als wäre das etwas ganz Selbstverständliches, Normales. Schön, hat mir wirklich gut gefallen.

doska (06.06.2012)

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