135


9 Seiten

Mortal Sin 1998- Family Affair

Romane/Serien · Spannendes
© JoHo24
Alle schlechten Eigenschaften entwickeln sich in der Familie. Das fängt mit Mord an und geht über Betrug und Trunksucht bis zum Rauchen.
- Alfred Hitchcock


Der Lattenrost gab ein kümmerliches Knarzen von sich, als wolle er deutlich machen, wie alt er bereits war und sein Gewicht ihm langsam zur Last wurde. Schwerfällig drehte er sich auf die andere Seite. Seine durchgelegene Matratze, mit ihren zahlreichen Vertiefungen, fühlte sich an wie die hügelige Landschaft Irlands. Er seufzte gequält. Ein dumpfer Schmerz dröhnte in seinem unteren Lendenbereich. Dieser war bereits seit Jahren sein Begleiter, ausgelöst durch die miese Qualität seiner Schlafunterlage.
Jene hatte zuvor schon seinem Bruder Sean und seiner Schwester Loreena ihre Dienste geleistet und nun war er an der Reihe sich den Rücken kaputtzumachen.
Danke, Mom und Dad, dachte er bitter und verzog das Gesicht, das er in seinem Kissen vergraben hatte. Ihr seid wohl erst zufrieden, wenn alle eure Kinder sich die Gesundheit ruiniert haben.
„Steh endlich auf, Michael Suffert!“ Die kräftige Stimme seiner Mutter Doreen drang plötzlich durch die dünnen Wände des Bungalows und riss ihn aus dem Halbschlaf. Sie klang gereizt, dennoch machte er keinerlei Anstalten sich zu bewegen. Der Rothaarige kuschelte sich beharrlich ein und zog die Decke über den Kopf, als wolle er die Außenwelt abschirmen. Hier, in seinem kleinen, geschützten Raum, hatte er seine Ruhe. Hier musste er keinen Befehlen Folge leisten und sich das Gemecker seiner Eltern anhören. Ein Schmunzeln stahl sich auf seine Lippen, das jedoch einfror, als er hörte, wie die Tür krachend aufflog und ihm gnadenlos die wärmende Bettdecke weggezogen wurde. Die plötzliche Kälte bescherte ihm eine Gänsehaut und ließ ihn zittern.
„HEY!“, meckerte er erzürnt und schlug wild um sich, doch seine Mutter schnaubte bloß verächtlich.
„Mach keinen Aufstand und beweg dich! Ich habe keine Lust den halben Tag auf dich zu warten.“ Jetzt nahm sie ihm auch noch das Kopfkissen. Er grunzte unzufrieden. „Wenn du jetzt aufstehst, hast du vielleicht Glück und bekommst noch was vom Frühstück.“ Dieser Satz ließ ihn blitzschnell und hellwach aus dem Bett aufspringen, was ihm einen verwunderten Blick seitens seiner Mom einbrachte. Nur mit einer Boxershorts bekleidet, hastete er jappsend aus seinem winzigen Schlafzimmer in die Küche. Seine grünen Augen schweiften durch den Raum.
Auf der kurzen Küchenzeile lagen wüst verstreut die Überbleibsel des kargen Frühstücks. Eierschalen lagen in einer Pfütze aus verschütterter Milch, eine Müslischale mit halbaufgegessenem Porridge stand neben der Mikrowelle und im Waschbecken stand aufgetürmt das schmutzige Geschirr. Es herrschte heilloses Chaos. Seine Geschwister waren wie ein gefräßiger Heuschreckenschwarm über das Essen hergefallen und hatten ihm nichts übrig gelassen. Scheiße!
Mit geballten Fäusten stand er vor dem leergefegten Küchentisch und verfluchte seine viel zu große Familie. Warum kann ich kein Einzelkind sein?
„Sieht aus, als hättest du Pech gehabt“, spottete seine Mom neumalklug, als jene energisch in die Küche geschritten kam und begann, aufzuräumen. Ihr beleibter Körper wirbelte beinahe elegant durch den engen Raum, während sie geschäftig ihre Arbeit aufnahm und Ordnung schuf. Mickey glotzte ihr hinterher, während sein Magen lautstark knurrte.
