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6 Seiten

Mortal Sin 2000- Golden Cage

Romane/Serien · Spannendes
© JoHo24
Sie machen dich krank, die dich zu Welt gebracht. Vielleicht nicht mit Absicht, doch bei Tag und Nacht. Sie lehren dich, wie sie zu sein und zu denken und vergessen nicht, dir neue Fehler zu schenken.
- Philip Larkin


Mit bleischweren Lidern und einem Kopf, der sich anfühlte wie in Watte gepackt, lag sie im Bett und hörte ihrem Herzschlag zu der sich im Einklang mit dem Ticken des Weckers be-fand, der unweit von ihr auf dem antiken Nachttisch stand und das unaufhörliche und unerbittliche Verrinnen der Zeit verkündete. Langsam und mit innerem Widerwillen verlagerte sie sich von der Rücken- in die Seitenlage und schaute auf das Ziffernblatt. Es war bereits Viertel vor zwei. Verdammt, sie musste aufstehen.
Ein lautloses Stöhnen kam über ihre Lippen ehe sie ihre Beine über die Bettkante schwang, sich aufsetzte und müde den Blick durch ihr Zimmer schweifen ließ. Sonnenstrahlen fielen durch das geöffnete Fenster und tauchten den Raum in ein warmes, weiches Licht was zum Wohlfühlen und Verweilen einlud. Zumindest würde es den meisten Leute so gehen und viel-leicht auch ihr, wenn sie es nicht besser wüsste; wenn sie nicht die Wahrheit kennen würde.
Denn alles um sie herum war nur Teil einer Fassade; ein Requisit des Schauspiels in dem sie gezwungen war zu leben und ihre Rolle zu spielen. Nichts war echt, stattdessen war es künstlich und falsch und diente bloß einem einzigen Zweck: dem Täuschen ihrer Mitmenschen, insbesondere der höheren Gesellschaft Saint Berkaines.
Ophelia Monroes hübsches Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, die Ausdruck ihrer täglichen Qualen in dieser bizarren Scheinwelt war, von denen jedoch niemand eine Ahnung hatte. Sie war von Anfang an auf sich alleine gestellt und den furchtbaren Erziehungsmaßnahmen ihrer Eltern schutzlos ausgeliefert. Keiner würde ihr helfen oder sie retten, das hatte sie sehr schnell begriffen und sich mit dieser Tatsache abgefunden.
Sie hatte akzeptiert und hingenommen, dass ihr Leben in fremdgesteuerten Bahnen verlief und sie dadurch gar keine wirkliche Vorstellung davon hatte was Freiheit oder ein eigener Wille bedeuteten. Aus diesem Grund funktionierte sie einfach und tat das was von ihr erwartet und verlangt wurde.
Und so erhob sie sich, setzte sich an die Frisierkommode und nahm ihre Haarbürste zur Hand um sich wie jeden Mittwoch für den Ballettunterricht fertig zu machen, der in einer Stunde beginnen würde und dem sie ihrer Mutter zu verdanken hatte, nach dem sie allerdings über-haupt keine Lust verspürte. Es lag nicht am Tanzen per se, sondern an den Trainingsmethoden ihrer Lehrerin Mrs. Ripley. Bereits seit acht Jahren war sie ihre Schülerin und hatte seitdem unter ihrer enormen Strenge, gnadenlosen Härte und ihrem Perfektionismus zu leiden.
Für Ophelia war es jedes Mal aufs Neue die Hölle, denn sie fühlte sich in der Tanzschule genauso wie zuhause. Ihr ganzes Leben schien aus Entbehrungen und hohen Anforderungen zu bestehen und dabei war sie umgeben von grausamen Menschen, die sie nur benutzten und denen sie absolut nichts bedeutete. Sie war in ihren Augen bloß ein wertloses und nutzloses Stück Dreck mit dem man umgehen konnte wie man wollte; das sie ohne Rücksicht auf Ver-luste triezen und nach ihren Vorstellungen und Wünschen formen konnten.
