175


12 Seiten

Riiiiiiiiiiiing!!

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
„Ring!“
Was war das?
Ach, egal. Es ist gerade so schön. So unglaublich schön: Karibik. Sonne. Wellen. Meeresrauschen. Überteuerter Cocktail in der Hand. Eine wundervolle Frau an der Seite. Ein Menschenleerer Strand.
„Riiiing!“
Schon wieder.
Ach, egal. Bin ja im Urlaub. Soll doch dieses blöde Geräusch sein und bedeuten was immer es will. Liege hier in der Sonne. Lasse die Gedanken schweifen. Mal zu der wunderschönen Begleiterin neben mir; mal zu dem Cocktail in meiner Hand; mal zu all den Möglichkeiten, die diese Tatsachen bieten, und an all die anderen Möglichkeiten, die ein Karibikurlaub sonst noch so für einen Urlauber bereithält.
„Riiiiiiiing!! Riiiiiiiiiiiing!!!“
Autsch, zu laut!
„Riiiiiiiiiiiiiing!! Riiiiiiiiiiiing!!“
Vieel zu laut!
„Riiiiiiiiiing!!! Riiiiiiing!!!!““
Will es nicht mehr hören, verdammt! Wo ist dieser verfluchte Wecker?, dachte Johnny der Clown, öffnete blinzelnd seine Augen, erkannte verschwommen einen ihm nur allzu, oder besser gesagt: viel zu bekannten Raum - sein Schlafzimmer - in dem er lag, merkte, wie sein Bewusstsein noch nicht ganz da war; wie er mit einem Bein noch in seiner Traumwelt stand und einfach nur versuchte, dieses elendig nervige „Riiiiiiiiiinng!!! Riiiiiiiiiing!!!!“ - Geräusch los zu werden, um sich wieder seinen schönen Gedanken an seine wundervolle Begleiterin neben sich und dem wundervollen Strand und dem wundervollen Cocktail in seiner Hand störfrei widmen zu können.
Er entdeckte die Quelle der Störung. Natürlich: es war sein Wecker auf seinem Nachttisch.
Kurz war er froh, die Störquelle gefunden zu haben, denn natürlich wusste er auch nur allzu gut, wie man sie beseitigen konnte, tat dies innerlich zufrieden, indem er einfach auf einen Knopf der Schaltfläche seines Weckers drückte, und als es endlich wieder selig ruhig in seinem Schlafzimmer war, legte er sich mit einem zufriedenen Lächeln mit seinem Kopf zurück auf sein Kopfkissen, schloss wieder seine Augen, und erkannte entsetzt, dass er seinen vorherigen Traum schon wieder vollständig vergessen hatte. Stattdessen spürte er fast geschockt, wie sein Bewusstsein immer stärker wurde; wie er sich immer mehr verorten konnte; wie es sich, ohne dass er es wollte, oder etwas dagegen unternehmen konnte, immer weiter mit all seinen alltäglichen Sorgen füllte, die ihm alle viel zu sehr vertraut waren.
Es hatte keinen Sinn noch weiter die Augen zu schließen. Er wusste nur allzu gut, was er nun zu tun hatte: aufzustehen und sein allmorgendliches Ritual zu beginnen, das aus Kaffeekochen, Kaffeetrinken, Toilettengang, Duschen, Anziehen und anschließend Rausgehen bestand. Raus in die eisige Kälte.
Der Gedanke ließ ihn erschaudern. Alles wäre ihm gerade lieber gewesen, als nun all dies zu tun. Gleichzeitig wusste er aber auch, dass er im Grunde gar keine andere Wahl hatte.
Elend, wie es einem nur sein konnte, zwang er sich, seine Decke von sich abzustreifen und sich aus seinem Bett zu erheben.
Sofort hatte er, nun der wärmenden Decke beraubt, eine Gänsehaut. Schnellen Schrittes ging er aus seinem Schlafzimmer heraus – schließlich war dieses das kälteste Zimmer in seiner Wohnung – und in die Küche zum Wasserkocher um sich dort einen Instantkaffee aufzubrühen.
