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4 Seiten

Die rettende Nadel

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Nun nehme ich schon seit einem Jahr keine Drogen mehr. Hier und da mal ein Bier, aber sonst kommt nichts berauschendes mehr in meinen Körper. Es gab da mal ganz andere Zeiten, aber nun bin ich clean.
Wie ich das geschafft habe wollt ihr wissen? Nun ja, das ist eine lange Geschichte, aber ihr habt Glück, dass ich sie gerne erzähle. Vielleicht taugt sie zur Überbrückung der Zeit oder kann Hilfe für andere Menschen sein.

Alles fing mit Sandra an. In einem Kaufhaus, war sie mir mit ihrem Einkaufswagen in die Seite gefahren und hatte mir dann als kleine Entschädigung die Hälfte einer Mahlzeit versprochen, die sie zu Hause fertigen wollte. Natürlich nahm ich das Angebot an, denn erstens duftete sie nach süßem Jasmin und zweitens passte auch ihre Gestalt und ihre Stimme zu diesem herrlichen Geruch. Sie hatte blondes, glattes Haar, reine gebräunte Haut und ein Lächeln, dass jeden mit sich riss. Ganz egal wie schlecht einem im Gemüt und wie viel Läuse einem über die Gedärme getrampelt waren. Ihr Lächeln schien den Kopf frei zu machen. Auch das war für mich ein Grund sie daheim zu besuchen. Bei ihr zu Hause gab es dann Dosenravioli für 75 Cent und es schmeckte komischerweise sehr gut. Ich verliebte mich in die Dosenravioli und in sie und seit diesem Tag waren wir zusammen. Alles lief so, wie es sein sollte. Wir ergänzten uns in allem was wir taten. Im Alltag und auch im Bett. Es gab nur eine Sache die ihren langen, schwarzen Schatten auf unsere so glückliche Zweisamkeit warf. Drogen! Genauer LSD und Kokain.
Erst nach einem halben Jahr, in etwa, bemerkte ich ihre Abhängigkeit. Sie sprach zwar davon, sie könne jederzeit aufhören, aber das war wohl eher Wunschdenken. Mit allen möglichen Mitteln versuchte ich ihren Drogenkreislauf zu unterbrechen. Ich versteckte ihr Zeug durchs Klo ins Nirgendwo, rief bei vielen Beratungsstellen an und ließ sogar ihren Dealer, per Polizei, aus dem Verkehr ziehen. Doch sie bekam neuen Stoff von einem neuen Dealer und was ich ihr von den Telefonaten berichtetet interessierte sie nicht sonderlich. So resignierte ich und gab auf. Sie nahm ihr Zeug, ich guckte Fernsehen und absichtlich weg. Weil ich sie liebte und sie verstehen wollte und dazu an diesem Tag recht betrunken war, sagte ich eines Abends „Ja“, als sie mir etwas anbot. Das war der Anfang.
Morgens gab es nun statt weicher Eier mit Kaffee, Kokain und Dope und auch Abends lagen wir dösig, halluzinierend im Bett und erzählten uns wirres Zeug.
Nun war ich also auch abhängig geworden. Jede Einnahme und jeder so herbeigeführter Rausch, war eine Flucht vor der grauen Welt. Doch so wie es schien, wollte Sandra dann doch ihre bunte Welt für sich allein, denn sie trennte sich von mir, mit der Behauptung, ich sei Drogensüchtig und das richtig und sie könne sich meinem geistigen Zerfall nicht mehr mit ansehen. Der wahre Grund war aber ihr Dealer, zu dem sie zog. Sie ging, aber die Drogen blieben und das Resultat der Trennung war, dass ich ganz in den Sumpf geschleudert wurde.
Die Zeit flog dahin. Ich verlor die Wohnung, die Polizei suchte mich und mein ganzes Leben drehte sich nur noch um eins: „Glücklich sein“ und dies war mir wiederrum nur noch mit den Drogen möglich. Ich erkaufte mir einen Fetzen Glück, der mehr Schein als Sein war und bemerkte nicht das ich viel zu viel dafür bezahlte. Doch bald wirkten die Drogen nicht mehr richtig und das künstliche Glück wurde immer blasser. Vom Dope wurde ich nur noch müde, Koks machte mich traurig und alles andere was ich probiert hatte, brachte weniger Glück als eine Tafel Schokolade. Ich klagte dies einem Freund, der eher Drogenkollege war und der meinte, er hätte den ultimativen Trip für mich: Heroin. Davon hatte ich eigentlich immer die Finger gelassen und mich auf einer Stufe höher gefühlt, als die H-Junkies. Doch es schien so, als wenn dies meine einzige Zuflucht wäre, in der sich das Glück versteckt hätte. Also suchte ich meinen Hausdealer auf und wunderte mich, dass er sich nicht wunderte, dass ich jetzt etwas stärkeres wollte, aber sicher war ihm klar, dass dies die Endhaltestelle für Drogensüchtige war und das auch ich da aussteigen würde. Mein Dealer begrüßte diesen „Ausstieg“ mit einem Gratisgeschenk einer noch eingeschweißten neuen Spritze, ich freut mich mäßig.
Auf dem Weg zum Dealer hatte ich auch einen geeigneten Ort zum „Setzen“ gefunden. Ein altes Klohäuschen stand nicht weit entfernt. Voll mit Graphity und Flecken bestückt und ich war mir sicher, dass um 1:00 Uhr nachts sich niemand mehr zum urinieren da hinein wagen würde.