„Mach mir ein paar Pancakes, Mom“, quengelte er wie ein kleines Kind. Ihm war es egal, dass sie zu tun hatte. Er war ihr Sohn, also war es ihre Aufgabe ihm etwas zu essen zu machen.
„Nerv mich jetzt nicht“, entgegnete sie atemlos und zerschmetterte so seine Hoffnung auf ein leckeres Frühstück. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Ihre Belehrung ließ ihn die Augen verdrehen.
„Das habe ich gesehen, Michael Suffert. Mach das du verschwindest, bevor ich die Nerven verliere.“ Die halbherzige Drohung ging an ihm vorüber wie ein nichtiger Windhauch. Schon seit Jahren nahm er sie nicht mehr ernst und folgte somit dem Beispiel seiner zwei älteren Geschwister, die auf ihre Regeln pfiffen.
Seine Mutter hatte schon lange die Kontrolle über ihre Sprösslinge verloren, welche ihre eigenen Wege gingen und machten, was sie wollten.
War das Zufall? Nein, Mickey Suffert glaubte nicht an Zufälle. Aus diesem Grund hatte für ihn die Erziehung seiner Eltern Schuld daran, weshalb sie kriminell waren, Schulversager und Taugenichtse. Aber vielleicht war dieser destruktive Lebensstil bereits in ihren Genen verankert, sodass nie eine Chance bestanden hatte, dass aus ihnen jemals vernünftige und ehrliche Menschen wurden; angesehene Mitglieder der Gesellschaft. Man konnte sich eben nicht gegen seine Natur stellen, auch Eltern waren nicht im Stande gegen sie zu arbeiten und zu verändern.
Mickey hatte nichts dagegen zu dieser Art Menschen zu gehören, doch er würde es nicht hinnehmen, weiterhin in Armut zu leben und alles mit seinen Geschwistern teilen zu müssen. Nein, das akzeptierte er nicht! Er würde etwas aus sich machen!
Und die ersten Schritte in ein anderes; in ein neues Leben hatte er bereits gemacht und zwar mit Seans Hilfe, denn er hatte ihn vor wenigen Wochen ins Drogengeschäft eingeführt. Dabei war er zunächst gemeinsam mit seinem großen Bruder unterwegs gewesen. Dieser hatte ihm seinen Kontaktmann vorgestellt, von welchem er die Ware erhielt, die er dann weiterverkaufte. Aufgeregt, aber höchstkonzentriert hatte er bei den Deals zugesehen, um zu verstehen, wie genau das Prinzip eines Drogenhandels funktionierte. Der 14-Jährige war fasziniert von der düsteren Atmosphäre des Verbotenen, dem Adrenalin, das ihn berauschte und natürlich von den Geldsummen, die flossen und sein Herz höher schlagen ließen. Nie zuvor hatte er so viele Dollarscheine auf einmal gesehen.
Allen Voran dieser Anblick hatte ihn in dem Beschluss bestärkt Sean nachzueifern und ihm in die Kriminalität zu folgen. Mickey war gierig nach Gefahr, Anerkennung und Geld und er wollte noch viel mehr davon.
„Du stehst mir im Weg“, beschwerte sich seine Mutter und schob ihn grob zur Seite, wodurch seine Gedanken unterbrochen wurden. „Verschwinde und stör mich nicht weiter.“ Die Gesichtzüge des Rothaarigen entgleisten.
„Bekomme ich wirklich gar nichts zu essen?“, fragte er entsetzt und folgte ihr von der Küche ins Wohnzimmer, wo die drei Jüngsten, Kelly, Ryan und Liam, mit Müslischalen voll Lucky Charms vor der Glotze hockten und sich eine Zeichentrickserie ansahen, die sie so sehr fesselte, dass sie nicht einmal von ihrer lautstarken Diskussion abgelenkt wurden.
„Du hast verschlafen.“ Ihr Kommentar war keine Antwort auf seine Frage, was ihn nur noch wütender machte. Mickey knurrte verärgert, indes begann sie auch hier Ordnung zu schaffen.
„Das ist der beschissene Grund, warum du mich verhungern lässt? Echt jetzt?“ Seine Stimme klang schrill und hysterisch. Hektisch fuhr sie herum und funkelte ihn aus zusammengekniffenen Augen böse an.
