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4 Seiten

Ich bin (2)

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Wenn man eine neue Herausforderung gefunden hat, mit der man beschäftigt ist und von der man gedanklich nicht mehr loskommt, dann vergisst man den Schmerz an jene Vergangenheit, die Erinnerung und das Leid, dass einem in dem zurückliegenden Leben zuteil geworden ist, zurückholt.
Ich habe es durchgestanden, ich habe nicht aufgegeben, ich bin von Zuhause geflohen, aus dem alltäglichen Trott unserer Gesellschaft. Ich habe mich in dieses Flugzeug gesetzt und gewartet, habe die Freiheit auf meiner Haut gespürt. Innerlich hat es überall gekribbelt, denn die Veränderung in meinem Leben war groß und sie ist es noch. Ich befinde mich gerade mittendrin, in meinem neuen Leben, dass für mich die Herausforderung sein soll, damit ich all das, was hinter mir liegt, vergessen kann.
In meiner rechten Hand halte ich das OneWay – Ticket auf dem mein Name steht, Marco. Mein schwerer Rucksack klebt am Rücken, da die Sonne brennt und der Schweiß mir herunter läuft. Als ich zwischen Rinnstein und den Touristenhaufen, die sich alle fünf Meter zu einer Traube sammelten und von allem und jedem ein beschissenes Foto schießen mussten, warf ich einen letzten Blick auf das Ticket, dass mich an meine alte Welt erinnerte. Ein bisschen tat es noch weh, doch die Herausforderung in mir wurde immer stärker und lies mich mehr und mehr vergessen. Ich öffnete die Hand, die fest umklammert das Ticket umgriff. Es fiel wie ein Blatt vom Baum, wirbelte zuerst durch die Luft, bis es sich in einem belanglosen und dreckigen Rinnstein verlor, zwischen all dem Müll, der sich immerzu mehrte.
Damit ich meinen Weg durch die unsäglichen Massen finden konnte, schubste ich ein paar bescheuerte Touristen aus dem Weg. Ich weiß, im Endeffekt war ich selbst ein Tourist, aber ich fühlte mich nicht mehr als einer.
Ich war auf einer Reise, die mich zu einem neuen Anfang führen sollte. Die Tatsache, dass ich hier auf mich allein gestellt war, tat weh. Mir eröffnete sich ein solch großes Land, es stand mir alles offen, nur wusste ich es nicht zu nutzen. Ich bin soweit gereist, um von meinen Erinnerungen und dem schmerzlichen langweiligen Leid in meiner Heimat, zu entkommen. Und jetzt stehe ich hier, eingequetscht zwischen den Massen der Menschen, die sich hier durchzwängten. Hier war alles anders als dort, wo ich hergekommen bin. Der schwere Rucksack auf meinem Rücken quälte mich. Ich wollte sofort an den Strand, mich in die Sonne legen, ausruhen von dem langen Flug, der mir an den Nerven zerrte. Ich konnte zwar einige Stunden schlafen, dennoch überfiel mich eine Müdigkeit, der ich mich nicht erwehren konnte. Ich schmiss den Rucksack in den heißen Sand, legte mein Handtuch aus und zog mich bis auf meine Hose aus. Es war verdammt heiß und ich wusste nicht, wie lange ich das aushalten sollte. Nur ein bisschen ausruhen, mehr wollte ich gar nicht. Ich legte mich hin und versuchte, dem Rauschen des Wassers zu horchen, doch meine Gedanken zwangen mich dazu, mich zu erinnern. Ich schloss meine Augen und schlief schnell ein.
Als ich wieder aufwachte, spürte ich die kalte Luft, die über meinen Körper flog. Jemand rüttelte mir am Fuß und zeigte mit besorgten Blicken gen Himmel. Als ich mich aufbeugte, sah ich den dunklen Himmel und den Schauer, der auf uns zuraste. Der Strand war schon fast leer und die Hitze wie vom Erdboden verschluckt. Schnell packte ich meine Klamotten zusammen, zog mir ein Hemd über und stopfte das Handtuch in den Rucksack. Die Leute rannten alle in Sicherheit. Es herrschte nur ein Unterschied zwischen mir und den Leuten, die von hier verschwanden. Sie brauchten nicht erst die notwendige Sicherheit zu suchen, sie rannten nur in ihre Hotels, auf ihre Zimmer, um dort dem Unwetter zu entgehen, während ich hilflos auf mich allein gestellt auf dem Strand umher irrte und händeringend versuchte, eine schützende Palme zu finden. Tja, dass hier ist Thailand, man musste hier schon um einen Unterschlupf kämpfen. Die Touristen wucherten aus allen Löchern, alle Hotels waren besetzt, sogar die schäbigsten.
Viele Minuten und einige Blitze später und die Angst in meinem Innern, durch den strömenden Regen zu ersaufen, fand ich unter einem kleinen Vorsprung einer großen Bar etwas Schutz vor dem tobenden Wetter. Trotz des Vorsprungs peitschte mir der Regen ins Gesicht, immer wieder, ohne nachzugeben.
Die Scheiß Angst ist immer noch da. Nach dem schweren Unwetter hatte ich mich in ein Hotel zurückgezogen, dass noch ein paar Zimmer übrig hatte. Ein Boden aus knarrenden Holzdielen, ein stinkendes Bett mit ausgewaschenen Bezügen und ein kleiner hölzerner Nachttisch zur linken Seite des Bettes ließen die Einrichtung des Zimmers vermuten. Ganz abgesehen von meinen Mitbewohnern, die unter dem Bett auf ihre Chance warteten, dass etwas Essbares auf den Boden fiel, scheiß Kakerlaken. Die Zimmer waren nicht einmal voneinander getrennt. Ein feines Fliegennetz war über mehrere Zentimeter von der Decke aus zur Trennwand der Zimmer gespannt. Man konnte die Stimmen hören, wenn sich die anderen Bewohner unterhielten.
Jetzt liege ich nachts in meinem Bett, die Decke beiseite gelegt, da ich trotz des Ventilators an der Decke schwitze wie selten zuvor. Von überall her kommen die Stimmen, die mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Auf meiner Haut brennt noch immer die Sonne vom Strand, ich spürte den Sonnenbrand. Überall stinkt es, man hört sogar die Stimmen von der Straße, die Menschenmassen, die vorbeiziehen, wie die Wolken am Himmel. Ich kann hier nicht schlafen.
Willkommen in meiner neuen Welt. Ich bin frei.

