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4 Seiten

Geschichten aus der Nacht. Nr. 4. - Ein grünes Etwas

Romane/Serien · Amüsantes/Satirisches
*


EIN GRÜNES ETWAS

An einem kalten Winterabend kommt Judy in ihr Schlafzimmer, die kuschelige Höhle der Geborgenheit, wo sie alle Arbeitshektik endlich abstreifen kann. Die Jalousien sind dicht geschlossen. Nachtschwarz ist es im Raum. Oder doch nicht?

Denn da ist dieser Schimmer auf dem Teppich neben dem Bett. Merkwürdig! Dort leuchtet etwas. Grün. Nicht einfach nur grün. Es glüht. Es fluoresziert. Und dann ... formt es sich zur Kugel, rollt über den Boden. Schwebt in die Höhe, dreht sich langsam um die eigene Achse.
Judy starrt, stiert. Ungläubig. Greift automatisch zum Lichtschalter. Macht das Licht an.
Im Augenblick, in dem es hell wird, ist die Erscheinung weg.

Huch, was war denn das?

Der Sache will sie auf den Grund gehen. Sie knipst die Lampe aus. Das Zimmer ist dunkel. Der kleine Ball aber leuchtet. Grün. Wandelt sich zum schlängelnden Schlauch, phosphoreszierend und aalgleich, windet sich um Judys Mitte. Klamm.
„O Gott!“
Jetzt mutiert er zur Riesenpranke. Greift ...
„Hilfe!“
Zwei grüne Finger packen Judys Nase. Ach was ... das gibt es nicht! Einbildung. Aber etwas hat sie doch feucht berührt! Starr vor Staunen knipst sie das Licht an und ... der Spuk ist vorbei.

Judy atmet tief durch. Sie ist ja nicht feige. Macht es nochmal. Sie löscht die Lampe.
Und ... im Finsteren rotiert die grüne Kugel. Tänzelt um die eigene Achse.
Das Ganze scheint auch diesmal aus einem Glas entsprungen zu sein, das seit gestern Abend, halbvoll mit Wasser neben dem Bett steht. Da ... wieder greifen aus der grünen Masse heraus diese Hände. Packen zu ...

Eine bebende Judy schaltet gerade noch die Beleuchtung ein. Gleichzeitig zischt der grüne Spuk blitzartig ins Gefäß zurück wie Aladins Geist in die Flasche. Blobb. Weg ist er.

‚Jetzt hab ich es begriffen‘, denkt sie, ‚im dunklen Zimmer steigt das Zeugs aus dem Glas, bei Licht verschwindet es.
‚Ich muss also einfach die Lampe a n lassen.‘
Aber mit Licht schlafen? Und das für alle Zukunft?
So kann man doch nicht leben.
Nein!
Um vier Uhr morgens ist sie immer noch nicht zur Ruhe gekommen. Hellwach liegt sie auf ihrem Bett im Schein der Lampe. Das unglaubliche Phänomen, das in der Dunkelheit Lauernde, fängt an, ihr Angst zu machen.

Sie steht auf, trägt das verhexte Glas in die Küche. Wird es untersuchen. Vielleicht ist ja bei seiner Herstellung etwas falsch gelaufen und man hat die Grundmasse irrtümlich mit einer grünen Leuchtsubstanz durchtränkt?

Unter der Neonröhre bei der Spüle betrachtet Judy das Gefäß genau. Sie weiß, sein Inhalt ist hundsgewöhnliches Leitungswasser, weil sie es selbst gestern direkt aus dem Hahn hineingefüllt hat. Jetzt sieht es farblos aus ... normal. Keine Spur von GRÜN. Aber, hier ist es ja auch hell!