Seine Gedanken beschäftigten sich ernüchternd mit Dingen, denen er vor nicht allzu langer Zeit so selig – ohne dass er sich wirklich erinnern konnte, wie - entflohen war: sein Beruf. Dieser bestand darin, Menschen zu belustigen. Schon seltsam, dass Leute mit einem derartigen Beruf anscheinend privat stets das Gegenteil von lustig zu sein schienen.
Klar machte ihm sein Job auch Spaß. Klar spürte er in seinem Job auch Erfüllung. Und wenn die Leute mit seinen Witzen nicht mitgingen; wenn es in dem Zirkuszelt mucksmäuschenstill war; man lediglich vereinzelt ein peinliches Hüsteln im Publikum vernehmen konnte, und man einem am Ende eines Auftritts lediglich ein betretenes, allzu höfliches Klatschen zuteil werden ließ, selbst dann noch, wenn das Zirkuszelt eigentlich ausverkauft war, ja, in solchen Momenten, das musste er sich dann doch eingestehen, fühlte er sich irgendwie, weshalb auch immer, so etwas Ähnliches wie wohl; nein: geradezu erfüllt.
Vielleicht stimmte es tatsächlich: „Ein Clown muss stets auch traurig sein.“
Clown zu sein ist eben ein zähes Geschäft.
Gerade hatte er mal wieder eine Anstellung bei einem Zirkus verloren. Und somit auch ein festes Gehalt. Um aber im Training zu bleiben hatte Johnny heute vor, in vollständiger Montur seine Kunst im öffentlichen Raum zum Besten zu geben. Vielleicht vielen ja ein paar Münzen für ihn ab mit denen er sich ein ordentliches Mittagsessen gönnen konnte. Es war sicherlich besser, als nichts zu tun. Denn nichts zu tun machte ihn nur noch trauriger, als er eh schon von Natur aus war.

Die Welt braucht nun einmal Superhelden. Ohne Superhelden geht gar nichts. Ohne Superhelden fehlt die Inspiration für das einfache Volk, das Gute zu tun.
Klar: ein Superheld musste selbstverständlich auch sein Leben finanzieren. Insbesondere ein Vollzeitsuperheld, wie es Peter nun einmal war. Und das ging nur, indem er ab und zu den Bösen etwas wegnahm. Aber immer nur den Bösen! Der Mafia, zum Beispiel. Oder der legalen Mafia: den Bänkern oder den Politikern. Und damit tat er der Gesellschaft einen Dienst. Und dieser Dienst musste schließlich ja auch irgendwie bezahlt werden.
Selbstverständlich hatte Peter keine Superkräfte. Aber dafür ein Abonnement bei einer dieser super kostengünstigen Trainingscenter, die es überall gab. Als Vollzeitsuperheld musste man sich eben fit halten. Und das war er: kein Gramm fett, aber dafür Muskeln. Er konnte auch ein paar Kampfsportarten. Dies war auch dringend nötig, wenn er den Bösen ihr Geld wegnehmen wollte. Und das wollte er.
Hin und wieder musste er aber auch aufpassen, dass das Geldwegnehmen, das heißt die Finanzierung seines Superheldendaseins, nicht zum Selbstzweck wurde. In solch reflexiven Momenten konnte es durchaus schon mal vorkommen, dass er so nebenbei, dass heißt, wenn er mal wieder einen Geldtransporter überfiel oder so, und es zeitlich gerade in seine Planung passte, eine Katze von einem Baum rettete. Und war gerade keine Katze auf einem Baum zugegen, konnte man statt dessen ja auch einer alten Oma über die Straße helfen. Am Besten eigneten sich hierzu alte Omas, die zusätzlich nicht gut sehen konnten. Denn, er konnte sich das gar nicht so richtig erklären weshalb überhaupt, aber wahrscheinlich deshalb, weil alte Omas oftmals senil waren, sahen sie ihn, wollten sie sich meist gar nicht von ihm helfen lassen. Einmal versuchte eine sogar ihm ihren Regenschirm auf seinen Kopf zu schlagen. Dadurch hätte er fast den reichen Bänker verpasst, den er entführen wollte, um von dessen Familie Geld zu erpressen. Ganz knapp ging sein Plan dann aber doch noch auf. Aber fast eben auch nicht.