Ich bin durch das Land gereist und habe die Freiheit gespürt, was es bedeutet, um Essen zu kämpfen, um Essen zu betteln, wenn man kein Geld hat. Es gibt Typen hier, die fragen dich auf offener Straße, ob du viel Geld verdienen willst, wenn du eines deiner Organe spendest. Du läufst durch Häuserschluchten, durch Tausende von Verkaufsständen und alle fünf Meter fragt dich ein anderes thailändisches Arschloch, ob du Mädchen oder Jungen ficken willst oder ob du etwas besonderes erleben möchtest. Ich weiß nicht mehr, ob dies meine Welt bedeuten soll. Dieser Konsum von verkauftem Fleisch, Drogen und anderen Dingen, die sie dir hier für weniger als einen halben Doller anbieten wollen.
Im Endeffekt kommt jeder hier her, weil er etwas Besonderes erleben möchte, doch im Grunde tut jeder dasselbe. Ich wollte meine neue Welt finden, doch was ich bekam, war Leid an jeder Straßenecke, wie Kinder halbtot im Rinnstein liegen, wie Mütter ihre Kinder verkaufen, wie Drogendealer ihre Bandenkriege durchführen und wie die Polizei zusieht, weil die Angst vor einem Inferno zu groß ist. Und immer mehr wächst diese Gesellschaft zu dem, was sie selbst aus sich macht. Genau wie dort, ist es hier auch zum kotzen. Die Welt ist ein großer Scheißhaufen, auf dem wir versuchen, zu überleben. Allein wenn ich an dieses Leben denke, dann muss ich heulen, weil ich nicht mehr anders kann. Mein Herz schlägt zwar für dieses Leben, aber wie lange es das noch alles aushalten soll, weiß ich nicht.
Wieso können einige Dinge nicht anders laufen? Wieso muss es ein jeder so schwer haben? Ich bin hier hergekommen, um eine neue Erfahrung zu machen, um frei zu sein, endlich weit weg von dem, was mich mürbe gemacht hat. Doch in den 2 langen und beschwerlichen Jahren, die ich hier in Thailand verbracht habe, bin ich doch nichts weiter als Tourist gewesen, der genau denselben Effekt in seiner Heimat miterlebt hätte. Wie die Gesellschaft sich ausbreitet und alles nur noch schlimmer macht. Ich wünschte, ich könnte etwas ändern, aber ich kann nicht.
Ich bin hungrig und ich habe Durst. Ich habe in den 2 Jahren mindestens 12 Kilo abgenommen, weil ich wenig zu Essen den Tag über hatte. Tja, eines ist mir klar geworden, hier kann ich nicht bleiben. Diese Gesellschaft hier ist noch schlimmer, als die, von wo ich herkomme. So kehre ich jetzt eben zurück, in meine Heimat.
Ironischerweise hatte ich mir immer das Geld für einen Rückfahrschein behalten, obwohl ich mir geschworen hatte, nicht wieder zurückzukehren. Doch ich bin am Ende, ich kann nicht mehr. Jetzt bin ich nur noch gespannt, was mich Zuhause erwarten wird. Ich habe Angst, aber ich weiß, dass ich zurückkehren werde.
 
