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9 Seiten

Lea (1) Die weißen Rosen

Spannendes · Kurzgeschichten
Das ganze Drama fing damit an, dass die Kleine immer wieder in diese Ecke schaute und anfing zu weinen.
Von anderen Eltern hatte ich ja schon mal gehört, dass ihre Babys an die Decke sehen und mit einem ominösen Geist lachen. Aber Angst und Tränen, davon hatte ich noch nie was mitbekommen und sie war auch kein Baby mehr sondern schon fast Neun.

IMMER WIEDER WAR DA DIESES WIMMERN UND WEINEN ZU HÖREN UND SO LANGSAM WURDE ES WIRKLICH UNHEIMLICH. MEINE KINDER ERZÄHLTEN MIR DAUERND ETWAS VON GESPENSTERN ABER DA GLAUBTE ICH IHNEN NOCH NICHT.

Doch das war halt leider nur der Anfang.
Vor zwei Wochen begann der Terror sich durch die Nacht zu ziehen. Die Schreie des eigenen Kindes vergisst man wohl nie. Wenn man nachts um zwei oder drei aus dem Schlaf gerissen wird und diese Schreie oder ein verängstigtes Wimmern hört, bleibt einem das Herz fast stehen, nur um dann Anlauf zu nehmen und bis zum Anschlag zu hämmern und es beruhigt sich erst, wenn man die Kleine im Arm hat und man spürt, dass auch ihr Herz wie verrückt in dieser kleinen Brust schlägt. Dann fährt man wieder runter, nur um ihr zu zeigen, dass alles in Ordnung ist. Nur es war halt nichts in Ordnung.

MEIN GOTT, DIE NÄCHTE WURDEN WIRKLICH GRUSELIG. IMMER WIEDER DIESE SCHREIE UND DIE KINDER WURDEN IMMER VERSTÖRTER, ABER WER SOLLTE ES IHNEN VERDENKEN, ICH SELBST KONNTE MIR DAS GANZE JA NICHT MAL ERKLÄREN. AUCH MIR FIELEN JETZT DIESE KLEINEN UNHEIMLICHEN SACHEN AUF, WIE VERSCHOBENE STÜHLE, SACHEN DIE NICHT AUF IHREM PLATZ LAGEN UND EINFACH DIESES GEFÜHL NICHT ALLEINE ZU SEIN.

Sie konnte mir nicht wirklich erklären, was los war, nur dass jemand oder ein Ding manchmal nach ihr griff, sie berührte und ihr Angst einjagte. Nur war da halt nichts. Damals noch nicht.
Wir lebten schon seit sechs Jahren in dem alten gemütlichen Bauernhaus, das ich immer noch am renovieren war. Und bis vor drei Monaten als kleine glückliche Familie. Jetzt waren nur noch Lea, meine kleine Maus, und ich hier. Eva, ihre Mutter war bei einem Unfall ums Leben gekommen aber wir zwei hatten gemeinsam alles überstanden und kämpften uns auch recht gut durchs Leben, wie ich immer dachte, bis dieser Horror anfing.
Nach der dritten schlimmen Nacht, nahm ich sie mit zu mir ins Bett. Leider half auch das nichts. Wieder weckten mich ihre Schreie und mir blieb nichts übrig, als sie zu halten und wieder in den Schlaf zu wiegen. Auch ich nahm es jetzt wahr. Etwas war hier, dieses Gefühl beobachtet zu werden oder fast schon diese Gewissheit, es steht jemand direkt hinter dir – aber da war nichts, außer der üblichen Realität – und doch fühlte ich es. Die nächsten zwei Nächte blieb ich wach und die Schreie blieben aus. Doch wie sollte es weitergehen? Ich konnte ja nicht für immer wach bleiben. Ich brauchte eine Lösung.

