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2 Seiten

Holger

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Holger geht nicht gerne schwimmen. Das ist ihm viel zu nass. Holger geht nicht gerne in den Wald. Dort gibt es zu viele Bäume. Holger fährt nicht gerne in Urlaub. Es ist zu weit weg. Holger bleibt nicht gerne zu Hause. Dort empfindet er es einfach als zu einengend. Holger schaut überhaupt nicht gerne eine Serie. Ist doch eh nur Zeitverschwendung. Holger liest nur sehr ungern Bücher. Das zieht sich zu lange hin. Holger macht nur sehr ungern Dinge, die er machen muss. Er fühlt sich dabei immer von äußeren Umständen genötigt. Holger hat nur sehr ungern Freizeit. Er weiß damit einfach nichts anzufangen. Im Grunde ist Holger vielleicht einer der liberalsten Menschen, die es überhaupt gibt. Er behandelt alles und jeden gleich; er hat alles und jeden gleich gerne – oder eben ungern, je nachdem, wie man es betrachten möchte. Holger hat im Laufe seines Lebens sein Wollen und sein Tun vollständig voneinander getrennt. Fast läuft er wie ein Automat in der Gegend herum. Es fällt ihm nicht schwer zu wissen, was sein Umfeld von ihm möchte. Es fällt ihm überhaupt nicht schwer, diese Wünsche zum eigenen Vorteil, und ohne eigene Wünsche hinzu zu tun, zu erfüllen. Es ist so einfach, dass es ihm oft so vorkommt, als ob es den meisten zu langweilig ist, es zu erfülle; als sei dies der einzige Grund, weshalb es nicht geschieht. Und das einfach nur, um mal zu sehen, was dann passiert. Vielleicht auch, damit endlich mal etwas neues geschieht. Und der behauptete Wunsch nach Entwicklung dient nur als Vorwand; ja, geradezu als Scheinlegitimation. Sollte es so sein, dann ist Holger an dieser Stelle auf jeden Fall ehrlicher. Er hat es für sich akzeptiert, wie es ist. Er benennt für sich die Dinge beim Namen und zieht unprätentiös seine Konsequenzen daraus. Schon die eigene Existenz an sich ist ja nun einmal nicht unbedingt gewollt. Zumindest ist es ziemlich zweifellos ohne eigenes Zutun geschehen. Und wir werden einfach schon deshalb dazu gezwungen, einen Umgang damit zu finden. Hinzu kommt noch, dass das Individuum auch keinen Einfluss darauf hat, in welche Verhältnisse es hineingerät. Seine spätere bewusste Existenz wird auch dadurch maßgeblich und später nur noch bedingt änderbar geprägt; der Stempel aufgedrückt; der Charakter herausgebildet, mit Funktionsniveau und in einigen Fällen vielleicht auch ohne. Das Leid, das dadurch von dem Individuum gegebenenfalls ausgehalten werden muss, wird damit schon vor dem Bewusstsein dessen festgelegt. Holger hat für sich entschieden, den Umgang mit den Gegebenheiten abzulehnen. Seine Existenz ist von ihm definitiv nicht gewollt; seine Nichtexistenz aber auch nicht. Wäre auch zu anstrengend für ihn. Außerdem hätte er in diesem Falle schon längstens seine Existenz beendet. Er hat auch keinerlei Impulse, die Gegebenheiten in seinem Umfeld zu ändern. Denn dies würde aus rein egoistischen Gründen geschehen. In diesem Falle würde er das Spiel, das ihm aufgedrückt wird, und das er zutiefst ablehnt, ja annehmen. Sein Style, den er dem entgegenhält: Kein Wille, tun, was von ihm von außen gewollt wird und sich selbst jederzeit, zumindest soweit dies möglich ist, zurücknehmen. Soll ihm doch jemand erzählen, was vermeintlich richtig ist und was nicht. Soll ihm doch jemand etwas über Politik oder über Religion oder über Moral erzählen. Oder über die Zukunft oder über die Vergangenheit. Über den Sinn des Lebens. Über Genuss und über den Klimawandel. Über die Besiedelung des Weltalls oder über den Krieg oder über die Pandemien. Immer geht es dabei im Grunde nur um den Wunsch nach der Überwindung des eigenen Seins; dem tief beseelten Wunsch nach Transzendenz. Nach Sinn innerhalb des eigentlich Sinnlosen. Nach Beschäftigung und dem Suchen nach Scheinmotiven für das eigene Tun. Holger ringt es stets nur ein müdes Lächeln ab, wenn ihm jemand etwas leidenschaftlich von seinem Gott erzählt, oder von der Ungerechtigkeit der Auswirkungen der Geopolitik. Ob nun Ukraine oder Taiwan. Alles wirkt für ihn wie ein einzig riesig großer Wahn. Und zwar von allen Beteiligten ausgehend. Am Ende kann man doch eh alles nur auf einen einzigen Ursprung; auf einen einzigen Nenner zurückführen: auf den Menschen selbst.
 
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