Der Job eines Vollzeitsuperhelden ist nun einmal kein Zuckerschlecken.
Gerade hatte er mal wieder einen finanziellen Engpass. Er stand vor der Wahl, sein teures Sportauto zu verkaufen, oder die Welt ein kleines bisschen gerechter zu machen, indem er den bösen Buben ein wenig von deren Reichtum wegnahm. Vor eine derartige Wahl gestellt fiel die Entscheidung natürlich ziemlich leicht.
Mal wieder war er hierzu in seinem rosa Kostüm unterwegs. Diese Farbe hatte er sich deshalb ausgesucht, um einerseits seine bösen Gegner ganz allgemein zu verwirren und andererseits dadurch seine wahre Stärke vor diesen möglichst zu verschleiern. Es war nicht selten vorgekommen, dass sie, erblickten sie ihn das erste Mal, erst einmal heftig lachen mussten. Ein gewollter Effekt. Allerdings musste er sich irgendwann eingestehen, dass sein Tutu vielleicht doch ein wenig zu übertrieben war, weshalb er es vor nicht allzu langer Zeit abgelegt hatte und nur noch in seinem rosa Kostüm unterwegs war.

„Hahahaha! Wer oder was ist schon böse? Ich sicherlich nicht! Ich bin der einzig wahre Ehrliche und Gute! Seht mich an, Leute! Ich bin das wahre Ich des Menschen! Alles Andere ist nur Lüge! Ihr alle“ und damit zeigte Fred der Pirat theatralisch anklagend in die Runde „belügt euch jeden Tag selbst!“
Vielleicht sollte man, bevor wir mit dieser Handlung fortfahren, zuvor ein klein wenig mehr über Fred den Piraten erzählen.
Er hatte einen Piratenhut, eine Piratenjacke und ihm fehlten seit Kurzem piratenmäßig ein Arm (wurde durch einen Haken ersetzt) und ein Bein (wurde durch einen Holzstumpf ersetzt). Er hatte einen sprechenden Papagei zu Hause, den er aber nicht allzu oft zu seinen Raubzügen mitnahm. Denn er quatschte ihm viel zu oft dazwischen. Er hatte eine Augenklappe und ein Schweizer Taschenmesser, wobei das Letztgenannte nur der Vollständigkeit halber erwähnt wurde. Er war meistens schlecht gelaunt und ließ das nur allzu gerne an seinen Mitmenschen aus, meistens indem er diesen die Wahrheit, äh, Pardon, ich meinte natürlich: seine Wahrheit einfach so ins Gesicht sagte, oder besser gesagt: meistens schrie. Und sie dann natürlich ausraubte, denn das war ja schließlich sein Beruf.
Es gefiel ihm erstaunlich gut, was er tat. Er hatte sozusagen sein Hobby zum Beruf gemacht. Vorher war er Zahnarzt gewesen. Was etwas paradox ist, weil er schon immer, das heißt auch schon als Zahnarzt, eine Zahnlücke oben vorne in seinem Gebiss hatte. In seiner Rolle als Zahnarzt etwas unpassend, dafür um so passender in seiner Rolle als Pirat. Vielleicht hatte er deshalb sein Metier gewechselt.
Aber zurück zur Handlung.