„Übertreib nicht, ja? Ich lasse hier niemanden verhungern.“ Entschlossen stemmte sie die Hände in die breiten Hüften, als wolle sie damit zeigen, dass die Unterhaltung ein Ende hatte und sie nicht mehr mit sich reden ließ.
„Und außerdem…“, mahnend hob sie den rechten Zeigefinger. „Hör auf zu fluchen, Michael. Ich weiß nicht, wie oft ich dir das schon gesagt habe.“ Sie schüttelte verständnislos den Kopf, sodass ihre schulterlangen, rostbraunen Haare hin und her schwangen.
„Ich gebe einen Scheiß auf das, was du sagst, MOM!“, blaffte er sie unverdrossen an, ehe er das Wohnzimmer unter den Augen seiner verdutzten Geschwister verließ.
Hinter sich hörte er Doreen Suffert über sein aufmüpfiges und respektloses Verhalten schimpfen. Er war bereits meterweit entfernt, sodass ihn nur Bruchstücke erreichten.
„Womit habe ich solch ein Kind verdient, Oh Herr?“…„Ich tue doch alles, was ich kann…“
Bla, bla, bla, dachte Mickey genervt. Gott kann dir nicht helfen, Mom, auch wenn du glaubst, dass die Religion immer eine Lösung für dich hat. Mies gelaunt und mit grummelndem Magen schlurfte er zurück in sein Zimmer, wo unverändert sein Kopfkissen und die Decke auf dem verblichenen Teppich lagen. Er hob beides auf und schmiss es achtlos aufs Bett, ehe er die Tür seines Einbauschrankes aufschob, in dem sich seine Klamotten befanden, und nach seinem wertvollsten Besitz suchte, der ihn sicherlich wieder aufbauen und seinen Hunger vergessen lassen würde.
Hinter einem Fußball und zwei Fleecedecken lag eine alte Zigarrenkiste, die seine ersten, selbstverdienten Dollar beinhaltete. Mickey hatte sie gut versteckt, denn er wollte nicht, dass irgendeiner seiner Brüder oder Schwestern das Geld in die Finger bekam. Es war sein Eigentum und das hatte ihm niemand wegzunehmen.
Der Rothaarige förderte die Kiste zu Tage, setzte sich voller Vorfreude aufs Bett und klappte langsam den hölzernen Deckel auf, als erwarte er etwas Geheimnisvolles zu sehen. Zum Vorschein kamen lose hineingelegte Dollarscheine, die er behutsam herausnahm und anfing zu zählen. Ein Gefühl, gleich vieler, kleiner elektrischer Impulse, wanderte über die Hände in seine Arme und von dort aus breitete es sich in seinem gesamten Körper aus. Es war die Macht des Geldes, die er spürte.
247…248…249 Dollar! Nach nur drei Drogendeals, an denen er beteiligt gewesen war, hatte er schon so viel Geld, wie nie zuvor. Es war sein Anteil für die Arbeit mit Sean, kaum auszudenken, was er verdienen würde, wenn er alleine und selbstständig als Dealer tätig war.
Augenblicklich schlug ihm das Herz bis zum Hals und seine Augen wurden riesengroß. Was er alles damit anfangen könnte…
Plötzliches Fußgetrampel auf der anderen Seite der Tür ließ ihn aufschrecken und panisch sein Geld unter der Bettdecke verstecken. Keine Sekunde zu spät, denn sein 10-Jähriger Bruder Ryan kam ungeniert in sein Zimmer gestürmt und sprang neben ihn aufs Bett. Der Lattenrost unter ihnen knackte unheilvoll.
„Na, was machst du, Mickey?“, fragte er vorwitzig und grinste frech. Seine übergroßen Schneidezähne ließen ihn dabei aussehen wie ein Hase.
„Verpiss dich, Ryan“, maulte er der Jungen an, der sich von seinem scharfen Ton jedoch überhaupt nicht beeindrucken ließ. Übermütig hopste er vor ihm auf der Matratze herum und hatte einen Heidenspaß daran ihn zu nerven.