DIE VIER NÄCHTE, IN DENEN NACHTS DIE SCHREIE DIESES KINDES DURCH DAS HAUS HALLTEN, WAREN SO ZIEMLICH DAS SCHLIMMSTE, DASS ICH JE ERLEBT HABE. SIE JAGTEN EINEM KALTE SCHAUER ÜBER DEN RÜCKEN UND ES MACHTE UNS GANZ EINFACH FERTIG, JEDE NACHT GEWECKT ZU WERDEN, DAS HAUS ZU KONTROLLIEREN UND NICHTS ZU FINDEN. UND DANN LAG MAN WACH UND MACHTE SICH GEDANKEN UM SEINEN EIGENEN GEISTESZUSTAND. WAR MAN EINFACH NUR AM DURCHDREHEN? DIE GEDANKEN VERFOLGTEN EINEN FÜR DEN REST DER NACHT UND AUCH AM NÄCHSTEN TAG, KONNTE MAN SIE NICHT WIRKLICH ABSCHÜTTELN. ICH NAHM NACHTS DIE KINDER ZU MIR INS SCHLAFZIMMER. AUCH IHNEN SASS DER SCHRECK IN DEN KNOCHEN. ES MUSSTE ETWAS GESCHEHEN.

Ich fing an mittags ein Schläfchen zu machen und blieb so nachts wach. Verbrachte die Stunden lesend im Schaukelstuhl neben dem Bett – Lea betrachtend - oder am Fenster - die Nacht und den hellen Mond betrachtend und dachte immer an Eva, wobei mir die Melodie eines Liedes von Revolverheld in Dauerschleife durch den Kopf ging: „Ich lass für dich das Licht an.“
Die Schreie blieben weiter aus und so langsam hatte ich ein wenig Hoffnung, dass alles wieder normal werden würde. Ich hatte mich getäuscht. Vorgestern rissen mich wieder ihre Schreie aus dem Schlaf. Als ich die Augen aufschlug, war es taghell und ich wusste zuerst nicht wo ich war und was los war. Aber dann wurde mir klar, dass ich mal wieder meinen Mittagsschlaf gehalten hatte. Ich lief durch das Wohnzimmer Richtung Flur, aus dem zuerst die Schreie und dann dieses grässliche Rumpeln zu hören gewesen waren. Als ich die Tür aufriss, lag sie im Flur auf den kalten Steinfliesen.

JETZT HATTE ICH IHN ZUM ERSTEN MAL AUCH GESEHEN, DIESEN GEIST. DOCH DIE GÄNSEHAUT, DIE MICH ANFÄNGLICH ÜBERZOG, WURDE VON EINEM KALTEN SCHWEISSFILM ABGELÖST, ALS MIR KLAR WURDE, DASS ICH ANGST UM DIESES GESPENST HATTE, WEIL ES WIE EIN KLEINES MÄDCHEN AUSSAH. DANIEL UND ANNA STANDEN OBEN AUF DER TREPPE UND SAHEN GESCHOCKT NACH UNTEN. DER GEIST DIESES KLEINEN MÄDCHENS FIEL MIR DIREKT VOR DIE FÜSSE UND LÖSTE SICH AUF, WIE EINE HALLUZINATION. DOCH DA WAR NOCH WAS. DAS SELTSAME GEFÜHL ALS WÜRDE ETWAS DURCH MICH HINDURCH GEHEN. EIN KURZER MOMENT, IN DEM ES EISIG KALT WURDE, ALLE NERVEN UND MUSKELN SICH ANSPANNTEN, KLEINE STROMSCHLÄGE DURCH DEN KÖRPER JAGTEN UND DANN WAR ES GENAUSO SCHNELL VORBEI, WIE ES ANGEFANGEN HATTE.