Fred stand mal wieder in voller Piratenmontur vor irgendeiner U-Bahnstation und beschimpfte alle Menschen um sich herum. Selbstverständlich völlig grundlos. Und einige raubte er, aber das versteht sich ja von selbst, auch aus. Manche der Passanten waren so dreist und hatten Mitleid mit ihm, und gaben ihm einen Groschen freiwillig, und das bevor er sie ausrauben konnte. Allerdings hielt ihn das nicht davon ab, auch diese zu beschimpfen. Oder besser gesagt: vor allem diese. Denn er fühlte sich besonders von ihnen in seiner Würde auf ganz besonders schlimme Art und Weise herabgesetzt. Und einer dieser ganz Schlimmen war ausgerechnet Johnny. Ja, sie haben richtig gelesen: Johnny der Clown. Allerdings hat er den Groschen, den er eigentlich immer in seiner zum Clownskostüm umgestalteten Jeanshose trug, und zwar in diesem kleinen Schlitz, der typisch für diese Art von Hosen war - und der, das hatte er einmal in irgend einer Fernsehsendung erfahren, ursprünglich für die ersten Siedler in Nordamerika konzipiert war, damit diese einen festen Platz für ihr Taschenmesser hatten - um, wenn er einmal in voller Montur einkaufen ging, was nicht selten vorkam, diesen stets für den Einkaufswagen parat zu haben. Johnny gab seinen Groschen diesem armen Irren, der scheinbar grundlos alle Passanten um sich herum beschimpfte weniger aus echt empfundenem Mitleid heraus (wann empfand ein Mensch so etwas auch schon mal wirklich ehrlich), sondern eher um es zu honorieren, dass er jemanden gefunden hatte, dem es offensichtlich noch schlechter ging als ihm gerade, oder eigentlich immer, was - zumindest für einen ganz kurzen Augenblick - dazu geführt hatte, dass es ihm tatsächlich irgendwie so etwas Ähnliches wie besser gegangen war. Der Dank dafür waren extra viele, und auch extra fiese Hasstiraden, die ihm sein Gegenüber zuteil werden ließ und eine nicht gerade sehr freundlich formulierte Bitte, ihm so schnell wie möglich alles Geld auszuhändigen, das Johnny gerade bei sich trug. Sein Gegenüber sagte ihm so etwas wie Folgendes: „Lass deine ganze Kohle auf der Stelle rüber wachsen oder es setzt was, verstanden Freundchen?“ Und er grinste ihn dabei auch noch fies an, was die zuvor schon erwähnte besonders hässliche, aber irgendwie auch zu seinem Gegenüber passende, Zahnlücke zum Vorschein brachte.
Johnny hatte absolut keinen Bock der Bitte nachzugeben. Formulieren konnte er es aber nicht mehr, denn vorher gingen ihm die Lichter aus. Er hatte einfach zu lange für eine Antwort gebraucht, zumindest nach dem Geschmack von Fred dem Piraten, weshalb dieser ihm, bevor er etwas dazu hätte sagen können, schon eine mitten in die Zwölf gedonnert hatte. Und Johnny der Clown fiel einfach so um.
Vermutlich wäre jetzt, hätte es keine Intervention gegeben, die es aber gab, folgendes geschehen: Der Pirat hätte laut und vulgär aufdringlich gelacht. Nun, eigentlich tat er genau eben dies in diesem Moment. Allerdings wäre weiter folgendes geschehen: Fred wäre zu dem gefallenen Engel hin gehumpelt, hätte sich über diesen gebeugt, hätte sich an dessen Habseligkeiten bedient, wäre damit in aller Ruhe davon gehumpelt, wäre anschließend zu einem Laden hin, hätte sich dort eine Flasche Rum gekauft, wäre damit zum nahe gelegenen Park, hätte sich damit volllaufen lassen, wäre erst den nächsten Tag wieder zu Bewusstsein gelangt und hätte genau das Gleiche höchst wahrscheinlich wieder getan. Und das so lange, bis er irgendwann von der Polizei hops genommen worden wäre.
Außer dem vulgären Lachen war aber nichts davon passiert. Denn nicht weit von unserem Piraten entfernt machte sich gerade unser Superheld in einem spontanen Anfall von Altruismus daran, einer alten Oma über die Straße zu helfen. Diese erkannte aber früher als der Held die brenzlige Situation, in der sich dieser komische Clown mit diesem noch komischeren Piraten gerade befand und machte den Helden in der Hoffnung darauf aufmerksam, dass dieser endlich von ihr ließ. Der Held, oder besser gesagt: unser Superheld machte sich nur widerstrebend zu dem Opfer auf. Denn ihm war sofort völlig klar, dass er dadurch für seinen geplanten Überfall auf einen Geldtransporter eines bösen Buben keine ausreichende Zeit mehr haben würde. Das machte ihn stinksauer. Und er war froh, dass er nun eventuell jemanden hatte, an dem er seine Wut auslassen konnte. Deshalb zögerte er nicht lange als er den Piraten erreicht hatte (dieser hatte gerade noch genug Zeit gehabt, sich über den rosa Anzug seines Gegenübers zu wundern, und noch viel mehr über die technisch einwandfreie Pirouette, welche vor ihm vollführt wurde) und trat ihm mit einem gekonnten Kung Fu – Tritt in den Bauch, wodurch Fred aller seiner Luft in seinen Lungen beraubt laut prustend und langsam, fast wie in Zeitlupe, nach hinten auf den Boden fiel. Erst danach erkundigte sich unser Superheld, was zum Henker denn eigentlich hier los war. Allerdings Auskunft bekam er darüber erst mal nicht, weil die Beiden, die ihm darüber hätten Auskunft geben können, gerade mehr oder weniger bewusstlos vor ihm auf dem Boden lagen.