Seit Ophelia denken konnte war das so, daher hatte sie in den vergangenen Jahren eine gewisse Gleichgültigkeit entwickelt die sie immer tiefer in die Finsternis riss. Denn es würde sich niemals etwas ändern, egal was sie sagte oder tat also konnte sie sich gleich die Mühe sparen. Der einzige Ausweg, den es für sie aus diesem Albtraum gab und sie selbst in der Hand hatte, war der Freitod.
Mit dem Gedanken sich selbst zu töten, spielte die 13-Jährige bereits seit ein paar Monaten da ihr Dasein in diesem goldenen Käfig immer unerträglicher wurde. Jeden weiteren Tag in diesem Haus konnte sie weniger atmen als läge eine unsichtbare Schlinge um ihren Hals, die sich Stück für Stück zuzog und ihr die Luft abschnürte. Dadurch hatte sie ständig das Gefühl zu ersticken was auf physischer und psychischer Ebene unfassbar anstrengend war und ihr sämtliche Kräfte raubte. Ophelia Monroe konnte und wollte nicht mehr. Sie war völlig am Ende und…
Plötzlich klopfte es an der Tür was ihren selbstzerstörerischen Gedankengang abrupt stoppte und sie erstmal aus dem Konzept brachte. Dieser Zustand dauerte nicht lange an und kaum hatte sie sich wieder gefangen, betrat jemand den Raum den sie nicht erwartet hatte. Dement-sprechend perplex schaute sie dabei zu wie sich ihr die brünette Frau hüfteschwingend und mit eleganten Schritten näherte.
Ihre Mutter Annabelle Monroe trug eines ihrer hautengen Etuikleider, welches sich wie eine zweite Haut an ihren schmalen Körper schmiegte und mit seinem Dunkellila perfekt zum Farbton ihres Haares passte. Mit ihren blaugrünen Augen verfolgte Ophelia sie, während sie über den Grund ihres Kommens rätselte. Sie ließ sich sonst nie in ihrem Zimmer blicken des-halb musste es etwas Wichtiges geben was sie zu ihr führte.
Anstatt sie jedoch danach zu fragen, beschloss sie abzuwarten. Wahrscheinlich würden im Laufe ihres Besuches ihre Beweggründe irgendwann durchsickern, ob gewollt oder nicht. Also fuhr sie unbesonnen mit ihren Vorbereitungen für den Ballettunterricht fort, indes nahm ihre Mutter auf dem gepolsterten Sitzpuff neben der Frisierkommode Platz, überschlug ihre langen Beine und musterte interessiert ihren diamantbesetzten Ehering anstatt sie eines Bli-ckes zu würdigen. Innerlich stöhnte sie über die Emotionslosigkeit mit der sie ihr begegnete, dabei war sie seit langer Zeit daran gewöhnt…
Ohne es kontrollieren zu können, überwältigte sie erneut der Gedanke an Selbstmord und traf sie mit solch einer Wucht, dass ihre Hände zu zittern begannen. Instinktiv schnellte ihr Blick zu der Glasnagelpfeile und Nagelschere, die griffbereit in ihrer unmittelbaren Nähe lagen. Mit Leichtigkeit könnte sie sich eines dieser Hilfsmittel schnappen und in die Halsschlagader rammen, dann würde sie innerhalb von wenigen Minuten verbluten und ihr hassenswertes Leben wäre vorbei.
Sehnsüchtig, fast schon gierig nahm sie die Schere genauer ins Visier und bewegte ihre rechte Hand bereits in deren Richtung als ihr wieder die Unruhe ihrer Hände auffiel. Schnellstmöglich versuchte Ophelia das Zittern zu stoppen, damit ihre Mutter nichts bemerkte aber sie hatte kein Glück. Annabelles Augen wanderten augenblicklich von ihrem Ring zu ihr. Ihre Miene war dabei regungslos, sodass sie nicht einschätzen konnte was in ihr vorging. Ja, die Ver-schleierung der eigenen Emotionen und Gedanken war ihr Talent welches sie perfektioniert und ihrer Tochter weitergegeben hatte. Im nächsten Moment stand sie bereits wortlos auf und kam zu ihr.