Ich lief zu ihr mit den schlimmsten Befürchtungen, wie wohl nur Eltern sie haben können. Und urplötzlich war da dieses schreckliche Gefühl, etwas berührt zu haben, was nicht da war. Etwas war durch meinen Körper hindurch gegangen und ich fühlte dieses leichte Kribbeln und Erschauern bis in die letzten Eingeweide. Ein kurzes Zittern am ganzen Körper, dann war es weg und ich hatte nur noch Augen für Lea.
Sie hatte die Augen geschlossen, als ich neben ihr auf den kalten Fliesen saß, aber sie atmete und als ich nach dem Handy suchen wollte, um den Notarzt zu rufen, öffnete sie die Augen. „Hallo Papa.“ „Hey du, bleib ruhig liegen bitte. Tut dir etwas weh?“ Ihre kleinen blauen Augen wurden klarer und ihr kam wohl wieder zu Bewusstsein, was geschehen war. Langsam, fast bedächtig bewegte sie ihre Hände und Füße und ihr angespanntes Gesicht wurde weicher und weicher. „Ich denke nicht Papa. Mir tut der Arm weh und mein Kopf, aber es ist nicht so schlimm glaub ich.“
„Komm her zu mir.“ Sie hatte zum Glück nur ein paar blaue Flecken und ne Riesenbeule am Kopf. „Erzähl mir was passiert ist.“
„Ich war oben und hab gespielt und dann Hunger bekommen und wollte zur dir in die Küche. Und als ich die Treppe runter wollte, waren da wieder die zwei Kinder und ich bin ganz viel erschrocken und dann ausgerutscht.“
„Haben sie dich extra erschreckt oder wollten sie, dass du die Treppe runterfällst? Was glaubst du?“ Als Antwort bekam ich ein hartnäckiges Kopfschütteln. Das dann aber langsamer wurde und in ihren Augen blitzte eine Erinnerung auf: „Papa, als ich die Treppe runterfiel, war hier unten auch ein Geist, ein großer Geist!“

VERDAMMT WAS WAR HIER NUR LOS? ICH STÜRMTE DIE TREPPE HOCH ZU DEN KINDERN. SIE STANDEN DORT SELBST WIE ZWEI GEISTER, DIE NICHT WUSSTEN, WAS SIE TUN SOLLTEN. DANIEL SAGTE: „ICH GLAUBE SIE HAT SICH WEH GETAN ABER DAS WOLLTEN WIR NICHT PAPA. SIE STAND PLÖTZLICH VOR UNS UND HAT SICH ERSCHROCKEN UND DANN…“. ER FING AN ZU WEINEN UND AUCH ANNA FING AN ZU SCHLUCHZEN. ICH NAHM DIE BEIDEN IN DEN ARM, WAS SOLLTE ICH SONST TUN?

Am Abend saß ich mit Lea gemeinsam auf der Couch und überlegte, was ich tun sollte, als sie plötzlich sagte: „Ich habe von Mami geträumt.“ „Ich denke auch oft an sie, mein Schatz. Was hast du denn genau geträumt? Weißt du es noch?“
„Wir gingen gemeinsam spazieren am Weiher oben im Wald und wir haben gelacht, Steine ins Wasser geworfen und uns in die Wiese gelegt, um die Wolken zu betrachten.“ Ein Lächeln huschte über ihr hübsches Gesicht und ich versuchte meine Tränen zurück zu halten, als sie mich ansah. „Es war ein schöner Traum… und ich vermisse sie ganz doll.“
„Ich vermisse sie auch ganz schrecklich, sie fehlt mir unendlich.“

WAS HATTE DAS ALLE NUR ZU BEDEUTEN? DANIEL UND ANNA SASSEN BEI MIR AUF DER COUCH. SIE HATTEN SICH ZUM GLÜCK WIEDER BERUHIGT. WAS SOLLTE ICH NUR TUN UND WAS ZUR HÖLLE WAR HIER LOS? WO KAMEN AUF EINMAL DIESE GOTTVERDAMMTEN GEISTER HER? EIN KIND, ICH GLAUBE EIN MÄDCHEN UND EIN MANN. SIE FÜHLEN UND SEHEN UNS UND WIR DREI SEHEN UND FÜHLEN SIE. WIE WAR DAS MÖGLICH UND VIEL WICHTIGER, WIE WURDEN WIR SIE WIEDER LOS? ES MUSSTE MIR ETWAS EINFALLEN, SO KONNTE ES NICHT WEITERGEHEN. UND AUS IRGENDEINEM NICHT FASSBAREN GRUND, DACHTE ICH IN DEN LETZTEN TAGEN IMMER WIEDER AN WEISSE ROSEN. DAS MACHTE MIR FAST NOCH MEHR ZU SCHAFFEN, ALS DIESE GEISTER. SO LANGSAM ZWEIFELTE ICH WIRKLICH AN MEINEM VERSTAND.