„Ach, verdammt“, dachte er bei sich. In der Hoffnung, auch wirklich den Richtigen, das heißt den Bösen, um genietet zu haben - denn falls nicht, war dies, sollte es denn an die Öffentlichkeit gelangen, mit Sicherheit nicht die beste Publicitè für ihn und seine Zunft - wuchtete unser Superheld den Einen auf die eine Schulter und den Anderen auf die Andere und trug sie scheinbar mühelos davon.
Es gab nicht viel, was die Bewohner dieser Stadt, in der die Drei lebten, so schnell umhauen könnte. Aber ein Clown und ein Pirat jeweils auf den Schultern eines Superhelden in einem rosa Kostüm (auch ohne Tutu) war dann doch irgendwie etwas Besonderes. Zumindest so Besonders, dass der ein oder andere der Passanten, die dem Superhelden auf seinem Weg entgegen kamen, hinter diesem stehen blieben, gekonnt, weil geübt, ihr Smartphon zückten, damit einen Schnappschuss machten (die Meisten von ihnen lediglich um sich selbst später zu versichern, dass dies auch wirklich kein Traum gewesen war) und dieses anschließend auf einem dieser sozialen Netzwerke posteten.
Als unser Superheld endlich im Park an einer etwas ruhigeren Stelle angekommen war ließ er die Beiden etwas unsanft auf den Boden plumpsen, wodurch sie unterschiedlich schnell, und beide sich vor Schmerz an den Kopf fassend, wieder zu Bewusstsein kamen.
„Arrrrrgh!“, rief der Pirat. „Was ist passiert?“
„Ich bin passiert“, sagte daraufhin unser Superheld völlig gelassen.
„Was?“ Der Pirat richtete sich auf und schaute, während er immer noch eine Hand an seinen Kopf hielt, in die Richtung, in der er denjenigen vermutete, der das gerade gesagt hatte. Als er diesen erblickte, verspürte er einen sehr starken Impuls in sich, möglichst laut und möglichst vulgär zu lachen, wenn ihm nicht sofort zu Sinnen gekommen wäre, dass es sehr wahrscheinlich dieser war, der ihn erstens niedergestreckt und zweitens anschließend bis hierher, wo auch immer dies war, gebracht hatte. „Arrrgh! Was soll das alles?“, fragte er daraufhin nun verärgert.
„Ja, was sollte das?“, meldete sich nun auch Peter der Clown zu Wort, während auch er sich mit einer Hand an den Kopf fassend aufrichtete.
„Einen von euch Beiden habe ich wohl gerettet. Zumindest nehme ich dies an“, sagte daraufhin unser Superheld.
„Hahahaha!“ Nun musste Fred der Pirat doch lachen. „Retten! Dass ich nicht lache! Rette dich doch erst einmal selber! Und zwar vor deiner Dummheit!“
Das verärgerte natürlich den Peter, also unseren Superheld. Aber er hatte nun schon eine leise Ahnung, wer hier das Opfer und wer hier der Täter sein könnte. Vielleicht hatte er sich zuvor ja doch richtig entschieden.