„Du hast geflucht, Mickey. Das darfst du nicht“, plapperte er die Worte ihrer Mutter nach und streckte ihm die Zunge heraus. Dazu hörte er einfach nicht auf herumzuhüpfen und seine schon kaputte Matratze in einen noch katastrophaleren Zustand zu versetzen. Flammender Zorn stieg in Rekordzeit in ihm hoch und schnürte ihm die Luft ab.
„Halt´s Maul!“ Mickey Suffert hatte genug von seinem kleinen Bruder. Kurzerhand nahm er ihn in den Schwitzkasten und unterbrach somit abrupt seine hektischen Bewegungen. Es dauerte nicht lange, bis Ryans Kopf knallrot anlief und er Schwierigkeiten mit der Atmung bekam. Der Anblick seines hilflosen Bruders zauberte ihm ein überhebliches Grinsen auf die dünnen Lippen und ersetzte seine Wut durch Schadenfreude. Er besaß die Oberhand, doch dann wehrte Ryan sich auf seine Art.
„MOMMY!“, kreischte er jämmerlich, während ihm Tränen des Schmerzes und der Angst die Wangen herunterliefen. Der Rothaarige hielt ihm den Mund zu, aber sein Bruder biss ihm kräftig in die Hand.
„AHHH, verdammte Scheiße!“ Blitzschnell zog er seine Hand zurück, die deutlich sichtbare Bissspuren aufwies. Ehe er ihn für seine Attacke bestrafen konnte, betrat ihre Mutter atemlos das Zimmer und verschaffte sich erstmal einen Überblick über die Situation. Zuerst wirkte sie irritiert und überfordert, doch dann verwandelte sich ihr Gesicht in eine Grimasse des Entsetzens. Energisch schritt sie auf sie zu und löste Mickeys Griff um den Hals seines Bruders mit einer enormen Kraft, die er ihr nicht zugetraut hätte.
„Schluss damit!“ Sie zerrte Ryan von ihm weg und zog ihn schützend in ihre Arme, wo er erstmal wieder zu Atem kam.
„Hast du den Verstand verloren?“, wetterte sie drauf los und lief ihn gar nicht zu Wort kommen. „Was denkst du dir dabei, hm? Vergreifst dich an deinem Bruder, der viel kleiner und schwächer ist, als du. Schäm dich, Michael Suffert! Als großer Bruder solltest du Ryan beschützen und ihn nicht verletzen! Was zur Hölle bringt dich dazu, sowas zu machen? Wieso…“
„Ich habe keinen Bock mir deine beschissene Standpauke anzuhören, klar? Langweile jemand anderes damit“, unterbrach er sie vorlaut und baute sich provokant vor ihr auf. Fassungslos klappte Doreen Suffert die Kinnlade herunter, während sie auf seinen roten Schopf heruntersah. Sie wusste nicht, was sie sagen oder wie sie überhaupt mit seiner ausgebrochenen Respektlosigkeit umgehen sollte. In diesem Moment erkannte sie, dass das nächste Kind sich gegen sie auflehnte und nicht daran dachte sich weiterhin ihren Regeln zu unterwerfen.
„Und dieser dumme, kleine Bettnässer hat es nicht anders verdient, als erbärmlich zu ersticken“, brach es, wie ein Vulkan, heißblütig aus dem 14-Jährigen heraus und versetzte seine Mutter in eine Schockstarre. Zwar wusste sie von Mickeys Abneigung gegen seine Geschwister, da er nie einen Hehl daraus gemacht hatte, aber der zuletzt gesprochene Satz überschritt deutlich eine Grenze. Ihre haselnussbraunen Augen mit den dunklen Sprenkeln spiegelte die Erkenntnis wieder, dass ihr drittgeborenes Kind eine Gefahr für sie und die übrigen Familienmitglieder darstellte. Er konnte förmlich zusehen, wie ihr Mutterherz brach; in Stücke gerissen wurde und wie ein tonnenschweres Gewicht in ihren Magen sank.
Auch Ryan schmerzten seine Worte und machte ihm fürchterliche Angst. Schluchzend versteckte er sich hinter dem Schutz bietenden Rücken seiner Mutter, die noch immer in ihrer Position verharrte, als sei sie versteinert worden.
Für Mickey war es der passende Moment; ein schicksalhafter Tag, den er bereits seit Langem herbeisehnte: Er würde endlich alles rauslassen, was sich seit einer gefühlten Ewigkeit in ihm angestaut hatte. Heute wurde Klartext gesprochen!
