259


4 Seiten

Das Paradies

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
„Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Johannes 3,16

Mein bester Freund war ein großer Narr. Zumindest sah das sein Umfeld so. Das war auch der Grund, warum er sich diesen Ruf zu Herzen nahm und ihn zu seinem Beruf machte. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass auch ich Zeit seines Lebens diese Vorstellung von ihm inne hatte.
Doch Mada war weniger an seiner naiven Vorstellungskraft als an der unerbärmlichen Realität um ihn herum zugrunde gegangen, die, wie sich herausstellte, weitaus trügerischer und illusorischer ist als Madas Fantasiewelt, deren Existenz ich mir mittlerweile bewusst bin und in der er nun in Ewigkeit lebt.

„Wenn dein Wort offenbar wird, so erfreut es und macht klug die Unverständigen.“ Psalm 119,130
So viel Leben flutet mir aus dieser Welt entgegen, wenn ich seine hinterlassenen Tagebücher im hellen Licht der Öllampe lese. Nur durch sie habe ich den Schlüssel zu seiner wahren Identität und sehe mich deshalb im Nachhinein auch im Recht, mich seinen besten Freund zu nennen.
Als Hofnarr hatte man Mada immer respektiert, der gesamte Adel auf Burg Schlangenfels kannte ihn wegen seiner ungewöhnlichen Gabe, von einer Welt zu erzählen, die voll des Reichtums, des Glückes und frei von Unterdrückung war. Seine Darstellung wirkte auf die Zuhörer sehr amüsant.
Jetzt, da ich seine Memoiren besitze, weiß ich, dass dieser Beruf ihm nichts bedeutet hat und er sein eigentliches Leben dann erlebte, wenn alle anderen in ihrem Bett lagen. Mada zog sich in den Stall zurück, tauchte in sein Paradies ab und lebte dort. Während seine Feder, unbewusst von seiner Hand gelenkt, die Ereignisse der freien, mit Schätzen gefüllten Welt auf Papier festhielt, spaziert Mada durch prunkvolle Räume in goldverzierten Schlössern. In diesen Zeiten kannte er keinen Hass, keine Armut, keinen Mangel - man hatte das, wonach man sich sehnte. Genau das, was Mada in seinem Alltag nicht bekam. Wundert es einen da noch, dass er versuchte, soviel er konnte von seinem Paradies in seinem Beruf aufleben zu lassen? In den fesselnden Berichten in seinem Tagebuch erkenne ich Menschen und Orte wieder, die Mada in seiner Rolle als Hofnarr bereits erwähnt hatte - die aber als erheiternde Unterhaltung für die ideenlosen Menschen in der Realwelt endeten.

„Ich habe dich zum Licht der Heiden gemacht, damit du das Heil seist bis an die Enden der Erde.“ Apostelgeschichte 13,47
Erst in seinem letzten Eintrag finde ich eine Beschreibung, die eindeutig auf die hiesige Welt bezogen ist. Mada begab sich an jenem Abend in den dunklen Stall, stellte seine Öllampe auf eine Kiste und begann, sich seiner Vorstellungskraft hinzugeben. Plötzlich merkte er, dass direkt hinter ihm noch eine Lichtquelle den Raum erhellte. Er drehte sich um und sah zuerst die grelle Öllampe, gegen die seine eigene wie ein fahles Glühwürmchen wirkte. Dann erkannte er den schmutzigen Körper des Mannes, der ruhig in der Ecke kauerte. Mada sah sein Gesicht nur undeutlich, erkannte aber die Schürfwunde eines Strickes an seinem Hals.
„Wer bist du?“, wollte Mada von dem unerschrockenen Fremden wissen.
„Mein Name ist Saisem und ich bin hier, um dir eine hellere Lateren zu bringen.“
„Ich kenne dich nicht. Und ein helleres Licht benötige ich auch nicht. Dort wo ich in meinen Gedanken gerade bin, ist keine Laterne nötig,...“
„...weil dieser Ort das Licht selbst ist. Ich weiß. Was glaubst du, von wo ich diese Laterne habe?“
„Kennst du etwa das runde Marmorschloss mit den zwölfhundert goldenen Torbögen?“
„Ich komme von dort.“
„Dann kennst du auch die Schatzkammer, die jedem zugänglich ist und bei der sich jeder bedienen kann?“
„Ich selbst habe sie bereits besucht. Und nun bin ich hier, um dich am Glanz dieses Lebens teilhaben zu lassen.“
„Und dafür bringst du mir eine Laterne, Saisem?“

„Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.“ Markus 16,15
„Wenn du das Paradies nicht nur sehen, sondern auch fühlen willst, dann musst du ein echter Narr werden und das Licht an dich nehmen.
Merke dir nur eines: Du kannst genau dort sein, wonach du dich zu sein sehnst. Du musst es nur aussprechen. Aber vergiss nie, dass du das Licht weitergeben musst, so wie ich es dir weitergebe. Sonst wird dich das Paradies nie erfüllen... Aber nun gehe ich zurück.“ Daraufhin begann Saisem lautstark zu röcheln und sackte leblos zu Boden. Sein toter Körper versank im Schatten der hellen Laterne.
Mada ergriff sie, konnte aber kaum hineinschauen.
„Wenn es wahr ist, dann möchte ich in meine Schatzkammer“, flüsterte er. Sofort begann das Licht sich auszubreiten und den ganzen Raum zu überfluten. Mada blieb ruhig, wusste er doch, wohin er ging.
Als er sich umblickte, merkte er, dass die Helligkeit geblieben war und goldene und diamantene Kunstwerke ihn anblitzten. Er kannte sie bereits alle aus seinen Reisen, doch seine Hand zitterte, als er in den Berg von Münzen hineingriff, der vor ihm lag. Einfühlsam massierten sie seine Hand. Alles war echt. Mada tauchte durch das Meer von Perlen und setzte sich die schwere Krone auf. Dann entdeckte er seinen liebsten Gegenstand: ein prächtiges Schwert, gänzlich aus pupurrotem Diamant. Er ergriff es, streckte es empor und fuhr langsam mit dem Finger die Klinge entlang, woraufhin ein dünner Strom dunklen Blutes über seinen Finger rann.
Ein plötzlicher Unfriede erfüllte ihn und er musste wieder an die Worte Saisems denken.
„Ich muss auch den anderen auf Schlangenfels den Weg ins Paradies zeigen.“ Draufhin ergriff er wieder das in diesem Raum kaum auffällige Licht und sagte, nicht ohne das Schwert eingesteckt zu haben: „Ich möchte in den Thronsaal von König Tormin!“

„Und es erschienen ihnen diese Worte, als wär's Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht.“ Lukas 24,11
Sofort begann der Glanz um ihn herum zu verblassen, kahles Gemäuer ersetzte die glitzernden Wände der Schatzkammer. Diesmal fühlte Mada einen stechenden Schmerz, als er sich auf dem kalten Boden des Thronsaals wiederfand. In weiter Entfernung sah er den lachenden König sitzen.
„Da ist ja unser verschwundener Narr. Du hast wohl geglaubt, von deiner Heimat flüchten zu können.“
„Ja, ich war in der Schatzkammer.“
„Das habe ich mir gedacht, und das wertvolle Diamantenschwert, das du da bei dir trägst, hast du auch gleich mitgenommen. Das Schicksal kannte wohl doch noch eine Gerechtigkeit, dass es dich wieder zurückgebracht hat.“
„Aber ich war nicht in Eurer Kammer. Es war eine viel prächtigere als sie je auf der Erde zu finden ist. Seht her, ich wollte Euch nur diese Lampe bringen. Nehmt sie und Ihr werdet nie wieder Angst haben, dass man Euch bestiehlt. Denn die Schätze, die Ihr in der anderen Welt finden werdet, sind unendlich.“
„Dein Beruf hat dir deinen Verstand geraubt! Behalte diese Lampe nur bei dir! Du wirst sie in dem dunklen Verlies brauchen.“

„Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.“ Matthäus 10,39
Das waren die letzten Worte, die Mada niederschrieb. Man hat ihn nur kurze Zeit im Gefängnis gelassen. Nach drei Tagen wurde er mitten auf dem Burghof gehenkt. Das letzte Mal, dass ich ihn sah, war ein Tag später, als man seinen armseligen Körper auf dem Karren davonkutschierte. Die Schürfwunde des Stricks an seinem Hals fiel mir auf und jetzt muss ich an die Lampe denken, die im Verlies zurückgeblieben war. Man hatte sie immer weitergereicht, da sie niemand bei sich haben wollte. So ist sie schließlich bei mir angekommen. Im Augenblick steht sie neben mir und ich wäge ab, ob ich die Reise antreten soll. Vielleicht wird man mich dann auch einen Narren nennen. Aber vielleicht ist es das auch wert, Mada wiederzusehen.
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Deine Geschichte ist wundervoll, so viel wares spricht aus ihr.
Ich finde das die zitate der bibel und deine Geschichte wunderschön zusammen spielen, ich finde sie großartig.


Jessica (22.01.2004)

So ist der aller Glaube und alle Religion doch nur eine Narrheit für den der das Licht nicht sieht.
So lässt tormin den reichtum der ihm zu teil werden könnte am galgen enden weil ihm glaube und vertrauen fehlen, nur was er sieht hat bestand und macht ihn arm, so dass er in einem kalten schloss wohnen muss, obwohl ihm die gutmütigkeit adams den weg ins paradis zeigen wollte.
interessant, dass der sündenfall nicht aus der schuld adams und evas resultiert, sondern aus der engstirnigkeit des menschen.

schaut sie euch an, die gesellschaft unserer zeit, und ihr werdet den hofstaat wieder erkennen.


karl weissbach (04.11.2003)

"Wenn dein Wort offenbar wird, so erfreut es und
macht klug die Unverständigen." Das trifft auf mich
leider nicht ganz zu... etwas an der Geschichte
gefällt mir, und sie ist auch nett erzählt, aber
wirklich schlau werde ich daraus nicht. Und die aus
einem der ältesten Geschichtenbücher dieser Welt
entliehenen Psalmen und Passagen stören mich,
aber das ist wirklich reine Geschmackssache.


Trainspotterin (18.12.2002)

Eine fantastische und faszinierende Geschichte! Perfekt!
[Sabine Buchmann]


Jurorenkommentare (03.05.2002)

Adam bekommt vom Messias eine Wunderlampe und wird dafür von König Nimrod gehenkt. Irgendwie schnall ich nicht recht, worum es geht...

Stefan Steinmetz (13.04.2002)

Feinsinnige Geschichte, die aber viele Fragen offenläßt.

Lord B. (02.04.2002)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Ringparabel  
Wenn Gummibärchen sprächen  
Die Reise des kleinen Tropfens  
Morgen kenne ich Berlin  
Das Mädchen und der Kohleverkäufer  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De