„Ich habe diesem Herrn hier einen Groschen gegeben. Und was war der Dank dafür?“, platzte es nun aus Johnny dem Clown heraus. „Zum Dank hat er mich beschimpft, auf die übelste Art und Weise, und mir mein restliches Geld auch noch weggenommen!“
„Aha, also wenn das kein Unrecht ist, dann weiß ich es auch nicht“, sagte nun unser Superheld zufrieden. „Damit scheint mir die Sache klar zu sein: Sie geben nun ihm sein Geld zurück, und dann ist der Gerechtigkeit genüge getan.“
„Von wegen!“, rief nun der Pirat donnernd und stand schwerfällig und umständlich auf. „Gerechtigkeit! Dass ich nicht lache! Was wissen Sie schon von Gerechtigkeit?“
„Soll das etwa ein Witz sein?“, fragte nun Peter unser Superheld ein wenig in seiner Eitelkeit gekränkt.
„Keines Wegs! Wer oder was ist schon gerecht? Was kann ich schon dafür, dass ich so bin wie ich bin? Was kann ich schon dafür, dass ich nur das kann was ich kann? Hat mich vorher jemand gefragt?“
„Wer hat denn mich gefragt?“, wollte nun der Clown wissen, während auch dieser auf die Beine kam. „Ist es nicht die Aufgabe von uns allen, das zu werden was wir sind?“
„Ha“, rief daraufhin der Pirat. „Dann verrate mir doch erst einmal, was oder wer du überhaupt bist! Oder sein willst! Oder was auch immer!“
„Sieht man das denn nicht?“, wollte nun der Clown wissen. „Vielleicht an meiner roten Nase?“
„Ein Trunkenbold?“, riet nun der Pirat.
„Oder an meiner Schminke?“
„Eine Transe?“
„Oder an meiner Kleidung?“
„Ein Paradiesvogel?“
„Oder an meinem Benehmen?“
„Ein Idiot?“
„Ich muss doch sehr bitten“, schritt nun an dieser Stelle unser Superheld ein, weil er gerade dachte, dass dies seiner Rolle am ehesten entsprach. „Achten Sie bitte auf Ihren Ausdruck. Benehmen Sie sich.“
„Benehmen! Dass ich nicht lache! Hahahaha!“ Und der Pirat fuhr fort: „Benehmen! Nichts weiter als ein gesellschaftlicher Code, damit sich Gleichgesinnte gegenseitig erkennen können. Gleichgesinnte, deren Gesetzte dafür da sind, damit sie das, was sie haben, behalten können. Weshalb sollte ICH mich an solche Gesetzte halten? Was habe ICH denn davon?“
„Dann sind Sie also ein Gesetzloser!“, resümierte nun unser Superheld messerscharf.
„Und Sie? Was sind Sie?“, fragte daraufhin der Pirat den Superhelden spöttisch zurück.
„Ich kümmere mich um die Gerechtigkeit! Darum, dass sie eingehalten wird!“ Unser Superheld war sehr zufrieden mit seiner Antwort.
„In welchem Auftrag?“, wollte nun der Pirat von ihm wissen.
„Nun, im Auftrag der Gesellschaft.“ Und da musste unser Superheld fast selbstzufrieden grinsen. Aber nur fast. Denn er konnte gerade noch so seine Kontenance halten.
„Beziehen Sie etwa ein Gehalt?“, fragte daraufhin der Pirat.
„Wie bitte?“ Unser Superheld schien nun doch ein wenig verwirrt.
„Wenn Sie im Auftrag der Gesellschaft agieren, dann sollte sich diese doch auch etwas dafür kosten lassen. Oder etwa nicht?“
„Äh, ich beziehe ein Gehalt von der Gesellschaft. Und zwar indem ich es mir von den Bösen nehme. Aber lediglich um Gutes zu tun, wie das hier, zum Beispiel.“ Und der Superheld war sich sicher, dass er damit den Piraten argumentativ geschlagen hatte.
„Also sind sie ein Dieb und damit keinen Deut besser als ich.“
Stille.
Räuspern.