Das Phänomen muss vom Wasser herrühren. Das gießt sie jetzt in den Ausguss. Stellt das Glas nun, leer wie es ist, ins dunkle Schlafzimmer zurück. Bestimmt ist jetzt alles gut! Aber – da wird ihr schlecht – denn aus dem Gefäß wabert wieder der leuchtgrüne Ball! Wandelt sich in pulsierende, durchsichtige Gestalten, die ihr sonderbar zugrinsen und mit Raubtiertatzen nach ihr...

Hektisch schaltet Judy das Licht ein. Da ist sofort alles vorbei.

Also, am Wasser hat es anscheinend nicht gelegen. Jetzt tauscht sie das Glas aus dem Schlafzimmer mit einem anderen, neutralen. Sie hatte es schon geahnt: dieses leuchtet NICHT. Es lag also am Glas. Klar ... sie macht gleich den Test: stellt das erste, das verdächtige Stück noch einmal neben ihr Bett, macht den Raum dunkel. Da ist sie wieder, die rotierende Kugel. Hebt sich. Schwebt. GRÜN.
Schwupp- knipst Judy das Licht an.

Jetzt nimmt sie das verdammte Strahl-Gefäß und trägt es von neuem in die Küche, wäscht es gründlich mit einem dieser bakterienkillenden Spülis. Füllt es dann mit frischem Leitungswasser aus dem Hahn. So platziert sie es wieder im Finsteren neben das Bett. Unglaublich! Diesmal strahlt es nicht mehr. Keine Spur von Grün. Keine Spur von Spuk. Jetzt weiß sie, was war. Sie hatte es vorhin nicht gründlich genug gereinigt. Sie weiß zwar noch immer nicht, was da wirklich los gewesen ist, aber, Gott sei Dank, scheint ja jetzt alles vorbei!

Trotzdem wirft Judy das Glas, das nun auch im Dunkel aufgehört hat, zu leuchten, in den Müll. Obwohl es vielleicht kostbar ist. Aber sicher ist sicher. Es stammt vom Flohmarkt und ist über hundert Jahre alt. Wer weiß, vielleicht verwendete man in trüben, alten Zeiten, eine giftige, womöglich radioaktive Substanz ... was wusste man schon von Chemie?

Aber jetzt ist die Sache ja ausgestanden. Alles in Ordnung. Doch Judys Glaube in den eigenen Verstand und die Ratio im allgemeinen hat einen ziemlichen Knacks bekommen.

Oder lag vielleicht etwas im Argen mit dem Leitungswasser aus ihrem Stadtteil? Verseuchung? Halluzinogene, LSD? Sie hatte doch ein paar Schlucke aus dem Glas genommen, bevor sie dann anfing, all diese komischen Sachen zu sehen!
‚Oder vielleicht war da ... ganz Neues, Unerforschtes im Spiel? Es gibt Dinge zwischen Himmel und ...'
Ist ja jetzt alles gut!

Aber:
von diesem Tag an kann sie sich nicht mehr aufraffen, ihren geliebten Bohnenkaffee mit Leitungswasser zu brühen, sondern nimmt Sprudel. Nur noch Sprudel. Auch zum Kochen. Und sie trinkt nur in Flaschen Abgefülltes. Natürlich nicht aus Gläsern. Nein, nein. Gläser rührt sie keine mehr an.

Papp- oder Plastikbecher benutzt sie. Und muss sich dennoch zum Trinken zwingen, denn sonst kollabiert der ganze Organismus, das weiß doch jedes Kind.

Im Büro stürzt sie sich bis in die halbe Nacht in Arbeit und Überstunden. So kann man diese Hirngespinste – dafür hält sie das Phänomen inzwischen – am schnellsten vergessen. Auch geht sie mehr als sonst mit Freunden aus. Ablenkungsmanöver. Aber es nutzt nichts. Sie muss ständig an den Spuk denken. Doch erzählt sie keinem Menschen davon. Die würden sie womöglich für schizophren halten oder im besten Fall für eines dieser makabren Wesen, die Gespenster und Poltergeister magisch anziehen, weil in ihnen selbst etwas Unheimliches, Abartiges steckt - na ja, so etwas hat sie kürzlich gelesen ...