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Kommentare  

j

a (12.05.2002)

1. Man kann vor etwas fliehen
- ohne Ziel!
2. Man kann zu etwas hin fliehen
- von etwas weg zu etwas hin!
3. Man kann zu etwas fliehen
- das alte vergessen wollen!
4. Man kann zu etwas fliehen
- um neues zu erleben!

Was will ich? Bin ich dazu bereit?


Joachim (08.05.2002)

Ich finde alle deine Geschichten schön mein Schatz und hoffe, das du weiter so gut schreibst!
Ich liebe dich über alles!
Danke für die Zusammenfassung! :-)


Corinna (10.03.2002)

Ja, diese Geschichte hat was !! Denn oft stellt man sich die "andere" Welt anders, vor vorallem viel besser und schöner vor!
Manchmal muss man zuerst diese Welt kennenlernen und erst dann kann man sich ein Bild machen. Und man sieht dann, ob es wirklich das ist, wovon man immer geträumt hat.
Vorallem sind es auch andere Kulturen mit denen man konfrontiert wird.
Meine Meinung, man sollte ab und zu, in eine andere Welt untertauchen, denn nur so lernt man die Dinge die einem wichtig sind schätzen!! Und es sind weitere Erfahrungen die man erlebt hat und auf die man eines Tages zurückblicken kann!!




Nadja (24.02.2002)

Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?
Das sind Fragen, die sich Menschen seit
jeher stellen.
Für mich besteht die Antwort darin Gott zu kennen. Das mag für einige platt oder sogar naiv sein. Für mich aber ist es das Einzige, was dem Leben einen echten Sinn verleihen kann. Verlieren wir Gott aber bei unseren Überlegungen aus den Augen, verlieren wir alles andere und jegliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ohne ihn ist das Leben nur das, was du hier beschrieben hast. Doch Gott lässt sich von Jedem finden, der ihn sucht!


Robert Short (21.02.2002)

hey marco !

hab dir ja meinen kommentar schon per mail geschickt. ich finde du solltest jetzt keine fortsetzung mehr schreiben.
versuche dort wohin du zurückgekehrt bist, neu anzufangen. und seh nich alles so pessimistisch.


melpie (21.02.2002)

ich kann das voll verstehen, durch das ganze globale system entsteht langsam oder sicher überall der gleiche scheiss. bluehende kulturen sterben und werden durch westliche prostitutionskultur ersetzt. bald sind wir alle gefangen in einem riesigen wahnsinn, einem globalen wahnsinn. veränderung? wie? nicht möglich. lieber findet man sich ab und das wird sich erstmal nicht ändern.

kranker freak (14.02.2002)

sehr realistisch. erinnert mich nicht nur an meinen letzten 'Ausflug'...auch an 'the Beach'
was keinesfalls mies gemeint ist! Ich find die Geschichte wirklich gut und vorallem das die Gedanken klar drin stehen und du die Atmosphäre richtig rüberbringst...

greets,
littlebird


littlebird (14.02.2002)

du siehst die dinge so klar, du bist so mutig, aber warum versuchst du nicht, was zu ändern. in deiner alten welt, wie auch in der neuen? dass du zurückkehrst ist ok, ja besser so. weil du kein aussteiger bist, sondern nur versuchst vor irgendwas zu flüchten. stell dich doch allem und sage was dich bedrückt, auch wenn du überall aneckst. ich denke, das ist der bessere weg.

edith (14.02.2002)

Gratuliere! Coole story. Mag ich. Vor allem weil sie mich an meinen letzten Urlaub erinnert. Vielleicht ein bisschen extrem schwarzseherisch, aber eigentlich stimmt sogar das meiste.
Wo bleibt die Fortsetzung?


Flo (13.02.2002)

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