Gestern Morgen am Kaffeetisch sah mich Lea ständig an und ich wusste, dass ihr etwas auf der Seele lag. Ich wusste aber auch, dass es nichts Gutes war und lies sie allein mit ihren Gedanken, weil mir selbst schon tausend andere Dinge durch den Kopf gingen und sich gegenseitig jagten. Die Nacht war ruhig geblieben. Keine Geister, keine Schreie. Dafür dankte ich still dem lieben Gott.

GEGEN ZWÖLF WAR ES SO WEIT. ZUERST SCHRIE DANIEL UND DANN ANNA. ICH RANNTE DURCH DEN FLUR ZUR KÜCHE UND SIE KAMEN MIR MIT VOR SCHRECK GEWEITETEN AUGEN ENTGEGEN. HINTER IHNEN SAH ICH DEN SCHATTEN, DER IHNEN NACHJAGTE UND DEM SCHATTEN FOLGTE EIN WEITERER, EIN GRÖSSERER UND DANN GEFROR MIR DAS BLUT IN DEN ADERN, ALS ICH DIE STIMME IN MEINEN KOPF HÖRTE: „GEHT WEG! GEHT WEG! DAS IST UNSER HAUS UND WIR WOLLEN EUCH NICHT! LASST UNS IN RUHE!“

Ich hörte Lea schreien und rannte ihr hinterher. Sie schrie immer wieder: „Geht weg!“ Zuerst sah ich sie nicht aber als wir in den Flur kamen, waren sie wieder da diese Geister. Zwei kleine und ein Stück hinter den Kleinen ein weiterer, ein größerer. „… lasst uns in Ruhe!“, schrie Lea und wie von Zauberhand geschah genau das. Die Geister waren weg, hatten sich in Nichts aufgelöst und es war nur noch unser Flur zu sehen. Zitternd stand die Kleine vor mir und stammelte immer noch: „Geht weg, geht weg, geht zu eurer Mama ins Licht.“
Ich nahm sie in den Arm und ging mit ihr ins Wohnzimmer zur Couch. Langsam hörte das Zittern auf aber dafür kullerten jetzt dicke Tränen über ihr rotes Gesicht. „Papa was ist, wenn wir zwei eigentlich die Geister sind?“
Zuerst ergab die Frage überhaupt keinen Sinn für mich aber dann folgte ich ihren Gedankengängen und eine Gänsehaut kroch mir vom Nacken über die Arme bis in den Rücken.
„Wir sind keine Geister Lea.“ „Aber woher willst du das denn wissen?“
Ich sah ihr in die Augen und flüsterte: „Nur Mami ist gestorben. Wir zwei waren zu Hause als der schreckliche Unfall geschah. Wir waren in der Kirche, da war ihre Beerdigung. Deine Oma, ihre Freunde. Das alles weiß ich und auch du. Wir leben Lea und sind keine Geister.“
Die Tränen waren getrocknet und sie sah mich jetzt wieder mit ihren glitzernden Augen an: „Was hat die weiße Rose zu bedeuten Papa?“
Wieder eine Frage, die mich total überraschte. Und dieses Mal spürte ich, wie ein Lächeln über mein Gesicht huschte. Erinnerungen. Schöne Erinnerungen. „Deine Mutter war halt ein ganz besonderer Mensch. So verdammt hübsch und eigen. Sie hatte ihren eigenen Kopf genau wir ihre Tochter.“ Abermals dieses Lächeln, das mich so an sie erinnerte aber nicht nur das. Ihr ganzes Wesen war das ihrer Mutter. „Sie wollte halt keine roten Rosen, sondern Weiße und ich hab ihr diesen Wunsch ab und zu mal erfüllt. Wie kommst du jetzt überhaupt darauf?“
„Ich habe wieder von Mami geträumt. Wir gingen spazieren und da wo normalerweise die Maisfelder sind, waren überall weiße Rosen. Soweit ich sehen konnte, überall weiße Rosen. Zuerst hat es mir ein wenig Angst gemacht und ich hab zu Mama gesehen aber sie war glücklich und lächelte mich an und da war alles gut und es war einfach nur noch schön. Verstehst du?“
„Ja ich verstehe dich, du kleine Maus. Ich habe auch von ihr geträumt und von den Rosen. Das ist wohl ziemlich seltsam aber ich wollte dich noch etwas anderes fragen. „Eben hast du zu den Geistern gesagt, sie sollten zu ihrer Mama ins Licht gehen. Wie kommst du darauf?“
„Habe ich das gesagt? Ich weiß es nicht. Ich wollte sie einfach nur vertreiben. Ich will, dass sie uns in Ruhe lassen… ich will wieder leben Papa.“
Wieder ein kleiner Schock. „Aber wir leben doch! Wir sind hier, wir sind echt, ich habe deine Beule gesehen und kann sie spüren, wenn ich mit meinem Finger darüber streiche. Ich habe deine Tränen gesehen. Wir leben und sind nicht tot!“. Ich war etwas lauter geworden, als ich wollte aber auch meine Nerven lagen blank und vielleicht versuchte ich auch ein wenig, mich selbst zu überzeugen.
Sie sah mich mit ihren wachen Augen an und für einen kurzen Moment sah sie an mir vorbei zur Couch - zu ihrer Ecke, Evas Ecke - die jetzt immer leer war und die wir beide immer noch einsam ließen.
„Leben wir wirklich oder machen wir einfach nur weiter ohne Mama?“ Ich wollte etwas sagen aber mir blieben die Worte im Hals stecken. Sie war noch keine neun und sollte nicht so erwachsen sprechen. „Wann gehen wir zu ihrem Grab? Wann lachen wir wieder oder machen mal Urlaub und besuchen Freunde oder Oma? Papa ich fühle mich manchmal als wären wir zwei unter einer schweren dunklen Decke vergraben und ich habe Angst wirklich ein Geist zu werden.“