Mut und Entschlossenheit durchströmten ihn und ließen sein Kinn nach oben heben. Es war Zeit seinem Elend ein Ende zu setzen. Er würde das tun, was selbst Loreena und Sean niemals gewagt hatten, und zwar seinen Eltern die Meinung zu geigen, auch, wenn bloß seine Mutter als Vertreterin anwesend war.
„Ich steige aus“, begann er seine flammende Rede, als stünde er vor seinem Arbeitgeber und kündige seinen Job. „Ich habe es satt arm zu sein, okay? Ich habe Dad und dich satt, aber vor allem diese dauerquengelnden Hosenscheißer, die ich am liebsten ertränken würde wie ein Paar lausige, streunende Straßenköter.“ Seine vor Hass explodierenden grünen Augen schweiften zu seinem jüngeren Bruder, dessen Kopf gerade zaghaft hinter ihrer Mom hervorlugte.
„Alles muss ich mit diesen Blagen teilen. Ich habe nichts, was mir allein gehört, bis auf diese klitzekleine Zelle hier, die mein Zimmer sein soll.“ Demonstrativ deutete er auf die miese, veraltete Einrichtung. „Selbst ein Häftling im Knast hat mehr Platz, als ich und bekommt verflucht noch mal was zu essen!“, spielte er auf ihre vorherige Auseinandersetzung an, die er nicht vergessen hatte. „Fuck, mein Leben ist zum Kotzen, weil ihr euch vermehren musstet, wie die Karnickel. Wenn du öfters deine Beine zusammengehalten hättest, dann würden wir nicht hausen wie die Ratten! Verdammt, konntest du nie nein zu Dad sagen oder hat etwa der liebe, gütige Gott dir befohlen, so viele Kinder zu kriegen, Mom?“, schloss er hämisch feixend an und sah, wie sie erbleichte und zu zittern begann. Kein Wunder, immerhin zog er alles in den Dreck, was seiner Mutter wichtig war: ihre Familie und ihr Glaube.

Während sie gar nicht damit hinterher kam, seine Worte zu verarbeiten, fuhr er unbeirrt fort.
„Verfickte Scheiße, ich will nicht so enden wie ihr! Ich hasse euch!“, knallte seine eiskalte Stimme wie ein Peitschenhieb auf die Liebe der Irin und riss diese brutal in Fetzen. Erste Tränen glitzerten in ihren Augenwinkeln, die drohten auszubrechen.
Mickey Suffert zerstörte gerade ihr Familienleben, was sie als heilig erachte und sie definierte. Denn sie existierte nur für ihren Ehemann, den Haushalt und ihre Kinderschar. Tag ein, Tag aus. Seine dünnen Lippen kräuselten sich spöttisch.
Wie konnte man bloß so verblendet und dumm sein, um nicht zu erkennen, wie wertlos und eintönig das eigene Leben war? Wollte seine Mutter nicht sehen, wie wenig Kontrolle sie tatsächlich hatte? Wie sehr sie in allem versagt hatte? Der Rothaarige lachte innerlich lauthals über Doreen Maria Suffert, eine robuste Frau, die jedem zeigen wollte, wie sehr sie alles im Griff hatte, doch in Wahrheit war sie schwach und erbärmlich. Sie machte sich selbst etwas vor. Sie wollte keinesfalls zugeben, dass sie gescheitert war.
„Ich hasse euch, hasse euch, HASSE EUCH!“, brüllte er mit hochrotem Kopf und geballten Fäusten. Speichel sammelte sich in seinen Mundwinkeln, lief dann über sein Kinn und tropfte auf den Teppich, der die Flüssigkeit begierig aufsog.
Unterdessen bebte der Köper seiner Mutter dermaßen heftig, dass er fürchten musste, dass sie bald wie eine Bombe hochging. Hinter ihr hörte er Ryan ununterbrochen heulen und jammern, was ihn erneut zum Ausrasten brachte.
„Halt endlich die Fresse!“ Mickey preschte nach vorne und wollte sich seinen Bruder packen, um ihm die Tracht Prügel seines Lebens zu verpassen, doch seine Mutter war schneller. Wie eine Löwin beschützte sie ihr Kind, indem sie ihn mit einem gewaltigen Stoß auf den Boden beförderte.