„Lass mich das machen, Schatz.“ Kurzerhand und ehe sie reagieren oder widersprechen konnte, entriss sie ihr die Bürste und stellte sich hinter sie. Ophelia beobachtete ihre Mutter argwöhnisch und aufmerksam durch den Spiegel, während sie mit dem Haarstyling begann. Ihr Körper verkrampfte sich augenblicklich unter ihren Berührungen da diese sehr selten vorkamen, zumeist kalt und lieblos waren und nur dann eingesetzt wurden, wenn sie etwas von ihr wollte.
Die 13-Jährige hatte bereits die Vermutung gehabt, dass sie nicht grundlos in ihr Zimmer gekommen war und nicht nur die Berührungen waren dafür ein untrügerisches Zeichen sondern ebenfalls die Verwendung des Kosenamens Schatz. Gerne hätte sie sie direkt heraus gefragt weshalb sie hier war, doch Ophelia wusste gut genug, dass sie keine ehrliche Antwort von ihrer Mutter gekommen würde.
„Du trägst beim Ballettunterricht immer einen Dutt, nicht wahr?“, fragte sie obwohl sie die Antwort bereits kannte, denn diese Information war eine der Wenigen, die Annabelle Monroe über ihr einziges Kind besaß. Ophelias Antwort war bloß ein Nicken, während ihr ganzer Körper unter Hochspannung stand. Er bereitete sich auf das drohende Unheil vor was in der Luft lag; was ihren Instinkt dazu brachte sie zu warnen. Und schon bei ihren nächsten Worten erhielt sie die Bestätigung.
„Ich habe heute morgen einen Anruf aus deiner Schule erhalten“, erwähnte ihre Mutter bei-läufig als habe das nichts weiter zu bedeuten, aber bei ihr schrillten alle Alarmglocken. Dieser eine Satz, da war sie sich sicher, war nur die Einleitung einer weiteren Tirade voller Hass, Enttäuschung und Zorn.
„Das ist der dritte Anruf innerhalb von zwei Wochen“, wurde der Ton schon hörbar schärfer.
„Hast du überhaupt eine Ahnung was du mit deinem delinquenten Verhalten anrichtest? Welchen Schaden du unserem Ansehen damit zufügst?“ Sie stellte ihr Fragen auf die sie keine Antworten wollte. Ihre Intention war einzig und allein das Niedermachen und Erniedrigen ihrer Tochter die das nur wenig berührte, immerhin gehörte dies zu ihrem Alltag. Also starrte sie schweigend und desinteressiert in den Spiegel und spürte dabei wie die Wut ihrer Mutter rasant anstieg und sie von hinten wie eine mächtige Welle überrollte.
„Wieso kannst du nicht einfach gehorchen und ein braves Mädchen sein?“ Die Bürstenstriche wurden kräftig und unbarmherzig. Ophelia war bewusst, dass sie jetzt vorsichtig sein musste wenn sie weiterem Ärger aus dem Weg gehen wollte, doch sie konnte nicht anders. Sie war der Typ Mensch der zu gerne seine Mitmenschen provozierte und bis zum Äußersten reizte allen voran ihre Eltern, obgleich sie stets eine harte Strafe zu erwarten hatte.
„Weil es mir zu viel Spaß macht deine Regeln zu missachten und zuzusehen wie du verzweifelst versuchst die Fassade einer perfekten Familie mit einer perfekt geführten Ehe und einer perfekten Tochter aufrechtzuerhalten.“
Ein süffisantes Grinsen breitete sich auf ihren Lippen aus als sie sah wie Annabelle Monroes sonst schon blasses Gesicht noch eine Spur weißer wurde.
„Willkommen in der Realität, Mom.“ Mit ihren Worten, geäußert in einem sarkastischen Tonfall, ging sie einen entschiedenen Schritt zu weit. Keine Sekunde später vergrub ihre Mutter ihre Finger in Ophelias Haar und riss sie mit solch enormer Kraft nach hinten, dass ihr ein heftiger Schmerz wie ein Blitz durch die Kopfhaut schoss und diese in ein flammendes Inferno verwandelte.