DIE ZWEI HEULTEN UND WAREN ÜBERHAUPT NICHT MEHR ZU BERUHIGEN. ICH NAHM SIE ABWECHSELND IN DEN ARM UND VERSUCHTE AUCH MEINE GEDANKEN WIEDER ZU ORDNEN, ALS DANIEL SAGTE: „PAPA SIND WIR GEISTER? HAT SIE RECHT? MAMA WAR BEI MIR UND IMMER WIEDER SEHE ICH DIESE WEISSEN ROSEN…“ UND ANNA FIEL IHM MIT TRÄNENERSTICKTER STIMME INS WORT: „ICH…, ICH AUCH, ICH HABE SIE AUCH GESEHEN MAMA UND DIE ROSEN…“
WAREN WIR GEISTER? NEIN! DA WAR DER UNFALL UND SIE IST GESTORBEN ABER WIR DOCH NICHT….

Es war als hätte mir jemand mitten ins Herz gestochen. Unter einer dunklen Decke vergraben und Angst ein Geist zu werden. Ihre Worte, die sich so gar nicht nach ihr anhören wollten, wirkten. Sie taten weh und ich sah die Welt für einen klaren Moment mit anderen Augen, vielleicht mir ihren Augen. Sie hatte leider recht.
Ich hatte bis vor einer Minute gedacht, ich käme gut zurecht und wäre ihr ein guter Vater aber das war ich nicht.
„Du hast Recht Lea. Wir verstecken uns hier. Ich versuche mich hier selbst zu begraben und ziehe dich mit hinein in diese Dunkelheit.“ Ich stockte, weil ich in dem Moment vieles raus ließ, was ich lieber unter dieser dunklen Decke vergraben wollte und sie sah es und wieder kullerten die Tränen über ihr Gesicht. „Ich will sie nicht loslassen, ich will sie nicht vergessen und nicht akzeptieren, dass sie uns alleine gelassen hat. Deshalb gehe ich nie mit dir zum Grab. Das Grab beweist mir sonst, dass sie nicht mehr da ist. Ich wollte es mir selbst nicht eingestehen aber du hast mir gerade eben die Augen geöffnet. Es wird zeit, loszulassen.“ Sie weinte noch immer. „Ich will aber auch nicht, dass wir sie vergessen Papa. Ich will, dass sie wieder zu uns kommt. Ich habe Angst zu vergessen, wie ihr Gesicht aussah!“
Ich nahm sie in den Arm. „Wir werden sie nie vergessen Lea. Sie ist ein Teil von uns. Sie wird immer ein Teil von mir sein. Ich habe sie geliebt und wir waren füreinander da und wenn man sich sehr gut und lange kennt, dann übernimmt man auch vieles von dem anderen. Weißt du, was ich von ihr habe?“ Endlich ein Lächeln. „Ich glaub schon. Das Backenbeissen. Wenn du alleine auf der Couch sitzt, machst du es immer. „Ja genau, das hab ich von ihr abgeschaut und es gibt viele solche Kleinigkeiten und es gibt ihre Ecke auf der Couch. Aber weißt du was. Sie hätte nicht gewollt, dass wir so viel weinen und trauern. Sie hat uns immer ein schönes Leben gemacht und uns zusammengehalten und dafür gesorgt, dass wir immer sehr viel Spaß hatten. Sie hätte gewollt, dass wir zwei zusammen in ihrer Ecke sitzen.