„Nein, das stimmt nicht“, meldete sich nun Peter der Clown nach einer Weile des peinlichen Schweigens zu Wort. „Schließlich hat er mich vor Ihnen gerettet. Sie hatten absolut kein Recht, mir mein Geld wegzunehmen.“
„Ihr Geld! Hahahahaha!“ Der Pirat lachte schallend. „Wo haben Sie denn ihr Geld her? Und wer hat Ihnen das Recht gegeben, mir freiwillig davon abzugeben? Was war denn Ihre Motivation hierzu?“
„Mitleid. Ich hatte Mitleid mit Ihnen.“ Und der Clown sah den Piraten so mitleidig an, wie er hierzu nur fähig war. Und er war als trauriger Clown hierzu sehr fähig.
„Mitleid! Welcher Mensch möchte denn schon Mitleid von jemand Anderem haben? Mitleid ist nichts weiter als beschämend! Sie haben damit meine Würde auf infame Weise verletzt!“, rief der Pirat fast feierlich und mit seinen Armen ausgebreitet.
„Was?“ Der Clown war empört. Und der Pirat fuhr fort: „Ich bin nichts weiter als ein Spiegel der Menschen, wie sie WIRKLICH sind, und nicht wie sie sein wollen. Ich bin das, was sich in den Menschen abspielt, unter deren Oberfläche. KEIN Mensch hat Mitleid mit einem anderen Menschen. Es geht dabei immer nur am das Selbst; um die eigene Eitelkeit! Und indem ich tue, was ich tue, zeige ich den Menschen lediglich, wie sie wirklich sind, und einige, ach: die Allermeisten verachten mich dafür. Aber mit Verachtung kann ich umgehen, ja wirklich. Aber wenn mir gegenüber jemand Mitleid zeigt, dann ist das nichts Anderes als beschämend!“
„Sie sind ja verrückt!“ Und der Clown wurde nun wirklich traurig. Und der Pirat fuhr fort: „War also so gesehen meine Reaktion auf Sie nicht gerecht? War dies denn nicht die ehrlichste Gerechtigkeit, die es überhaupt nur geben kann?“
Stille.
Traurigkeit.
Räuspern.
Dann meldete sich der Clown wieder zu Wort: „Das Geld, das Sie mir abgenommen haben, habe ich mir redlich verdient. Sie können es darstellen, wie sie wollen, sie hatten kein Recht es mir wegzunehmen.“
„So, so“, sagte daraufhin der Pirat. „Also ehrlich verdient haben Sie es sich, was?“
„Ja.“
„Dann würde ich aber nur allzu gerne mal wissen, welche Funktion eigentlich SIE für die Gesellschaft haben? Für was werden SIE denn überhaupt bezahlt?“
„Liegt das nicht auf der Hand?“
„Mal sehen.“
„Nun“, begann der Clown mit seinen Ausführungen, ohne dass er einen Moment darüber nachdenken musste, „ich bringe die Menschen zum Lachen.“
„Und welchen Mehrwert haben die Menschen dadurch?“, wollte der Pirat nun wissen.
„Ich bringe sie zum Lachen, damit diese wenigstens für einen Moment ihre Sorgen vergessen können. Ich sorge für Erleichterung.“
„Aha, für Erleichterung!“, rief daraufhin der Pirat aufgeregt dazwischen. „Sie sorgen für ein erträgliches Leben im Rahmen eines eigentlich unerträglichen Lebens. Sie sorgen dafür, dass ein Mensch sein Leben ertragen kann, das eigentlich nicht zu ertragen ist. Sie sorgen dafür, dass er nichts daran ändert. Sie sorgen dafür, dass das System stabil bleibt. Und zwar ein ungerechtes System. Eines, das eigentlich geändert werden müsste. Damit ist ihre Tätigkeit selbst ungerecht. Und dadurch ist es Gerechtigkeit, wenn ich Ihnen dieses Geld wieder wegnehme! Sehen Sie es einfach als eine gerechte Bestrafung für Ihr ungerechtes Tun an.“
„Schwindler!“ rief daraufhin der Clown erbost. „Sie richten über mein Programm, ohne dieses zu kennen. Sie legen sich alles so zurecht, wie sie es haben möchten!“
Und der Pirat sah sein Gegenüber spitzbübisch an, als er sagte: „Tun wir das denn nicht alle? Aber erzählen Sie uns doch von Ihrem Programm!“
