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3 Seiten

Deine Angst

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© Nadja S.
Wenn Du auftauchst, verbirgt die Sonne ihr Gesicht vor Dir, so schwarz ist Deine Seele. In Deiner Umgebung bewegst Du Dich immer noch in einem Kokon aus bodenloser dumpfer Schwärze vorwärts, beachtest niemanden, übersiehst ihre lachenden Gesichter, überhörst die ausgelassenen Scherze – hasst ihre Lebendigkeit.
Sie können sich nicht genug über Dich wundern, so tief und dunkel wie Du bist. Und Deine ewige Nachtfarbe und fahle Blässe erschreckt sie manchmal zu Tode, genau, wie der Ausdruck auf Deinem Gesicht. Doch Du beachtest sie nicht, nie. Deine Kehle gibt in ihrer impertinenten Gegenwart keinen Ton von sich, so arrogant bist Du und trotzdem hast Du recht. Sie werden nie begreifen, wer Du bist. Sie nicht. Und wie schön Dein Gesicht sein kann, wenn Du den Versuch eines Lächelns machst – wie ein winziger Funken Licht in einem vakuumschwarzen Raum für Unwissende nicht zu sehen ist – aber manchmal bilde ich mir ein, ich könne Dich tatsächlich lächeln sehen. Deine Augen bleiben weiterhin undurchsichtig und Deine Miene düster – und doch hat sich in Deinem Ausdruck geändert; auf einmal wirfst Du einen menschlichen Schatten. Auf einmal wirkst Du fast verwundbar und doch kann ich mir gleichzeitig nicht vorstellen, dass man Dich verletzen, Dir wehtun kann – ich glaube es nicht. Mir wäre es unmöglich. Aber ich frage mich auch, wie es möglich wäre – denn Du konntest Deinen Schmerz nicht schnell genug verbergen. Ich bemerkte ihn und dachte, er würde Dich töten – und das nur, weil sie Dich berührte. Schnell und absichtlich im Gesicht, um zu beweisen, dass Deine Leichenblässe wirklich real ist und kein weißes Theater-Makeup. Ich sah Dich sie anstarren und Dein Erschrecken darüber, ihrer Hand nicht rechtzeitig ausgewichen zu sein – aber es war schon zu spät. Du hattest sie nicht kommen sehen. Wahrscheinlich war Deine Seele wieder auf einer ihrer eigentümlichen Reisen und nur Deine verlassene, menschliche Hülle stand abseits von uns. Ich weiß noch – als sie Dich für Sekundenbruchteile mit der Hand an der Wange berührte, ging ein kurzer, kaum erkennbarer Schauer durch Deinen Körper und Deine Augen wurden weit und noch dunkler, als sie es ohnehin schon sind. Und auf einmal gewahrtest Du meinen erstaunten Blick und wurdest wieder zu Stein, zogst Dich in Dich selbst zurück, stießt sie zur Seite und blicktest uns verächtlich an, bis wir die Blicke abwenden mussten. Am liebsten wäre ich Dir hinterher gelaufen, aber ich konnte es noch nicht. Du hättest mich geschlagen, hätte ich versucht, darüber mit Dir zu reden. Aber ich kann es nicht vergessen, und ich muss jetzt einfach mit Dir reden. Wüsste ich es nicht besser – ich glaube fast, ein Kuss könnte Dich umbringen. Und so folge ich Dir und erkenne mit fassungslosem Staunen eine solche Veränderung an Dir, die ich wohl niemals bemerkt hätte – würde ich Dich nicht verstehen wollen. Denn kaum bist Du allein, fällt irgendetwas ab von Dir – Du bist auf einmal nicht mehr so stark, so starr und so kalt. Ich sehe Deine Hände zittern, während Du Dir eine Zigarette anzündest. Für einen kurzen Augenblick sehe ich etwas in Deinen Augen, ich glaube, es ist Schmerz, Sehnsucht oder Du bist einfach nur traurig. Ich kann mir das hier nicht erklären; weshalb mich Dein Verhalten so berührt – ich kenne Dich nicht und ich bin nur eine Niemandin, aber es tut mir weh, wenn ich Dich jetzt so sehe. Du triffst mich, und ohne zu denken trete ich näher zu Dir. Ich weiß nicht, wieso, ich glaube nicht, dass du Dir helfen lassen willst – ich wüsste auch nicht, wie. Und trotzdem will ich es nicht glauben, wahrscheinlich bin ich zu naiv. Du bist allein, und warum solltest Du mir absichtlich wehtun?
Gerade in dem Moment drehst Du Dich zu mir um – Du siehst direkt überrascht aus, als hättest Du nicht wirklich erwartet, jemanden zu sehen und unbewusst weichst Du zurück. Ich rede, sage irgendetwas, was bloß – und dann verstumme ich – verwirrt und hilflos. Weil ich bemerke, dass Du Tränen in den Augen hast. Du verziehst Dein Gesicht und drehst Dich abrupt wieder um – was soll ich tun? Noch läufst Du nicht vor mir weg, also strecke ich vorsichtig meine Hand nach Dir aus – ich wundere mich, wie angespannt Du bist, und wie dunkel-kalt Deine Kleider sind. Du wirkst verletzt und wendest Dich zur Seite, aber Du scheinst das Aufstehen nicht mehr zu schaffen. Aber ich habe auch Angst. Trotzdem streicheln meine Fingerspitzen sanft Dein abgewandtes Gesicht. Den scharfen Bogen Deines Wangenknochens und ich folge der glitzernden Spur einer Träne. Und endlich siehst Du mich an – Deine Augen sind so tief und schwarz vor lauter Angst und verborgenen scharfkantigen Gefühlen, dass ich Dich verzweifelt frage, wie Du es so lange hast aushalten können, sie ohne Regung zu ertragen. Du antwortest nicht, lehnst Dich nur gegen mich und vergräbst das Gesicht an meiner Schulter. Solltest Du wieder fallen, verspreche ich Dir heute, werde ich versuchen, Dich zu fangen. Ich hoffe, Du glaubst mir –auch, wenn ich sage, dass ich Dich sehr gern habe. Ich hoffe, dass wir uns gegenseitig auffangen können. Ich hoffe, dass wir es gemeinsam schaffen, zu leben. Und ich bitte Dich, Deine Tränen niemals wieder zu verlieren – nur, weil Du glaubst, es sei niemand da, um ihre Spuren auf Deinem Gesicht zu verwischen.
 
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Kommentare  

@Norma:
Danke schön für Deine Kommentare...und auch für die Kritik. Ich hoffe, ich kann sie die nächsten Male besser umsetzen. N.


Nadja S. (13.05.2003)

Becci hat Recht, wunderschön. Deine Stories sind von einer unheimlich schönen Dichte und sprachlich von sehr hoher Qualität. Da ist aber so ein Gefühl in mir, dass sie dem Leser etwas vorenthalten, was genau, kann ich nicht sagen.
4 Punkte
(Fünf kann ich leider nicht geben, da mich dieses unbestimmte Vorenthalten irritiert, sorry)


Norma Banzi (04.02.2003)

...:::~~~*wunderschön*~~~:::...

*Becci* (14.07.2002)

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