“ Wieder ein Lächeln und dieses Mal leuchteten auch endlich wieder ihre kleinen blauen, vorwitzigen Augen. „Und du bist auch ein Teil von ihr. Du hast ganz viel von deiner Mama. Du kannst genauso kämpfen wie sie, gibst nicht auf, bist manchmal eine Prinzessin und doch so lieb, dass man dich fressen könnte. Wenn du mal ihr Gesicht nicht vor dir sehen kannst, denk an etwas Schönes, dass du zusammen mit ihr erlebt hast. Ein Gespräch, ein Spaziergang, ein Spiel, was auch immer und sie wird bei dir sein. Sie wird immer ein Teil von uns sein und auch immer bei uns sein. So wie sie im Moment bei uns ist und uns etwas sagen will. Weißt du, welche Bedeutung weiße Rosen haben?“ Wieder ihr bedächtiges Kopfschütteln. „Sie sind ein Symbol für das Geheimnisvolle, für Reinheit, was deine Mama war, aber sie können auch ein Zeichen für den Tod oder Abschied sein.“

…DER UNFALL. LEA. MEIN GOTT WAS WAR GESCHEHEN? DA WAR BLUT, DIE ZERSPLITTERTE FRONTSCHEIBE, DER SCHLAPP GEWORDENE AIRBAG DIREKT VOR MEINEM GESICHT ABER KEINE SCHMERZEN. NEIN FALSCH, KEINE KÖRPERLICHEN SCHMERZEN ABER ETWAS ZERRISS MICH INNERLICH. LEA, SIE WAR TOT…

„Pack ein paar Sachen ein, Lea. Wir fahren weg. Wir müssen mal raus hier.“ Ich hörte nur das Trommeln ihrer Füße auf der Treppe und als sie ein paar Minuten später vor mir stand, hatte sie einen Rucksack auf dem Rücken und strahlte mich an. „Wir können Papa.“
Es war ein schwerer Weg auf den Friedhof aber nicht so schwer, wie ich gedacht hatte. Natürlich weinten wir beide aber auf dem Weg zurück lachten wir, hielten uns an der Hand und erzählten Anekdoten aus der Vergangenheit. Die weißen Rosen lagen auf ihrem Grab und sie würde in Zukunft noch viele bekommen.
„Wo fahren wir jetzt hin?“ „Zu Oma. Da werde ich dich absetzen und ich werde noch kurz einen Freund besuchen und dann ganz schnell wieder bei dir sein.“ „Wird dein Freund etwas über die Geister herausfinden?“ Dieses Mal kam ein langsames und erstauntes Kopfnicken von mir.

SCHULD, ICH WAR SCHULD. LEA SIE WAR TOT ABER DAS WAR NICHT DAS SCHLIMMSTE…

Am Abend saßen wir zusammen am Esstisch meiner Mutter. Als wir gemeinsam das Geschirr erledigt hatten, ging ich mit Lea nach draußen in den Garten. Sie war schon die ganze Zeit nervös gewesen, hatte sich aber wohl nicht getraut bei ihrer Oma über die Geister zu reden. „Erzähl schon. Was habt ihr rausbekommen?“ „Zuerst mal bin ich mir jetzt ganz sicher, dass wir keine Geister sind.“ Ich übersah ihren bösen Blick. „Also in unserem schönen Bauernhaus wohnte vor 28 Jahren eine kleine Familie. Mama, Papa und zwei Kinder. Daniel und Anna hießen die beiden.“