Krampfhaft biss sie sich auf die Zunge um einen Schmerzensschrei zu verhindern, doch trotz ihrer Bemühungen entfuhr ihrer Kehle ein leises Wimmern was ihrem Ego einen schweren Schlag versetzte. Denn sie verachtete Schwäche jeder Art und konnte es nicht ertragen sie vor sich und anderen zu offenbaren. Das war eine weitere Eigenschaft, die sie ihren lieben Eltern zu verdanken hatte.
„Hältst du das für einen Witz, Ophelia?“, raunte ihre Mutter ihr eiskalt ins Ohr. Das sie Schmerzen litt, berührte sie nicht im Geringsten. „Ich lasse nicht zu, dass du das zerstörst was ich mir in den vergangenen Jahren aufgebaut habe nur weil du der Meinung bist dich wie eine ungezogene Göre aufzuführen, die niemals eine Erziehung genossen hat.“ Wutentbrannt und gewaltsam zerrte sie an ihrem Haar als wollte sie es ihr komplett und mit einem Mal heraus-reißen. Die 13-Jährige versuchte sich mit aller Macht zusammenzureißen, doch ihr Körper ertrug die Qualen nicht länger. Und so liefen ihr die ersten Tränen über die Wangen, während sie wie ein leidendes Tier jaulte.
„Ich lasse mich von dir nicht vorführen.“ Ihre Hand löste sich von Ophelias Haaren und fand ihren Weg in ihren Nacken, wo sie sich mit ihren manikürten langen Fingernägeln in das Fleisch ihrer Tochter krallte gleich einem Raubtier, das seine Beute geschnappt hatte und im Begriff war diese zu erlegen.
„Sieh dich an“, befahl Annabelle Monroe harsch. „SIEH DICH AN!“ Sie brüllte wie eine Wahnsinnige und verstärkte den Druck auf ihren Nacken, bis Ophelia ihre Augen auf ihr Spiegelbild richtete. Das brünette seidige Haar war zerzaust; die Wangen waren gerötet und feucht von ihren vergossenen Tränen. Ihr wurden die entwürdigenden Spuren ihres Versagens offenbart, dessen Anblick sie kaum ertrug.
„Du glaubst, dass du stark und überlegen bist, aber da irrst du dich. Du bist schwach, Ophelia. Schwach und erbärmlich“, wisperte sie gefährlich leise, ehe sie wie aus dem Nichts erbarmungslos den Kopf ihrer Tochter auf den Frisiertisch donnerte.
„AHHHHH!“, heulte sie auf als sie von heftigem Schwindel überwältigt wurde und rote Ster-ne vor ihren Augen explodierten, die sie orientierungslos machten. Sie verlor völlig die Kon-trolle über sich und ihren Körper, welcher wie in Zeitlupe zur Seite kippte und zu Boden stürzte. Die Schutzreflexe der 13-Jährigen funktionierten durch den vorangegangenen Angriff nur verlangsamt wodurch sie ungebremst und ohne jegliche Abstützreaktionen auf dem Par-kett aufkam. Ein heißer Schmerz durchzog ihre rechte Körperhälfte, der sie lähmte und ihr den Atem nahm. Während sie nach Luft rang und versuchte nicht in Panik zu verfallen, drang das kalte hohle Lachen ihrer Mutter an ihre Ohren was ihr ein weiteres Mal verdeutlichte, dass sie ihrem Ehemann Nathaniel Monroe in punkto Verachtung und Hass gegen das eigene Kind in nichts nachstand.
„Das passiert wenn du dich mir widersetzt. Du…“ Mehr konnte Ophelia nicht verstehen, denn sie hörte nur noch ein penetrantes Rauschen, zeitgleich trat Schwärze vor ihre Augen und ihr Körper fühlte sich merkwürdig fremd an. Und während sich ihre Lider schlossen und sie lang-sam in die Bewusstlosigkeit sank, beherrschte sie bloß ein einziger Gedanken: Sie wollte sterben.
 
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