Die erste Ecke war die meine. Vorsichtig packte ich die Spritze aus, köchelte die Suppe zusammen und zog damit die Spritze auf. Mit dem fertigen, gefüllten Utensil in der Hand hockte ich erst einmal lange Minuten einfach nur da. Ich hatte Angst vor diesem gelbbraunen Zeug, aber als ich mir den Rauch so vorstellte, verlor ich alle Bedenken und jede Angst und führte die Spritze zu meinem linken Unterarm. Kurz bevor die Nadel ein Loch in die Haut stach, vernahm ich ein piepsendes Murmeln „Bäähhh was ist denn das?“. Ich erschrak, stand auf und sah mich um. Doch weit und breit war nichts zu sehen. Angestrengt hörte ich nach einer Weile in die Stille, aber es blieb ruhig. Noch einmal versuchte ich die Spitze anzusetzen und jetzt schrie die Stimme regelrecht: „HALT!“. Ärgerlich schon wieder gestört zu werden und auch aus einem Affekt heraus erwiderte ich automatisch „Was denn?“ und als die piepsende Stimme antwortete, sah ich woher sie kam. „Das Zeug ist Gift. Es schmeckt fürchterlich“. Kein Mensch wird mir das glauben und ich selber tat es kaum, aber die Stimme kam von der Spritze voll mit Heroin. Mein Kopf dreht sich. „Habe ich heute schon was gegessen?“ überlegte ich. Nein ich hatte nichts gegessen. Vorsichtig hielt ich mir die Spritze vors Gesicht und betrachtete sie ungläubig. Auf den ersten Blick war es eine ganz normale Spritze. Doch als ich mir die Nadelspitze anschaute und mich auf einmal zwei winzige Augen musterten, öffnete ich meinen Mund und staunte. „Is irgendwas? Hab ich Blut im Gesicht oder was?“ fragte sie und beim Sprechen erschien unter den Augen ein rhythmischer Schlitz. Ein Nadelspitzenmund. „Hallo? Du da!“ rief sie ein wenig lauter. Das löste meine Erstarrung und ich stammelte „Entschuldige mich. Es ist nur .. ach ich hab noch nie eine sprechende Spritze gesehen“, „Geht auch nicht ich bin die Nadel, nicht die Spritze. Bin aus magischem Stahl gefertigt oder hast du schon mal was von magischem Plaste gehört?“ Rasch schüttelte ich den Kopf. „Na siehst du. Im übrigen glaubst du doch nicht, dass ich dir helfen werde dich selbst zu ermorden?“. Ich verstand nicht, „wieso ermorden?“. „Na, weil dich das Zeug umbringt“ zischte die Nadel und ihre Augen starten mich vorwurfsvoll an. Es war als leuchteten diese kleinen Augen meinen ganzen Geist aus und ich schaute weg und erzählte ihr meine Geschichte von Sandra, den Drogen und dem Glück, das ich suchte und in der Spritze vermutete. Sie hörte mir aufmerksam zu, unterbrach mich nicht und sagte dann als ich fertig war: „Glaubst mir Glück ist nicht in mir, vielleicht für eine Minute, aber diese Minute tauschst du gegen dein Leben. Spritze die Flüssigkeit ins Klo und ich werde dir helfen das Glück zu finden.“ Meine Wangen waren Tränenbedeckt, in mir tobte es und mit zittrigen Händen spritze ich dann das Zeug ins Toilettenbecken. Als mir klar wurde, was ich da getan hatte brach ich erneut in einen Heulkrampf aus. Da war meine letzte Hoffnung dahin und ich hatte irgendeiner sprechenden Nadelspitze vertraut, die sowieso nur meiner Einbildung entsprungen war. „He das war nicht schlecht. Nun will ich dir auch zeigen was richtiges Glück ist“, sprach die Spitze, dann ein stechender Schmerz und um mich herum wurde es schwarz. Doch nicht lange. Ich befand mich auf einmal auf einer saftig grünen Wiese, die Sonne wärmte mich und es ging mir gut. Da war keine Gier nach Drogen oder Glück, die mich zerfraß. Alles um mich rum nahm ich intensiver wahr und auch das irgendwas mein Haar berührte füllte mich mit einem wohligen Schauer. Dazu erschien das zauberhafteste Gesicht, das ich je sah und ich wusste sofort, dass ich es liebe. Sie lächelte liebevoll zurück und in diesem Moment wurde es wieder schwarz und ich schaute in ein ganz anderes Gesicht.

Es hatte einem Rettungssanitäter gehört, der vorsichtig die Spritze aus meinem Herzen genommen hatte. Ich landete im Krankenhaus, von da kam ich in eine Entzugsklinik und irgenwann traf ich dann das geliebte Gesicht. Es sah genauso aus wie es mir die Spritze gezeigt hatte und wir kamen zusammen. Nichts war mit diesem Glück zu vergleichen. Nicht alle Rauschzustände die ich hatte und auch nicht die, die ich gehabt hätte, wäre die Nadelspitze nicht gewesen. Mir ist egal, was die Leute denken. Ich allein weiß, dass mich diese Nadel rettete. Egal ob Einbildung oder magisches Stahl. Eins habe ich von ihr gelernt und gebe es gerne weiter „Das wahre Glück ist kostenlos und verlangt nichts. Man muss nur wissen was man will und darauf warten.“
 
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Kommentare  

diese Geschichte hat viel Wert und gefällt mir gut.Ausserdem sind die Worte lustig zu lesen.

Trainspotter (17.04.2013)

Phantahsiehen eines djunkis.

Hannes (13.03.2003)

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