DANIEL UND ANNA. BITTE GOTT, TU MIR DAS NICHT AN…

„Die kleinen Geister?“ „Ja, ich denke schon. Es gab auch bei Ihnen einen schlimmen Unfall. Nur starb bei diesem Unfall nicht nur die Mutter.“

DA SIND SIE. DANIEL UND ANNA. NEIN IHR DÜRFT NICHT GEHEN! WIR BLEIBEN ZUSAMMEN, GEHEN NACH HAUSE, WENN ICH SCHON LEA VERLIERE, NICHT IHR AUCH NOCH…

Ihr böser Blick war verschwunden und die Rädchen in ihrem Kopf drehten und klickten. „Sie sind alle gestorben?“ „Ja.“ „Aber aus irgendeinem Grund sind die drei hier geblieben. Nur ihre Mama ist im Himmel und die anderen sind unsere Geister?“ Wieder mein Kopfnicken. „Es gibt noch etwas. Ich weiß nicht, ob es nur ein dummer Zufall ist, aber daran glaube ich nicht wirklich. Die Mutter, sie hieß wie du: Lea!“

OH MEIN GOTT. WIR WAREN ALSO WIRKLICH GEISTER. ICH HATTE SCHULD. SCHULD AN DEM UNFALL UND AN ALLEM ANDEREN AUCH. WAS HATTE ICH NUR GETAN?
DANIEL UND ANNA SAHEN MICH AN UND ICH WEINTE, BIS ICH SAH, DASS SIE LÄCHELTEN. „PAPA, DU MUSST NICHT WEINEN. JETZT WIRD ALLES GUT. MAMA IST HIER…“ UND DANN SAH ICH SIE, MEINE LEA. DOCH SIE WAR NICHT ALLEINE. JEMAND WAR BEI IHR, EINE ANDERE FRAU UND BEVOR DIESES HELLE WARME LICHT ALLES VERSCHLUCKTE SAH ICH NOCH EINMAL DIE WEISSEN ROSEN….

Auf dem Rückweg nach Hause heute Morgen wurden wir immer ruhiger und ruhiger. Kurz vor dem Haus unterbrach Lea dann die Stille: „Werden sie noch da sein?“ „Ich weiß es nicht aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass auch sie Abschied genommen haben oder sich wieder gefunden haben und vielleicht sollten wir bei unserem nächsten Besuch auf dem Friedhof ein paar Blumen mehr mit holen.“ Ich sah ihr in die Augen und sagte: „ Ich denke wir werden wieder alleine sein in unserer kleinen Hütte.“ Sie nickte langsam und bedächtig und ein Lächeln huschte über ihr hübsches Gesicht bevor sie sagte: „Ich glaub du hast recht. Nachher machen wir es uns auf der Couch gemütlich, so wie wir es immer zu dritt getan haben und wir werden an Mama denken und es wird nicht mehr so wehtun.“ Ihre gescheiten Augen betrachteten mich von der Seite und ich unterdrückte das Nicken weil ich nicht wusste, ob ich weinen oder lachen sollte. Als ich anhielt und den Schlüssel abzog, sah ich sie an und sagte: „Ja wir werden weiterleben und das Beste daraus machen und dazu gehört auch unsere Couch. Die Zeiten der schweren dunklen Decke sind vorbei. Ob es aber gemütlich für dich wird auf der Couch, weiß ich noch nicht. Irgendwie ist mir nach toben, lachen, kitzeln und kleine Kinder quälen.“ Ihre Augen blitzten schelmisch, sie kicherte endlich wieder wie ein kleines Mädchen, riss die Tür auf und rannte was das Zeug hielt…
 
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Hallo zusammen, ich habe eine kleine Anmerkung zur Geschichte. Sie wird aus zwei "Sichtweisen" erzählt und da es bei webstories leider immer noch nicht möglich ist, den Text zu formatieren, musste ich leider auf die Großschreibung zurück greifen. Ich hoffe es ist trotzdem verständlich und wünsche euch viel Spass beim Lesen.

Daniel Freedom (04.07.2014)

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