„Mein Programm ist nur oberflächlich betrachtet oberflächlich. Es ist überwiegend politisch! Symbolhaft, ja. Nicht für Jedermann gleich zu verstehen. Damit auch die Kinder etwas zum Lachen haben. Sieht man aber unter diese Oberfläche, regt es zum Nachdenken an, nur eben so, damit sie auch darüber lachen können. Sie bekommen die Missstände auf eine erträgliche Art und Weise präsentiert. Aber sie BEKOMMEN sie durch mich präsentiert! Und so werden Sie auch darüber INFORMIERT.“
„Hahahaha! Wie naiv!“ Der Pirat war nun ganz in seinem Element. „Als ob die Menschen das alles nicht vorher schon wüssten! Durch Ihr Tun zeigen Sie die Missstände auf, kanalisieren dann aber die dadurch entstandene Energie, die durch Empörung ganz natürlich entsteht. Und wohin? Lachen. Dass ich nicht lache! Hahaha! Das heißt, anstatt dass es dazu führt, dass etwas an den Verhältnissen geändert wird, lacht ihr Publikum nur darüber, wodurch die kostbare Energie, die durch die Empörung darüber entstanden ist, einfach so verschwendet wird. Sie sorgen dadurch letztendlich für eine Stabilisierung der Missstände eines im Grunde ungerechten Systems. Und DAFÜR werden Sie bezahlt. Sie haben damit die gleiche Funktion, die früher ein Hofnarr innehatte, der als Einziger die Wahrheit öffentlich sagen durfte. Weil er es auf eine Weise tat, dass selbst der Herrscher darüber lachen konnte. Somit sind sie ein Diener der Herrschenden; sie sind ihr Knecht!“
„Sie können es darstellen, wie Sie wollen,“ rief daraufhin der Clown innerlich nicht unerheblich aufgewühlt, „aber das, was SIE tun, das ist die einzig wahre Ungerechtigkeit! Nur SIE gehören bestraft! WIR sind die Redlichen! Lediglich IHRE Tätigkeit muss gesellschaftlich sanktioniert werden, weil eine Gesellschaft ein derartiges Verhalten nicht dulden kann!“
„Hahahaha!“, donnerte es wieder aus dem Piraten heraus. „Wir tun alle drei das Selbe, nur dass es bei mir ein klein wenig offensichtlicher ist, als bei euch Beiden. Und ich werde nur bestraft, weil ihr durch mich einen Spiegel vorgehalten bekommt; weil ihr dadurch etwas glasklar zu Sehen bekommt, was ihr nicht sehen wollt. Denn man ist immer dazu geneigt, gerade das in einem anderen Menschen wahrzunehmen, was man von sich aus kennt, aber nicht wahrhaben möchte.“ Weiter kam der Pirat mit seinen Ausführungen nicht mehr, denn er bekam erneut einen Schlag von unserem Superhelden verpasst (nachdem dieser überraschend, weil ohne Vorwarnung, erneut eine Pirouette vollführt hatte), ebenso wie auch der Clown. Denn Peter dem Superhelden wurde diese ganze Unterhaltung einfach viel zu bunt, und er hatte eh noch etwas Besseres zu tun. Er hatte ja schon den Geldtransporter verpasst und wollte jetzt nicht auch noch durch diesen ganzen Unsinn hier die einmalige Gelegenheit eines Raubes des größten Diamanten der Welt verpassen, selbstredend von einem besonders bösen Buben. (Und nicht dass er doch noch wegen diesen Beiden hier seinen Sportwagen verkaufen musste! Gott bewahre!)
Als der Pirat und der Clown etwas später wieder zu sich kamen, sahen sie sich verdutzt um, wo denn nun eigentlich der Superheld geblieben ist. Als sie niemanden erblicken konnten, beschlossen sie die ganze Sache zu vergessen, und gingen zusammen einen Trinken. Sie wurden Freunde, und gründeten eine Investmentbank, die bis circa 2008 recht erfolgreich war.
Peter den Superhelden sahen sie nie wieder.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Noch keine Kommentare.

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Geld  
Der Wandel tobt  
Das Geheimnis  
Die letzte Reise  
Die blöde Katze  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De