Irgendwann holt der Alltag Judy ein. Inzwischen ist der Hokuspokus ja ohnehin vorbei. Sie schläft nachts endlich wie ein Baby im normal dunklen Raum. Und nichts passiert. Auch Berndt hat schon einige Male bei ihr übernachtet. Kein grünes Monster störte ihre Zweisamkeit. Nichts Überirdisches mehr.

‚So wichtig kann die Sache kaum gewesen sein‘, denkt sie, ‚es gibt Gravierenderes auf der Welt. Tausend Rätsel begegnen einem im Leben ... jeden Tag. Dinge, die man nicht begreift. Kein Grund zur Panik.‘

Nur - aus Gläsern zu trinken, vermeidet Judy konsequent. Nicht, weil sie es für lebensgefährlich hält - zumindest nicht mit ihrem Verstand - sondern, um jegliche negative Auswirkung auf ihr ohnehin angeknackstes Nervensystem von vorneherein zu unterbinden.

Es dauert eine Weile, doch es kommt die Zeit, da hat sie den Spuk vergessen. Alles wieder wie früher! Alles normal.

Am Samstagabend nimmt sie einen Plastikbecher voll warmer Milch und einen neuen Bestseller mit in ihr Schlafzimmer und macht es sich auf dem Bett so richtig gemütlich. Schlürft Milch, knabbert genussvoll Schokokekse, liest noch eine Weile. Irgendwann klappt sie das Buch zu. Löscht das Licht.

Da - aus dem Becher rollt die grüne Kugel. Wandelt sich. Pulsiert. Wesen fluten ihr entgegen, wachsen, wachsen, strecken Geisterhände nach ihr ...

Judys rasender Griff zur Nachttischlampe. Das Klicken des Schalters. Mini- Explosion in der Glühbirne. Die Lampe ist tot ...





Copyright Irmgard Schöndorf Welch, Oktober 2002
überarbeitet am 22.05.2005




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Kommentare  

na so einen käse habe ich ja noch nie gelesen

 (11.09.2006)

Hallo Lies

Mit dieser Geschichte hab ich mich lang rumgequält. Hatte schon einen Schluss, hab ihn wieder weggemacht und und... So wie sie da steht, ist sie in die Leselupen-Bestenliste gekommen, aber das ist schon ein halbes Jahr her... sie ist immer noch drin. Mich befriedigt sie auch nicht ganz...irgendwann geh ich mal wieder dran, aber im Moment bin ich vollauf mit meinem Roman beschäftigt

Einen lieben Gruß
Irmgard


Inulove (18.10.2003)

>>war nix?<<

Nein, da denke ich anders.
Die Story hat einen Spannungsbogen, der immerhin bewirkt, dass man das Ende kennen will und ganz bestmmt nicht mit dem Lesen aufhört bis zur letzten Zeile.
Aber dann trickst die Autorin und es wirkt, als habe sie verzweifelt nach einem GAG zum Schluss gesucht, sich dann aber entschlossen, dem Leser eine Auslegung, Weiterführung oder sogar das Umschreiben zu überlassen.

Also da ginge ich an Deiner Stelle erneut ran, weil die Story nach einem fulminanten Ende geradezu schreit.

Gruss Lies


Lies (17.10.2003)

Hallo Wolz
Dein Kommentar war irgendwie untergegangen. Aber Du hast recht. ich werde die Geschichte komplett überarbeiten.


Dir liebe Grüße


Irmgard (14.09.2003)

Ist Deine Storie eine ungelöste X-Akte?
Spannung kommt nicht auf, eine Lösung bietest Du auch nicht an.
Ausserdem fördert es nicht die Lust am lesen, wenn ein Begriff ständig erwähnt wird.
Die Worte Glas/Gläser sind gemeint.
Nee, die Storie war nix


NewWolz (15.03.2003)

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