„Hast du sie noch alle?“, konnte er sich nicht beruhigen und wollte aufspringen, aber sie trat ihm entgegen und bremste ihn.
„Raus hier und lass dich nie wieder blicken.“ Obwohl sie ihn gerade aus dem Haus warf und er keine Ahnung hatte, wo er jetzt hin sollte, dachte er gar nicht daran klein beizugeben. Etwas unbeholfen rappelte er sich in Sekundenschnelle auf und spuckte ihr voller Abscheu ins Gesicht. Ihre Reaktion war eine deftige Ohrfeige, die er bis in den Nacken spürte. Es war das erste Mal, dass Doreen Suffert eines ihrer Kinder schlug. Die Gewalt gegen ihn ließ Mickey dämonisch lächeln. Er hatte sie dazu gebracht die Fassung zu verlieren.
„Hau ab! VERSCHWINDE!“, brach es schäumend vor Wut aus ihr heraus, ehe sie mit Ryan an der Hand aus dem Zimmer stürmte. Vielleicht war sie so abrupt geflüchtet, weil sie Angst vor ihrem eigenen Gewaltpotenzial hatte, das ihr bis dato nicht bewusst gewesen war.
„Mit dem größten Vergnügen, Mom“, rief er ihr nach, ehe er die Tür zuknallte. Anschließend verlor der 14-Jährige keine Zeit. Eilig schnappte er sich seinen schmutzig braunen, mehrfach geflickten Rucksack, der unter dem Schreibtisch lag. Er riss den Reißverschluss auf, drehte den Rucksack um und kippte den Inhalt auf den Boden. Es waren seine Schulsachen, die er vom heutigen Tag an nicht mehr brauchen würde. In seinem Kopf hatte sich bereits der Gedanken manifestiert, mit dem Verkauf von Drogen das ganz große Geld zu machen und darin würde er seine gesamte Zeit und Energie investieren. Er schiss auf die Schule.
Nachdem er den Rucksack geleert hatte, begann er kopflos irgendwelche Kleidungsstücke aus seinem Schrank zu ziehen und in ihn hineinzustopfen. Anschließend schlug er die Bettdecke zurück und schob seine kostbaren 249 Dollar in die ausgeleierten Hosentaschen.
Innerhalb weniger Minuten hatte er die wenigen Habseligkeiten seines erbärmlichen Lebens zusammengepackt und den Rucksack geschultert. Der Rothaarige unterließ es einen Blick durch den Raum schweifen zu lassen, der ihm die letzten Jahre als Behausung gedient hatte. Es gab nichts, was schöne Erinnerungen in ihm hervorrief, im Gegenteil. Für ihn hafteten an jedem Gegenstand die Spuren der Armut und Entbehrungen.
Mickey Suffert schüttelte sich, als könne er dadurch den Ballast seines alten Lebens loswerden; ihn zurücklassen und frei in ein neues Leben starten.
Nach einem kräftigen Atemzug schritt er zum einzigen Fenster und öffnete es mit einigem Kraftaufwand. So lange er sich zurückerinnern konnte, hatte es geklemmt. Zornig fletschte er die Zähne und verfluchte diesen baufälligen Bungalow, während er in einen lauen Samstagmorgen stieg. Kaum berührten seine Füße den Erdboden, da füllte sich sein Kopf mit Fragen, wie es nun mit ihm weitergehen sollte. Er brauchte eine Unterkunft, Lebensmittel und Möbel. Doch lange brauchte er nicht über seine Zukunft zu grübeln.
Sean war die Antwort.
Sein großer Bruder würde ihm sicherlich helfen. Er würde schon einen Weg finden. Sean und er gegen den Rest der Welt, so war es schon immer gewesen.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Noch keine Kommentare.

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Mortal Sin 2000- Golden Cage  
Mortal Sin Herbst 2006- Cleaning My Soul  
Mortal Sin Oktober 2005- Lunatic Illusion  
Mortal Sin Herbst 2007- Heart In Pieces  
Mortal Sin Spätsommer 2005- Time Is Over, Bitch!  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De